Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer, der Führer der vergangenen, der gegenwärtigen, der künftigen, sozusagen der ewigen Opposition im Deutschen Bundestag,
hat gestern das sehr richtige Wort gesprochen, das Wahlergebnis bedürfe einer sorgfältigen Untersuchung.
Was er selbst uns gestern allerdings bei einer Untersuchung des Wahlergebnisses geboten hat, war nicht gerade besonders sorgfältig; denn die etwas merkwürdige Behauptung, die junge Generation und die Neuwähler hätten sich weitgehend für die Sozialdemokratie entschieden, kann man jedenfalls nicht an Ergebnissen feststellen, die ausgerechnet aus den Hochburgen der Sozialdemokratie auch in diesem Wahlkampf stammen, wo naturgemäß der prozentuale Anteil der Sozialdemokraten im allgemeinen und der jungen Sozialisten im besonderen höher ist als in den übrigen Teilen des Bundesgebietes.
Vielleicht hat aber Herr Ollenhauer noch Gelegenheit, die übrigen Wahlergebnisse ebenso zu vergleichen. Ich habe nicht die Absicht, hier in diese Debatte einzusteigen. Aber eine sorgfältige Untersuchung des Wahlergebnisses ist natürlich für die Opposition von besonderer Wichtigkeit, weil sie sich ja schließlich darüber klarwerden muß, welchen Umständen sie ihre Niederlage verdankt.
— Es ist doch keine Verleumdung, daß Sie eine Niederlage erlitten haben! Haben Sie vielleicht am Ende gesiegt am 6. September? Dann habe ich das bloß nicht gemerkt.
Wenn Herr Kollege Ollenhauer eventuell die Ausführungen seines jungen, aber sehr regsamen Kollegen Herrn Kahn-Ackermann, wie er sie in meinem Wahlkreis über ihn selbst und seine Politik gehalten hat, läse, dann würde er vielleicht den Gründen der Wahlniederlage sehr nahekommen. Aber Näheres können Sie in den „Dachauer Nachrichten" nachlesen.
Wir von der Christlich-Sozialen Union tun uns bei der Betrachtung des Wahlergebnisses leichter; denn unser Wahlerfolg — mehr als die Verdoppelung der das letzte Mal erzielten Mandate — übertrifft sogar noch den Wahlerfolg, den die Christlich-Demokratische Union im Durchschnitt des Bundesgebietes erreicht hat.
Wir nehmen dies als ein Zeichen dafür, daß die von uns vertretene Politik vom Volke gebilligt worden ist, als ein Zeichen dafür, daß der Weg, den wir vor vier Jahren eingeschlagen haben, sich bewährt hat. Gerade die Christlich-Soziale Union hat Entscheidendes dazu beigetragen, daß der Herr Bundeskanzler die Bildung seiner Regierung, einer Regierung der kleinen Koalition, im Bundestag durchsetzen konnte. Wir dürfen uns deshalb auch einen Teil des Verdienstes daran zuschreiben, daß diese sogenannte kleine Koalition in diesem Bundestag zur größten Koalition wurde, die wohl je in parlamentarischen Zeiten in Deutschland eine
Regierung gestellt hat. Darin allein mögen Sie die Begründung und die Berechtigung dieses unseres Weges sehen.
Herr Kollege Ollenhauer hat gestern gesagt, man müsse die Opposition anerkennen. Gerade das ist es, was wir von jeher getan haben. Gäbe es keine Opposition, so müßte man sie sozusagen erfinden. Das ist ja das Wesen der Demokratie,
daß eine Gruppe regiert und eire andere kontrolliert. Wir haben diesen Weg schon vor vier Jahren für richtig gehalten, wir halten ihn heute und in Zukunft erst recht für richtig.
Diesen Weg der kleinen Koalition in der Bundesregierung Dr. Adenauers ist die ChristlichSoziale Union in der Vergangenheit gegangen und sie wird ihn in der Zukunft gehen als eine eigene bayerische Landespartei, die keinem außerbayerischen Kommando untersteht.
