Der Entwurf eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, Drucksache 169, liegt dem Hohen Hause schon zum zweiten Mal vor. Obwohl die Bundesregierung auf einen vom Bundestag im Jahre 1951 einstimmig angenommenen Antrag hin im Jahre 1952 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt hatte, ist es zu keiner Entscheidung des Plenums des ersten Bundestages gekommen, weil die Ausschußberatungen nicht rechtzeitig abgeschlossen wurden. Diese Tatsache ist um so bedauerlicher, als das seitherige Länderrecht auf diesem Gebiet ein buntscheckiges Bild zeigt und nur die beiden Länder Hamburg und Niedersachsen den Forderungen des Art. 104 des Grundgesetzes in Landesgesetzen voll Rechnung getragen haben. Zwar erhärtete eine Entscheidung des Bundesgerichts vom 4. Februar 1952 die von Herrn Staatssekretär Dr. Strauß bei der Einbringung des ersten Entwurfs vorgetragene Auffassung, daß Art. 104 bereits geltendes Recht sei. Aber die öffentliche Kritik konnte während der letzten Jahre an Hand von Fällen aus der Praxis immer wieder darauf hinweisen, welche Rechtsunsicherheit in der Frage des zwangsweisen Freiheitsentzuges im Volke Platz gegriffen hat. Noch ist wohl in unser aller Erinnerung der Fall Dr. Corten, Hamburg, wo es einem Arzt nach seinem Willen gelungen ist, seine nicht geisteskranke Frau in eine Heil- und Pflegeanstalt zu bringen. Noch steigt aus der Erinnerung auf der Fall Rauch, der im September 1952 das Land Hessen beunruhigt hat. Und manchem Kollegen und mancher Kollegin ist die Tragödie des Obergärtners Leopold Göttel aus Langenselbold noch gegenwärtig, der einen schweren Kampf gegen ein unberechtigtes Entmündigungsverfahren durchzustehen hatte. Beispiele, bei denen entweder Rechtsunsicherheit oder Willkür zum Schaden Betroffener zur Verletzung des Art. 104 führte, gibt es mehr, als sie in der Öffentlichkeit bekanntwerden.
Bei der Beratung des ersten Gesetzentwurfs ist dem Rechtsausschuß des ersten Bundestages eine ganze Reihe solcher Fälle von den verschiedensten Seiten zur Kenntnis gebracht worden. Die Einweisung von Geisteskranken in Heil- und Pflegeanstalten und die zwangsweise Absonderung von Tuberkulose- und Geschlechtskranken in Heilstätten sind Freiheitsentziehungen, die im öffentlichen Interesse geboten sein können. Aber mindestens ebenso wichtig ist der Schutz der gesunden Bevölkerung gegen einen mißbräuchlichen Freiheitsentzug.
Damit vieltausendfach geschehenes Unrecht, wie es im „Dritten Reich" an der Tagesordnung gewesen ist, nie wieder geschieht und mit Rücksicht darauf, daß das höchste menschliche Gut die persönliche Freiheit ist, hat der Parlamentarische Rat die Grundgesetzbestimmung des Art. 104 geschaffen. Deshalb sollte auch bei der Beratung des Entwurfs dem Betroffenen der größtmögliche Rechtsschutz eingeräumt werden. Bei der Prüfung des Gesetzentwurfs und insbesondere bei seiner Behandlung in den zuständigen Ausschüssen sollte vor allem darauf geachtet werden, daß es unmöglich gemacht wird, bei Bestehen von sogenannten guten Beziehungen zu irgendwelchen Persönlichkeiten, seien es Ärzte oder sonstige, einem Menschen, ohne daß seine Gemeingefährlichkeit feststeht, die Freiheit zu entziehen.
Eine Gefahr in dieser Hinsicht stellt schon § 1 des Entwurfs dar, nach dessen Fassung jeder gesetzliche Vertreter, dem das Personensorgerecht zusteht, über die Unterbringung seines Kindes, Mündels oder Pfleglings in einer geschlossenen Anstalt eigenmächtig entscheiden kann. Das läuft meines Erachtens dem Art. 104 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes zuwider, der besagt: „Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden." Im übrigen sollte sie deshalb unmöglich sein. Wenn man voraussetzt, daß Eltern ihre Gewalt niemals zu einer Einsperrung ihres Kindes in einer Anstalt mißbrauchen — eine Annahme, die angesichts der vielen Kindesmißhandlungen und Kindesaussetzungen, von denen wir täglich lesen, kaum gerechtfertigt erscheint —, und davon ausgeht, daß einer Entmündigung das unbedingte Anhören durch den Richter und zwei Gutachten vorausgehen, so klafft doch bei der Übertragung des Personensorgerechts an einen Pfleger hier eine besonders große Lücke. Es bedürfte nur der Gutgläubigkeit eines Menschen, der sich, überredet, mit der Übertragung der Sorge für seine Person an einen Pfleger einverstanden erklärt, um diesem Pfleger das Recht zu einer Isolierung des Pfleglings zu geben.
