Rede von
Dr.
Joachim
Schöne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirtschaftspolitischen Ausführungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers veranlassen mich zu einigen kurzen Darlegungen. Zunächst darf ich meiner und meiner politischen Freunde Freude darüber Ausdruck geben, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister den abwesenden Herrn Bundeswirtschaftsminister so lebendig vertreten hat. Wir hätten uns noch mehr gefreut, wenn dieses Beispiel Nachahmung gefunden hätte, vielleicht beim Herrn Bundesverkehrsminister, der inzwischen seine Zelte wohl schon abgebrochen hat und wieder auf Reisen gegangen ist
und dessen Darlegungen über das Verhältnis seiner
Verkehrspolitik zur sozialen Marktwirtschaft für
uns sicher außerordentlich interessant gewesen wären.
Sodann möchte ich mit Freude feststellen, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister gestern Kenntnis von den wirtschaftspolitischen Grundsätzen der SPD bekommen hat. Er hat dafür den Ausdruck „Offenbarungen" gewählt. Nun, meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, ob „Offenbarung" das richtige Wort ist; denn der Abgeordnete Dr. Preusker hätte sich in den abgelaufenen vier Jahren wohl oft und gern davon überzeugen können, daß wir Sozialdemokraten uns im Wirtschaftspolitischen Ausschuß dieses Hohen Hauses mehrfach bemüht haben, unsere Prinzipien nicht nur zu verkünden, sondern effektiv werden zu lassen. Ich denke z. B. daran, wie wir uns bemüht haben, die Schärfe der Bewirtschaftungsmaßnahmen aus den Wirtschaftssicherungsgesetzen herauszubringen.
Oder ich denke daran, wie wir uns um die Abwehr eines Bundesleistungsgesetzes bemüht haben. „Offenbarungen" darf man wohl auch deswegen nicht sagen, weil diese Konzeption der Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie in dem Aktionsprogramm klar und eindeutig klargelegt ist, das ja jedermann zugänglich und sogar käuflich ist.
Wir haben mit großer Freude davon Kenntnis genommen, daß bereits einige Kollegen dieses Hohen Hauses sich sehr viel Mühe gemacht haben, sich in die wirtschaftspolitische Konzeption der SPD hineinzudenken
— das können Sie schlecht beurteilen, weil Sie sie nicht gelesen haben —, so z. B. Herr Prof. Dr. Böhm, der einen sehr beachtenswerten Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 24. Oktober 1953 geschrieben hat. Dieser Aufsatz ist Ihnen ja geläufig; denn Sie haben ihn bekommen mit dem Auszug aus den Pressestimmen der Bank deutscher Länder, die Sie ja regelmäßig bekommen und regelmäßig lesen. Nur als Gedächtnisstütze: es ist die Nr. 123. Wir hätten nur gewünscht, daß vielleicht dieses Beschäftigen mit den wirtschaftspolitischen Prinzipien der Sozialdemokratie bereits vor dem Wahlkampf eingesetzt hätte,
und es wäre sicherlich so manches Mißverständnis nicht aufgekommen.
— Dafür können wir ja nicht; wir stehen jederzeit zu einer Aussprache bereit. Ich kann es ja verstehen: „Sozialdemokratie und Planwirtschaft", das war so ein niedliches politisches 'Spielzeug für Sie! Und nun meine Bitte an Sie: Vergessen Sie doch bitte einmal Ihren Schmerz über den Verlust dieses so lieben Spielzeugs
und geben Sie sich etwas Mühe, sich in unsere Konzeption hineinzudenken.
Herr Preusker hat als anerkannter Freiwirtschaftler zugegeben, daß es Gebiete gibt, in denen die marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht funktionieren. Er hat — und das ist vielleicht ein kleiner Lapsus — allerdings im Zusammenhang mit diesen marktwirtschaftlichen Bereichen die Eisen- und Stahlindustrie zitiert. Gestatten Sie mir hierzu ein paar Ausführungen an Hand von zwei Beispielen.
In den letzten zehn Monaten hatte der Herr Bundeswirtschaftsminister sich bemüht, auf dem Gebiet des deutschen Eisenpreises eine Senkungsaktion herbeizuführen, um zu einer Belebung dieses Wirtschaftsgebietes zu kommen. Er hat es zunächst einmal dadurch versucht, daß er mehr als eine Monatsproduktion von Walzwerkserzeugnissen einschleuste. Diese Maßnahme mußte ohne Wirkung auf das Preisgebiet bleiben. Die Preise gaben nicht nach; sie konnten auch nicht nachgeben. Darüber hinaus hat der Herr Bundeswirtschaftsminister mehrere Propagandareisen bei Eisenschaffung und Eisenverarbeitung unternommen, um hier eine solche marktkonforme Maßnahme zu erreichen. Gleichzeitig aber übernahm er als Bundeswirtschaftsminister die Stabführung bei ,der Festsetzung des deutschen Eisenpreises. Das Ergebnis war, daß auch diese Propagandareise nicht zu dem gewünschten Erfolg führte. Es mußte ja auch schiefgehen, wenn man sich auf der einen Seite um marktkonforme Mittel bemüht und auf der anderen Seite gleichzeitig das Protektorat über ein Bundesregierungseisenkartell übernimmt.
Das Gesamtergebnis dieser Bemühungen war, daß man aus der Unkenntnis, daß marktwirtschaftliche Prinzipien auf diesem Gebiete ihre Funktion nicht rein erfüllen können, nun nicht zu einem Erfolg kam. Das Ergebnis, das zu bedauern ist, ist, daß die deutsche eisenschaffende Industrie sich gegenwärtig in einer außerordentlich schwierigen Situation befindet.
