Gegen den Vorschlag bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Jedoch sollte der zweite Satz des Vorschlages gestrichen werden, weil der Bundestag nicht darüber Beschluß zu fassen hat, wie das Grundgesetz auszulegen ist. Vielmehr würde er mit der Annahme des Vorschlages die allgemeine Genehmigung erteilen, jeden Abgeordneten, der einer strafbaren Handlung verdächtig ist, zu der Beschuldigung schriftlich anzuhören. Im ersten Satz des Vorschlages sollte es daher statt „kann" richtiger heißen „darf".
Zur näheren Begründung führe ich folgendes an:
Es ist zu begrüßen, daß die Einstellung von Strafverfahren gegen Abgeordnete, die ohne Untersuchungshandlungen möglich ist, erleichtert werden soll.
Es darf aber nicht verkannt werden, daß es eine Frage der Auslegung des Grundgesetzes ist, was unter dem Begriff „Zur-Verantwortung-
Ziehen" im Sinne des Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes zu verstehen ist. Ich halte es für bedenklich, daß der Bundestag eine Interpretation dieser Verfassungsbestimmung gibt; sie wäre für die Justizbehörden nicht verbindlich und außerdem auch angreifbar. Denn die Aufforderung an einen Abgeordneten, zu einer gegen ihn erstatteten Anzeige Stellung zu nehmen, ist eine Ermittlungshandlung, mit der die Staatsanwaltschaft beginnt, den Sachverhalt zu erforschen . Der Abgeordnete wird mit dieser Maßnahme „zur Unter-
suchung gezogen". Daß er nicht zu antworten braucht oder eine Stellungnahme ausdrücklich ablehnen kann, ist ein Recht, das jedem Beschuldigten zusteht; daß er nicht vorgeladen, sondern zu einer schriftlichen Äußerung aufgefordert wird, ist kein sachlicher, sondern nur ein äußerlicher Unterschied zu der Behandlung anderer Beschuldigter und eine Vergünstigung, die unter Umständen auch anderen Beschuldigten in hervorragender Stellung gewährt werden kann.
Ich halte es daher für richtiger, wenn der Bundestag, statt das Grundgesetz zu interpretieren, einen Beschluß des Inhalts fassen würde, daß die Staatsanwaltschaften allgemein ermächtigt werden, einen Abgeordneten, der einer Straftat beschuldigt wird, zu einer schriftlichen Äußerung zu der Beschuldigung aufzufordern.
Also sogar ein konstruktiver Vorschlag aus dem Justizministerium in Hessen.
Rheinland-Pfalz sagt:
Mit dem Vorschlag zur Einschränkung der Immunitätssachen bin ich grundsätzlich einverstanden. Falls der in Ihrem Fernschreiben mitgeteilte Wortlaut förmlich beschlossen werden soll, rege ich an, die zweite Hälfte des ersten Satzes wie folgt zu fassen:
„ .... kann die Staatsanwaltschaft, wenn dies im Einzelfall zweckmäßig erscheint, dem Beschuldigten Gelegenheit geben, zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll der Staatsanwaltschaft oder eines Amtsrichters Stellung zu nehmen."
Begründung:
1. „Gelegenheit zur Stellungnahme geben" erscheint milder und mit Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes eher vereinbar als „zur Stellungnahme auffordern".
2. Die Einschaltung „wenn dies im Einzelfall zweckmäßig erscheint", soll klarstellen, daß in jedem Fall zu prüfen ist, ob eine Anhörung des Beschuldigten der Sache dient, insbesondere ob sie eine Klärung in dem Sinne verspricht, daß das Verfahren einzustellen ist, und ob sie einer Überführung des Beschuldigten nicht abträglich ist.
Nordrhein-Westfalen sagt:
Der vorgesehene Beschluß weicht ab von der Auslegung, die der Begriff des „Zur-Verantwortung-Ziehens" bisher in der Rechtsprechung der Gerichte und in der ihr folgenden Praxis der Parlamente gefunden hat. Soweit der Beschluß lediglich die Erklärung enthält, der 1. Bundestag werde in der Einholung einer Stellungnahme des Abgeordneten zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen ein „Zur-Verantwortung-Ziehen" im Sinne von Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht sehen und dem Staatsanwalt, falls er die Stellungnahme des Abgeordneten einholt, daraus den Vorwurf der Immunitätsverletzung nicht machen, dürften gegen den Beschluß Bedenken nicht bestehen. Verbindliche Kraft würde der Beschluß allerdings nur dann haben, wenn dem Parlament nach Verfassungsgrundsätzen das Recht zur
authentischen Interpretation einer Verfassungsnorm zuerkannt werden könnte.
