Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich nach dieser in die Höhen der Finanzpolitik gegangenen Ansprache des Herrn Bundesfinanzministers Ihre Aufmerksamkeit ganz kurz auf die Themen zurücklenken, die gestern bezüglich des neuen Ministeriums für Familienfragen behandelt worden sind. Fürchten Sie nicht, daß ich hier eine große Grundsatzrede zu halten beabsichtige. Dazu wird sich andere Gelegenheit bieten.
Ich möchte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle Stellung nehmen. Herr Kollege Schoettle, Sie haben in der uns beiden eigenen Weise liebevolle Kritik an Reden geübt, die ich in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit gehalten habe. Nun werden Sie in dem Vorwort zum Haushaltsplan des Ministeriums für Familienfragen finden, daß es eine besondere Aufgabe des Ministers für Familienfragen ist, den Familiengedanken in der Öffentlichkeit zu fördern. Dazu gehört ja nun wohl auch, daß man die Bevölkerung über die die Familie betreffenden Fragen aufklärt und, wenn man so sagen will, gewisse Propaganda für den Familiengedanken als solchen macht.
Wenn ich mit dem freundlichen Wort „Sonntagsredner" belegt worden bin, dann weiß ich nicht, ob ich das als eine gedankliche Parallele zu dem Wort „Sonntagsjunge" betrachten soll oder ob es eine kleine Unfreundlichkeit gegen unseren allseits hoch geschätzten Kollegen Dehler aus diesem Hause sein sollte, daß man mich mit diesem Wort belegt. Ich kann hierzu nur folgendes sagen: mir reichen leider weder die Sonntage noch die Samstage dazu aus, alle die Reden zu halten, um die ich neuerdings zu meiner Freude aus dem ganzen Bundesgebiet gebeten werde.
Das zeigt mir nämlich, daß die Resonanz auf die Schaffung eines Ministeriums für Familienfragen draußen im Bundesgebiet eine ganz, ganz andere ist, als ein gewisser Herr Friedländer es sich vorgestern im Nordwestdeutschen Rundfunk vorgestellt hat.
— Das weiß ich. Vielleicht kommt er auch dazu, sich mit mir kleinerem Minister einmal zu unterhalten. Ich würde eine solche Unterhaltung nicht ablehnen, wenn er sein Niveau wieder auf das Niveau heraufschrauben könnte, auf dem sich seine
Unterhaltungen mit dem Kanzler bewegt haben.
Ich bin nicht hier heraufgekommen, um irgendwelche Unfreundlichkeiten nach der Seite der Opposition hin zu sagen. Im Gegenteil, ich habe den sehr, sehr herzlichen und dringenden Wunsch, die Aufgabe, die mir als Bundesminister für Familienfragen gestellt ist, gemeinsam mit allen Seiten dieses Hauses in Angriff zu nehmen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß sich zwischen allen Parteien und meiner Arbeit wertvolle Brücken echter Zusammenarbeit finden lassen.
Nun noch eines, verehrter Herr Kollege Schoettle. Sie haben sich mit der Fragestunde im Bundestag in der vorvergangenen Woche befaßt, in der Herr Kollege Menzel wegen meiner in Frankfurt gehaltenen Rede betreffend die Ehescheidungen und wegen meiner Bemerkung betreffend Richtereide angefragt hatte. Sie haben mir mit dem, was Sie gesagt haben, insofern einen großen Gefallen getan, als Sie mich darauf hingewiesen haben, daß in der Geschäftsordnung der Bundesregierung steht -- was an sich selbstverständlich ist, aber ich wußte nicht mehr, daß es förmlich darin steht —,
daß die Reden der Bundesminister im Einklang
mit den Richtlinien der Regierungspolitik stehen
müssen. Wenn angesichts dieses Tatbestandes Herr
Bundesminister Dr. Schröder in dieser Fragestunde
zweimal erklärt hat, daß die Bundesregierung
keine Veranlassung sehe, zu meinen in Frankfurt
gemachten Ausführungen Stellung zu nehmen,
so dürfte die Kombination dieses Zitats mit der Bestimmung in der Geschäftsordnung der Bundesregierung doch durchaus in meinem Sinne sprechen und sich damit reimen.
Ich bitte, nicht durch falsche Auslegung eines Übergangspassus aus der Antwort meines Kollegen Dr. Schröder irgendwelche Ungereimtheiten in diese Antwort hineinzulegen.
Im übrigen weiß ich, daß Herr Kollege Schröder weder die Absicht noch den Auftrag hatte, sich bei seiner Antwort irgendwie von meinen Ausführungen zu distanzieren,
die sich ja in keiner Weise mit dem Verhalten des einzelnen Richters zur Eidesformel befaßten, das ich wie jeder andere respektiere,
sondern auf ganz allgemeine Erwägungen hinausgingen.
