Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Fristen, die unser Parlament
sich selber setzt, hat es etwas auf sich. Meistens beginnt am Ende, kurz vor Ablauf der Frist, manchmal auch lange nachher, ein emsiges Treiben, aber nun nicht mit dem Ziel, das Gesetz, das fällig war, zu schaffen, sondern die Frist zu verlängern. Ich will daraus keinen Vorwurf herleiten, aber Sie werden verstehen, daß wir von einem gewissen Mißtrauen solchen Fristverlängerungen gegenüber beseelt sind. Ob es nun um ein ganzes oder um ein halbes Jahr geht, berührt uns dabei weniger.
In dieser Frage nun — Verlängerung des Nichtmitgliedergeschäfts der Konsumgenossenschaften — können wir natürlich nicht ganz von grundsätzlichen Fragen absehen. Wir können vor allem den Zusammenhang mit der gleichzeitigen Vorlage Drucksache 66 nicht übersehen. Wir von der Freien Demokratischen Partei bejahen durchaus die Notwendigkeit einer Neuregelung des Genossenschaftswesens. Wir sind sogar der Ansicht, daß man dabei nicht nur an das denken sollte, was man seinerzeit mit der Drucksache 4074 des ersten Bundestages im Auge hatte — Nichtmitgliedergeschäft, §§ 5 und 6 des Rabattgesetzes, § .36 der KörperschaftsteuerDurchführungsverordnung —, sondern daß man z. B. auch an den Zusammenhang mit dem Kartellgesetz denken und sich natürlich vor allem mit dem Wesen der Genossenschaft befassen muß. Es wird eigentlich Aufgabe der Genossenschaften, der Konsumgenossenschaften vor allem, selber sein, zu entscheiden, was sie sein wollen, entweder Selbsthilfeorganisationen, die im gemeinsamen Zusammenwirken ihren Mitgliedern helfen, oder aber gewöhnliche geschäftliche Erwerbsunternehmungen. Nach dieser Entscheidung, die die Genossenschaften selbst zu treffen haben, beantwortet sich dann auch die Frage: Mitgliedergeschäft, ja oder nein? Wir sind also durchaus mit dem Antrag der Drucksache 66 einverstanden.
Nun aber zur Drucksache 51. Was soll geschehen,
was soll Rechtens sein, bis diese Neuregelung in
Kraft tritt? Die bisherige Begründung für die Zulassung des Nichtmitgliedergeschäfts war, dies sei
ein Akt der Wiedergutmachung. Ich brauche darauf
nicht einzugehen, da diese Begündung heute nicht
mehr vorgebracht wird. Ich möchte Ihnen aber
einige Zahlen nennen, die auch nachher eine Rolle
spielen werden. Nach eigenen Angaben der Konsumgenossenschaften betrugen ihre Umsätze im
Jahre 1930 817 Millionen Mark, dagegen im Jahre
1951 1089 Millionen DM, im Jahre 1952 1350 Millionen DM. Das bedeutet eine Steigerung um 23%.
— 6%. Ihre Zahlen habe ich eben nicht hier. (Abg. Sabel: Das wäre aber interessant! — Abg. Erler: Der Anteil der Genossenschaften ist nämlich geringer als 1930, wenn Sie die gesamten Einzelhandelsumsätze nehmen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Hier sind die genauen Zahlen vom Wirtschaftsministerium! - Ein Abgeordneter der SPD überreicht dem Redner ein
Schriftstück.)
Für das Jahr 1953 ist mit einem Umsatz von 1,5 Milliarden DM zu rechnen. Meine Damen und Herren, es geht ja hier nicht um die absoluten Zahlen, sondern es geht ja um die Steigerung.
— Nicht um den Anteil, sondern es soll gezeigt
werden, wieweit die Wiedergutmachung gelungen
ist. Bei Berücksichtigung des gestiegenen Lebenshaltungsindexes wäre dies also eine Steigerung auf 120 %.
