Rede von
Dr.
Maria
Probst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es wäre eine sehr bedenkliche Praxis, Herr Kollege Atzenroth, wenn wir Ihrem Rate folgen wollten, Gesetze mit der Begründung abzuändern, daß die Durchführungsverordnung noch nicht erschienen ist. Wir würden dadurch alsbald in ein gesetzgeberisches Chaos geraten. Schon aus diesem Grunde muß ich von vornherein Bedenken gegen den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 96 geltend machen.
Dazu kommen eine Reihe weiterer Überlegungen: Es stellt sich von vornherein die Frage, ob es überhaupt eines solchen Antrages bedarf. Bei der Schaffung des Schwerbeschädigtengesetzes hat das Hohe Haus auf die Bedürfnisse der Wirtschaft und des Schwerbeschädigten durch die Möglichkeit elastischer Anpassung bewußt Rücksicht genommen. Es sei mir gestattet, in aller Kürze auf die einschlägigen Bestimmungen des Schwerbeschädigtengesetzes hinzuweisen. Der § 3 Abs. 2 z. B. sieht vor, daß die Bundesregierung für ganze Wirtschaftszweige oder Betriebsarten den Pflichtsatz bis auf 4 % herabsetzen kann. Nach § 3 Abs. 4 kann das Landesarbeitsamt, also die mittlere Instanz, soweit die Erfüllung der Beschäftigungspflicht nicht möglich ist, die Quote im Einzelfall bis auf 4 % herabsetzen. Ich verweise ferner auf § 9 Abs. 3, wo es heißt:
Das Landesarbeitsamt kann im Benehmen mit der Hauptfürsorgestelle die Ausgleichsabgabe in Härtefällen auf Antrag der Arbeitgeber herabsetzen oder erlassen. Es soll den Arbeitgebern die Ausgleichsabgabe erlassen, wenn sie trotz eigener Bemühungen ihrer Pflicht zur Beschäftigung Schwerbeschädigter nicht nachkommen konnten und das Arbeitsamt ihnen seit mehr als drei Monaten Schwerbeschädigte nicht nachweisen konnte.
Außerdem wird im § 39 die Bundesregierung ermachtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über eine begrenzte Anrechnung von Arbeitsplätzen in Saison- und Kampagnebetrieben und von Arbeitsplätzen, die nur vorübergehend oder befristet oder mit geringfügig beschäftigten Personenbesetzt sind. Die Bundesregierung wird ferner ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen zu erlassen über die Nichtanrechnung oder begrenzte Anrechnung von Arbeitsplätzen, die nach der Art der zu leistenden Arbeit, nach bestehenden Vorschriften oder — Herr Kollege Atzenroth! -- auf Grund von Anordnungen der Gewerbe- oder Bergaufsicht nicht mit Schwerbeschädigten besetzt
werden können. In der Ausschußberatung. wird klarzustellen sein, daß der vorliegende Antrag der SPD angesichts der Möglichkeiten des Gesetzes selbst als überholt zu betrachten ist.
Auf der anderen Seite muß darauf hingewiesen werden, daß die Quote von 8 % in industrieschwächeren Ländern, wie etwa Bayern, seit Jahren in Anwendung ist und dort bei elastischer Handhabung zu keinen wesentlichen Schwierigkeiten — von der Wirtschaft her gesehen — geführt hat. Trotz der Quote von 8 % hat Bayern nach dem Stande vom 31. 10. 1953 noch 8489 arbeitslose" schwerbeschädigte Kriegs- und Arbeitsopfer. Eine auch nur vorübergehende Senkung der Quote würde größte Beunruhigung unter den 90 000 in Bayern beschäftigten Schwerbeschädigten und den noch arbeitslosen schaffen. Jede Senkung, wenn auch nur vorübergehender Art, würde zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit dieses Personenkreises führen, die unter keinen Umständen verantwortet werden kann. Die schwerbeschädigten Kriegs- und Arbeitsopfer haben im Dienste der Wirtschaft und im Dienste unseres Volkes das schwerste Opfer gebracht, das ein Mensch bringen kann, nämlich das der Gesundheit und der Lebenskraft. Sie sind gewillt, die ihnen verbliebenen Kräfte wieder in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Die Kriegs- und Arbeitsopfer lehnen ein totales Staatsrentnertum ab. Sie wollen wieder so weit als möglich die eigene Kraft in den Dienst der Allgemeinheit stellen und die eigene Existenz selbst gestalten. Es ist unsere Verpflichtung, diesem Wollen ungeschmälert zu entsprechen.
Ein letzter Gedanke, Herr Kollege Atzenroth: Die Erfahrung hat gelehrt, daß der Schwerbeschädigte am richtigen Arbeitsplatz ein besonders wertvoller Mitarbeiter ist. Der Antrag der FDP in der vorliegenden Form müßte zu der sicher nicht gewollten Annahme führen, daß die Freie Demokratische Partei dem Unternehmer unterstellen wolle, daß er den Menschen, die in seinem Dienst und im Dienst der Wirtschaft wie des ganzen Volkes ihre Gesundheit geopfert haben, ihre Arbeitsplätze vorenthalten wolle. Das Gegenteil ist der Fall. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Antrag der Revision.
Ich bitte im Namen meiner Fraktion, den Antrag der FDP Drucksache 96 dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen.