Rede von
Dr.
Anton
Besold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Wir gehen an den endgültig verpflichtenden Abschluß eines Vertragswerkes heran, dessen Umfang, dessen Inhalt und dessen Praktizierung vor allem Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes, aber auch der ganzen Welt bedeutet. Nicht die Buchstaben und nicht die Einzelbestimmungen
werden die Zukunft und unser aller Schicksal bestimmen, sondern allein der Geist, den die beteiligten Völker und vor allem ihre politischen Lenker diesem Vertrag geben werden. Eines ist, glaube ich, allen offenkundig geworden: daß nicht Zwang und Diktat den heutigen Beschluß des Bundestages begleiten. Das Ergebnis dieser Abstimmung ist in die hohe und freie Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten gelegt.
Von allen Rechten wurde Gebrauch gemacht, von der Ausschußberatung über die Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts bis zur Auswertung der Rechte sogar des Bundespräsidenten. Geblieben ist als letzte politische Instanz die verantwortliche Entscheidung der Abgeordneten dieses Hauses, die uns niemand abnehmen kann und soll, weil sie das ganze Volk angeht, als dessen gewählte Vertreter wir zu entscheiden haben.
Wir wissen, daß in diesem Augenblick die Vertragspartner und alle Beteiligten noch nicht im Gleichklang der Meinungen sind. Während Englands weltpolitische Erwägungen bei allem Bekennen zur europäischen Sicherheit und zur europäischen Staatengemeinschaft im Spiel der Kräfte erkennen lassen, daß Englands Existenz das Bestehen Sowjetrußlands mit in Rechnung stellt, weil es für seine eigene Machtstellung des Gleichgewichts zwischen den USA und der Sowjetunion bedarf, machen die Franzosen verzweifelte Anstrengungen, durch Zusatzprotokolle eine Auslegung der Verträge herbeizuführen, die Frankreich seine Nationalarmee erhalten soll, die aber gleichzeitig auf eine Vertragsfassung abzielen, welche die Fiktion der Europa-Armee vom 27. Mai 1952 aufrechterhalten soll.
Diese Unterschiede in den Meinungen und Auffassungen der Vertragspartner auf dem Weg zu Europa sind Stärke und Schwäche. Schwäche insofern, als durch das freie Spiel der Meinungen im demokratischen Werden des Vertragswerkes und durch den breiten Weg der Möglichkeiten, die Machtpositionen im Vertrag zu sichern, viel Zeit verlorengeht, während der Weg des totalitären Befehls- und Gewaltstaates kurz und dadurch gefährlich ist;
Stärke aber insofern, als der längere Weg der freien demokratischen Willensbildung das neue Europa organisch sich abschleifen und entstehen läßt. Eines muß aber klargestellt werden: daß nur der Inhalt dieses Vertrags Gegenstand der Ratifizierung und der Zustimmung des deutschen Parlaments ist.
Die Bayernpartei hat in der zweiten Lesung ihre Bedenken zu den Verträgen schon dargelegt. Ich fasse sie nochmals kurz zusammen. Die Bedenken richten sich gegen die allgemeine Wehrpflicht, weil die jüngste Vergangenheit noch zu sehr auf uns lastet, und die fehlende unmittelbare Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt. Wir haben Bedenken, weil die Wehrhaftmachung politischen Zentralismus nach sich ziehen kann, und wir haben vor allem die große Sorge, daß mit wachsendem militärischem Potential eines Tages nicht eine Politik des Gleichgewichts und der Friedenssicherung, sondern eine Politik gefährlichen Spiels mit dem Kräftepotential gemacht wird. Viele weitere Sorgen sind noch nicht geklärt, so die Sorgen in bezug auf die Kriegsverurteilten und die Besatzungsgeschädigten. Gerade die Sorgen der Besatzungsgeschädigten
bitten wir die Regierung in Zukunft und insbesondere nach Ratifizierung der Verträge speziell ins Auge zu fassen.
Trotzdem hat die Bayernpartei, weil sie sich der klaren Erkenntnis der Notwendigkeit einer europäischen Staaten- und Verteidigungsgemeinschaft einfach nicht verschließen kann, ein Ja zu den Verträgen gesagt.
Der totalitäre Machtkoloß des Ostens mit seiner bolschewistischen, antichristlichen und imperialistischen Zielsetzung ist für Deutschland und die gesamte freie Welt eine echte Gefahr.