Nun das zweite Beispiel aus der Investitionspolitik der Grundindustrie. Herr Dr. Preusker hat als Kronzeugen Herrn Präsidenten Monnet und den Schumanplan angeführt und hat zitiert, daß nach diesem Plan und nach dem Wollen der Hohen Behörde der Zug der Investitionsmittel zum besten Wirt gehen solle. Nun, meine Damen und Herren, liegt die Situation denn hier nicht ganz anders? Die Sozialdemokratie hat bei ,der parlamentarischen Behandlung des Schumanplans darauf hingewiesen, daß die einzelnen Ebenen für die Eisenindustrie der Montan-Union-Länder durchaus unterschiedlich sind und daß die einzelnen zusammengefügt werden sollen mit ganz unterschiedlichen Ausgangspositionen. Denken Sie doch bitte einmal auf der einen Seite an die zementierte Dezentralisierung für die deutsche Eisenwirtschaft und auf der anderen Seite z. B. an die planmäßige Zentralisation in Frankreich. Dieser Tage ging ja durch die Presse die Mitteilung, daß mehr als die Hälfte der französischen Eisenerzeugung sich allein auf vier große Unternehmungen beschränkt. Hier wäre es doch wohl Aufgabe der Bundesregierung gewesen, diese Startungleichheit zu beseitigen und alle Maßnahmen zu treffen, um die Startgleichheit nachzuholen.
Nun haben wir Ansätze für ein solches Bemühen in der Vergangenheit, die auch einmal wieder 'an die Oberfläche geholt werden sollten. Ich erinnere z. B. an die Planungsversuche von Niederbreisig und an das Planungsversuchen des Strathus-Gutachtens. Wenn ich nicht irre, war sogar der der-
zeitige Bundeswohnungsbauminister an den beiden Planungsarbeiten maßgeblich beteiligt.
Alle diese Bemühungen aber, von Niederbreisig und Strathus wegen der Aufsprengung der Investitionsengpässe — so sagte man damals — blieben Versuche und Ansätze. Das einzig Positive aus dieser Erinnerung ist eigentlich, daß auch bei der Koalition die Erkenntnis vorherrscht, daß Eisen 'und Stahl ein Gebiet ist, in dem eben die marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht rein gelten und gelten können. Es hat doch praktische Versuche gegeben, die Belebung auf diesem Sektor herbeizuführen. Ich denke z. B. an die Investitionshilfe. Sie wäre sicherlich ein Hilfsmittel gewesen, Versäumtes nachzuholen. Aber wenn es zwei Jahre braucht, bis die ersten Maßnahmen daraus effektiv werden, dann, kann man nur sagen, hat man zu Versäumtem noch weitere, neue 'Säumigkeit hinzugefügt. Wir haben z. B. im Wirtschaftspolitischen Ausschuß des vergangenen Bundestages festgestellt, daß die Bürgschaftsmittel des Bundes aufgestockt werden könnten, und es ist der Ausschuß gewesen, der von sich aus diese Mittel um 100 Millionen DM für die Grundindustrie aufgestockt hat. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wußte davon nichts, er konnte es auch nicht wissen; er war nicht da. Aber all diese Maßnahmen waren zu wenig, und sie kamen zu spät.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, gerade das Investitionsgebiet der Grundstoffindustrie wäre ein Ansatzpunkt für eine Investitionspolitik nach Vorstellung der Sozialdemokratie. Es kommt nämlich darauf an, erstens bestehende Schwierigkeiten in der deutschen Eisenindustrie auszuräumen, zweitens mit wirtschaftspolitischen Mitteln zu verhindern, daß Schwierigkeiten, die bei der Eisenschaffung liegen, sich in die darüber liegenden Wirtschaftsbereiche der Verarbeitung usw. erstrekken und dorthin ausstrahlen, und drittens geht es darum, die bewußten und bekannten Startnachteile der deutschen Eisenindustrie auszugleichen.
Nur das, meine Damen und Herren, wollte ich Ihnen in wenigen Worten zu den Ausführungen des Herrn stellvertretenden Bundeswirtschaftsministers
sagen. Wir werden ja hoffentlich bald Gelegenheit haben, von dieser Stelle aus ausführlich über die marktwirtschaftliche Konzeption der FDP, über die marktwirtschaftliche Konzeption der CDU und über die 'marktwirtschaftliche Konzeption der SPD zu sprechen, und wir sollten uns für diese Auseinandersetzung Muße und Zeit nehmen
und sollten mit aller Deutlichkeit sine ira et studio diese Dinge ansprechen. Ich darf Ihnen nur heute erklären, daß die Opposition auf dem wirtschaftspolitischen Gebiet immer bereit ist, auf den Gebieten, auf denen marktwirtschaftliche Prinzipien wirksam werden können, alles zu tun, um die Voraussetzungen für einen wirklichen Wettbewerb, einen fairen Wettbewerb zu schaffen.
Eben deshalb haben wir es so lebhaft bedauert, daß der Herr Bundeskanzler übersehen hat, das Kartellgesetz zu erwähnen.
Es würde mich sehr freuen, wenn wir baldmöglichst die Debatte über die marktwirtschaftliche
Konzeption — hier und da, vielleicht um das neue Kartellgesetz — von dieser Stelle aus führen könnten.
Ich darf Ihnen ferner namens meiner Freunde erklären, daß Sie uns immer bereit finden werden, auf den Gebieten, auf denen marktwirtschaftliche Prinzipien nicht genügend wirksam werden können, wirtschaftspolitisch alles zu tun, um eine schnell wirksame und vom gesamtwirtschaftlichen Wohl diktierte aktive Wirtschaftspolitik zum Zuge zu bringen.