Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich vor aller Öffentlichkeit den schärfsten Protest dagegen richten, wie hier die dritte Lesung dieser Unheilverträge von seiten der Regierung und ihrer Parteien inszeniert worden ist: Stacheldrahtabsperrung in den Straßen rundherum um d'en Bundestag, ein Aufgebot an Polizei und grünen, na, sagen wir gleich: Truppenverbänden, wie wenn wir schon mitten in einem Krieg stünden, Wasserwerferwagen aufgefahren, und dreifache Absperrungskordone! Heißen Sie das noch Demokratie, meine Herren von den Regierungsparteien? Das sollten Sie ganz anders nennen! Das sind Dinge, wie wir sie alle schon erlebt haben. Und die Folgen davon sehen wir noch in den Trümmern der deutschen Städte!
In den wenigen Stunden so zwischen Nachmittagskaffee und Abendessenszeit wird hier im Bundestag die dritte Lesung über ein Vertragswerk durchgepeitscht, das allein schon dem Texte nach ein paar dicke Bücher umfaßt. Wenige Stunden Redezeit nur noch für das gesamte Parlament!
Meine Damen und Herren, es ist unerhört, wenn
sich ein deutsches Parlament so etwas gefallen läßt,
wenn es dermaßen die Hand zur Ausschaltung der
vom Volk gewählten Vertreter bietet zugunsten
eines Herrn Dr. Adenauer und seiner kleinen
Clique, deren.. Politik zu überwachen Sie, meine
Herren von den Regierungsparteien, allen Grund
hätten, wenn Sie nicht eine neue Katastrophe über
unser Volk und Vaterland bringen lassen wollen!
Was war denn die Quintessenz der ganzen Ausführungen des Dr. Adenauer und seines Anhangs?
Er sagte, in einem Satz zusammengefaßt: Wir müssen rüsten, um möglichst stark zu sein, dann wird sich unsere politische Position in der Welt bessern, dann werden wir die Gebiete zurückbekommen, auf die wir Anspruch haben. — Ich habe beinahe gedacht, ins Jahr 1936/37 zurückversetzt worden zu sein, als ich diese Rede Adenauers hörte! Oder vielleicht noch früher, in die Zeit Wilhelms des Zweiten. Auch damals hat man schon solche Sprüche gehört: Je stärker wir sind, je stärker die „schimmernde Wehr" Deutschlands ist, um so leichter werden wir das bekommen, worauf wir Anspruch haben. — Das ist diese falsche Mentalität, diese falsche Rechnung, gegen die anzukämpfen die Aufgabe aller Gutgesinnten bei Ihnen sein müßte. Das ist diese Denkart, die uns in zwei verlorene Weltkriege hineingestürzt hat, und jetzt wird der dritte kommen, wenn diese Politik Adenauers sich weiterhin auswirken kann. Nicht stärker werden wir durch 12 oder 20 deutsche Divisionen, sondern gefährdeter werden wir!
Das ist das, was ich Ihnen, Herr Dr. Adenauer, auf Ihre Ausführungen zu sagen habe. Glauben Sie denn im Ernst, mit 12 oder mit 20 deutschen Divisionen könnten Sie etwas fertigbringen, wenn heute irgendeine kriegerische Verwicklung über Westdeutschland hereinbrechen würde? Nichts werden Sie damit erreichen, sondern nur eines, nämlich den amerikanischen Truppen genügend Zeit zu lassen — durch das Verbluten der deutschen Truppen —, um sich auf ihre Schiffe zurückziehen zu können. Das werden Sie erreichen und sonst gar nichts! Ich warne Sie davor, den Blitz, der fern, fern von uns in Ostasien eingeschlagen hat, wo sich die zwei großen Gegner, die Kommunisten und die Amerikaner, auf Leben und Tod gegenüberstehen, weit hinten in Korea und in Indochina, auf uns Deutsche zu ziehen! Ich warne Sie, dadurch, daß Sie hier mit dem Bajonett in der Luft herumfuchteln — mit dem Sie nichts ausrichten können, weil es zu schwach ist —, den Kriegsschauplatz von Ostasien nach Westeuropa verpflanzen zu helfen!
Wer glaubt denn im Ernst — wenn er die Lage irgendwie durchdenkt —, daß man mit 12 oder 20 Divisionen den Russen noch aufhalten kann, wenn er wirklich nach Westen marschieren würde? Dafür aber, daß der Russe das tun will, sind Sie den Beweis schuldig geblieben, Herr Dr. Adenauer. Seit drei Jahren machen Sie uns vor, Stalin wird nach Westen marschieren. Nein, er hat es nicht getan; sondern in Ostasien sind die Amerikaner engagiert worden. Unterdessen ist Stalin tot. Man sieht also, ob Herr Adenauer bisher mit seiner „Prophezeiung" recht hatte!
Man sieht genau, daß die Äußerung des Herrn Dr. Adenauer falsch war. Stalin ist nicht nach dem Westen marschiert!
