Meine Herren und Damen! Es ist höchste Zeit, daß dem Bundestag ein Gesetz vorgelegt wird, das den Evakuierten, besser gesagt, den einheimischen Heimatvertriebenen, die Gleichstellung mit den Heimatvertriebenen aus dem Osten gibt. Dieses Gesetz muß auch noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Dieses Problem berührt ein ganz besonders trauriges Kapitel menschlichen Leids der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Unwillkürlich ist man veranlaßt, an den Bombenkrieg und seine Folgen und an jene furchtbaren Tage und Nächte zu denken.
Es handelt sich hier in besonderem Maße um Menschen, die schon während des Krieges als erste auf der Landstraße gewesen sind. Diejenigen unter uns, die selber aus der Großstadt oder ihrem Heimatland heraus evakuiert worden sind, wissen, wieviel unsägliche Mühe, Plage und Not damit verbunden war. Heute ist es so, daß jene, die noch draußen sind, gerade die schwächsten unter den Evakuierten Sind.
Diejenigen, die sich aus eigener Kraft nicht haben helfen können, haben zum Teil die Hoffnung und den Glauben an die Gerechtigkeit aufgegeben. Es ist unsere Aufgabe, ihnen mit diesem Gesetz zu beweisen, daß der Deutsche Bundestag ihnen die gleichen Rechte und Möglichkeiten gibt wie allen anderen Geschädigtengruppen.
In dieser Beziehung bin ich der Meinung, daß die
Vorlage der Regierung leider nicht ganz den Forderungen entspricht, die der Bundestag einige Male einstimmig aufgestellt hat. Wenn ich mich recht erinnere, war Gegenstand unserer Beschlüsse immer die Bereitstellung von Mitteln sowohl für die Rückführung und für den Wohnungsbau als auch für soziale Betreuungsmaßnahmen im Zufluchts- wie im Rückkehrort. Ich vermisse in dem uns vorliegenden Gesetz allerdings das, was am allernotwendigsten wäre, die Bereitstellung von Mitteln. Bis jetzt sind die Evakuierten immer wieder vertröstet worden. Wenn nun ein Gesetz speziell für sie gemacht werden soll, dann kann es nicht ausschließlich aus der Anerkennung ihrer Notlage, aus Versprechungen und aus Hinweisen, daß sie bevorzugt zu berücksichtigen sind, bestehen, sondern dann muß man, meine ich, einen Schritt weitergehen und bereit sein, aus Haushaltsmitteln für den Wohnungsbau und für die notwendige soziale Betreuung der Evakuierten etwas Besonderes zu tun.
Es wird unsere Aufgabe sein, in den Ausschüssen dafür zu sorgen, daß der Gesetzgeber den notwendigen Schritt weiter geht, als die Regierung in ihrem Entwurf gegangen ist. Insofern verdient dieser Gesetzentwurf nicht uneingeschränktes Lob, weil ihm eben eine ganze Anzahl Mängel anhaften.
Gestatten Sie mir, besonders zu einigen dieser Mängel Stellung zu nehmen. Es genügt einfach nicht, zu sagen: Die Evakuierten sind „bevorzugt" an Arbeitsplätze zu vermitteln; denn wir wissen, daß diese Forderung für andere Geschädigtengruppen in einer Reihe von Gesetzen bereits verankert ist. Wie soll dann die ausführende Behörde eigentlich die Frage der Reihenfolge usw. entscheiden, wenn die gesetzlichen Handhaben und Hinweise immer nur so lapidar sind?
Darüber hinaus ist es auch nicht damit getan, daß man sagt: Die Betreuungsmaßnahmen können erst in Kraft treten, wenn die Rückführung erfolgt ist. Bitte, denken Sie einmal daran, daß sich der größere Teil der Evakuierten, die heute noch fern ihrer Heimat auf dem Lande leben müssen, aus Witwen mit Kindern und aus alten Leuten mit Enkeln zusammensetzt, vielfach jungen Menschen, deren Berufsvorbildung und Berufsausbildung durch die Evakuierung eben ungeheuer gelitten hat und noch leidet! Wenn man diese Leute vertrösten will, bis sie zurückgekehrt sind, dann sind die jungen Menschen teilweise über das Alter der Berufsausbildung hinaus. Man muß den jungen Leuten heut e in ihrer gegenwärtigen Situation eine Berufsausbildung geben, man muß die alten Leute heute betreuen und unterstützen.
