Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich achte die Leidenschaftlichkeit, mit der Herr Kollege Erler vorhin seinen Standpunkt und den seiner Fraktion dargelegt hat; denn diese Leidenschaftlichkeit kommt aus einer langjährigen und ernsten Bemühung um diese Probleme und aus einer ehrlichen Überzeugung. Aber, ich glaube, das Pathos, das in seiner Rede zum Ausdruck kam
— ich spreche von Herrn Erler —,
war angebracht, als wir uns hier über die Verträge unterhalten haben. Ich glaube kaum, daß es heute noch angebracht ist; denn wir haben heute gar keine Sachentscheidung mehr zu fällen. Diese Sachentscheidung hat der erste Deutsche Bundestag erstmals im Dezember 1952 gefällt; er hat sie einige Monate später wiederholt. Wir ziehen heute auf Grund des Wahlergebnisses aus dieser Sachentscheidung, die das Volk bestätigt hat, nur noch einige formale Konsequenzen.
Das Ja, das die Regierungsparteien damals den Verträgen gegeben haben, war für viele von uns —vielleicht für alle — ein in schwerem inneren Kampfe errungenes Ja. Es ist aber darum heute ein um so klareres und ein um so überzeugteres Ja, und wir vermögen es heute deshalb erneut eindeutig und klar auszusprechen.
Sie können uns fragen, warum wir überhaupt eine Verfassungsergänzung wollen; denn wir vertreten auch heute noch die Rechtsauffassung, daß diese Verfassungsergänzung an sich nicht rechtsnotwendig ist. Wir sprechen deshalb auch nicht von einer Verfassungsänderung, weil es sachlich keine Änderung ist, sondern nur eine Ergänzung, die der Verdeutlichung nach allen Seiten dient. Wenn Sie, Herr Kollege Erler, uns gefragt haben, warum wir nun diese Verfassungsergänzung vornehmen, dann kann ich darauf schlicht und einfach antworten: um die Skrupel der Opposition zu beseitigen!
Man hat diese politische Frage an das höchste deutsche Gericht nach Karlsruhe getragen. Wir sind der Überzeugung, daß dies dem Gedanken des Rechtsstaates nicht gutgetan hat,
weil es sich hier nicht um eine justitiable, nicht um eine Rechtsfrage handelt, sondern um die elementare politische Frage, ob das deutsche Volk wie alle anderen Völker der Welt das Recht hat, sich zu schützen und zu verteidigen.
Man soll uns nicht sagen, wir gingen hier mit der Würde der Verfassung in irgendeiner zweifelhaften Weise um. Wer ist denn mit der Würde der Verfassung umgegangen
und hat zur Erzielung politischer Zwecke in Karlsruhe eine Klage angestrengt?
— Sie wissen ganz genau, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, daß Sie im alten Bundestag, wenn Ihre Rechtsauffassung die richtige gewesen wäre, uns politisch in der Hand gehabt hätten, weil es einer Zweidrittelmehrheit bedurfte, um das Grundgesetz zu ändern, und daß Sie die Absicht hatten, sich über die Zweidrittelmehrheit mit Ihren Stimmen den Platz im Kabinett zu erringen, den Sie natürlich politisch legitimerweise erstreben. Aber diesen Druck hat der deutsche Wähler von uns genommen.
Sprechen Sie doch nicht davon, daß wir die parlamentarische Demokratie entmachten wollten. Das hat Ihnen Herr Dr. Becker schon widerlegt. Ich kann noch hinzufügen: von der Entmachtung der parlamentarischen Demokratie hätte man eigentlich bei denen sprechen können, die diese politische Frage vor ein Gericht getragen haben.
Im übrigen handeln wir bei dieser unserer Entscheidung nur in Konsequenz der Bundestagswahlen vom 6. September, die einen eindeutigen Volksentscheid darstellen.
Wir dokumentieren nur mit der vom Volk gegebenen Zweidrittelmehrheit diesen politischen Willen in einer Erläuterung und Ergänzung des Grundgesetzes. Sie können nicht behaupten, Herr Kollege Erler, die Zweidrittelmehrheit ginge hier mit einer Handbewegung über das Grundgesetz hinweg.
Wir ändern oder ergänzen das Grundgesetz nur mit der Methode, die dieses Grundgesetz selbst festgelegt hat.
Für uns ist der Auftrag des von Ihnen so oft zitierten souveränen Volkes, wie er am 6. September zum Ausdruck kam, keine Handbewegung, sondern eine verpflichtende Entscheidung.
Es handelt sich deswegen auch nicht um ein Amnestiegesetz für eine vergangene, vielleicht nicht ganz ausreichende Mehrheit, sondern allein um die Vollstreckung dieses Volkswillens.
Was besagt nun die Verfassungsergänzung? Ein Doppeltes: sie erklärt die Wehrhoheit des Bundes und beseitigt Zweifel, die darüber entstanden sind, ob das Vertragswerk mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Man kann uns zu diesem letzten Punkt nicht mit dem Einwand kommen, hiermit seien die Verträge eine „Oberverfassung", und der deutsche Bürger müsse in ihr erst nachlesen, was für ihn gelte. Erlauben Sie mir, daß ich aus dem Bereich, in dem ich seinerzeit in diesem Hause die Berichterstattung hatte, als Beispiel einen einzelnen Punkt herausgreife. In den Verträgen wird von der Todesstrafe gesprochen. Trotzdem steht fest, auch in den Verträgen, daß sie in den Ländern nicht angewandt werden kann, in denen sie verfassungsmäßig oder sonst rechtlich verboten ist.
Unbeschadet dessen, wie wir grundsätzlich zu der Frage der Todesstrafe stehen, haben wir, solange sie das Grundgesetz ausschließt, das zu achten und achten es auch. Wir stellen an diesem Beispiel wieder einmal fest, daß die These eben nicht richtig ist, die Verträge stellten eine Oberverfassung dar; denn hier gilt ja das Recht des Grundgesetzes vor dem Recht der Verträge.
Wenn Sie aber den Begriff der Oberverfassung schon einmal in die Diskussion einführen wollen, muß ich doch darauf hinweisen, daß wir derzeit unter der Oberverfassung des Besatzungsstatuts leben und diese „Oberverfassung" mit dem Deutschland-Vertrag abschaffen.
Was den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft angeht: Was sorgen Sie sich darum, wenn hier nun tatsächlich einmal eine Bestimmung eines europäischen Rechts dem deutschen Recht vorgeht, nachdem Sie uns auf Grund ihrer unitarischen Staatsauffassung j a immer wieder erzählen, daß Bundesrecht Landesrecht bricht! Lassen Sie das doch nicht nur im Verhältnis zwischen dem deutschen Bund und seinen Ländern gelten, sondern auch zwischen dem kommenden Europa und den einzelnen Nationalstaaten!
— Auf diesen Jahrmarktston möchte ich meine Rede nicht abstimmen; den überlasse ich der Opposition.
Was die Wehrhoheit betrifft, so ist es Sache dieses Parlaments, ob es die große oder die kleine Lösung treffen will. Herr Erler hat zwar gemeint, man könne diese Lösung nur ganz oder gar nicht treffen; aber er hat es nicht begründet. Es liegt beim Parlament, ob es eine Ergänzung des Grundgesetzes in einem Stück oder in zweien oder gar in dreien beschließen will.
Wir haben uns dafür entschieden, die kleine Lösung zu wählen, um jeden Zweifel über das Vertragswerk und die Wehrhoheit des Bundes im Innern und nach außen zu beseitigen und um Zeit zu haben, die Probleme ernsthaft zu lösen, die uns alle — auch Sie, meine Damen und Herren — beschäftigen sollten, wofür jedenfalls jetzt in beiden Ausschüssen noch nicht Zeit gegeben war.
Wir sehen in dieser Teilung keinen Blankoscheck für eine einmalige Gesetzgebung durch einfaches Gesetz, keinen Blankoscheck für die Mehrheitsfraktion dieses Hauses. Wir sind der Überzeugung — und sie ist von den maßgeblichen Sprechern der Bundesregierung ebenso wie von dem Herrn Berichterstatter zum Ausdruck gekommen —, daß eine zweite Ergänzung des Grundgesetzes kommen wird, eine Ergänzung, die die Beschränkung der Grundrechte auszusprechen und zu umschreiben, das Ernennungsrecht des Bundespräsidenten für Offiziere und Unteroffiziere festzulegen, die Frage
des Oberbefehls zu regeln hat, auch die Frage der
Wehrverwaltung, die eine Bundesverwaltung sein wird, die Frage einer möglichen Auftragsverwaltung im Sinne der Drucksache 124, die Einführung von Wehrmachtgerichten und schließlich die Verwirklichung des landsmannschaftlichen Prinzips. Wir halten daran fest, daß bei der Gesetzgebung auf diesem Gebiet, wie es in dem Antrag von drei Koalitionsfraktionen heißt, auch die Gliederung des Bundes in Länder und die besonderen landsmannschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Da wir das heute nicht zu entscheiden haben, brauche ich nicht ausführlich darauf einzugehen, um so weniger als der Herr Berichterstatter hierüber in völlig zutreffender Weise gesprochen und damit auch unsere Überzeugung zum Ausdruck gebracht hat. Nachdem in einer tausendjährigen deutschen Geschichte die Wehrmacht in Deutschland stets landsmannschaftlich gegliedert war — mit Ausnahme einiger weniger Jahre in jenem Dritten Reich, das niemand von uns zum Vorbild nehmen wird —, soll es auch in Zukunft dabei bleiben, um so mehr als wir damit für das Grundgesetz nur fordern, was in der Weimarer Verfassung bereits ausgesprochen war, in der Weimarer Verfassung, die zweifellos dem unitarischen Gedanken näher-und dem föderativen fernerstand als das Grundgesetz.
