Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie darum, den § 103, den § 104 a und den zweiten Absatz von § 104 b zu streichen. Zu diesem Antrage bestimmen uns folgende Gründe.
Um unsere Kritik am § 103 richtig zu würdigen, muß man sich vor Augen halten, daß die darin privilegierten ausländischen Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder einen Ehrenschutz in Deutschland ohnehin und in jedem Fall genießen. Es ist selbstverständlich unzulässig und strafbar, hier eine Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung gegen einen Ausländer, auch wenn er sich im Ausland aufhält, auszusprechen, und der Ausländer ist durchaus in der Lage, im Wege des Strafantrags die ihm hier in Deutschland zugefügte Ehrverletzung zu verfolgen. An und für sich ist also der Strafschutz bereits gegeben.
Die Privilegierung von Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern ist ein alter Brauch, hat aber früher die leider noch nicht wieder erreichte Homogenität der zivilisierten Welt vorausgesetzt. Diese Homogenität wird auch nicht erreicht durch § 104 a, wie Sie mir einwenden könnten, nämlich durch den Hinweis darauf, daß das ausländische Staatsoberhaupt ja nur dann einen privilegierten Schutz genießt, wenn sein Staat mit uns nicht nur in diplomatischen Beziehungen steht, sondern auch die Gegenseitigkeit verbürgt hat. Diese Gegenseitigkeit aber ist ohne Substanz, solange wir auch in der westlichen Welt bedauerlicherweise einen Unterschied haben zwischen Demokratien und Diktaturen, ein Problem, das uns später, im nächstfolden Punkt der Tagesordnung, und auch sonst beim Auslieferungsrecht noch Kopfzerbrechen machen 3) wird.
Diese Gegenseitigkeit ist nur eine formale. Ich darf Ihnen das an einer vielleicht nicht unbekannten Anekdote klarmachen. Ein Amerikaner und ein Russe unterhalten sich über die Vorzüge ihres Landes, und der Amerikaner sagt zu dem Russen: „Sehen Sie, ich kann in meinem Lande mich jederzeit auf die Straße stellen und" — es war in der Zeit der Präsidentschaft von Mr. Truman —„rufen: ,Nieder mit Truman! „Worauf der Russe antwortet: „Aber gewiß, Brüderchen, das kannst du in Moskau jederzeit auch!" Sehen Sie, das ist nicht die echte Gegenseitigkeit, weil eben in einer Diktatur das nicht angeht, was in Demokratien zulässig ist. Wir haben keine Gewähr dafür, daß in diktatorisch regierten Staaten Westeuropas und auch Amerikas Ehrverletzungen im wirklichen Sinne der Gegenseitigkeit so behandelt werden, daß die öffentliche Meinung und der Wahrheitsbeweis und die Wahrnehmung berechtigter Interessen gestattet sind. Solange diese substantielle Gegenseitigkeit nicht gewährt ist, die zwischen Demokratien und Diktaturen nun einmal nicht bestehen kann, sind wir nicht bereit, dieses Privileg wieder zu gewähren und auch auf solche Staatsoberhäupter auszudehnen, die bei sich zu Hause diktatorische Staatsformen haben.
Dazukommt, daß die Vorschrift des § 104 a, wie uns scheint, nicht hinreichend durchdacht ist. Sie bringt nämlich eine Einschränkung, die weit über das hinausgeht, was in diesem vierten Abschnitt sein sollte. § 104 a sagt, daß die Verbrechen und Vergehen dieses Abschnitts nur dann verfolgt werden, wenn diplomatische Beziehungen unterhalten werden, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und ferner ein Strafverlangen der ausländischen
Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Diese Einschränkungen beziehen sich auch auf den § 104, auf den sie sich nicht beziehen dürften. Denn in § 104 ist mit Strafe bedroht, wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt. Das sind die leidigen Flaggenzwischenfälle. Wir sind der Meinung, wenn ein solcher Flaggenzwischenfall eintritt, wenn irgendwelche unreifen und verbrecherischen Leute z. B. sich einfallen lassen, die Flagge eines anderen Staates von dessen diplomatischer Vertretung herunterzuholen, sie zu zerreißen, zu verbrennen und ähnliches mehr, dann muß die deutsche Behörde sofort eingreifen können. Denn es liegt nun einmal in unserem eigenen Interesse und sollte den Geboten der gesitteten Welt entsprechen, daß wir einen solchen Flaggenfrevel auf deutschem Boden nicht zulassen. Hiernach aber müßten Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte untätig bleiben, bis von der ausländischen Regierung ein Strafverlangen vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt hat, was in der Regel ja gar nicht so schnell zu vollziehen sein wird. Nehmen Sie an, die Flagge irgendeines uns durchaus befreundeten Staates wird heruntergeholt, beschimpft und in den Staub getreten. Am nächsten Tag steht das in der Presse, es steht vielleicht in der ganzen Weltpresse, und hier geschieht nichts, weil die Behörden sagen müssen: Ja, wir haben noch kein Strafverlangen — ich will einmal irgendein ganz konkretes Beispiel nennen — der französischen Regierung, der belgischen Regierung oder der amerikanischen Regierung, und es liegt auch noch nicht die Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung vor. Vielleicht kann man sich mit einer Anklage wegen Sachbeschädigung und ähnlichem mehr helfen; aber es ist nicht immer gesagt, daß dieses Delikt hier sonst eine Sachbeschädigung ist. Die Einschränkung des § 104 a gegenüber § 104 scheint uns also unangebracht. § 104 ist ein Delikt, das sofort von Amts wegen verfolgt werden müßte, auch dann, wenn kein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und wenn keine Ermächtigung der Bundesregierung dazu gegeben ist.
Schließlich darf ich zu § 104 b bemerken, daß diese Bestimmung uns nicht ganz mit § 104 a in Einklang zu stehen scheint. Sie ist an und für sich sachlich nicht wichtig; sie ist nicht erforderlich. Ich glaube nicht, daß eine ausländische Regierung Gewicht auf die öffentliche Bekanntmachung legen wird. Aber wenn man es nun einführen will, kann man es nicht in der Weise tun, wie es hier geschehen ist. Denn hier heißt es: die Befugnis zur öffentlichen Bekanntmachung kann nur gegeben werden, wenn die Tat öffentlich oder in einer Versammlung begangen worden ist, während § 104 ja andere Straftaten als öffentlich begangene überhaupt nicht kennt.