Rede von
Dr.
Karl
Atzenroth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Ich muß Sie nach der großen Haushaltsdebatte, insbesondere nach der letzten Rede des Bundesfinanzministers, der noch einmal die großen Fragen umrissen hat, um Nachsicht bitten, wenn ich zu einem Problem spreche, das nur am Rande dieses ganzen Haushalts liegt und das vielleicht im Gegensatz zu den Ausführungen meines Vorredners nur nüchtern und sachlich behandelt werden kann. Aber die Tatsache, daß zum erstenmal in unserer Bundesrepublik dem Haushaltsplan für das Jahr 1954 ein allgemeiner Nachweis über das Bundesvermögen und die Bundesschuld beigefügt worden ist, rechtfertigt doch eine Ausnahme, insbesondere deshalb, weil wir in der zweiten und dritten Lesung voraussichtlich nicht mehr über das Thema werden sprechen können.
Es handelt sich bei dieser Anlage zwar um einen Torso. Trotzdem hat sie in der Öffentlichkeit als ein erster Schritt zu der lange geforderten Publizität über das Vermögen der öffentlichen Hand gegolten. Es wäre deshalb sehr wünschenswert, wenn auch die Parlamente der Länder auf die gleiche Veröffentlichung drängen würden; denn dann erst würden manche Zusammenhänge klarer, die uns vorläufig noch nicht übersichtlich sind. Besonders hoch scheinen diese Vermögen in den Ländern Bayern und Niedersachsen zu sein. Auch die Kommunen und Kommunalverbände gehören hierzu, und wenn ich z. B. an das RWE denke, so muß ich sagen: hier steht doch wohl die größte Zusammenballung wirtschaftlicher Macht, die wir in Deutschland haben und die bisher noch nicht der Entflechtung unterlegen hat.
Leider ist die Vermögensrechnung des Bundes im Gegensatz zur Schuldenrechnung aber nicht vollständig, und die Selbsteinschätzung, die man im Finanzministerium vorgenommen hat, ist doch etwas bedenklich. In dem offiziellen Bulletin vom 12. Januar ist diese Anlage zum Haushaltsplan unter der Überschrift „Die Feinheiten im Haushalt" mit folgenden Worten gelobt worden:
Überhaupt ist es diesmal die Vermögenswirtschaft, die dem Bundeshaushalt 1954 einen fast historischen Platz zuweist. Erstmals ist das Ergebnis einer umfassenden Bestandsaufnahme des Vermögens des Bundes mit allen Einzelheiten in einem Haushaltsplan dargestellt. Damit stellt sich neben die übliche kameralistische Geldrechnung zum erstenmal eine fast kaufmännische Sachrechnung, die die perspektivischen Umrisse einer künftigen exakten Vermögensbilanz des Bundes erkennen läßt. .... Die lückenlosen Aufstellungen über den Vermögensstand des Bundes beseitigen alle Illusionen über den reichen Bund.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner
Rede wesentlich vorsichtiger ausgedrückt. Aber
kann man wirklich von einer „umfassenden Bestandsaufnahme" und von einer Darstellung „mit
allen Einzelheiten" sprechen? Doch sicherlich nicht.
Wenn der Verfasser dieses Artikels die Aufstellung
als eine „fast kaufmännische Sachrechnung" im
Gegensatz zur „kameralistischen Geldrechnung"
ansieht, möchte ich ihm in aller Bescheidenheit
empfehlen, einmal an einem betriebswirtschaftlichen Seminar, meinetwegen meines alten Lehrers
Schmalenbach, teilzunehmen.
Schließlich liegt auch keine „lückenlose" Aufstellung vor, die unsere „Illusionen" beseitigen
könnte. Wir werden vielmehr wegen der Lücken
noch eine ganze Reihe von Fragen zu stellen haben.
Auf Seite 138 der Anlage zur Bundestagsdrucksache 200 ist auf die besonderen Schwierigkeiten der Bestandsaufnahme hingewiesen worden. Diese zeigen sich da, wo die zum Bundesvermögen gehörenden Vermögenswerte von den Ländern verwaltet werden, ferner da, wo es sich um Vermögenswerte handelt, die in die Besetzungslastenverwaltung übergegangen sind und zu denen uns bedauerlicherweise häufig der Zutritt verweigert wird. Auch sind die sogenannten Sachen im Gemeingebrauch nicht mit aufgeführt, die von Sachverständigen allein auf etwa 20 Milliarden DM geschätzt werden. Das Auswärtige Amt ist mit seinen Angaben im Rückstand. Das ehemalige reichseigene Filmvermögen, vor allem aber das Volkswagenwerk, fehlen ganz.
Die uns vorgelegte Bewertung dieses riesigen Vermögenskomplexes ist sehr problematisch. Wie ich schon vorgetragen habe, sind die Werte nicht mit einer kaufmännischen Vermögensaufstellung zu vergleichen. So hat man z. B. für Gebäude den niedrigen Neubauwert von 1936 abzüglich der Abschreibungen gewählt. Was würden unsere Finanzämter sagen, wenn wir ebenso verfahren wollten! Die nach Abzug der für Verwaltungs- und Besatzungszwecke gebundenen Grundstücke verbleibende Reserve kann wohl auf über 5 Milliarden DM geschätzt werden. Es ist zu bezweifeln, ob sie in dieser Höhe notwendig ist.
Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht aber naturgemäß die Aufstellung über die Bundesbeteiligungen an den ausgewiesenen Unternehmungen des privaten Rechts, deren Nennkapital mit insgesamt 1,2 Milliarden DM angegeben ist, an dem der Bund mit 1,1 Milliarden DM beteiligt ist. Dieser Vermögensposten bildet den Mittelpunkt aller Betrachtungen über die wirtschaftliche Betätigung des Staates und der eventuellen Reprivatisierung oder, besser gesagt, Privatisierung.
Leider vermittelt uns die Aufstellung kein klares Bild. Sie ist zunächst einmal schon wegen des gewählten Stichtags vom 31. März 1953 überholt. Allein bei der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks-A.G. und der Hibernia kann man schon mit einer Erhöhung des Reinvermögens um mehrere hundert Millionen DM rechnen. Wichtig ist aber, daß in der Vermögensaufstellung nur die unmittelbaren Beteiligungen des Bundes aufgeführt sind. Hinter den Holdinggesellschaften liegen Wirtschaftswerte, die manchmal ein Vielfaches des ausgewiesenen Kapitals der Dachgesellschaft ausmachen.
Es ist im Rahmen dieser Debatte nicht möglich, im einzelnen nachzuweisen, daß die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers, der Wert der mittelbaren Beteiligungen sei im Rechnungswert der unmittelbaren enthalten, nicht anerkannt werden kann. Bei richtiger Erfassung der mittelbaren Beteiligung wird sich das Bundesvermögen noch wesentlich höher stellen.
Dieses gewaltige Vermögen von mindestens über einer Milliarde DM wird nun im Jahre 1954 Einnahmen von sage und schreibe 9 Millionen DM erbringen, denen 15 Millionen DM Ausgaben gegenüberstehen. Wir werden also aus Steuermitteln für die Verwaltung dieses großen Vermögens noch einige Millionen zuschießen müssen. Deshalb ist es wohl verständlich, wenn man sich im deutschen Volk Gedanken darüber macht, wie man hier zu einer Änderung kommen kann. Man muß sich dabei vor allem überlegen, nach welchen Grundsätzen solche Vermögen zu behandeln und zu verwalten sind. Für alle Anhänger des Wirtschaftskurses, den die Bundesregierung in den letzten Jahren verfolgt hat, kann wohl nichts anderes in Frage kommen als die Einbeziehung in die soziale Marktwirtschaft.
Der Herr Bundesfinanzminister aber scheint anderer Meinung zu sein. Das zeigt sich an einem Vorfall, der sich vor einem halben Jahr abgespielt hat. Im August 1953 hat der Herr Bundesfinanzminister vor der Belegschaft des Volkswagenwerks folgendes ausgeführt. Die Bundesregierung habe bis jetzt zu dieser Frage geschwiegen, weil sie nicht mit einer deutschen Landesregierung vor einer Einrichtung der Besatzungsmacht als Gegner auftreten wolle. Inzwischen habe sich das geändert. Die Bundesregierung werde dem Parlament nicht die Privatisierung des Werks vorschlagen, es sei jedoch auch nicht daran gedacht, für den Bund aus dem Werk Vorteile zu ziehen. Dieses habe vielmehr die Aufgabe, einen billigen Wagen für die breiten Massen der Bevölkerung zu bauen.
Man muß den Herrn Bundesfinanzminister fragen, was der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundeswirtschaftsminister zu dieser Haltung zu sagen haben. Zunächst lehnt Herr Schäffer die hier mögliche Privatisierung rundweg ab. Dazu wird ja der Bundestag eines Tages ein entscheidendes Wort sprechen. Welche Vorstellungen von der Marktwirtschaft hat aber Herr Schäffer, wenn er glaubt, daß sich die Herstellung eines billigen Wagens für die breiten Massen der Bevölkerung nicht auch durch die Privatindustrie ermöglichen ließe? Und dann ist interessant, wie der sparsame Finanzminister mit unseren Steuergeldern verfahren will. Er will aus diesem Werk keine Vorteile ziehen. Er will ihm also einen unberechtigten Wettbewerbsvorsprung gegenüber anderen Unternehmungen auf Kosten der Allgemeinheit der Steuerzahler sichern. Er verzichtet auf mögliche Gewinne aus dem öffentlichen Vermögen und nimmt damit eine vermeidbare Belastung des Haushalts auf sich. Eine solche Haltung kann von uns nicht gebilligt werden. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit muß auch für das Erwerbsvermögen der öffentlichen Hand gelten.
Es zeigt sich also, daß diese Vorlage nicht nur Veranlassung zu einer Überprüfung der uns vorgelegten Unterlagen und der etwaigen Gewissenskonflikte gibt, in die die Personen kommen, die in der Exekutive tätig sind und nun hier wirtschaften sollen, sondern daß sie darüber hinaus auch noch Anlaß zu einer Untersuchung über die wirtschaftspolitische Haltung der für die Verwaltung dieses Vermögens berufenen Stellen gibt. Ich hoffe, daß sich in diesem Bundestag recht bald eine Gelegenheit bieten wird, hierzu ausführlich zu sprechen.