Ich darf auch darauf aufmerksam machen, daß ein Großteil der Evakuierten aus der gegenwärtigen Sowjetzone stammt. Diese Menschen haben zumindest zunächst keine Möglichkeit, in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Sollen sie nun deswegen auch auf alle Betreuungsmaßnahmen verzichten müssen, weil ihr Schicksal sowieso schon unerträglicher und unangenehmer ist als das der anderen? Es ist notwendig, daß man das Gesetz in dieser Beziehung sehr stark verbessert.
Ein weiterer Mangel des Gesetzes ist, daß man sich in entscheidenden Fragen auf Rechtsverordnungen zurückzieht. Wir kennen ja die Zeit, die das Parlament und seine Ausschüsse brauchen, um ein gutes Gesetz zustandezubringen. Wenn man sich dann noch in wichtigen Fragen, wie z. B. in den Fragen der Einbeziehung der Sowjetzonen-
evakuierten in die Maßnahmen des Gesetzes, auf künftige Rechtsverordnungen bezieht, dann bedeutet das nur, daß diese Menschen wieder warten, warten und warten sollen und letzten Endes gerade noch so am Rande irgendwie zurechtkommen sollen. Es handelt sich doch um Menschen, die einen langen Leidensweg hinter sich haben. Teilweise sind sie seit zehn und mehr Jahren vom Heimatort getrennt. Sie haben in ihrem gegenwärtigen Wohnort keine oder nur sehr wenig Arbeitsmöglichkeiten. Zum größeren Teil haben sie schon vor zehn Jahren Hab und Gut verloren. Sie haben vielleicht ihre liebsten und vom Ernährungsstandpunkt her wichtigsten Angehörigen verloren oder sie leben unter den besonders schwierigen Verhältnissen, die die Verkehrslage mit sich bringt. Der Herr Bundesinnenminister hat bereits die Situation der Pendler angesprochen. Gerade in den Fällen, in denen der Mann in der Großstadt arbeitet und seine Familie, seine Frau mit den Kindern weitab von seiner Arbeitsstätte auf dem Lande leben muß, ist schon die materielle Lage dieser Familien wesentlich schwerer, aber daraus entsteht auch manche Gefährdung für den Bestand der Familien, für die Erziehung der Kinder usw.
Die mangelhafte Unterbringung der Evakuierten kann man sicher niemandem zum Vorwurf machen. Aber wir müssen doch bei einem solchen Gesetz daran denken, daß eben das Leben auf dem Lande — bitte, ich habe es selber einige Jahre mitgemacht — in Notunterkünften, in denen man weder Wasser noch elektrisches Licht hat, den Lebensgewohnheiten der Großstädter in keiner Weise entspricht. Die alten Leute, die ein Leben lang in der Großstadt tätig waren, die nun draußen sitzen und nicht sehen, daß man sich wirklich ernsthaft bemüht, sie in ihre Heimat zurückzuführen, haben heute teilweise Angst, daß sie ihre Rückkehr nicht mehr erleben. Wenn wir nun lediglich im Rahmen der bereits bestehenden Mittelvergabe für den Wohnungsbau, die ja, wie hier bereits gesagt worden ist, zum größten Teil schon zweckgebunden ist, den Evakuierten versprechen, daß sie bevorzugt in Wohnungen vermittelt werden, dann ist ihnen damit eben nicht gedient, wenn wir nicht gleichzeitig entsprechende Mittel bereitstellen, die den betroffenen Rückkehrgemeinden die Möglichkeit des zusätzlichen Wohnungsbaus geben. Denn es gibt in der Bundesrepublik gewisse Schwerpunkte, so z. B. in Nordrhein-Westfalen oder in Bayern, in Niedersachsen, in Hamburg usw.; von dem allgemein menschlichen und seelischen Problem, das diese ganze Frage beinhaltet, gar nicht zu sprechen.
