Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meinem Kollegen Arndgen hat die Tabelle, die unserem Antrag auf Drucksache Nr. 4301 beigefügt ist, einige Sorgen gemacht. Er hat anscheinend große Rechnungen angestellt und ist dabei zu Ergebnissen gekommen, die für mich unverständlich sind. Tatsache ist doch, Kollege Arndgen, daß bei einem Einkommen von 116 DM — und das ist das höchste versicherungspflichtige Einkommen, das bei den Arbeitslosen aber nicht generell maßgebend ist, sondern leider nur die Ausnahme darstellt — ganze 31,50 DM pro Woche an Unterstützung gezahlt werden. Es ist doch niemand hier im Hause, der behaupten würde, daß dies zum Leben ausreichen kann. Das sind ungefähr 26 %, und Sie wissen, daß die Miete in der Regel 20 % bis 25 %, ja, in den Neubauten einen noch höheren Prozentsatz des Gehalts ausmacht.
Sie sagen nun: Warum kommt ihr jetzt erst mit diesem Antrag? Wir haben schon 1951 eine höhere Zulage zur Unterstützung gefordert. Aber so prozentual, wie der Kollege Kohl von der KPD glaubte, daß es gemacht werden könne und wie es dem damaligen Antrag der KPD auch entsprochen hätte, geht es einfach nicht, weil in den unteren Klassen ja schon 90 % des Einkommens an Unterstützung gezahlt wird, und niemand, auch nicht die KPD einschließlich des Kollegen Kohl, wird der grundsätzlichen Auffassung sein, daß eine höhere Unterstützung als das Nettoeinkommen gezahlt werden soll.
Deshalb mußten wir eine neue Tabelle ausrechnen, und dabei mußten wir wohlweislich alle arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte beachten. Die haben wir beachtet. Wir sind in unserer Tabelle nicht über 50 % des Bruttoeinkommens als Grundbetrag hinausgegangen, und niemand kann behaupten, daß ein Arbeitsloser herrlich und in Freuden leben kann, wenn er nur noch 50 % seines früheren Einkommens an Unterstützung bekommt. Hat er mehrere Angehörige, so werden diese Sätze durch die Familienzuschläge etwas erhöht. Sie wissen aber auch ganz genau, was die Angehörigen, was die Kinder im Haushalt des Arbeiters, ja, in jedem Haushalt, auch in Ihrem, kosten, und deshalb, Kollege Arndgen, sollte man sich nicht hier hinstellen — zumal man vielleicht persönliche Erfahrungen auf diesem Gebiet in nicht allzu großem Umfang hat — und feststellen, daß diese Sätze zu hoch seien. Ich habe diese Erfahrung in den Jahren um 1933 als Arbeitsloser machen müssen, und ich weiß, was es heißt, seine Existenz mit derartigen Unterstützungssätzen fristen zu müssen.
Aber bitte, wir belasten ja den Bundeshaushalt mit unserem Antrag nicht! Laut einer Berechnung des Bundesministeriums der Finanzen hat die Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung im Rechnungsjahr 1952 einen Überschuß von 325 Millionen DM. Nach Ansicht des Herrn Arndgen soll unser Antrag 260 Millionen DM Mehrausgaben verursachen. Nach unseren Berechnungen — und die sind nicht über den Daumen gepeilt, es sind allerdings nicht die von der Bundesregierung und auch nicht die von der Bundesanstalt sanktionierten — werden unter den gegebenen Verhältnissen im Höchstfall 200 Millionen DM erforderlich sein, und die Bundesanstalt ist in der Lage, diese Summe zu zahlen. Sie wird dann natürlich nicht in der Lage sein, die Zwangsanleihe von 185 Millionen DM, die Schäffer und die Bundesregierung Adenauer und die Mehrheit dieses Hauses ihr aufoktroyieren wollen, zu leisten. Das müssen Sie dann zurückstellen, und das sollen Sie zurückstellen; denn die Arbeitslosenbeiträge sind zweckgebunden und werden für den Fall der Arbeitslosigkeit an Unterstützungen gewährt und für die sonstigen Aufgaben der Bundesanstalt gezahlt. Dièse Leistungen gehen dem Etat der Bundesregierung Adenauer vor, und deshalb kommt erst dieses Gesetz und noch lange nicht das Gesetz über die Zwangsanleihe, das wir mit aller Entschiedenheit ablehnen und bekämpfen.
Nun zu der Drucksache Nr. 4302. Bitte, seien Sie mir nicht böse, ich muß diesen Antrag den Antrag eines „schlechten Gewissens" nennen. Warum stellen Sie denn diesen Antrag? Sie stellen ihn, weil Sie selbst innerlich nicht damit einverstanden sind, daß die Mittel der Bundesanstalt für allgemeine Haushaltsaufgaben verwandt werden. Sie glauben aber, Sie können von dieser unglückseligen Gesetzesvorlage der Bundesregierung nicht Ab-
stand nehmen, und Sie wollen dann die überschießenden Mittel, die die Bundesanstalt noch hat, zur verstärkten Förderung von Notstandsarbeiten verwenden, ohne irgendwie auf die Arbeitslosen Rücksicht zu nehmen. Die Bundesanstalt ist auf Grund des § 139 AVAVG verpflichtet, grundsätzlich ersparte Unterstützung als Mittel für die Grundförderung zur Verfügung zu stellen. Die zusätzlichen Mittel haben aber der Bund und das Land aufzubringen. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt hat am 1. April dieses Jahres einmütig beschlossen, den Bundesarbeitsminister zu ersuchen, Mittel für die verstärkte Förderung von Notstandsarbeiten zur Verfügung zu stellen. Dann ist auch die Bundesanstalt bereit, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des § 139 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes für diese wichtigen Aufgaben, die auch Herr Kollege Kneipp anerkannt hat und die von uns nicht bestritten werden, ihren Anteil beizusteuern. Sie aber wollen die Bundesanstalt über die gesetzlichen Pflichten hinaus noch zusätzlich belasten. Sie tun das mit einem Antrag, der eine so allgemeine, unkonkrete, nichtssagende und für die Praxis nichtsbedeutende Formulierung enthält, daß ich wirklich nicht umhin kann, zu sagen, er ist nicht wert, Gesetz zu werden. In dem Antrag heißt es, „die Bundesanstalt kann zur Verstärkung der Grundförderung Darlehen und Zinszuschüsse aus ihren verfügbaren Haushaltsmitteln bewilligen". Sie scheinen zu wissen, daß sie nach der Zwangsanleihe von Herrn Schäffer, unserem Bundesfinanzminister, keine Mittel mehr hat. Deshalb wählen Sie diese nichtssagende, nur für die Wahlpropaganda bestimmte Formulierung.