Rede von
Johannes
Kunze
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, jetzt in der ersten Lesung wie meine Frau Vorrednerin das ganze Gesetz Punkt für Punkt durchzugehen und einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Es erscheint mir für die erste Lesung zweckmäßig, zu prüfen, inwieweit dieser Gesetzentwurf grundsätzlich den Willen des Hohen Hauses erfüllt, der in den Entschließungen, die wir gelegentlich der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes gefaßt haben, zum Ausdruck gekommen ist, und inwieweit er noch einige Grundsatzfragen offenläßt. Es dürfte in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, daß wir unseren evakuierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Recht auf eine schnelle Rückkehr in die Heimat geben wollen und geben müssen.
Ich darf aus der Erfahrung, die wir mit diesen ganzen Problemen gemacht haben, einmal folgendes sagen. In dem Regierungsentwurf ist mit vollem Recht eine ganze Reihe von Fragen der Rechtsverordnung und nicht dem Gesetz zugewiesen worden. Warum? Weil dieses Gesetz nur in engster Fühlungnahme mit den Ländern gemacht werden kann und weil eine Fülle von Fragen der Durchführung im einzelnen noch viel stärker das Zusammenwirken von Bund und Ländern erfordert. Es wurde mit Recht darauf hingewiesen, daß der größte Teil der Evakuierten innerhalb des Landes und nicht in ein anderes Land evakuiert ist. Als während des Krieges und auch in der Nachkriegszeit Evakuierungen stattfinden mußten, hat doch keiner von uns einen Augenblick daran gedacht, daß jemand, der z. B. aus dem heutigen Gebiet von Rheinland-Pfalz in ein anderes Stück Deutschlands evakuiert wurde, sich eines Tages in einem anderen Lande befinden würde. Diese Fragen zwingen uns, bestimmte Entscheidungen der Rechtsverordnung zuzuweisen. Denn ich fürchte, wenn wir alles das, was ich zum großen Teil ebenso wie Sie, Frau Kollegin, anerkenne, in diesem Gesetz unterbringen und noch soundsoviele Ausschüsse mitbeteiligen wollen, wird mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht mehr zum Zuge kommen. Sie wollen doch bitte daran denken, daß der Bundesrat mit Recht ein ganz besonderes Interesse an diesem Gesetz bekundet. Wir müssen ganz nüchtern ausrechnen, was wir vor Schluß der Legislaturperiode noch fertigbekommen. Es hat keinen Zweck, jetzt lauter Versprechungen mit dem Ziel eines Perfektionismus zu machen, ohne die Überlegung einzuschalten, ob es zeitlich zu schaffen ist. Es wäre das schlimmste, was wir tun könnten, im Ausschuß für innere Verwaltung in gründlichster Arbeit zu versuchen, alles ins Gesetz zu bringen, um die Rechtsverordnung überflüssig zu machen, und dann
zum Schluß nicht mehr fertigzuwerden und die Evakuierten auf das nächste Parlament vertrösten zu müssen, das vielleicht bis Ende des Jahres oder im Frühjahr des kommenden Jahres in der Lage wäre, die Materie neu zu behandeln und endlich zu verabschieden. Wir sollten hier wirklich einmal großzügig sein und uns von dem Grundsatz leiten lassen: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Daß geholfen werden muß, darüber gibt es keine Differenz der Auffassungen. Es dürfte auch keinem Zweifel unterliegen, daß wir uns, nachdem das Vertriebenengesetz verabschiedet worden ist, im besonderen Maße verpflichtet fühlen müssen, nun auch das Evakuiertenproblem anzufassen.
Ich möchte den Damen und Herren dieses Hohen Hauses, die die Fragen nicht aus ihrer Tätigkeit unmittelbar kennen, folgendes sagen. Wenn ich den Tausenden von Kölnern, die bei uns oben in OstWestfalen und im Lipper Land sitzen und bei gutem Wetter vom Turm des Hermannsdenkmals aus die Spitzen des Kölner Doms sehen, nicht sagen kann: jetzt schaffen wir für euch die Rückkehrmöglichkeit, habe ich einfach etwas versäumt, was ich ihnen zu tun schuldig war.
Es ist unwichtig, ob wir einzelne Formulierungen verbessern. Aber etwas anderes ist von entscheidender Bedeutung: das Problem darf nämlich nicht unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten angefaßt werden, sondern es dreht sich um den lebendigen Menschen. Das muß im Gesetz zum Ausdruck kommen. Meine Vorrednerin hat diese Seite mit Recht angesprochen. Ich darf den Alten, der ohne seine Schuld aus der Heimat evakuiert werden mußte und jetzt nicht mehr arbeitsfähig ist, also vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus nicht an erster Stelle steht, nicht warten lassen, bis er unter der Erde liegt; ich darf ihm nicht Versprechungen machen, von denen ich weiß, daß sie aus zeitlichen Gründen nicht erfüllt werden können.
Ich schlage vor, daß man allein den Ausschuß für innere Verwaltung mit der Materie befaßt und ihm anheimstellt, den Haushaltsausschuß, wenn er etwa den Haushalt betreffende Bestimmungen in den Entwurf aufnehmen will, von sich aus um eine Stellungnahme zu bitten. Genau dasselbe gälte in bezug auf den Wohnungsbau hinsichtlich des dafür zuständigen Ausschusses. Wir haben es doch bei einem anderen Gesetz erlebt, wie lange die Beratungen gedauert haben, zumal die Ausschüsse zu spät mit der Materie befaßt worden sind. Wenn wir aber jetzt einen Beschluß fassen, wie wir es beim Lastenausgleichsgesetz getan haben, zwingen wir den Vorsitzenden des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, von Fall zu Fall die entsprechenden Ausschüsse zuzuziehen. Auf diese Weise geht die Arbeit schneller vor sich. Ich habe die große Sorge, daß dieses wichtige Gesetz nicht fertig wird, bevor wir auseinandergehen. Wenn wir ein Gesetz bekommen, das in den Vermittlungsausschuß geht, und wir bis zur Neuwahl nicht mehr zusammenkommen, wird eben die Verabschiedung des Gesetzes vertagt. Ich wäre deshalb dankbar, wenn das Plenum meinen Antrag annähme und die Ausschußüberweisung in dieser Form beschlösse.