Wir werden aber — trotz Ihres Lachens auf der Linken und trotz des Widerstandes, den wir auf der Rechten früher in diesem Hause fanden — diesen Weg ebenso geschlossen und untrennbar in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit mit der Christlich-Demokratischen Union des übrigen Bundesgebietes gehen. -
Unsere Zusammenarbeit mit der Christlich-Demokratischen Union, deren Formen veränderlich sein mögen, beruht nicht auf Zufälligkeiten und auch nicht nur auf taktischen Erwägungen, ja nicht einmal nur auf den vielen freundschaftlichen Verbindungen, die die gemeinsame Arbeit der vergangenen vier Jahre geschaffen hat; sie beruht im wesentlichen auf der gemeinsamen Haltung in den weltanschaulichen Fragen, den kulturpolitischen, außenpolitischen, wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, die uns so eng zusammenbindet, daß diese Gemeinschaft trotz aller Versuche von außen nicht aufgehoben werden kann.
Wir hatten in den vergangenen Jahren in unserem eigenen Land zeitweise einen harten Stand, diese gemeinsame Arbeit und diese gemeinsame Fraktion zu verteidigen. Aber der Erfolg dieser gemeinsamen Arbeit hat uns recht gegeben und die Anerkennung der bayerischen Wählerschaft gefunden. Wir lassen uns weder „eingemeinden", noch lassen wir uns von der CDU trennen. Das können Sie links und rechts für alle Zeiten in Ihr Tagebuch schreiben.
Meine Damen und Herren, die Regierungsbildung, die hinter uns liegt, hat auf den verschiedensten Seiten Kritik gefunden. Es ist leicht, Kritik zu. üben, wenn ein Drängen um Ämter und Aufgaben einsetzt.
Dies aber war zu allen Zeiten so, auch damals, als Ihre Parteiführer deutsche Reichskanzler gestellt haben; vielleicht war es da noch schlimmer und dauerte noch länger.
Im übrigen darf ich doch sagen: Diesmal haben wir vielleicht zum erstenmal im deutschen Parlament eine Situation, in der die politische Entscheidung nicht nach der Wahl im Parlament durch die Koalitionsbildung gefallen ist, sondern in der die politische Entscheidung schon vorher am Wahltag selber gefallen ist und das Parlament nur noch die kleine
— zwar wichtige, aber nicht weltbewegende —Frage zu entscheiden hatte, ob man aus der Koalition von vier Parteien eine solche von fünf machen will, was wir bejaht haben. Damit aber stand natürlich der Teil der Regierungsbildung, der nicht grundsätzlicher politischer Überlegung bedarf, allein im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Diesem Umstand ist es wohl im wesentlichen zuzuschreiben, daß überhaupt eine Kritik an der Form dieser Regierungsbildung erfolgt ist.
— Nehmen Sie mir meine Sache nicht vorweg! Ich komme noch darauf.
Wir als Christlich-Soziale Union haben in diesem Augenblick in besonderer Weise unseren Dank den Ministern zu sagen, die uns in den vergangenen vier Jahren im Kabinett vertreten haben, vor allem denen, die ausgeschieden sind. Der Bundeslandwirtschaftsminister Professor Dr. Niklas ist mit seinem Namen für alle Zukunft verbunden mit dem Wiederaufstieg der deutschen Landwirtschaft und der neuen deutschen Agrarpolitik.
Ich glaube, weit über die Kreise seiner eigenen Partei hinaus begleiten ihn alle guten Wünsche für eine Wiederherstellung seiner so schwer angegriffenen Gesundheit.
Unser Dank gilt im gleichen Maße dem bisherigen Bundespostminister Dr. Schuberth. Der Wiederaufbau der deutschen Post nach dem Kriege bleibt sein historisches Verdienst.
Wegen dieser seiner fachlichen Leistung hatten wir ihn dem Herrn Bundeskanzler erneut als Postminister vorgeschlagen. Der Herr Bundeskanzler hat aber gemäß den Rechten, die ihm das von Ihnen mitverabschiedete Grundgesetz gibt, in dieser Frage anders entschieden. Wir haben diese seine Entscheidung zu respektieren, wenn wir ihm auch seine verfassungsmäßige Verantwortung nicht abzunehmen vermögen.
— Ich glaube, es ist nicht immer leicht, in die einsamen Entschlüsse des Herrn Bundeskanzlers einzudringen. Aber ich nehme an, daß der Unterschied in der Betrachtungsweise zwischen uns und dem Herrn Bundeskanzler darin liegt, daß wir bei der Besetzung des Postministers in erster Linie an einen Fachmann gedacht haben, während er aus Gründen, die sich auch nicht von der Hand weisen lassen, auf eine stärkere politische Profilierung seiner Minister Wert legt.
