Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Der Sprecher der Opposition hat sich hier mit der Höhe der sozialen Leistungen befaßt. Die Fraktion der Deutschen Partei ist nicht der Meinung, daß der Wert der Sozialpolitik danach beurteilt werden kann, wie hoch die Zahlen sind, die im sozialpolitischen Haushalt stehen.
Wir sind vielmehr der Meinung, daß nicht die Höhe der sozialen Leistungen, sondern die Wirkung der sozialen Leistungen, ihre gerechte und sinnvolle Verteilung für eine verantwortungsbewußte Sozialpolitik entscheidend ist. Wir sind auch der Meinung und haben manches Mal an dieser Stelle entsprechende Kritik geübt, daß die Mittel der Steuerzahler, also die vom Staat als Zuschuß gegebenen Mittel, nicht denen gegeben werden sollen, die dieser Hilfe nicht bedürfen, sondern ebenso sinnvoll an- gewandt werden sollten und vor allem denjenigen zugute kommen müßten, die nicht in der Lage waren, aus eigener Kraft für die Sicherung ihres Lebens zu sorgen. Die Verquickung unserer Versicherung mit dem Gedanken der Versorgung und der Fürsorge, die seit dem Sozialversicherungs-
Anpassungsgesetz immer mehr fortgeschritten ist, wird von uns ganz entschieden abgelehnt. Darum haben wir auch im Gegensatz zu der Opposition und ihren sozialen Plänen eine saubere Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge gefordert.
Ich bedaure sehr, daß die fünf Minuten Redezeit es mir nicht ermöglichen, hier einmal Herrn Professor Preller eine Reihe von Fragen zu stellen. Ich möchte nur feststellen, daß die grundlegenden Anträge der Deutschen Partei, die seit 1949 in diesem Hause gestellt worden sind und deren Annahme die Voraussetzungen für die Einleitung der Sozialreform geschaffen hätte, von der Opposition und leider auch von einem Teil der Koalition abgelehnt worden sind. Hätten Sie schon damals unsere Anträge — so z. B. die Anträge auf „die Beseitigung der Zweiten Lohnabzugsverordnung", „die
Schaffung einheitlichen Rechtes in der Sozialversicherung", „die Beseitigung der Fehler des Sozialanpassungsgesetzes" und viele mehr — angenommen und hätten Sie sie nicht im Ausschuß der Regierung als Material überwiesen und somit auf kaltem Wege beerdigt —, dann brauchten Sie nicht heute angesichts der Wahl unsere Anträge neu zu stellen.
Ich bedaure außerordentlich, daß Sie scheinbar von der Gleichberechtigung und der gerechten Rangfolge der Leistungen nichts verstehen wollen! Sie fordern in Ihrer Diskussion ja immer nur eines: eine Fortsetzung der Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat, zu einer totalen Staatsbürgerversorgung, zu einer Einheitsorganisation und Einheitsversorgung, auch wenn Sie neue Worte dafür gefunden haben. Sie werden sicherlich nicht mehr in diesem Hause, Sie werden aber in der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen müssen, was Sie mit den verworrenen Plänen wirklich meinen. Wie ehrlich Sie es mit der Selbstverwaltung gemeint haben, meine Herren von der Opposition, das haben wir gerade vorgestern im Ausschuß erlebt. Sie haben bei der Angestelltenversicherung, die Wahlen in Berlin und die Gültigkeit des Selbstverwaltungsgesetzes und der Wahlordnung in Berlin hier durch Ihre Ablehnung unsere Anträge unmöglich gemacht. Jetzt müssen Sie mit uns gemeinsam nach Wegen suchen, um die Berliner Zuwahl zur Vertreterversammlung zu ermöglichen. Heute stellt die Deutsche Angestelltengewerkschaft die Anträge, die wir vor 2 Tagen im Ausschuß angenommen haben. Das ist nur die Folge davon, daß in dieser Gewerkschaft und in Ihrer Partei dieselben Genossen das jetzt als notwendig einsehen, was wir schon damals verwirklichen wollten, nämlich allen Deutschen gleiches Recht und allen Deutschen eine gleiche Möglichkeit zu geben. Das haben Sie nicht verwirklicht, indem Sie unsere Anträge abgelehnt haben.
Wir sind auch der Auffassung, daß weder der Haushalt noch die sozialen Leistungen, die hier in diesen Jahren beschlossen worden sind, der sozialen Wirklichkeit und den sozialen Tatbeständen gerecht geworden sind. Wir wollen aber alle keine Neuordnung nach der Vorstellung der Opposition. Wir möchten nicht, wie es sich Herr Schellenberg und Herr Professor Preller vorstellen — das haben wir in dieser Woche leider erlebt —, innerhalb einer halben Stunde ein Gesetz über die Erhöhung der Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung beschließen, nachdem Sie uns die Möglichkeit dazu seit langem verwehrt haben. Wir möchten auch nicht Reformen einleiten, die der Selbsthilfe und der Selbstverantwortung sowohl des einzelnen als auch der Familie und der Gemeinschaft in immer weiterem Umfange keinerlei Chance mehr geben,
sondern wir wollen
— und damit komme ich zum Schluß —, daß Zucht und Maß als Grundprinzipien der sozialen Neuordnung und der Gesetzgebung auch die Grundlagen der sozialen Erneuerung sind.
In diesem Geist werden wir auch im neuen Bundestag mitarbeiten. Wir bedauern aber, daß in diesem Bundestag und in dieser Session die soziale Opposition in diesem Hause geglaubt hat, daß es besser sei, immer mehr zu fordern, statt mit uns gemeinsam nach Wegen zu suchen, den Menschen wirklich zu befreien von der Angst vor der sozia-
len Not, aber auch von der Angst vor dem Funktionär und der Organisation und der sozialen Unsicherheit, die die Folge jeder kollektiven Lösung ist.