Niedersachsen:
Ich begrüße den Vorschlag, da er geeignet ist, in einstellungsreifen Sachen verwaltungsmäßigen Leerlauf zu verhindern. Rechtliche Bedenken bestehen nach meiner Meinung nicht. Für die Fassung empfehle ich, schriftliche Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft vorzusehen, damit ausgeschaltet wird, daß der Bundestagsabgeordnete etwa über den Weg durch die Polizei oder durch das Gericht angegangen wird.
Berlin:
Der Auffassung, daß ein „Zur-Verantwortung-
Ziehen" im Sinne des Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht vorliegt, wenn ein Abgeordneter gegenüber der Staatsanwaltschaft freiwillig zu einer gegen ihn erhobenen Beschuldigung Stellung nimmt, schließe ich mich an. Es bedeutet daher keinen Verstoß gegen die genannte Vorschrift, wenn die Staatsanwaltschaft dem Abgeordneten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe mitteilt und ihm anheimgibt, sich dazu zu äußern. Mit dieser Einschränkung
— die wir übrigens angenommen haben —
stimme ich den vom Immunitätsausschuß des Bundestages in Aussicht genommenen Verfahren zu. Hingegen könnte in einer Aufforderung der Staatsanwaltschaft zur Erklärung über strafrechtliche erhebliche Vorwürfe schon eine Form des „Zur-Verantwortung-Ziehens" gesehen werden.
— Wir hatten ursprünglich im Text „Aufforderung" und haben nachher die mildere Form „Anheimgeben" beschlossen. —
Die mit dem Beschluß des Immunitätsausschusses bezweckte — und zu begrüßende — Vereinfachung des Geschäftsganges dürfte schon erreicht werden, wenn die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Stellungnahme anheimgibt.
Nun faßt das Bundesjustizministerium seinerseits die Gutachten der zehn Landesjustizministerien zusammen, und ich bitte Sie, das aufmerksam anzuhören, weil es ja, meine Damen und Herren, um Ihre Immunität und um die Handhabung vielleicht auch in Ihrem eigenen Falle gehen könnte. Das Bundesjustizministerium erklärt:
Gegen den Vorschlag des Vorsitzenden des Immunitätsausschusses bestehen nach Auffassung des Bundesjustizministeriums im Ergebnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Es ist davon auszugehen, daß es sich bei der Immunität nicht um ein Privileg der Abgeordneten, sondern des Parlaments handelt. Das Parlament kann daher im Interesse seines Ansehens und des Ansehens seiner Abgeordneten verlangen, daß ihm keine Anträge auf Aufhebung der Immunität vorgelegt werden, die erkennbar einer Begründung entbehren. Diesem Ziele soll der vorgeschlagene Beschluß dienen.
Schon bisher ist im Schrifttum anerkannt, daß die Staatsanwaltschaft berechtigt ist, die-
jenigen Feststellungen zu treffen, welche lediglich einen Antrag auf Aufhebung der Immunität vorbereiten sollen — vergl. Bockelmann, Die Unverfolgbarkeit der Abgeordneten nach deutschem Immunitätsrecht, Göttingen, 1951, S. 47 —. Jedoch darf diese aufklärende Tätigkeit nicht zu einem eigentlichen Verfahren gegen den Abgeordneten werden.
Im einzelnen hat das für den angeregten Beschluß folgende Bedeutung:
Eine Grenze müssen derartige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zunächst dort finden, wo sie sich zu einem echten Verfahren gegen den Abgeordneten ausweiten. Nur die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft ist statthaft, die sich ihrer Natur nach nicht schon als ein „Zur-
Veranwortung- Ziehen" darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt wird es aber als zulässig anzusehen sein, wenn die Staatsanwaltschaft dem Abgeordneten die Anzeige lediglich mitteilt und ihm anheimstellt, dazu Stellung zu nehmen.
Wenn man das Prinzip, daß bereits die ersten und einleitenden Akte der Strafverfolgung der parlamentarischen Genehmigung bedürfen, nicht theoretisch überspitzen will — vergl. dazu Bockelmann a. a. O. —, so wird man in einer derartigen Handhabung durch die Staatsanwaltschaft ihrer Natur nach nicht notwendig ein „Zur-Verantwortung-Ziehen" sehen können. Eine derartige Maßnahme unterscheidet sich ganz offensichtlich etwa von der Vorladung des Beschuldigten zur Vernehmung, die man in allen Fällen als Verfolgungsmaßnahme wird ansehen müssen, auch wenn sie nur dazu dient, den Beschuldigten zu entlasten.