Die Mehrzahl der Fälle, in denen eine Verwahrung in einer Anstalt zu Unrecht erfolgt ist, umfaßt ja gerade diejenigen Personen, die nicht voll geschäftsfähig bzw. labil sind. Sie bedürfen dem Gesunden gegenüber, der sich gegen eine mißbräuchliche Anstaltsunterbringung selbst zu wehren vermag, eines besonderen Schutzes. Vor allem ist im Hinblick auf das Personensorgerecht des Ehegatten daran zu denken, daß es nicht wie im Falle Dr. Corten möglich sein darf, einen Ehepartner zu Unrecht zu isolieren.
Ferner sollte das Verhalten, das einem in einer Heil- und Pflegeanstalt Einzuweisenden zur Last gelegt wird, Gegenstand einer tatsächlichen Überprüfung durch das Gericht schon vor der Erstattung des ärztlichen Gutachtens sein, damit man dem kranken unschuldigen Menschen das gleiche Recht wahrt, wie man es dem schlimmsten Massenmörder zugesteht, dem man unter Übernahme nicht unbeträchtlicher Kosten auf die Staatskasse jede Gelegenheit zu seiner Verteidigung gibt. Man würde damit den Arzt auch von einer allzu großen Verantwortung entlasten.
Als beste Lösung erschiene mir, wenn, wie mein Kollege Greve bei Einbringung des ersten Gesetzentwurfs angeregt hat, eine Ärztekommission das ärztliche Gutachten erstattete und wenn, wie Kollegin Nadig einmal vorgeschlagen hat, von einer kleinen Fachkommission, an der der Jurist, der Arzt und Psychiater und der Fürsorger beteiligt
sein sollten, die schwerwiegende Entscheidung der Zwangsverwahrung getroffen würde. Dort, wo es der Zustand des Betroffenen zuläßt, sollte unter allen Umständen seine Anhörung erfolgen. Geisteserkrankungen oder Suchtzustände begründen an sich noch keine Zwangsmaßnahmen. Erst wenn diese Krankheitserscheinungen gemeingefährlich werden, ergibt sich eine Rechtsgrundlage zum zwangsweisen Eingreifen des Staates. Bei der Feststellung der Gemeingefährlichkeit, die das Gericht zu treffen hat, sollte man nicht strenger vorgehen, als man sonst bei Gemeingefährlichkeiten in der Öffentlichkeit zu dulden bereit ist.
Das Gesetz muß auch ganz konkret herausstellen, daß eine Anstaltsbedürftigkeit nicht gleichbedeutend mit einer Gemeingefährlichkeit ist. Dem nicht unter Personensorgerecht stehenden Menschen muß es, solange er nicht gemeingefährlich ist, selbst überlassen bleiben, sich in eine Anstalt zur Kur zu begeben, genau so wie man niemanden zwingen kann, sich einer Operation zu unterziehen. Grundsätzlich ist zu sagen, daß niemand mangels einer anderen Unterbringungsmöglichkeit in eine geschlossen e Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen werden darf. Die Heil- und Pflegeanstalt ist kein Altersheimersatz. Es dürfte deshalb nicht vorkommen, daß man aufsichts- und betreuungsbedürftige alte Menschen, die ihr Leben lang ihre Pflicht getan haben, mit ihrer Arterienverkalkung in die Heil- und Pflegeanstalt einweist. Hier erwächst der Gesellschaft die Pflicht, entsprechende Altersheime in genügender Zahl zu errichten. Die betreuungsbedürftigen Alten dürfen nicht bei den Irren ihren Lebensabend verbringen.
In der Zeit zwischen der ersten und zweiten Vorlage hat sich in der Öffentlichkeit eine rege Diskussion über das Problem der Freiheitsentziehung entwickelt, an der neben Richtern, Anwälten, Psychiatern, Amtsärzten und Fürsorgern sich auch breiteste Kreise der Bevölkerung beteiligten.
Meine Freunde und ich begrüßen die Vorlage, begrüßen es, daß endlich dieses schwierige Problem der zwangsweisen Verwahrung eine gesetzliche Regelung auf Bundesgrundlage erfährt.
Wir sind der Meinung, daß das vorliegende Gesetz auch in diesem Hohen Hause auf breitester Grundlage beraten werden sollte, damit alle Gründe für und gegen einzelne Bestimmungen des Entwurfs, für und gegen die Anregungen des Bundesrats, ob sie von juristischer, ärztlicher oder fürsorgerischer Seite kommen, entsprechend gewürdigt werden und eine gute Vorlage an das Plenum zurückkommt. Wir schlagen deshalb die Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend —. an den Ausschuß für innere Verwaltung, den Gesundheitsausschuß und den Ausschuß für Verfassungsschutz vor. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.