Was nun die Schaffung meines Ministeriums selbst angeht, so hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 dazu das Wesentliche gesagt. Es müßte den Eindruck machen, als wollte ich hier pro domo reden, wenn ich in dieser Richtung noch etwas hinzufügen wollte. Aber mir liegt doch daran, die Gelegenheit
dieser Aussprache zu benutzen, nur einige Tatsachen ganz kurz skizziert einmal in das Bewußtsein der breitesten Öffentlichkeit zu bringen, ohne sie heute weiter kommentieren zu wollen.
1. Die Geburtenziffer in der Bundesrepublik je 1000 Einwohner, die im Jahre 1900 noch 35,6 war, betrug im Jahre 1952 noch 15,7.
2. Der Geburtenüberschuß je 1000 Einwohner fiel von 13,6 im Jahre 1900 auf 5,2 im Jahre 1952, so daß der Geburtenüberschuß des Jahres 1900 nur ganz wenig unter der Geburtenziffer des Jahres 1952 liegt. Wir alle wissen: die Tatsache, daß wir in Deutschland jetzt noch keinen Sterbeüberschuß haben, ist nur darauf zurückzuführen, daß die Menschen heute länger leben, daß sich aber diese Situation des Geburtenüberschusses, die sich aus dieser Tatsache ergibt, nur vorübergehend auswirken kann, so daß wir in absehbaren Jahren zu einem Sterbeüberschuß kommen werden.
3. Nach den neuesten bevölkerungsstatistischen Berechnungen wird bei uns in rund 25 Jahren die etwa gleiche Zahl der im arbeitsfähigen Alter Stehenden für die 1,7-fache Zahl — andere rechnen die 1,6-fache Zahl — von über Fünfundsechzigjährigen sorgen müssen, d. h. die Verpflichtungen der Arbeitsfähigen aus der Sorge für die über Fünfundsechzigjährigen werden um 60 bis 70 % zunehmen.
4. In den Jahren 1946 bis 1952 sind in der Bundesrepublik 480 000 Ehen geschieden worden.
5. 208 000 minderjährige Kinder haben allein durch Ehescheidungen in den Jahren 1949 bis 1951 das Elternhaus verloren.
6. 80 000 streunende Kinder haben wir heute in der Bundesrepublik, von denen die Wissenschaftler und die Praktiker sagen, daß das Streunen weitgehend auch auf die Nichtgeborgenheit in Familien zurückzuführen sei.
7. Von 40 000 Fürsorgezöglingen kommen 27 000 aus unvollständigen Familien, so daß sie kein eigentliches Elternhaus mehr haben.
Ich will diese Tatsachen nicht weiter kommentieren, sondern führe sie nur deswegen an, weil ich glaube, daß sie uns allen Anlaß geben sollten, uns mit der Erhaltung und der Sicherung unserer deutschen Familien und ihres Lebensraumes, aber auch mit ihrer sittlichen Stärkung ernstlich zu befassen.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß wir bei diesem Bestreben auf die Zustimmung einer überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung rechnen können, die allmählich sieht, daß der Familie droht, vom Kollektiv überfahren zu werden,
daß die private Sphäre des Menschen von der öffentlichen und beruflichen Sphäre erdrückt wird und daß eben der Lebensraum und die Entfaltungsmöglichkeit für unsere Familien infolge der ganzen Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und natürlich auch aller möglichen Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht mehr genügend gewährleistet ist. Aber wenn die gesellschaftliche Entwicklung die Familie gefährdet hat, dann hat die Gesellschaft auch die Verpflichtung, die
Hemmnisse wieder zu beseitigen, die diese gesellschaftliche Entwicklung ihr gesetzt hat.
Noch eines: Ich bin eigentlich sehr überrascht darüber, daß in der bisherigen Aussprache meine in Düsseldorf gemachten Ausführungen über Familie und Film von keiner Seite berührt worden sind, obschon sie heftige Kritik gewisser Kreise hervorgerufen haben.
Ich weiß nicht, ob das darauf zurückzuführen ist, daß inzwischen der genaue Text im amtlichen Bulletin veröffentlicht worden ist und alle Mitglieder des Hauses sich vielleicht davon überzeugt haben, daß dort sehr Richtiges ausgesprochen wurde.
