Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1. Bundestag hat leider kein Gesetz über Kinderbeihilfen verabschiedet; dies, obwohl die sozialdemokratische Fraktion bereits im März 1950 einen Gesetzentwurf über Kinderbeihilfen eingebracht hatte, dem dann im Juli 1951 ein Gesetzentwurf der CDU über Familienausgleichskassen folgte. Es liegt meiner Fraktion fern, heute auf die Dinge, die im ersten Bundestag nicht zur Verabschiedung eines Gesetzes über Kinderbeihilfen bzw. Familienausgleichskassen führten, einzugehen. Wir stellen lediglich fest, daß die Mehrheit des ersten Bundestages trotz der Kompromißlösung, die in etwa 30 Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses erarbeitet war, einen Gesetzentwurf nicht glaubte verabschieden zu können.
In seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 hat der Herr Bundeskanzler auch zur Frage der Kinderbeihilfen Stellung genommen und erklärt, daß diese sozialpolitische Aufgabe möglichst bald einer Lösung entgegengeführt werden solle. Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat im Bulletin vom 27. Oktober 1953 versichert, daß ein Gesetzentwurf über Kinderbeihilfen eine der ersten bevorstehenden Maßnahmen sein werde. Mit Bedauern stellt meine Fraktion fest, daß die Bundesregierung bisher keine Initiative zur Schaffung eines Gesetzes über Kinderbeihilfen ergriffen hat. Deshalb legt die sozialdemokratische Fraktion heute einen eigenen Gesetzentwurf über die Gewährung von Kinderbeihilfen vor. Wir freuen uns, daß nach Einbringung des Gesetzentwurfs meiner Fraktion auch die Christlich-Demokratische Union einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Beide Gesetzentwürfe weichen allerdings in wesentlichen Punkten voneinander ab.
Nach Auffassung meiner Fraktion hat die Allgemeinheit die Verpflichtung, die finanziellen Belastungen, die sich aus der Erziehung von Kindern ergeben, in sozial möglichst gerechter Weise auszugleichen, und zwar deshalb, weil im Wirtschaftsleben im allgemeinen ohne Rücksicht auf Familienstand und Familiengröße ein Leistungslohn gezahlt wird. Durch das gegenwärtige Steuersystem wird auch nach Durchführung der Pläne des Herrn Bundesfinanzministers kein sozialer Ausgleich der wirtschaftlichen Belastungen für Familien mit Kindern erreicht. Die Steuerermäßigung wird nach den vorgelegten Entwürfen beispielsweise für Familien mit zwei Kindern im Vergleich zu einem kinderlosen Ehepaar betragen: bei einem Monatseinkommen von 300 DM je Kind 4,20 DM, bei einem Monatseinkommen von 500 DM je Kind 11,70 DM, bei einem Monatseinkommen von 1000 DM je Kind etwa 17 DM und bei einem Monatseinkommen von 2000 DM je Kind etwa 21 DM.
Die Steuerermäßigung beträgt somit bei den höheren Einkommensbeziehern ein Vielfaches der Ermäßigung bei den kleinen Einkommensbeziehern. Unser gegenwärtiges Steuersystem benachteiligt also die sozial schwachen Familien mit Kindern erheblich gegenüber den Familien mit höheren Einkommen.
Da durch die Steuer kein sozial gerechter Ausgleich für Familien mit Kindern erreicht werden kann, muß nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion dieser Ausgleich durch Kinderbeihilfen herbeigeführt werden.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Ansicht, daß die besonderen finanziellen Belastungen durch die Erziehung von Kindern grundsätzlich für alle Kinder ausgeglichen werden müssen. Deshalb sollten nach unserer Auffassung Kinderbeihilfen vom ersten Kind an gezahlt werden.
Die Gewährung von Kinderbeihilfen für alle Kinder erfordert bei einer Beihilfe von 20 DM im Monat einen Aufwand von über 3 Milliarden DM jährlich. Eine Sozialleistung in derartiger Höhe setzt eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Steuersystems, eine wirklich große Steuerreform voraus. Nach den Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers kann aber in absehbarer Zeit nicht mit einer solchen wirklichen Steuerreform gerechnet werden. Deshalb legt die sozialdemokratische Fraktion heute einen Gesetzentwurf über die Gewährung von Kinderbeihilfen vom zweiten Kind an vor, wobei wir jedoch ausdrücklich erklären, daß die Gewährung von Kinderbeihilfen für alle zweiten und weiteren Kinder nach unserer Meinung nur der erste Schritt zur Gewährung allgemeiner Kinderbeihilfen für sämtliche Kinder sein muß.