So könnte es sein, daß es die gleichen Motive sind,
die den Herrn Bundeskanzler dazu veranlaßt
haben, den Herrn Bundespostminister zu entlas-
sen wie den Herrn Bundesverkehrsminister, den er ursprünglich nicht in seinem Amt belassen wollte, schließlich doch zu bestätigen.
Aber in diesem Augenblick interessieren weniger die vergangenen Minister als die gegenwärtigen und künftigen. Die Christlich-Soziale Union hat in die Bundesregierung ihre beiden stärksten politischen Persönlichkeiten abgestellt.
Sie werden den bayerischen Einfluß im Kabinett bestimmt nicht geringer zum Ausdruck bringen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
Unser politisches Gewicht ist mit den Bundesministern Schäffer und Strauß ihrer Person nach wahrhaftig groß, und die Qualität der bayerischen Mitarbeit kann in keiner Weise in Zweifel gestellt werden. Es ist also keineswegs so, daß sich die Christlich-Soziale Union heute als in die Ecke gestellt betrachtet; denn, meine Damen und Herren, die Ecke, in die man den Herrn Bundesminister Strauß abstellen könnte, die können nicht einmal die politischen Architekten des Bundeskanzleramts bauen.
— Sie noch weniger, meine Herren von der Opposition! — Ich möchte aber die beiden Herren, die die bayerische Union im Bundeskabinett vertreten, daran erinnern, daß sie nicht nur die ersten und besonders wichtigen Mitarbeiter des Herrn Bundeskanzlers sind, sondern vor allem und in erster Linie die Exponenten der Christlich-Sozialen Union und damit der bayerischen Wählerschaft.
Unsere Kritik an der Bildung der Bundesregierung, die wir ja auch als Regierungspartei durchaus äußern dürfen, da ja Freiheit besteht und kein Fraktionszwang und ähnliche Dinge, die anderen Seiten vielleicht bekannt sind,
beruht gar nicht darauf, daß die CSU im Kabinett zahlenmäßig zu schwach vertreten sei.
Nein, sie beruht höchstens darauf, daß andere Gruppen und Parteien zu stark vertreten sind.
Denn wir sind der Meinung, daß man sich auch mit etwas weniger Ministern von der oder jener anderen Partei hätte bescheiden können.
Aber auch dies unterliegt der Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers und nicht der unseren.
Wir von der CSU sind jedenfalls ebenso wie unsere Freunde von der CDU der Koalition nicht beigetreten, um Ministersessel zu besetzen,
sondern um einen Auftrag zu erfüllen, den uns das Volk am 6. September übertragen hat, und die Arbeit des Wiederaufbaus, die wir vier Jahre lang betrieben haben, fortzusetzen und zu vollenden.
Wir haben uns in besonderer Weise gegen eine Zersplitterung der Ressorts gewandt, und es ist uns auch gelungen, sie zu verhindern. Wir sehen in Ministern ohne einen Verwaltungsbereich Männer, die durchaus die Möglichkeit haben, besondere politische Aufgaben, die nicht an ein Ressort gebunden sind, zu erfüllen, und die Persönlichkeit der ausgewählten Minister gibt uns die Gewähr, daß sie solche Aufgaben auch erfüllen können. Für viel gefährlicher hätten wir den ursprünglichen Plan gehalten, große Ministerien aufzuspalten, um damit nicht nur die Zahl der Minister, sondern auch die Zahl der Ministerialbeamten erheblich zu vermehren, was nicht nur aus Gründen der Sparsamkeit bedauerlich wäre, sondern auch, wie jeder, der mit Verwaltung zu tun hat, weiß, aus Gründen einer sachlichen Arbeit.
Wir möchten deshalb auch dem Herrn Bundesminister, der die Familienaufgaben betreut, raten, seinen Stab nicht zu groß zu machen, sondern sich allein darauf zu beschränken, die wichtigen Aufgaben auf dem Gebiet der Familienpolitik, die wir ganz besonders unterstreichen möchten, mit diesem kleinen Stab zu erledigen, und nicht etwa den Kern eines Kultusministeriums aus seinem Familienministerium heraus zu entwickeln.
Im übrigen ist gerade Dr. Wuermeling der Mann, der, was Familienpolitik betrifft, unser volles und uneingeschränktes Vertrauen besitzt.