Daran hat sich durch kein dazwischenliegendes Ereignis irgend etwas geändert.
Aufgabe und Verpflichtung unserer Politik müssen daher sein, die Sicherheit des deutschen Volkes wirksam, dauerhaft und in Frieden zu gewährleisten. Ein Abgleiten des deutschen Volkes in den kommunistischen Machtbereich muß unter allen Umständen verhindert werden.
Die Einzelgänger der freien westlichen Welt müssen im Interesse der allgemeinen Sicherheit und zur Rettung vor dem Bolschewismus zu einer Staaten- und Schutzgemeinschaft zusammenfinden, um ein friedensicherndes Gleichgewicht herzustellen.
Für die Erreichung dieses Ziels, das aus der weltpolitischen Lage zwangsweise angesteuert werden muß, ist bis heute kein anderer Weg erkennbar geworden als der, der durch die Verträge aufgezeigt wird. Daher sagt die Bayernpartei nach verantwortungsvollem Abwägen und Prüfen ja zu den Verträgen.
Ich glaube, es geht in diesem Augenblick nicht um Vertragsklauseln, nicht um Zusatzprotokolle, nicht um Einzelinteressen; es geht allein um den Frieden. Ihm allein gelten unser Wunsch und die bange Sorge zugleich, wenn wir unser endgültiges Ja zu den Verträgen sagen; „bange Sorge" deshalb, weil in unserer Generation und in Hunderten von Jahren immer und immer wieder alle politischen Handlungen durch die Beteuerung des Friedens vorwärts getragen und die Völker letzten Endes durch die Ereignisse enttäuscht wurden. Der Glaube an den Frieden ist leider in der gegenwärtigen Zeit des Vertragsabschlusses noch nicht in unser Volk zurückgekehrt.
Schauen wir einen Augenblick zurück in die Vergangenheit der letzten 25 Jahre! Am 10. September 1927 hat Stresemann im Völkerbund in Genf gesagt: „Die Entwicklung zum Frieden hat bisweilen darunter gelitten, daß die beiden Fragen ,Sicherheit' und ‚Abrüstung' gegeneinander ausgespielt werden." Und von der gleichen Stelle, von der Briand ein Jahr zuvor seinen Appell an die Welt richtete „Hinweg mit den Kanonen!", hat Stresemann unter Beifall erklärt: „Man kann nicht den Krieg verfemen, gleichzeitig aber die Sicherheit auf dem Fortbestand der Rüstungen aufbauen." Fünf Jahre später, im September 1932, waren Stresemann und Briand, Träger des Friedensnobelpreises, tot, und was dann folgte, haben wir nur noch zu gut in Erinnerung. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945, als das deutsche Volk und die ganze Welt aus herben Wunden bluteten, schien sich zunächst der Geist Stresemanns und Briands durchzusetzen, und die Parole lautete: „Abrüstung bedeutet Frieden." Die Entwicklung und das Ausscheren der Sowjetunion aus der Weltfriedensorganisation, die Dynamik des kalten Krieges steuern die Ereignisse und die Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens in eine Richtung, die uns heute die Parole gibt: „Nur durch Stärke sichert man den Frieden." Diese Zeitläufe und diese Ereignisse sind noch zu nah in der Erinnerung unseres Volkes, und der Glaube an den Frieden und der Glaube, daß allein durch diese Verträge Westeuropa gerettet werden kann, ist noch zu klein und zu kleingläubig. Darum aber, weil wir aus der Zwangslage der weltpolitischen Verhältnisse gar keinen anderen Weg gehen können, müssen wir, glaube ich, nicht als Drohung, sondern als Warnung, denjenigen, die heute und in Zukunft über die Verträge und ihren Inhalt zu entscheiden haben, sagen: Wehe denjenigen, die je dieses letzte Vertrauen unseres Volkes und Europas mißbrauchen! Denn das wäre der endgültige Untergang Europas.
Wenn das deutsche Parlament den ersten Schritt zur Ratifikation tut, so verlangt das unter den gegebenen Umständen viel Mut. Unser Ziel und das Ziel der ganzen freien Welt muß daher sein und werden, nicht Europäer aus Angst oder Europäer aus Spekulation oder Europäer, um die Macht zu mißbrauchen, zu werden, sondern, Europäer aus Überzeugung zu werden. Dann können diese Verträge Werke des Friedens werden, weil nur durch
den Frieden europäischer Geist und europäisches Leben erhalten werden können.