Die Mitteilung der Anzeige an den Beschuldigten mit dem Anheimgeben einer Stellungnahme wird daher nur dann als zulässig zu erachten sein, wenn sie dazu dient, einen Antrag der Staatsanwaltschaft an den Bundestag auf Aufhebung der Immunität vorzubereiten, also der Staatsanwaltschaft eine Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob ein Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt werden soll.
Nicht zulässig wäre eine solche Maßnahme dann, wenn sie der Staatsanwaltschaft Unterlagen für ihre Entscheidung liefern soll, ob Anklage erhoben oder ob das Verfahren eingestellt werden soll. Dann würde sich die zwar nicht notwendigerweise als Verfolgungsmaßnahme zu qualifizierende Handlung im konkreten Falle doch als Verfolgungsmaßnahme erweisen.
Dagegen dürfte es nicht richtig sein, die Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen nach dem Grad des Zweifels zu bemessen, der bei der Staatsanwaltschaft darüber besteht, ob die Anzeige begründet ist oder nicht. Bockelmann — a. a. O. — vertritt allerdings die Auffassung, daß alsbald und ohne weiteres die Entscheidung des Bundestages herbeizuführen sei, wenn nicht „Zweifel darüber, ob die Verdächtigung eines Abgeordneten Hand und Fuß hat, . . . . geradezu in die Augen springen". Wenn damit gesagt sein soll, daß nur in diesen extremen Fällen Ermittlungen überhaupt zulässig sein sollen, dann wird diese Auffassung einer Überprüfung bedürfen. Wenn der Bundestag mit Recht verlangen kann, daß keine unbegründeten Anträge bei ihm eingebracht werden, dann wird in jedem Falle, in dem eine Rückfrage bei dem Abgeordneten für die Entscheidung, ob ein Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt werden soll, von Bedeutung sein kann, die Staatsanwaltschaft auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können und sollen.
Zu der Fassung des Beschlusses darf entsprechend der Stellungnahme Berlins angeregt werden, statt von „Auffordern" besser von „Anheimstellen" zu sprechen,
— ich betone: diese Veränderung ist dann eingeführt —
um damit klar zum Ausdruck zu bringen, daß es sich noch um keine echte Ermittlung in einem Strafverfahren handelt.
Ferner wird es sich empfehlen, ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen, daß die Rückfrage bei dem Abgeordneten der Vorbereitung einer Entscheidung darüber dienen soll, ob ein Antrag auf Aufhebung der Immunität zu stellen ist.
Weiterhin ist zu bemerken, daß in dem für zulässig erachteten Verfahren ganz allgemein, also nicht nur dann, wenn der Abgeordnete sich zur Abgabe einer Stellungnahme bereit erklärt, kein „Zur-Verantwortung-Ziehen" liegt. Der zweite Satz des Beschlusses könnte nach seiner jetzigen Fassung in dieser Beziehung zu Mißverständnissen Anlaß geben. Wenn auch entgegen der Auffassung von Hessen keine Bedenken dagegen bestehen dürften, daß der Bundestag seine Meinung in der beabsichtigten Form zum Ausdruck bringt, so erscheint doch der zweite Satz im ganzen entbehrlich zu sein. Es wird daher angeregt, ihn ganz zu streichen oder jedenfalls nur zu sagen: „Hierin liegt kein Zur- Verantwortung-Ziehen im Sinne von Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes".
Zusammenfassend wird folgende Fassung des Beschlusses in Vorschlag gebracht: . .
Dann faßt das Bundesjustizministerium jeden Vorschlag zusammen, der Ihnen in der Drucksache vorliegt.
Ich glaube, durch diese ausführliche Zitierung der Gutachten der neun Landesjustizministerien — soweit sie nicht unmittelbar einverstanden waren wie die genannten vier — und durch die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums dürfte wohl erhärtet sein, daß der Immunitätsausschuß, in dem im übrigen auch Juristen sitzen, sich sehr eingehend auch mit der rechtlichen Problematik dieser Frage befaßt hat. Im übrigen hat es noch zu keiner Zeit ein Parlament gegeben, in dem nicht über ein juristisches Problem gestritten worden ist. Mir scheint aber, daß man hier die praktische Erfahrung als primär ansehen sollte.
Ich bitte Sie daher erneut, dem einstimmig gefaßten Beschluß des Ausschusses zuzustimmen, der nicht zuletzt auf eine Anregung Ihres Kollegen, des Vorsitzenden Ritzel, zurückgeht.