Für uns in der CSU und auch für unsere Freunde von der CDU sind aber nicht Personalien das Entscheidende, sondern sachliche Fragen, und unter den sachlichen Fragen, die uns seit jeher besonders bewegen, ist es der bundesstaatliche Aufbau der Bundesrepublik Deutschland, der zu verteidigen ist. Mit großer Befriedigung haben wir die diesbezügliche Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vernommen. Die Persönlichkeit, der Lebensweg und die Leistung des Herrn Bundeskanzlers sind uns Gewähr genug, daß er dieses Wort auch einlösen wird. Er besitzt auch auf diesem Gebiet unser volles Vertrauen. Wir hoffen jedoch trotz mancher Erfahrungen der ersten Wahlperiode, daß es in der zweiten Wahlperiode auch jedem seiner Mitarbeiter gelingen wird, uns von der Aufrichtigkeit und von der Konsequenz in der Realisierung dieser föderalistischen Haltung zu überzeugen.
Nun scheint ja der Föderalismus gar nicht mehr gefährdet zu sein; denn seit gestern hat sich Herr Kollege Ollenhauer auch zum Föderalismus bekannt. Er hat sich sogar auf einen Beschluß von 1947 berufen. Es muß ein Geheimbeschluß sein; denn er war der Mehrheit dieses Hauses bisher unbekannt. .
Ob aber die Konversion der Sozialdemokratischen Partei vor sechs Jahren erfolgt ist oder erst heute, soll uns nicht stören. Wir freuen uns darüber. Wir fürchten nur, daß die Gefahr von Rückfällen doch noch etwas groß ist, und wir haben das auch gestern feststellen können; denn wir können eigentlich nicht verstehen, wie man sonst, wenn man mit Recht davon spricht, daß die Landesregierungen der Bundesregierung nicht zwangsweise
gleichgeschaltet werden sollen, sich trotzdem hier darüber unterhält, wie die Bürgermeisterwahl in Berlin ausgefallen ist oder wie die nächsten Bürgerschaftswahlen in Hamburg ausfallen werden.
Das überlassen Sie mal den Berlinern und den
Hamburgern, wenn Sie wirkliche Föderalisten sind.
Aber vielleicht betrachtet Herr Kollege Ollenhauer das Rednerpodium des Bundestags manchmal als Klagemauer für die Niederlagen, die seine Partei da und dort einstecken muß. Dann werden wir ihn noch oft an diesem Rednerpult sehen, wenn einmal die Ergebnisse der Landtagswahlen der nächsten Monate und Jahre von Hamburg bis München einlaufen.
Trotz allem, was gestern und heute gesagt worden ist, sehe ich immer wieder die Gefahr, daß der Gedanke des bundesstaatlichen Aufbaus, der vor acht Jahren im ganzen Volke, bis in die Kreise der Rechten und der Linken hinein, Zustimmung gefunden hat, heute nicht mehr in gleichem Maße bejaht wird. Geht es uns schon wieder zu gut, daß wir vergessen haben, welches die Ursachen unserer Katastrophe sind, Diktatur und Zentralismus? Kann man denn wirklich in diesem Lande behaupten, daß Föderalismus, daß Eigenstaatlichkeit mit Kleinstaaterei oder gar mit Kleingeistigkeit gleichzusetzen sei? Daß der Föderalismus eine Idee ist, die über den Zeiten steht und in allen Zeiten lebendig ist, und daß er gerade im 20. Jahrhundert eine große Aufgabe hat, das sehen Sie doch am deutlichsten auf dem Gebiet der europäischen Einigung, wo sogar die Föderalisten werden, die im eigenen Lande Unitarier sind.
Daraus sehen Sie, daß es beim Föderalismus nicht darum geht, etwas Überlebtes zu erhalten oder Teile vom Ganzen abzukapseln oder gar zu trennen, sondern nur darum, Verschiedenartiges so zusammenzufassen, daß seine Eigenart und damit sein Wesen berücksichtigt wird. Die Einheit, die aus der Vielfalt gestaltet wird, und die Vielheit, die in Einheit gebunden und geschützt wird, — das ist die Idee des Bundesstaates und des Föderalismus. Mit unserem föderalistischen Bekenntnis lehnen wir ebenso die Uniformität ab wie die Kirchturmspolitik, den Zentralismus wie den Partikularismus. Föderalismus ist nichts anderes als Anerkennung der polaren Spannungen des Lebens, als einziger Weg, sie fruchtbar zu gestalten. Weil die polaren Spannungen des Lebens bei uns in Deutschland mit unserer kulturellen Vielgestaltigkeit noch viel stärker und damit vielleicht auch fruchtbarer sind als in manchen anderen Ländern, ist Föderalismus für uns noch notwendiger als für andere. Im übrigen ist der Föderalismus die Staatsform des freien Menschen und der Zentralismus, wie wir ihn in der Diktatur erlebt haben, die des vogelfreien Menschen.