Nun, wie gesagt, diese Begründung spielt ja heute keine Rolle mehr, sondern heute wird eine prinzipielle Begründung vorgetragen, nämlich die, das Verbot des Nichtmitgliedergeschäfts bedeute eine Ungleichheit vor dem Gesetz, bedeute einen Widerspruch zur freien Marktwirtschaft und bedeute, daß keine freie Konsumwahl bestehe. Nun, mit der freien Konsumwahl hat die Frage des Nichtmitgliedergeschäfts doch nichts zu tun. Auch wenn ein Nichtmitgliedergeschäft verboten ist, kann ja jeder im Konsum kaufen
und kann der Konsum mit jedem Geschäfte machen, der bereit ist, Mitglied zu werden.
Wenn das den Konsumgenossenschaften nicht paßt, so kommt mir das so vor, wie wenn ein Mann, der sich verehelicht hat, zwar die damit verbundene Umgruppierung von Steuerklasse I in Steuerklasse II gern mitnimmt, sich aber bitter darüber beklagt, daß er nun neben seiner Ehefrau
keine freie Konsumwahl mehr hat.
Die Konsumgenossenschaften müssen selber entscheiden, was sie sein wollen. Wenn sie darauf bestehen wollen, Genossenschaften zu sein,
dann müssen sie sich auch daran halten, daß sie im freien Handel nicht wie jeder andere auftreten können.
Mit der freien Konsumwahl verhält es sich ja gerade umgekehrt. Heute werden doch häufig in neuen Wohnsiedlungen Konsumfilialen aufgemacht ohne einen einzigen Genossen, und ohne daß ein anderes Geschäft, ein Einzelhandelsgeschäft, die Möglichkeit hat, sich dort aufzumachen. Hier besteht nun wirklich keine freie Konsumwahl mehr. Dieser Zustand widerspricht dem Wesen der Genossenschaft. Die ursprüngliche Idee der Genossenschaften ist doch, die Vorteile, die das Großgewerbe infolge seiner Kapitalkraft hatte, durch einen Zusammenschluß, durch Selbsthilfe der Schwächeren auszugleichen. Und was ist daraus geworden? Ich brauche nicht im einzelnen vorzulesen, aus welchen Fabriken und Unternehmungen der GEG-Konzern heute besteht. Aber es ist jedenfalls ein solider „Selbsthilfekonzern", wenn man so sagen will. Ich glaube, wenn der alte Schulze-Delitzsch heute käme, würde er als erstes eine Genossenschaft zur Selbsthilfe gegen gewisse Genossenschaften gründen.
Demgegenüber sind die selbständigen Gewerbetreibenden des Mittelstandes heute doch wirklich, wie schon der Herr Vorredner gesagt hat, die wirtschaftlich Schwächeren. Sie sind ganz auf sich gestellt, sie haben keinen festen Mitgliederkreis. Sie können zwar auch Rabatt geben, aber, wohlverstanden, einen festen, von vornherein bestimmten Satz, nicht eine von Fall zu Fall ausgerechnete Rückvergütung. Sie tragen also auch hierbei ein ganz anderes Risiko. Vor allem aber ist ihre steuerliche Belastung viel höher. Abgesehen von der Mehrphasen-Umsatzsteuer treffen sie auch die volle Körperschaftsteuer und die volle Gewerbesteuer. Deshalb ist es unbedingt nötig, sehr schnell gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Herr Kollege Schmücker hat schon ausgeführt, daß die Konsumgenossenschaften heute ja zwei Vergünstigungen genießen, die steuerliche Vergünstigung nach § 36 der KörperschaftsteuerDurchführungsverordnung und die Zulassung des Nichtmitgliedergeschäfts. Wenn man ihnen nun das Nichtmitgliedergeschäft nimmt, so haben sie immer noch die sehr wesentliche steuerliche Vergünstigung und die Freiheit unbeschränkter Ausschüttung und Rückvergütung. Es besteht also nicht etwa der Kompromiß, den die Drucksache Nr. 4074 im ersten Bundestag vorgesehen hat, sondern es besteht immer noch diese eine Vergünstigung. Wo soll hier eine Diskriminierung, wo eine Ungerechtigkeit liegen und wo ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz?