Ich habe in meiner Rede in Düsseldorf nichts anderes getan als die schweren Sorgen aller verantwortungsbewußten Eltern und Erzieher zum Ausdruck gebracht, die sie mit Bezug auf Filme, wie sie heute vielfach gezeigt werden, haben. Darf ich im übrigen einmal mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Stellen kurz zitieren:
Der durchschnittliche Unterhaltungsfilm zeigt allzu oft eine Auffassung der Ehe und Familie, die dem im Abendland gültigen Bild, das wir uns von dieser ehrwürdigen Institution machen, widerspricht. ....
Nicht Prüderie und altjüngferlicher Moralismus, sondern das ewig gültige Richtbild von Ehe und Familie sollen bei der Beurteilung maßgebend sein.
Das war die eine Stelle, und die andere lautet: Wir wissen, daß gerade in neuerer Zeit auch Filme gespielt werden, die nicht Anlaß zu dieser Kritik geben. Es sind in letzter Zeit durch hervorragende Künstler Filme hergestellt worden, die ganz ausgezeichnet sind. Wir wollen das dankbar anerkennen und wahrlich nicht den Film als solchen verurteilen. Wir wissen aber auch, daß die Mehrzahl der Durchschnittsfilme das eheliche Leben in unwürdiger Weise auf die Leinwand bringt.
Nun, meine Damen und Herren, wenn ich diese beiden Gedanken geäußert habe, so überrascht es mich eigentlich, daß die Filmwirtschaft, die sich ja durch diese Dinge irgendwie angesprochen fühlt, sich nur durch den ersten Teil meiner Ausführungen, nämlich die negative Kritik, angesprochen fühlt, nicht aber durch den positiven Teil, durch das Lob der guten Filme. Ich frage: was ist danach also bei der Filmwirtschaft im Vordergrund des Interesses, die schlechten Filme oder die guten Filme?
Ich hätte erwartet, die Filmwirtschaft hätte gesagt: „Gut, Herr Bundesminister, wir danken Ihnen für das Lob unserer guten Filme, und wir werden gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, daß die schlechten mehr und mehr aus unseren Filmtheatern verschwinden."
Damit darf ich zum Schluß kommen. Wenn ich hier einige ethische Fragen angesprochen habe, so bin ich mir völlig darüber klar, daß eine ganz entscheidend wichtige Aufgabe des Ministeriums für Familienfragen darin liegt, die wirtschaftlichen Existenzvoraussetzungen unserer Familien, vor allem unserer größeren Familien, endlich grundlegend zu bessern: a) Familienausgleichskassen, b) Steuerreform, c) familiengerechter Wohnungsbau, und was alles dazu gehört.
Aber auch ein anderes muß klar und eindeutig ausgesprochen werden. Alle wirtschaftlichen Maßnahmen, die wir treffen, können auf die Dauer nichts helfen und nützen, wenn nicht auch eine innere, ethische Erneuerung vieler Familien im Lande draußen erfolgt, eine innere Erneuerung, die wir allerdings nicht von Staats wegen zu machen haben, die aber die Kirchen als ihre Aufgabe sehen, die ich in diesem Sinne für meine besten und wichtigsten Mitstreiter in meinem Aufgabengebiet halte.
Ich möchte schließlich nicht verfehlen, allen meinen Gegnern, die in den letzten 14 Tagen durch so intensive Propaganda dafür gesorgt haben,
daß das Ministerium für Familienfragen an Popularität wesentlich gewonnen hat, meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
Meine Damen und Herren! Ich kann mir wirklich nicht denken, daß viele Mitglieder dieses Hauses in dem Ziel, das ich mir gesteckt habe, anderer Meinung sind, als ich es hier zum Ausdruck gebracht habe. Uns ist hier eine überparteiliche, eine staatspolitische Aufgabe gestellt. Sie erscheint mir gerade so wichtig wie die Sicherung unserer demokratischen Ordnung überhaupt; denn ohne gesunde Familien kann es keinen gesunden Staat geben.
Ein besonderes Wort des Dankes dazu auch den Familienverbänden draußen im Lande, den beiden kirchlichen Verbänden wie dem interkonfessionellen „Deutschen Familienverband", mit denen ich zu meiner großen Freude sehr schnell in engste harmonische Zusammenarbeit gekommen bin und als deren Sprecher im Parlament und in der Bundesregierung sowie bei der Gesetzgebung ich mich fühlen darf.
Hier ist uns eine der wichtigsten Aufgaben — der Kanzler hat es ja in seiner Regierungserklärung sehr deutlich herausgestellt — für die Zukunft von Volk und Vaterland gestellt. Ich kann Ihnen die Versicherung geben:
Ich denke nicht daran, mich durch irgendwelche Angriffe von Leuten, denen der Geldsack wichtiger ist als Sitte und Kultur, von meiner Aufgabe, dem Schutz und der Sicherung des Lebensraumes unserer Familie, abbringen zu lassen.