Der erste Grundsatz des Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Fraktion ist der, daß Kinderbeihilfen in Höhe von 20 DM monatlich für alle zweiten und weiteren Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und, sofern die Kinder in Berufsausbildung stehen, bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres zu gewähren sind. Der öffentliche Dienst soll, soweit dort Kinderbeihilfen gegenwärtig gezahlt werden, bis auf weiteres außerhalb dieser gesetzlichen Regelung bleiben. Sozialpolitisch bedeutet der Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Partei, daß für über 5,5 Millionen Kinder Kinderbeihilfen gezahlt werden sollen, und zwar für 3,1 Millionen Kinder von Arbeitern und Angestellten, 1,5 Millionen Kinder von Selbständigen und etwa 0,9 Millionen Kinder von sogenannten selbständigen Berufslosen. Diese Kinderbeihilfen sollen steuerfrei und unpfändbar sein.
Der zweite Grundsatz des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs ist der, daß Kinderbeihilfen ohne Rücksicht auf den Beruf der Eltern oder der Mutter gewährt werden sollen. Damit grenzen wir uns klar von allen Plänen ab, nach denen praktisch keine Kinderbeihilfen für einen Teil von Kindern der Selbständigen, für Kinder von Arbeitslosen, Rentnern und insbesondere von Witwen gezahlt werden sollen. Nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion darf bei einer so wichtigen sozialpolitischen Aufgabe wie der Gewährung von Kinderbeihilfen der Beruf und die Berufstätigkeit der Eltern oder der Mutter keine Rolle spielen.
Der dritte Grundsatz unseres Gesetzentwurfs ist der, daß die Kinderbeihilfen ohne Schaffung eines neuen Verwaltungsapparats allein durch öffentliche Stellen gezahlt werden sollen. Welche öffentlichen Stellen das sind, ist nach Auffassung meiner Fraktion von zweitrangiger Bedeutung. Wir haben aber die größten Bedenken gegen jene Regelung, bei der die Auszahlung durch die Arbeitgeber vorgesehen ist, und zwar deshalb, weil bei einer Auszahlung durch den Betrieb die Gefahr einer indirekten Anrechnung der Kinderbeihilfen auf den Lohn und eine sonstige Benachteiligung des Beschäftigten nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist.
Deshalb muß nach unserer Auffassung die Auszahlung der Kinderbeihilfen unabhängig von der Arbeitsstelle durch öffentliche Einrichtungen erfolgen. Die SPD schlägt vor, die unentbehrlichen Verwaltungsarbeiten in Zusammenarbeit von Finanzämtern und Gemeindebehörden durchzuführen und die Auszahlung durch die Postämter bargeldlos vorzunehmen. Über das Konto sollen beide Elternteile in gleicher Weise verfügungsberechtigt sein. Auf Antrag des Jugendamts allerdings soll die Verfügungsberechtigung nur einem Elternteil oder dem, der das Kind tatsächlich erzieht, zuerkannt werden.
Nun zur Frage der Finanzierung! Ich gehe auf diese Frage deshalb besonders ausführlich ein, weil man uns sonst sagen könnte, wir hätten uns über diese sehr schwierigen Zusammenhänge nicht ausreichend Gedanken gemacht. Die sozialdemokratische Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß die Kosten des Ausgleichs der besonderen Belastung der Familie grundsätzlich von der Allgemeinheit, also über das allgemeine Steueraufkommen getragen werden müssen. Der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion mit Gewährung von Kinderbeihilfen für 5,5 Millionen Kinder erfordert einen Finanzaufwand von etwa 1,4 Milliarden DM jährlich. Das bedingt, worüber wir uns sehr wohl im klaren sind, volkswirtschaftlich eine gewisse Umschichtung unseres Volkseinkommens zugunsten der Familie mit Kindern. Da aber mit einer grundsätzlichen Änderung des gegenwärtigen Steuersystems, die eine solche Umschichtung bewirken könnte, in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann, schlagen wir vor, bis auf weiteres die Mittel aus verschiedenen Quellen aufzubringen, die Aufbringung also auf verschiedene Träger aufzuteilen. In unserem Gesetzentwurf sind vorgesehen: Beiträge der Arbeitgeber, Beiträge der Selbständigen und Bundeszuschüsse.
Die sozialdemokratische Fraktion ist sich darüber im klaren, daß die Vorschläge über die Finanzierung auf Kritik von dieser oder jener Seite stoßen werden. Wir bitten in dieser Hinsicht aber, nicht nur die Schwierigkeiten zu sehen, sondern bessere Vorschläge zur Aufbringung der Mittel für Kinderbeihilfen wenigstens vom zweiten Kinde an zu machen.
Nun zu Einzelheiten der Finanzierung. Der Arbeitgeberanteil zur Finanzierung der Kinderbeihilfen soll 1 0/o der Lohnsumme betragen, wobei Arbeitgeber, deren Lohnsumme unter 2400 DM jährlich liegt, von der Beitragszahlung befreit sein sollen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß bei den Ausschußberatungen im 1. Bundestag zwischen den großen Parteien eine gewisse Übereinstimmung darüber bestand, daß 1 0/o der Lohnsumme zur Finanzierung herangezogen werden sollte. Dabei darf ich die Damen und Herren der CDU-Fraktion, insbesondere die neuen Damen und Herren dieser Fraktion, darauf aufmerksam machen, daß am 9. Juli 1951 von der CDU ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, in dem sogar eine Beteiligung der Arbeitgeber bis zu 21/20/o der Lohnsumme vorgesehen war.
Im übrigen haben uns bei den Ausschußberatungen
im 1. Bundestag die sachverständigen Vertreter der
Arbeitgeber erklärt, daß sich eine Beteiligung der Arbeitgeber mit 1 % der Lohnsumme im Preis nicht auswirken werde.
Wir sind also der Hoffnung, daß für die Heranziehung der Arbeitgeber mit 1 % der Lohnsumme in diesem Hause eine Mehrheit gefunden wird, dies um so mehr, als die Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der Kinderbeihilfen gewissermaßen nur einen Ausgleich für die sozialen Nachteile darstellt, die der Leistungslohn im modernen Wirtschaftsleben mit sich bringt. Ein Beitrag der Arbeitgeber von 1% der Lohnsumme würde etwa drei Viertel des Aufwandes decken, der zur Zahlung von Kinderbeihilfen für die etwa 3 100 000 Kinder von Arbeitern und Angestellten benötigt wird. Der Rest von einem Viertel des Aufwandes wäre nach unserem Vorschlag durch Bundeszuschuß zu decken, auf den ich noch eingehen werde.
Da auch die Kinder von Selbständigen Kinderbeihilfen erhalten sollen, wird sich eine Beteiligung dieser Berufsgruppen an der Aufbringung der Mittel so lange nicht vermeiden lassen, bis die Finanzierung der Kinderbeihilfen aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt ist. Darüber waren sich auch die Parteien bei den Ausschußberatungen im 1. Bundestag im klaren. Nach Ansicht der SPD muß aber bei Heranziehung der Selbständigen zur Mittelaufbringung, die 1/2% ihrer Einkünfte betragen soll, sozialen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden. Deshalb ist die Sozialdemokratische Partei der Auffassung, daß eine solche Heranziehung nur insoweit erfolgen soll, als die Einkünfte aus selbständiger Arbeit den Betrag von 4800 DM im Jahre übersteigen. Selbstverständlich sind wir auch bei den Ausschußberatungen gern bereit, andere Vorschläge über die Finanzierung der Kinderbeihilfen für Selbständige entgegenzunehmen.