Im übrigen bedeutet auch das Verbot des Nichtmitglieder-Geschäfts für die Konsumgenossenschaften meiner Ansicht nach keine Diskriminierung, auch wenn man es für sich betrachtet. Denn der Grundsatz ist ja der, daß Genossenschaften nur für ihre Mitglieder dasein sollen. Von diesem Grundsatz macht das Genossenschaftsgesetz eine Ausnahme, daß nämlich die Genossenschaften berechtigt sind, mit Nichtmitgliedern Geschäfte zu treiben, wenn sie es in ihrer Satzung verankern. Von dieser Ausnahme bestehen nun wieder zwei weitere Ausnahmen, nämlich § 8 Abs. 2 für die Kreditgenossenschaften und § 8 Abs. 4 für die Konsumgenossenschaften. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Ihnen sage, daß es in dem Gesetz von der letztgenannten Ausnahme wieder eine Ausnahme gibt: Die landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaften ohne offene Läden dürfen NichtmitgliederGeschäfte machen. Ich glaube, diese gesetzliche Regelung, so kompliziert sie aussieht, war wohl durchdacht. Sie geht nämlich von dem Grundsatz aus: Kein Nichtmitglieder-Geschäft. Aber zweiter Grundsatz: minima non curat praetor. Man soll und kann sich nicht darum kümmern, wenn in kleinen Genossenschaften, vor allem auf dem Lande, Nichtmitglieder-Geschäfte betrieben werden. Hier gibt man die Möglichkeit, sie zuzulassen. Man verbietet sie aber — und das ist interessant - nicht nur bei den Konsumgenossenschaften, sondern auch, wenn es sich um die Gewährung von Darlehen handelt. Schließlich hat diese Regelung von 1889 bis 1933, also auch in einer demokratischen Zeit bestanden, und man kann doch nicht sagen, daß diese ganze Zeit hindurch ein schreiendes Unrecht als Recht gegolten hätte. Deshalb können wir der vorgeschlagenen Verlängerung des Nichtmitglieder-Geschäfts nicht zustimmen.
Eine Frist bedeutet natürlich immer einen Druck, das Gesetz zuwege zu bringen. Es ist nur gerecht — ich darf wieder an das anknüpfen, was Kollege Schmücker sagte —, daß man den unter Druck setzt, der zur Zeit in der günstigeren Position ist Die Zahlen, die ich vorhin nannte - -
— Ich sagte ja, es interessieren doch hier nicht die absoluten Zahlen, sondern die verhältnismäßige Entwicklung.
— Sie können diese Zahlen ja nachher bekanntgeben!
— Bitte, Sie können sie ja nachher bekanntgeben! — Diese Zahlen zeigen einen Trend an, der zu denken gibt. Trotzdem ziehen wir daraus nicht die Folgerung, daß wir nun grundsätzlich die Konsumgenossenschaften ablehnen und bekämpfen müßten.
Wir sind ja keine Feinde der Konsumgenossenschaften. Aber — das geben wir allerdings zu — wir sind Freunde des Mittelstandes
— um so erfreulicher! — und vor allem des gewerblichen Mittelstandes. Diese Freundschaft bedeutet nicht, daß wir ihn subventionieren wollen, sondern es muß bei den Gesetzen der freien Wirtschaft bleiben. Helfen muß sich jeder selber, aber der gewerbliche Mittelstand soll auch nicht benachteiligt werden.
Ich möchte nun nicht Ausführungen darüber machen, warum dem gewerblichen Mittelstand hier etwas geholfen werden soll und warum er bisher zuwenig berücksichtigt worden ist. Ich glaube, es ist uns allen in diesem Hause klar, daß ein gesunder Mittelstand für einen freien Staat doch sehr wesentlich ist. Ich möchte nur noch, anstatt eigener Ausführungen dazu, einen sehr unverdächtigen Zeugen zitieren, wenn Sie mir das gestatten. Es ist Aristoteles, der vor 2400 Jahren
in seiner „Politik" Kapitel 11 schrieb:
Ein Staat will möglichst aus gleichen und ähnlichen Bürgern bestehen, und das findet sich am meisten beim Mittelstand. Es ist daher klar, daß sich die Gemeinschaft, die sich auf den Mittelstand gründet, die beste ist und daß solche Staaten in der Lage sind, eine gute Verfassung zu haben, in denen eben der Mittelstand zahlreich vertreten ist und, wenn möglich, die beiden anderen Stände an Stärke übertrifft.