Die Lebensbedingungen der Evakuierten sind zum Teil mindestens genau so schlecht wie die der Heimatvertriebenen, oft noch schlechter. Aber denken wir bitte auch daran, daß es für die Evakuierten ja möglich wäre, in ihre Heimat zurückzukehren, weil ihre Heimat die Bundesrepublik ist. Obwohl es also keinen politischen Hinderungsgrund dafür gibt, leben sie heute noch draußen, fühlen sich verlassen und vergessen, und ich habe den Eindruck, manchmal sind sie es auch. Um so notwendiger ist es, daß man in diesem Gesetz nicht nur schöne Dinge verspricht, nicht nur schöne Worte findet, sondern auch tatsächlich dafür sorgt, daß nicht nur die Rückführung, sondern auch die soziale Betreuung im gleichen Maße durchgeführt wird wie bei allen anderen Geschädigtengruppen.
Im einzelnen darf ich zum Gesetz sagen, daß sich nach unserer Auffassung die Anerkennung als Evakuierte auf alle erstrecken muß, nicht nur auf diejenigen, die auf behördliche Anordnung die Heimat verlassen haben, sondern auch auf jene, die aus eigenem Entschluß gegangen sind, um sich und ihre Kinder vor den Auswirkungen des Bombenkrieges zu schützen, die also praktisch vor dem Tod davongelaufen sind. Auch daß man im Gesetz die Evakuierung nach dem 8. Mai 1945 und aus dem ehemaligen Reichsgebiet nur zusätzlich durch eine Rechtsverordnung anerkennen will, scheint uns der tatsächlichen Lage nicht gerecht zu werden. Im Gesetz ist auch nur vorgesehen, daß eine Rückführung an einen anderen als den ursprünglichen Heimatort nur dann möglich ist, wenn der Evakuierte dort einen Arbeitsplatz gefunden hat. Mir erscheint die Zusammenführung der Familien im Rahmen der Rückführung mindestens genau so notwendig. All den alten Leuten, die ihre Kinder irgendwo in einer Großstadt leben haben und die zu ihren Kindern ziehen wollen, muß man die Möglichkeit geben, auch für ihre Rückführung die Vorteile des Evakuiertengesetzes in Anspruch zu nehmen.
Darüber hinaus sind wir durchaus der Meinung, daß die Rückkehr nur eine freiwillige sein kann, daß aber ein Rechtsanspruch aller Evakuierten, die aus kriegsbedingten Gründen ihre Heimat verlassen haben, auf die Rückführung verankert werden muß.
Nun zur Kostenfrage. Nach dem Gesetz sollen die Kosten für die Rückführung von den Ländern getragen werden, soweit es den Evakuierten nicht zumutbar ist, sie selbst zu tragen. Wir wissen aus der Praxis, daß der Begriff der „Zumutbarkeit" zu sehr vielen Schwierigkeiten Anlaß gegeben hat. Die Zumutbarkeit wird eben in verschiedenen, mehr oder weniger leistungsfähigen Gebieten verschieden ausgelegt. Das Land Nordrhein-Westfalen wird auf diesem Gebiet mehr tun können als die an und für sich schon als Flüchtlingsländer bekannten Länder wie Bayern, Niedersachsen usw. Uns erscheint es dringend notwendig, daß die Rückführungskosten vom Bund übernommen werden, und zwar möglichst für alle Evakuierten. Denn die Evakuierung ist eine Kriegsfolge; infolgedessen ist der Bund für die Kosten der Rückführung zuständig, und zwar nicht nur für die Rückführung von Land zu Land, sondern auch für die Rückführung innerhalb eines Landes.
In Bayern z. B. befinden sich die meisten Evakuierten aus den Großstädten und den zerbombten Städten wie Nürnberg, Würzburg, München usw. im eigenen Lande. Es ist einfach unmöglich, in einem solchen Falle dem Lande die Rückführungskosten aufzuerlegen; schließlich kann ja das Land nicht dafür, in welchen Gebieten die Evakuierung besonders notwendig war und in welchen weniger. Man muß auch einmal daran denken, daß die Leistungsfähigen inzwischen zurückgekehrt sind und daß es sich bei den noch draußen Lebenden in erster Linie um sozial Schwache handelt.
