Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion — Drucksache 96 — bedeutet keine Ergänzung des Schwerbeschädigtengesetzes, das der erste Bundestag am 16. Juni 1953 einstimmig beschlossen hat. Ergänzen, meine Damen und Herren, ist meines Erachtens das Schließen einer Lücke, nicht die Beseitigung eines bis jetzt kaum verwirklichten sozialen Tatbestandes. Die Annahme des FDP-Antrages
würde bedeuten, daß das soziale Fundament des Schwerbeschädigtengesetzes untergraben und durch weitere Maßnahmen in gleicher Richtung der soziale Inhalt dieses bedeutsamen Gesetzes für die beschädigten ehemaligen Soldaten auf kaltem Wege beseitigt wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß man hier den gleichen Weg gehen will, den man mit der Nichtverkündung des Heimkehrerentschädigungsgesetzes betreten hat: nach außen hin große Hilfsversprechen, während man intern und in den Ausschüssen schon Überlegungen anstellt, wie man schnell — und ohne daß es die Betroffenen merken — die Versprechungen wieder rückgängig machen kann.
Das Schwerbeschädigtengesetz sieht vor, daß Arbeitgeber, die der Pflicht, Schwerbeschädigte zu beschäftigen, nicht genügen oder diese Verpflichtung nicht durch andere Leistungen erfüllen, die in den §§ 7 und 8 des Schwerbeschädigtengesetzes aufgezeigt sind, eine monatliche Ausgleichsabgabe von 50 DM zu leisten haben. Und um diese 50 DM geht es in dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion.
Man spricht heute noch nicht offen davon, die Beschäftigungsquote generell für alle öffentlichen und privaten Betriebe von 8 auf 6 % zu senken. Man kann ja das Ziel auch so erreichen — und das ist der Sinn des Gesetzentwurfs —, daß man zwar sagt: „Sie sind verpflichtet, 8 % zu beschäftigen", aber die Verpflichtung zur Entrichtung der Ausgleichsabgabe in Höhe von 50 DM beseitigt. In der Begründung zum Schwerbeschädigtengesetz heißt es ausdrücklich:
Die Ausgleichsabgabe hat aber in jedem Fall den Zweck, den Arbeitgeber zur Erfüllung der ihm nach dem Schwerbeschädigtengesetz auferlegten Verpflichtungen anzuhalten. Datum betont der Gesetzgeber auch ausdrücklich im § 9 Abs. 1 des Gesetzes, daß die Zahlung der Ausgleichsabgabe die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbeschädigter nicht aufhebt.
Mit dieser Feststellung ist bewußt der Tendenz des sogenannten Loskaufens von der Pflicht zur Einstellung Schwerbeschädigter vorgebeugt worden.
Für Schwerbeschädigte, meine Damen und Herren, ist es immer betrüblich — und es ist für uns als Schwerbeschädigte manchmal entwürdigend—, wenn man immer wieder erleben muß, daß um unsere 5 % mehr oder weniger körperlicher Beschädigung aus fiskalischen und jetzt auch noch aus privatwirtschaftlichen Gründen gefeilscht wird. Es ist meines Erachtens notwendig, auch hier einmal daran zu erinnern, daß wir Schwerbeschädigte einmal die gesundesten Deutschen waren und unsere Gesundheit auch für diejenigen geopfert haben, die sich heute nicht scheuen, die Beseitigung der Geldquellen zu beantragen, deren Fließen doch für die Ausbildung und berufliche Weiterbildung gerade der schwerstbeschädigten Menschen dringend notwendig ist.
Die Gelder, die aus der Ausgleichsabgabe hereinkommen, werden ja nur verwandt und dürfen nur verwandt werden für die Ausbildung von Schwerbeschädigten. Wenn diese Beträge regelrecht und ordentlich verwandt worden sind, kommen sie doch dem Arbeitgeber wieder dadurch zugute, daß er
durch das Hereinnehmen von vorgeschulten und ausgebildeten Menschen seine wirtschaftliche Substanz festigt und auch stärkt. Ich glaube, es ist notwendig, auch auf diesen Tatbestand einmal hinzuweisen.
