Rede von
Dr.
Otto Heinrich
Greve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Erschrecken Sie nicht! Nur ein paar wenige Worte. Herr Kollege Dr. Dehler hat sich eingangs seiner Ausführungen auf den Standpunkt gestellt, daß es sich um ein reines Rechtsproblem handelt. Diese seine Ausführungen stehen im Widerspruch zu seinen Ausführungen, die ich ersthin zitiert habe. Da hat er nämlich zum Ausdruck gebracht, daß es sich auch um ein politisches Problem handle. Wenn es sich um ein reines Rechtsproblem handelte, dann würde der zuständige Minister wohl nicht verpflichtet sein, zurückzutreten. Es ist ein Politikum, das den Minister veranlassen sollte zurückzutreten. Das hat Herr Kollege Dr. Dehler auch ganz richtig erkannt, nur ist sein Nachfolger, der Herr Bundesjustizminister Neumayer, bisher noch nicht zu der gleichen Beurteilung des Vorgangs gekommen, wie es scheint.
Immerhin, Herr Kollege Dr. Dehler, können wir uns kurz einmal über diese Rechtsfrage unterhalten. Es ist ein Gesetz zustande gekommen, das sowohl die materielle wie die formelle Seite berührt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit ist die Frage der materiell-rechtlichen Seite des zustande gekommenen Gesetzes, und nur so können Sie auch den von Ihnen zitierten Mangoldt verstehen, in dem Sie selbst erwähnt werden. Mangoldt sagt mit Recht:
Ergibt sich dabei,
— bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit — daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so wird die ministerielle Verantwortlichkeit dadurch zum Ausdruck kommen, daß die Bundesregierung das betreffende Gesetz dem Bundespräsidenten unter Darlegung ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken und mit der Erklärung vorlegt, daß sie eine Gegenzeichnung ablehne, und dem Bundestag von den Mängeln Mitteilung macht.
Dann heißt es weiter:
Der Bundespräsident andererseits kann, bevor er die Ausfertigung ablehnt, nach § 97 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht . . .ein Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts einholen.
Irgend etwas hätte unter allen Umständen im Hinblick auf den vom Parlament zum Ausdruck gebrachten Willen, dieses Gesetz verkündet zu wissen, von der Bundesregierung getan werden müssen. Es hätte keine Möglichkeit geben dürfen, daß in der Monatsschrift für Deutsches Recht Herr Oberlandesgerichtsrat Dr. Günther Schulz aus Hamburg zum Ausdruck bringen konnte:
Nebenbei erscheint es fraglich, ob es zulässig
ist, ein verkündungsreifes Gesetz monatelang
auf Eis zu legen. Aber wo kein Kläger, da ist
auch kein Richter.
Den Vorwurf haben wir uns allerdings selber zu machen, daß wir bisher nicht das geworden sind, was wir lange der Bundesregierung gegenüber hätten werden müssen, nämlich Kläger gegenüber einem Verhalten, das wir aus genau densel-
ben verfassungsmäßigen Gründen heraus verurteilen, wie Herr Dr. Dehler es für richtig hält. Unter keinen Umständen durfte, wenn die Frage der Verfassungsmäßigkeit zur Diskussion stand — und daß Herr Dr. Dehler verfassungsmäßige Bedenken hatte, nimmt ihm ja niemand übel, ich zuallerletzt, der ich ungefähr den gleichen Standpunkt in dieser Frage einnehme wie er; ich habe im Vermittlungsausschuß damals nicht mitgestimmt, Herr Dr. Dehler, wenn Ihnen das auch nicht ganz sympathisch sein mag —, Herr Dr. Dehler es unterlassen, den nach der Verfassung vorgezeichneten Weg zu beschreiten, anstatt die Entscheidung „auf Eis zu legen" und darauf zu warten, bis in anderer Form etwas, was Sie ja auch heute noch nach Ihren letzten Ausführungen für verfassungsmäßig nicht nur bedenklich, sondern unzulässig halten, uns präsentiert wird. Ich habe gesagt, die verfassungsmäßige Frage steht nach wie vor, und ich muß den Herrn Bundesminister der Justiz bitten, endlich dafür Sorge zu tragen, daß diese Frage geklärt wird. Es ist hier so, daß ein verkündungsreifes Gesetz vorliegt und die Bundesregierung die Pflicht hat, dem Herrn Bundespräsidenten dieses Gesetz zur Verkündung vorzulegen, und nicht wir. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, etwas zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des betreffenden Gesetzes zu unternehmen, und nicht die unsrige. Die politische Seite, die Sie angesprochen haben, ist in die Entscheidung des Herrn Bundesjustizministers bzw. des Herrn Bundeskanzlers als Regierungschefs gelegt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit steht nach wie vor und ist zu entscheiden.