Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Gegenstand, den wir heute hier erörtern, haben wir uns schon sehr oft in diesem Hause unterhalten, und wir haben sicherlich alle dabei immer mit Spannung erwartet, daß diejenigen, die das Vertragswerk oder die Politik, die zu ihni hingeführt hat, kritisieren oder sie sogar in Grund und Boden verdammen, doch immerhin Wege weisen würden, wie man denn in ihrem Sinne die Dinge besser und anders machen könnte. Wir haben eben ein fulminantes Schlußwort von der „effektiven Form der sozialen, der nationalen, der politischen Sicherheit" gehört, die man verkündet habe. Selten in diesem Hause hat es ein solches Mißverhältnis gegeben
zwischen der ausladenden Behauptung eines
Schlußwortes und dem Mangel an konkreten Vorschlägen in einer langen Rede.
Ja, meine Damen und Herren, es ist nun mal nicht zu vermeiden, daß man diese Vorgänge und diese Zusammenhänge aufzeigt. Es geht doch nicht an, immer wieder zu behaupten, man habe das Ei des Columbus oder den Stein der Weisen. Und wenn man fragt: Ja, was wollt ihr denn? und schließlich einen gemeinschaftlichen Weg finden möchte, dann ergibt sich wieder, daß das wegen einer Unbestimmbarkeit der Ziele nicht möglich ist.
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben dem Herrn Bundeskanzler einige Zitate übelgenommen, die er aus Ausführungen des Kollegen Dr. Schumacher gebracht hat. Der Bundeskanzler sprach dazu von Übereinstimmung. Sie haben eingewandt, warum er denn früher nicht diese Übereinstimmung gesucht habe. Ich erinnere
Sie an unsere Verhandlungen — es war im Herbst 1950 —, als wir anfingen, uns mit dieser Problematik der westlichen Zusammenfassung zu beschäftigen. Ich habe damals die Reden des Herrn Bundeskanzlers und Ihres Vorsitzenden angehört; dann bin ich selbst zum Reden gekommen und habe gesagt: Also in diesem und diesem oder jenem Punkt besteht doch Übereinstimmung. Gibt es nicht eine Möglichkeit des Ausgleichens und der Angleichung? Und dann kam als Antwort eine scharfe und schroffe Absage auf den Versuch eines gemeinsamen Weges in der Außenpolitik.
Ich kann diese Dinge nicht leicht vergessen. Denn damals war ich es, der das Verbindende hervorgehoben und der darauf diese glatte Negation erfahren hat. So sehen wir immer wieder diese unfruchtbaren Verneinungen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um ein Vertragswerk und damit um eine Auseinandersetzung von ungeheurer Verwickeltheit. Bei so verwickelten Zusammenhängen verschiedener Meinung zu sein und Kritik zu üben ist an sich leicht. Es ist schwerer, bei einer derartigen Materie zu Lösungen zu kommen, bei denen man sich zusammenfinden kann. Das ist schwierig. Nun, Sie haben den leichteren Weg gewählt, als Sie unsere Versuche, aus der Bedrücktheit der Nachkriegszeit Stufe um Stufe herauszukommen, immer wieder ablehnten.
Dieses Vertragswerk ist deswegen schwierig, weil es drei Elemente, drei Grundmotive enthält. Einmal ist es der Ansatz zu einem Vorfriedensvertrag. Zum zweiten ist es der Ansatz zu - einer Ablösung des Besatzungsstatuts und zu einer Normalisierung unserer staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Situation. Drittens schließlich enthält das Vertragswerk Maßnahmen zur Festigung unserer jungen Bundesrepublik durch die Eingliederung in ein System übernationaler und zwischenstaatlicher Sicherheit. Sicherheit ist es, die wir doch alle wünschen. Welchen Zweck hätte es denn, daß wir uns nun seit dreieinhalb Jahren hier abmühen an einem unvorstellbar überstürzten Gesetzgebungswerk, wenn wir uns nicht gleichzeitig darum bemühten, diesen Staat, den wir aufbauen, auch nach außen hin zu festigen?
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben von sozialer Sicherheit als einer Voraussetzung staatlicher Ordnung und kultureller Entwicklung gesprochen. Ich stimme völlig mit Ihnen überein. Aber wie kann ich denn soziale Sicherheit verwirklichen, wie kann ich all die Institutionen schaffen, die gegen die Wechselfälle des Lebens schützen, wie kann ich dahin wirken, daß entwurzelte Menschen wieder Boden unter den Füßen, wieder eine neue Existenz finden, wenn nicht das Gebiet des Staates, in dem ich eine solche Politik führe, eingefriedet ist, ja eingefriedigt ist gegen die Gefahr, durch Stürme von außen umgeworfen, vernichtet, überflutet oder überrannt zu werden!