Ich stimme mit dem Herrn Minister vollkommen darin überein, habe aber leider im Gesetz die Verankerung dafür nicht gefunden, daß die Heimatgemeinden verpflichtet werden müssen, vor allen Dingen auch die alten Leute in ihre Heimat zurückzunehmen. Aus Erfahrung wissen wir, daß die Heimatgemeinden in erster Linie an den Arbeitsfähigen interessiert sind, an denjenigen, die keine
großen Kosten verursachen. Es liegt uns aber sehr daran, auch die alten Leute sehr rasch in ihre Heimat zurückzuführen. Wie wir festgestellt haben, ist der Anteil der alten Leute an der Gesamtzahl der Evakuierten besonders groß. So sind allein von den Nürnberger Evakuierten, die heute noch draußen sind und zurück wollen, über 15 Prozent über 65 Jahre alt. Wenn wir zu Versammlungen draußen sind, passiert es uns ja allen, daß wir ehemaligen Bürgern unserer Heimatstädte begegnen, und wir wissen, wie sehr sie sich nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt sehnen. 31 Prozent — außer den erwähnten 15 Prozent — sind über 50 Jahre alt, also Menschen, die gewissermaßen der besonderen Fürsorge bedürfen. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn man im Gesetz besondere Mittel für den Bau von Altersheimen in den Heimatgemeinden nach sogenannten Schwerpunkten zur Verfügung gestellt hätte, und wir werden im Ausschuß darauf hinarbeiten, daß es geschieht.
Die Wohnraumbeschaffung ist, wie hier schon gesagt wurde, das Kernstück dieses Gesetzes. Nun hat aber der Bundesrat, soviel ich gesehen habe, beantragt, daß das wenige, was die Bundesregierung für die Beschaffung von Wohnraum vorgesehen hatte, auch noch gestrichen wird und diese Frage im Wege einer Rechtsverordnung geregelt werden soll. Dann bleibt überhaupt nichts mehr übrig. Deshalb noch einmal die Forderung, Haushaltsmittel zweckgebunden für den Wohnungsbau für Evakuierte, für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen, für die Schaffung von Lehrstellen bereitzustellen. Im Gesetz ist zwar bestimmt, daß man Anspruch darauf hat; aber es steht nicht darin, von wem die Mittel aufgebracht werden, es steht nicht darin, wieviel Mittel aufgebracht werden sollen, und es steht auch nicht darin, in welchem Zeitraum die Rückführung erfolgen soll.
Wir betonen: Es war immer, in allen bisherigen Anträgen und Beschlüssen des Bundestags, unsere übereinstimmende Meinung, daß den Evakuierten durch dieses Gesetz die Gleichberechtigung gesichert werden muß. Das gilt auch in bezug auf steuerliche Maßnahmen, in bezug auf Maßnahmen für die selbständigen Gewerbetreibenden, für die freien Berufe, aber im selben Maße auch für die unselbständigen Arbeitnehmer.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu den von der Regierung angeführten Zahlen. In der Begründung dieses Entwurfs ist darauf hingewiesen, daß etwa 300 000 Menschen in der Bundesrepublik heute rückkehrwillig seien. Wir haben erhebliche Zweifel, ob diese Zahlen der Bundesregierung stimmen. Ich habe sie einmal mit den Zahlen verglichen, die meine Heimatstadt Nürnberg, die in der Betreuung der Außenbürger an sich vorbildlich ist, aufgestellt hat. Wir haben festgestellt, daß 26 982 Nürnberger, die heute noch draußen sind, in ihre Heimatstadt zurückkehren wollen, während die Bundesregierung in ihrer Erhebung 10 500 Nürnberger aufgeführt hat, die zurück wollen. Wenn wir diesen Unterschied auf die Gesamtzahl übertragen, dann würden wir auf eine Zahl von 700 000 rückkehrwilligen Personen kommen, die sich heute noch draußen befinden. Es wird also eine sehr rasche und genaue Erhebung notwendig sein, um feststellen zu können, wieviel Mittel benötigt werden, um den Evakuierten zu ihrem Recht zu verhelfen, ihrer Not zu steuern und sie in ihre Heimat zurückzuführen. Ein gutes Evakuiertengesetz ist ohne Zweifel ein Akt der Gerechtigkeit, ein Akt der Solidarität und vor allen Dingen ein Akt der inneren sozialen Befriedung.
Wir bitten Sie alle, in diesem Sinne an der Verbesserung des Gesetzentwurfs mitzuarbeiten. Wie schon vorgeschlagen, bitten wir darum, daß der Entwurf dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, aber auch dem Haushaltsausschuß und dem Wohnungsausschuß überwiesen wird, damit speziell die Fragen der Wohnraumbeschaffung und der Höhe der bereitzustellenden Mittel in diesen Ausschüssen geprüft werden können.