Wenn wir uns zum bundesstaatlichen Aufbau bekennen, bekennen wir uns damit nicht nur zu den Rechten der Länder, sondern auch zu denen des Bundes. Beide müssen in gleicher Weise ihrer Natur nach gewahrt sein. Wenn man das eine oder das andere übersieht, leidet das Ganze, zu dem der Bund wie die Länder gehören.
Das Kriterium für den bundesstaatlichen Aufbau ist nicht nur nach der Lehre der Staatsrechtslehrer,sondern auch nach den politischen Erfahrungen der Vergangenheit der Staatscharakter der deutschen Länder, an deren Eigenstaatlichkeit das Grundgesetz festgehalten hat, und wozu sich die neue Bundesregierung erneut verpflichtet hat. Wir haben die Gefahren eines zentralen Machtapparates erlebt. Wir wissen, wenn man in Deutschland die Möglichkeiten einer zentralistischen Regierung schaffen würde, dann finden sich auch die Männer, die diese unbedenklich aufgreifen und durchführen, wenn nicht heute, dann in vier Jahren oder später. Es genügt deshalb deutschem Wesen nicht, einen dezentralisierten Einheitsstaat zu schaffen, in dem die Länder ihre Rechte nur von einem Bund herleiten, der sie ihnen jeden Tag wieder nehmen kann. Es genügt nur ein echter Bundesstaat, in dem die Rechte der Länder wie des Bundes verfassungsmäßig abgegrenzt sind.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wurde heute vom Herrn Kollegen von Merkatz ausgesprochen, daß gerade die gesamtdeutsche Einigung, die das politische Ziel des ganzen Hauses ist, in einem unitarischen Deutschland nicht verwirklicht werden könne. Auf Grund der Verschiedenheit der Entwicklung von Ost und West wird ein Zusammenschluß der deutschen Länder zu einem neuen größeren und stärkeren deutschen Bund, oder wie Sie den Zusammenschluß nennen mögen, nur auf der föderativen Ebene möglich sein.
Man soll uns nicht sagen, das föderative Gefüge Deutschlands habe dadurch gelitten, daß zehn Millionen Heimatvertriebene nach Deutschland gekommen sind. Diese Heimatvertriebenen beweisen erst den Wert einer föderativen Staatsidee. Die Landsmannschaften, in die sie sich gliedern, beweisen doch, daß die Idee der deutschen Gaue und Länder, in denen die Menschen aufgewachsen sind, sogar dann noch fortbesteht, wenn die Menschen aus diesen Ländern vertrieben sind, weil eben Schlesien oder Ostpreußen, selbst wenn sie von Deutschen geräumt werden mußten, in den Seelen der Menschen, die dort geboren wurden, weiterleben.
Wenn wir Deutschland und seinen geschichtlichen Werdegang betrachten, können wir nur feststellen, daß — mag in anderen Ländern sein, was dort den Staatsmännern gefällt — Deutschland jedenfalls aufhört, Deutschland zu sein, wenn es die Freiheit der Person und die Freiheit der Länder nicht mehr anerkennt.
Ich weiß allerdings, daß der bundesstaatliche Aufbau unseres Vaterlandes dadurch beschattet ist, daß eine Reihe von Ländern nicht historisch, sondern nach der Geometrie der Besatzungsmächte geschaffen wurden. Zu den Aufgaben des neuen Bundestags gehört deshalb auch die Durchführung des Art. 29 des Grundgesetzes und die Neugliederung der deutschen Länder. Ich habe mit großer Freude in der Zeitung gelesen, daß es die Sozialdemokratische Partei der Pfalz gewesen ist, die in diesen Tagen gefordert hat, das Neugliederungsgesetz müsse bald kommen. An dem Tage, da der alliierte Vorbehalt zu Art. 29 des Grundgesetzes aufgehoben wird, beginnt eine Frist von einem Jahr zur Einleitung der Volksbegehren in den verschiedenen Teilen Deutschlands. In diesem Zeitpunkt muß das Neugliederungsgesetz, also das Gesetz, das nicht den Inhalt der Neugliederung, sondern ihre Methode betrifft, bereits verabschiedet und in Kraft sein. Wir haben deshalb an die Bun-
desregierung die Bitte, uns dieses Neugliederungsgesetz möglichst bald vorzulegen.
Wenn ich zum Problem des Föderalismus als Bayer etwas sage, so möchte ich einmal ganz klar und deutlich aussprechen, daß es eine bayerische Frage in Deutschland überhaupt nicht gibt, wenn sie nicht vom außerbayerischen Deutschland künstlich geschaffen wird.
Wenn die Aufrichtigkeit der Anerkennung der historischen Rechte Bayerns außerhalb unserer Landesgrenzen überall so echt wäre wie bei uns in Bayern die deutsche Treue, gäbe es überhaupt kein Problem des bundesstaatlichen Aufbaus.
Ich weiß, daß man in manchen Teilen des nördlichen Deutschlands nicht immer geneigt ist, das zu glauben, was ich jetzt sage;
aber es ist doch die Wahrheit, daß es einen bayerischen Separatismus in Bayern überhaupt nicht gibt, sondern nur in der norddeutschen Presse.
Ich glaube, die Politik, die Bayern in den schwersten Jahren nach dem Kriege betrieben hat, beweist dies zur Genüge. Als an den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten im Jahre 1945 die Frage herangetragen wurde, ob sich Bayern nicht zur Verbesserung seiner Position von Deutschland trennen wolle, hat dieser, der heute Bundesfinanzminister ist, erklärt, er werde Deutschland in seiner Not nicht verlassen und das deutsche Elend nicht vergrößern.
Zwei Jahre später war es ein anderer, der gegenwärtige bayerische Ministerpräsident, der mit der Einberufung einer deutschen Ministerpräsidentenkonferenz den ersten Versuch einer gesamtdeutschen Einigung machte. Ich glaube, was unsere deutsche Gesinnung betrifft, brauchen wir uns als Bayern von keinem anderen Deutschen in den Schatten stellen zu lassen.
Wir wollen nicht bessere Deutsche sein als die übrigen; aber wir sind auch keine schlechteren, und daran halten wir fest. Wir möchten, daß man der Besonderheit eines Landes, das eine vierzehnhundertjährige Geschichte hat, im Rahmen des Grundgesetzes Rechnung trägt, und wir möchten, daß die Mitwirkung der deutschen Länder an der Gesetzgebung, wie sie im Bundesrat festgelegt ist, weiterhin festgehalten und geachtet wird. Es war bedauerlich, daß der Bundesrat zeitweise in Gefahr kam, parteipolitischen Zielen, auch noch auf dem Gebiete der Außenpolitik dazu, dienstbar gemacht zu werden.
Aber selbst wenn solche Gefahren einmal auftreten, darf man grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen nicht unter dem Blickpunkt einer augenblicklichen Situation betrachten; dies um so weniger, wenn diese Situation inzwischen durch das Volk einzelner Bundesländer geändert worden ist.
Wenn wir für die nächsten vier Jahre vom Gesichtspunkt des bundesstaatlichen Aufbaus aus heute unsere Wünsche anmelden, dann sind dies: Durchführung der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die den verfassungsmäßig verbürgten bundesstaatlichen Aufbau anerkennt, und damit Verhinderung einer jeden Verfassungsänderung, die dieses Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern stören könnte.
Wir sind seit jeher der rechtlichen und politischen Überzeugung, daß deutsche Zuständigkeiten auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit Bundessache und nicht Landessache sind. Wir sind aber ebenso der Meinung, daß die Polizei ausschließlich Landesangelegenheit ist, und wir glauben, daß eine Erhöhung der Bereitschaftspolizei der Länder nach Wegfall der Beschränkungen, die heute noch international bestehen, innenpolitisch eine Notwendigkeit zum mindesten in einem Teil der deutschen Länder ist.
Wir sprechen uns entschieden gegen jede Bundesfinanzverwaltung aus, die gerade der heutige Bundesfinanzminister nicht nur vor, sondern auch nach seinem Amtsantritt, auch in diesem Hause, energisch zurückgewiesen hat. Gerade die Finanzverwaltung ist ein Kennzeichen eigener Staatlichkeit und darum von den deutschen Ländern nicht mehr wegzudenken. Die Bundesfinanzverwaltung, obligatorisch oder fakultativ, wäre der erste Schritt zum Einheitsstaat.