Schutz ist da doch das dringendste Erfordernis!
Deswegen ist es richtig und verständlich, ja verantwortungsbewußt gewesen, wenn die Bundesregierung, wenn der Herr Bundeskanzler sehr bald
nach Errichtung der Bundesrepublik in Verhandlungen mit den Besatzungsmächten die Frage nach der Sicherheit dieses Staatsexperimentes, das wir begannen, aufgeworfen hat. Das w a r notwendig, denn sonst hätten ja alle unsere Mühen, alle unsere Versuche immer unter unbegrenzten Wagnissen und unter Hemmungen gestanden, die sich aus der Vorstellung solcher Wagnisse in breiten Schichten der Bevölkerung hätten ergeben müssen.
Was wir zunächst brauchen, um die Sicherheit zu realisieren, ist hier im einzelnen schon so oft gesagt worden, daß ich mir die Wiederholung dieser Dinge ersparen und nur auf eins hinweisen möchte. Es kann bei einem System kollektiver Sicherheit nur eine Gegenseitigkeit geben. Wenn man von den anderen erwartet und verlangt, daß sie für die Sicherheit unserer Existenz eintreten, ergibt sich nichts anderes als die Selbstverständlichkeit, daß auch unsererseits Sicherheitsbeiträge gegeben werden. Ohne diese Wechselseitigkeit ist eine Sicherheit nicht zu realisieren.
Es mag sein, daß das unschön ist, daß uns damit Verpflichtungen erwachsen, die wir gern, sehr gern weit hinausgeschoben hätten. Ach, wir hätten so vieles andere lieber getan! Aber ist nicht primär die Sicherheit notwendig, die Herstellung eines höheren Maßes von Sicherheit? Wenn wir eine Gewährleistung von Sicherheit wünschen — eine absolute Sicherheit hat es in der Geschichte noch nie gegeben, aber ein relativ hohes Maß von Sicherheit —, kommen wir von dem Prinzip der Gegenseitigkeit nicht los und müssen aus ihm Folgerungen ziehen. Tut man das aber nicht, meine Damen und Herren, dann verneint man die Sicherheit aus Mangel an Gegenseitigkeitsbereitschaft.
Weiter ist gesagt worden, die deutsche Wiedervereinigung werde erschwert, gehemmt oder sogar versperrt durch eine deutsche Anlehnung an die Sicherheitsformationen und Sicherheitsvorkehrungen der westlichen freien Welt. Wir müssen zuerst untersuchen, wie denn diese deutsche Aufspaltung zustande gekommen ist. Es ist ja allgemein üblich, daß man, wenn man eine Krankheitsfolge überwinden, eine Krankheit ausheilen will, die Krankheitsursache bekämpft. In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts war bereits erkennbar, daß sich als Folge des ersten Weltkrieges auf dem Globus eine Schwerpunktverschiebung vollzogen hatte. Das alte Abendland hatte seine Vorrangstellung durch die schwächenden Wirkungen des ersten Weltkrieges eingebüßt. Es entstanden zwei neue Schwerpunkte, zwei Gravitationszentren: das eine um Moskau und seine staatskapitalistische Gesellschaftsidee totalitärer Prägung; auf der andern Seite fanden sich die alten westlichen Demokratien zur Verteidigung der Werte ihrer rechtsstaatlichen Demokratien und der Prinzipien der christlichen Humanität mehr und mehr um den Atlantischen Ozean zusammen. Da waren es zwei neue Gruppenbildungen. Deutschland hätte in dieser Situation als mitteleuropäischer Staat vielleicht die Funktion eines Isolierfeldes oder einer Schleuse oder einer Brücke, oder was weiß ich, übernehmen können. Jedenfalls ist diese Lage nicht erkannt worden. Die nazistische Außenpolitik brachte vielmehr das Wahnwitzige fertig, das widernatürlichste Bündnis der Welt herbeizuführen, nämlich die westliche Welt mit der östlichen gegen uns, gegen Deutschland zu verbinden.
Das Ergebnis war, daß am Ende das Reich in Trümmer ging und dann der große Trennungsstrich zwischen zwei Welten durch unser Volksgebiet gezogen wurde.
Das bedeutet, daß die Spaltung Deutschlands nicht einen Akt deutscher innergebietlicher Neuordnung, sondern eine furchtbare Katastrophe darstellt, bewirkt durch weltpolitische Machtverhältnisse. Man kann die deutsche Wiedervereinigung logischerweise nur dadurch herbeiführen, daß man dazu beiträgt, daß die weltpolitischen Machtverhältnisse in solcher Weise verlagert werden, daß sich daraus Entwicklungselemente zu einer deutschen Wiedervereinigung ergeben.
Das ist nichts weiter als eine folgerichtige Betrachtung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung auf dem Gebiet der außenpolitischen Entwicklung.