Tatsache ist ebenfalls, daß der Arbeitgeber bei 60% seiner beschäftigten Schwerbeschädigten gar nicht merkt, daß sie überhaupt schwerbeschädigt sind, weil sie nämlich ihrer Berufspflicht vollauf genügen, da sie an einem Arbeitsplatz eingesetzt sind, an dem sie praktisch so wirken und werken können wie gesund gebliebene Menschen auch. Für weitere 20% der jetzt beschäftigten Schwerbeschädigten ist durch die Bereitstellung technischer Arbeitshilfen erreicht warden, daß sie dem gesunden Arbeitnehmer gegenüber — wie es von verantwortungsbewußten Arbeitgebern immer wieder anerkannt wird — in gar keiner Weise auffallen.
Vor allen Dingen, meine Herren Antragsteller, möchte ich darauf verweisen, daß Sie ja mit diesem Antrag den Arbeitgeber bestrafen, der in der Vergangenheit freiwillig und aus seiner sittlichen Verpflichtung heraus mehr als 8% Beschädigte beschäftigt hat.
Es ist auch notwendig zu sagen, daß ja nicht erst heute diese immerhin nicht geringen Angriffe gegen das Schwerbeschädigtengesetz kommen. Tatsache ist, daß schon vor der Verkündung des Gesetzes von den verschiedensten Berufs- und Industriezweigen an die Arbeitsverwaltung und an die sonstigen Durchführungsorgane Anträge herangetragen worden sind, die den Sinn hatten, die Quote nach Möglichkeit so tief wie nur eben möglich zu halten.
Es muß auch festgestellt werden, daß die Zahlen, die über die jetzt noch arbeitslosen Schwerbeschädigten genannt werden, sehr unterschiedlich sind. Sie sind auch wohl niemals ganz genau festzustellen. Ich habe ungefähre Unterlagen darüber, nach denen noch 65 000 Schwerbeschädigte in der Bundesrepublik vorhanden sind.
Wir stellen darüber hinaus noch folgende Tatsache fest. Wir haben in der Bundesrepublik noch 675 000 unerledigte Rentenanträge in der Kriegsopferversorgung. Rechnet man einmal grob, daß 5 % dieser Anträge mit Zuerkennung der Schwerbeschädigteneigenschaft beschieden werden, dann kommen weitere 30 000 Schwerbeschädigte hinzu.
Ein weiteres Moment, das nicht außer acht gelassen werden darf, ist die Umsiedlung von Schwerbeschädigten, die Frage der Heranführung von Schwerbeschädigten an Arbeitsplätze aus Gebieten, in denen keine Arbeit mehr vorhanden ist — ich denke an Niedersachsen, an Schleswig-Holstein, an Bayern —, in Gebiete wie Nordrhein-Westfalen oder andere Länder der Bundesrepublik, in denen wir diese schwerbeschädigten Menschen beschäftigen können.
Ferner sind in dem Gesetz so viele Möglichkeiten und Handhaben gegeben, mit denen man auch dem Arbeitgeber entgegenkommt. Ich denke da z. B. daran, daß er, wenn keine Schwerbeschädigten vorhanden sind, jederzeit in der Lage ist, einen Leichtbeschädigten einzustellen. Ich denke daran, daß er jederzeit in der Lage ist, statt eines Beschädigten zwei Kriegerwitwen einzustellen; weiter sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor, daß der Arbeitgeber für einen Schwerstbeschädigten zwei Arbeitsplätze angerechnet bekommt. Alle diese
Möglichkeiten stehen dem Arbeitgeber offen, und die Vergangenheit hat gelehrt, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind.
Wenn die Rechtsverordnungen, die die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen muß, bis heute nicht erschienen sind, ist das nicht unsere Schuld, auch nicht die Schuld der Schwerbeschädigten. Aber auf keinen Fall kann meine Fraktion es billigen, daß man nun, da man all die Dinge vor Weihnachten abgelehnt hat, den Schwerbeschädigten zumutet, auf dem Altar des nicht gegebenen Weihnachtsfestes auch noch ein Opfer zu bringen. Wir werden jedenfalls dafür eintreten, daß dieser Antrag der FDP nicht zum Zuge kommt.