Jetzt behauptet man, sein Nachfolger wird das tun, obwohl sich die gut informierten Kreise in der ganzen Welt darüber einig sind, daß gerade ein Nachfolger Stalins wie Malenkow auf absehbare Zeit alle Hände voll in seinem eigenen Land zu tun haben wird. Nein, zu ganz anderen Zwecken werden diese Gerüchte von Herrn Adenauer und seinem Anhang in die Luft gesetzt, um nämlich das deutsche Volk möglichst zu beunruhigen und um es reif zu machen für Pläne. die nicht den deutschen Interessen entsprechen. Denn den deutschen Interessen entspricht nur eines: sich so lange als möglich aus den Händeln der zwei ganz Großen herauszuhalten. Den deutschen Interessen entspricht es, die Karten nicht eher auf der Tisch zu legen, als bis die anderen ihre Karten ganz ausgespielt haben. Den deutschen Interessen entspricht die möglichste Zurückhaltung in dem Streit zwischen den Amerikanern und Kommunisten, zu warten, was sich in Ostasien abspielt, und sich nicht etwa als kleiner, schwacher Mann in Deutschland in die Rauferei der zwei starken, bärenstarken Großen einzumischen. Bei solchem Einmischen können wir nur Prügel bekommen, aber sonst nichts!
— Ja, wenn wir uns einmischen, bekommen wir die Prügel, sonst nicht!
Meine Damen und Herren, es ist unglaublich, daß Herr Dr. Adenauer die Stirne hat, sich vor uns hinzustellen und zu sagen, wir würden durch
diese Verträge gleichberechtigt werden. Das ist eine unerhörte Unwahrheit seitens des Dr. Adenauer! Jeder, der die Verträge liest, muß mir da recht geben: Wir sind nicht gleichberechtigt, sondern wir werden eine Protektoratskolonie gewisser Mächte — scheinbar als Ersatz für die den Westmächten in Afrika und- Asien verlorengegangenen Protektorate, in denen es sich sogar die Eingeborenen nicht mehr haben gefallen lassen, auf die Dauer von irgendeinem Militärgouverneur regiert zu werden. Und der alliierte Militärbefehlshaber kann — trotz der Verträge — weiter in Deutschland regieren; er bekommt bedeutend mehr Vollmacht, als sie der berüchtigte Artikel 48 der Weimarer Verfassung seinerzeit dem Reichspräsidenten gegeben hat — und wir wissen ja, was aus dieser Vollmacht geworden ist. — Der fremde Militärbefehlshaber bekommt bedeutend mehr, und er bekommt es — das ist das Entscheidende — durch freiwillige Zustimmung der deutschen Regierung und von Ihnen, meine Regierungsparteien.
Auf 50 Jahre hinaus entscheiden Sie über das Schicksal Ihrer Kinder und Kindeskinder,
und Sie nehmen diese Entscheidung scheinbar so wenig ernst, daß der größere Teil von Ihnen, meine Herren Abgeordneten der Regierungsparteien, schon seit Stunden draußen im Restaurant sitzt, statt hier den Besprechungen zu folgen.
Es sind nur wenige Stunden Zeit, die Sie zur Verfügung haben; nicht einmal diese paar Stunden nützen Sie aus, um zu horchen, was Ihnen die Regierung vorzutragen hat.
Wir Deutsche stellen auf Grund dieser Verträge Soldaten, und wir müssen dafür noch 10 Milliarden DM pro Jahr zahlen. Das ist der Unterschied zwischen heute und der Söldnerpolitik gewisser Diktatoren und Fürsten im ausgehenden Mittelalter. Damals mußten gewisse deutsche Länder Soldaten stellen; aber dafür wurde Geld ins Land hereingezahlt.
Heute müssen wir Soldaten stellen und dazu noch 10 Milliarden DM pro Jahr zahlen! Ja, gibt es denn wirklich so dumme Leute, die solch einen Vertrag unterschreiben?
Bidault, der französische Außenminister, hat gestern gesagt, und Sie alle haben es in der Zeitung gelesen: in so entscheidend wichtigen Fragen, wie es der EVG-Vertrag ist, müsse in Frankreich nicht ein Häuflein von Parlamentariern die letzte Entscheidung fällen, sondern das Volk selbst, sei es, daß man es selbst fragt, sei es, indem man sofort Neuwahlen veranstaltet. Bei uns aber kümmert sich die Regierung einen Pfifferling um die Meinung des Volkes. Die Bevölkerung hat ja jetzt nicht einmal die Möglichkeit, mit den Abgeordneten sich in Verbindung zu setzen, denn dreifache Polizeikordone lassen niemanden zu den Abgeordneten hierher — außer mit Ausweisen, gesiegelt und gestempelt von den Behörden des Herrn Dr. Adenauer.
Das ist die Wahrheit, und das soll die gesamte Weltöffentlichkeit erfahren, unter welchen Umständen hier die dritte Lesung dieses für unser Vaterland so entscheidend wichtigen Vertrags durchgepeitscht werden soll.