Meine Damen und Herren! Dieses landsmannschaftliche Prinzip ist für uns keine föderalistische Prinzipienreiterei, schon gar nicht die Einführung irgendeines neuen Gedankens in das Grundgesetz, sondern nur die Konsequenz aus seinem rechtlichen Aufbau und auch die Konsequenz aus praktischen, sogar aus militärischen und militärpolitischen Erfordernissen; denn ich habe noch von keiner Seite, die über militärische Erfahrung verfügt, hiergegen irgendeine Einwendung gehört. Dieses Anliegen aber ist nicht nur ein solches der Christlich-Sozialen Union in Bayern, es ist ein solches der gesamten Fraktion der CDU/CSU,
und es bedeutet für uns die Voraussetzung zur Zustimmung zur Wehrverfassung und zum Wehrgesetz.
Jedoch ist jetzt nicht der Zeitpunkt, diese Fragen des landsmannschaftlichen Prinzips, des Oberbefehls und der anderen Punkte, die ich erwähnt habe, zu entscheiden. Diese Fragen bleiben bei den beiden Ausschüssen anhängig. Wir haben heute nur die Entscheidung des ersten Bundestages in neuer Form zu wiederholen, die Entscheidung, die damals die CDU, die CSU, die FDP, die Deutsche Partei und die Bayernpartei gefällt haben und die nunmehr verfassungsmäßig ihren Ausdruck finden soll.
Daß die Sozialdemokratische Partei nein sagt, haben wir wahrhaftig nicht anders erwartet; das hat Herr Kollege Erler richtig ausgesprochen. Denn wir wissen genau, daß diese Partei nun einmal festgefahren ist,
und wir wollen sie da auch nicht von ihrem Riff herunterbringen.
Die Argumente, die dabei vorgebracht werden, kommen mir doch recht merkwürdig vor. Ich habe da gehört von dem alten Gegensatz zwischen der
Arbeiterschaft und der Wehrmacht. Meine Damen und Herren , aus welcher verstaubten Mottenkiste des 19. Jahrhunderts haben Sie denn dieses Argument hervorgeholt?
Von der Pflichterfüllung, die die deutsche Arbeiterschaft in zwei Weltkriegen für ihr Vaterland geleistet hat, haben Sie vielleicht noch keine Kenntnis genommen!
Sicherlich haben Sie davon noch keine Kenntnis genommen, daß am 6. September zum ersten Male in einem noch nie dagewesenen Umfang ein Einbruch der Regierungsparteien in die deutsche Arbeiterschaft hinein erfolgt ist, und zwar gerade bei der Frage der Wehrhoheit.
Herr Kollege Erler hat dann einen Satz gesprochen, den man allerdings nicht deutlich genug wiederholen und auch außerhalb dieses Hauses immer wieder wiederholen kann. Er hat gesagt, die Mehrheit entscheide nicht, wer recht hat, sondern wem sie recht gibt. Das entspricht allerdings seit jeher der von uns vertretenen Staatsauffassung, nach der es eine Wahrheit gibt, die vor jedem Parlament existiert, und ein Recht, das vor jeder staatlichen Ordnung und vor jeder parlamentarischen Arbeit gegeben ist.
Diese Begrenzung des aus der Aufklärung stam-
— Eine Erkenntnis ist an sich nicht nur eine Frage der Anständigkeit, sondern auch der Vernunft. Ich habe Ihnen, Herr Kollege Erler, niemals die Anständigkeit und auch niemals die Vernunft abgesprochen. Wir diskutieren doch hier auf einer persönlich fairen Basis. Aber ich darf Ihnen doch auch erklären, daß Sie einmal recht haben, nachdem Sie sich nach meiner Überzeugung recht oft irren. Das ist meine ebenso ehrliche Überzeugung.
Aber ich möchte hier an etwas ganz anderes erinnern. Im Deutschen Reichstag hat der Abgeordnete Otto Wels der Sozialdemokratischen Partei einmal erklärt, er wolle lieber mit der Mehrheit irren als gegen die Mehrheit recht behalten. Meine Damen und Herren, da scheint mir doch der Fortschritt der Erkenntnis in der Sozialdemokratie trotz allem, was man sonst sagt, greifbar, und wir freuen uns darüber.
Im übrigen mag der Unterschied darin bestehen, daß die Sozialdemokraten früher mit der Mehrheit geirrt haben und heute mit der Minderheit irren.
Aber über den Irrtum werden wir uns natürlich streiten können, und erst die Historiker werden sagen, wer wirklich recht gehabt hat.
Sicher aber ist, Herr Erler, und darauf darf ich mich beziehen, daß das deutsche Volk mit Zweidrittelmehrheit den Regierungsparteien recht gegeben hat, und auf Grund unserer Überzeugung, unseres Gewissens und der vom Volk gegebenen Ermächtigung sagen wir heute ja.