Die Frage der Aufbringung der Mittel für Selbständige steht in engem Zusammenhang mit der von der SPD vorgeschlagenen Deckung des nicht durch Beiträge gedeckten Aufwands durch Bundeszuschüsse. Für Kinderbeihilfen von Selbständigen werden etwa 1 1/2 Millionen Kinder in Frage kommen; der Aufwand hierfür wird sich auf etwa 370 Millionen DM stellen. Durch den Beitrag der Selbständigen wird ein Betrag von schätzungsweise 60 Milionen DM von diesen 370 Millionen DM aufgebracht, so daß der größte Teil — etwa 300 Millionen DM — durch den Bundeszuschuß für die Selbständigen gedeckt werden muß. Es zeigt sich dabei auch, daß die Mittelbeschaffung für Kinderbeihilfen bei Selbständigen eben ein besonderes Problem ist.
Außer den Kindern von Arbeitern und Angestellten sollen auch die zweiten und weiteren Kinder der selbständigen Berufslosen, also insbesondere der Witwen, und Arbeitslosen Kinderbeihilfen erhalten. Es handelt sich dabei um fast 900 000 Kinder. Der Aufwand wird sich auf etwa 200 Millionen DM im Jahr belaufen. Wir sind der Auffassung, daß dieser Aufwand aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden muß, wobei bei den Ausschußberatungen darüber diskutiert werden kann, ob außer dem Bund vielleicht noch andere Stellen, die diesen Personenkreis grundsätzlich zu versorgen haben, herangezogen werden können.
Die Sozialdemokratische Partei ist sich darüber im klaren, daß die Finanzierung vor allem durch Bundeszuschüsse sehr ernsthafte finanzwirtschaftliche und steuerwirtschaftliche Probleme aufwirft.
Aber bei einem gemeinsamen Willen wird sich
schließlich auch ein Weg für Kinderbeihilfen für
zweite und weitere Kinder finden lassen, nachdem
für den öffentlichen Dienst eine sinnvolle Regelung
getroffen wurde, die einen Aufwand von etwa
300 Millionen DM für Kinderbeihilfen erfordert.
Bei den Beratungen über die Aufbringung der Mittel für Bundeszuschüsse wird auch die Frage der Steuerklasse III eine Rolle spielen, weil wir auf dem Standpunkt stehen, daß bei einer solchen Erörterung um diese Frage nicht herumgegangen werden kann. Nach Mitteilung von Finanzsachverständigen liegt in der Steuerklasse III auch unter Berücksichtigung der zweiten Kinder die Möglichkeit der Aufbringung mehrerer Hunderte von Millionen. Wir sind über die Schwierigkeiten und Probleme dabei durchaus im klaren, sind aber der Meinung, daß bei einem ernsthaften Willen auch in dieser Hinsicht ein Weg gefunden werden kann, nachdem in programmatischen Erklärungen immer wieder der Wille der Mehrheit des Hauses zum Ausdruck gebracht wurde, Kinderbeihilfen zu zahlen.
Ich komme nun zum Schluß, meine Damen und Herren. In 33 Kulturstaaten gibt es gegenwärtig Kinderbeihilfen. Die Bundesrepublik ist auf diesem wichtigen sozialpolitischen Gebiete hinter der Entwicklung in anderen Staaten zurückgeblieben. Deshalb ist es dringend notwendig, daß nunmehr bald eine Regelung für die Gewährung von Kinderbeihilfen getroffen wird. Die kommende Regelung darf aber nicht hinter der in anderen Staaten Europas zurückbleiben. In den anderen Ländern mit Ausnahme von Irland werden überall Kinderbeihilfen vom ersten oder mindestens vom zweiten Kind an gewährt. Nach Auffassung meiner Fraktion darf das kommende Gesetz für Kinderbeihilfen sich nicht allein auf die Förderung der kinderreichen Familie beschränken. Vielmehr muß eine Regelung getroffen werden, die, wenn nicht für alle Kinder, so doch wenigstens für alle zweiten und weiteren Kinder Kinderbeihilfen schafft. Eine derartige Lösung muß deshalb gefunden werden, weil bei einer Regelung nur vom dritten Kinde an von 13 Millionen Kindern etwa 11 Millionen ohne Kinderbeihilfen bleiben und weil es nun einmal ein Tatbestand ist, daß Familien mit zwei Kindern heute fast zu den Normalfällen gehören. Nur ein solches umfassendes Gesetz ist ein wirksamer Schritt auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit für Kind, Mutter und Familie.