— Selbstverständlich! — Wir bekennen uns auch mit Entschiedenheit zum Entwurf des Bundesfinanzministers Schäffer auf dem Gebiet der Bundesnotenbank und wünschen sein zweistufiges System, das die Landeszentralbanken beibehält, schon deshalb, weil es nicht in den Möglichkeiten des Bundes liegt, Landesbehörden aufzuheben. Wir melden unsere Wünsche an für die Neuverteilung der Steuern nach Art. 107 des Grundgesetzes, die in diesem Bundestag verfassungsmäßig vorgenommen werden muß. Die Verteilung muß so geschehen, daß weder der Bund von Gnaden der Länder lebt noch die Länder von Gnaden des Bundes.
Unsere entscheidendsten Forderungen aber haben wir immer wieder auf dem Gebiet der Kulturpolitik anzumelden. Ein Bundeskultusministerium ist verfassungsmäßig nicht möglich und würde auch in Ansätzen von uns bekämpft werden; denn gerade die kulturelle Differenzierung des deutschen Volkes macht hier Gesetzgebung und Verwaltung einzig bei den Ländern notwendig. Wir möchten auch hoffen, daß nicht unter dem Schlagwort „repräsentativ", „gesamtdeutsch" oder „überregional" hier Aufgaben an den Bund gezogen werden, die nicht dem Bunde gehören; denn kulturelle Aufgaben des Bundes sind einzig auf dem Gebiet der Außenpolitik denkbar. Soweit aber gemeinsame Aufgaben auf dem Gebiet der Kultur gelöst werden müssen, weil eine gewisse Übereinstimmung des Bildungswesens, die uns die Besatzungsmächte zerschlagen haben, notwendig sein wird, ist hier der Weg der Vereinbarung zwischen den deutschen Ländern allein notwendig und richtig. Man sollte auch nicht auf dem Umwege über Dotationen eine Zuständigkeit des Bundes begründen. Es kann nicht zu den Aufgaben eines Bundesministeriums gehören, Kindergärten einzurichten oder ähnliche Dinge, die man da und dort plant. Außerdem glauben wir, daß Landesbehörden auf Grund ihrer größeren Nähe eine Verschleuderung oder eine unzweckmäßige Investition kultureller Gelder am besten verhindern können.
Meine Damen und Herren, dem Bund obliegt zweifellos die Förderung der wissenschaftlichen
Forschung, womit eine finanzielle Unterstützung der deutschen Wissenschaft gemeint ist. Aber wir müssen darauf drängen, daß hiermit nicht eine organisatorische Trennung von Lehre und Forschung vorgenommen wird; denn dies wäre nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern würde das Ende der Universität in ihrer abendländischen Ausprägung bedeuten. Auch hier muß der Bund in der Art und Weise seiner Unterstützung der deutschen Wissenschaft die föderative Ordnung des Grundgesetzes berücksichtigen.
In gleicher Weise gilt dies auf einem Gebiet, das den letzten Bundestag schor{ beschäftigt hat und den nächsten noch beschäftigen wird, beim Bundesrundfunkgesetz, zu dem wir unsere Forderungen schon im letzten Bundestag angemeldet haben. Dagegen sollte der Bund seine Zuständigkeiten dort ausnützen, wo sie vorhanden sind, insonderheit auf dem Gebiete des Familienrechts, wo die Unsicherheit der letzten Monate endlich ihr Ende finden muß.
Meine Damen und Herren, man kann das Grundgesetz nicht nur dadurch ändern, daß man es farmell durch Beschluß dieses Hauses ändert; man kann auch durch eine sehr weitherzige Verfassungsinterpretation ihm in der Praxis einen anderen Sinn geben. Und das darf nicht sein! Denn eine ungeschriebene Bundeskompetenz, eine Kompetenz des Sachzusammenhangs, wie sie allenfalls in der Weimarer Verfassung, die ja weiß Gott nicht föderalistisch war, möglich gewesen sein soll, ist heute undenkbar, nachdem Art. 30 des Grundgesetzes jede Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zur Ausnahme stempelt und da man Ausnahmebestimmungen eng auslegen muß.