Und was tun wir nun? Wir bemühen uns, zu verhindern — das ist nämlich die nächstliegende Gefahr, meine Damen und Herren! —, daß dieser Eiserne Vorhang, daß diese Grenze, die da durch Deutschland gezogen ist, versteinert und verhärtet. Man muß die Erörterung um diese Grenze immer in Bewegung halten. Da nutzt es gar nichts, daß wir innerdeutsche Deklamationen um diese Spaltung machen,
sondern da kommt es darauf an, den Teil der Welt für die deutsche Wiedervereinigung zu erwärmen und heranzuziehen, der in der Lage ist, die entsprechend wirkende Gestaltung neuer weltpolitischer Kräfteverhältnisse und eine neue Abgrenzung der Interessenssphären herbeizuführen. Das ist doch die einfache Betrachtung, die man in diesem Zusammenhang allein anstellen kann. Dies Motiv steckt in den Verträgen drin. Ich bin bei solcher Einsicht beim besten Willen nicht in der Lage, einzusehen, daß der Versuch, eine Anlehnung an den Westen zu vollziehen, den freien Westen an der gesamtdeutschen Frage mit zu beteiligen, ihn für diese Frage zu gewinnen, ein Beitrag dazu sein soll, die gesamtdeutsche Lösung aufzuhalten und zu erschweren.
Ich muß dabei auch einmal die Gegenfrage stellen: Wie stellen Sie sich denn anders überhaupt die Möglichkeit vor, die deutsche Grenzfrage, die aus weltpolitischer Kräftegruppierung entstanden ist, weltpolitisch in Bewegung zu halten, wenn nicht mit dem Teil der Welt, der uns in seiner ganzen geistigen, moralischen und politischen Auffassung verwandt ist, bei dem Teil der Welt, von dem wir überhaupt erwarten können, daß andere Vorstellungen als die von Gewalt und Macht bei ihm in der Lage sind, weltpolitisch wirkende Kräfte auszulösen? Man sollte sich doch einmal überlegen, was geschieht, wenn wir die vorliegenden Verträge nicht ratifizieren, wenn wir keine europäische Montan-Union machen, wenn wir keine EVG-Gemeinschaft machen, wenn nicht die Verbindung dieser EVG-Gemeinschaft mit anderen Völkern hergestellt wird, die zwar nicht in den supranationalen Bereich hineingehen, sich dem aber in der Form von Allianzen anschließen. Glaubt denn jemand wirklich im Ernst, daß, wenn wir das alles
nicht machen, dadurch der gesamtdeutschen Einigung irgendein Anstoß gegeben wird? Man kann hier zwar schön deklamieren, aber am Ende wird dann der Graben so hart und die Mauer so steif und unerschütterlich, daß es beinahe aussichtslos erscheint, über dies Unheil der Spaltung hinwegzukommen.
Dabei sind diejenigen, die in Osteuropa in Knechtschaft leben, immer in der Gefahr, vergessen zu werden. Wir sind das Volk, das durch seine Halbierung immer halb an dem beteiligt ist, was da geschieht. Wir sind das einzige Volk im Bereich der osteuropäischen Völker, das unmittelbar verwundet ist und den Schmerz dieser Wunden spürt. Wir sind das Volk, das davor bewahren muß, daß die Völker Osteuropas, die jetzt in Knechtschaft dahinvegetieren, vergessen werden.
Ich glaube, die Möglichkeit zu solcher Funktion kräftigen wir doch dadurch, daß wir dazu gewissermaßen die Resonanz in dem Bereich einer weiter gefaßten politischen Gemeinschaft vergrößern.
Das gleiche gilt für Berlin. Glauben Sie, Sie unterstützen Berlin und Sie tun etwas für den Zusammenhang und für die Erhaltung Berlins, wenn Sie den EVG-Vertrag ablehnen, wenn Sie eine europäische Gemeinschaftswirklichkeit verneinen, verhindern, abbremsen? Ich kann mir das alles nicht richtig vorstellen.
Alles, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Ollenhauer, oder was in den Ausführungen des Herrn Kollegen Luetkens steht, ist am Ende ein Versuch — ja, das haben Sie auch deutlich gesagt —, das supranationale Prinzip zurückzudrängen, zu beseitigen, zu verneinen und an seiner Stelle irgend so etwas wie ein Allianzsystem alten . Stiles zu errichten. Das ist gerade das, was wir für bedenklich und verhängnisvoll halten. Wir möchten hinaus über diese alten Formen der Allianzen.
Allianzen sind nämlich nichts weiter als Vereinigungen von Regierungen. Wenn man eine gemeinsame Zweckorganisation wie eine gemeinsame Verteidigung, oder was weiß ich, eine gemeinsame Marktorganisation oder eine gemeinsame Devisenbank oder auch eine Zollunion schafft, beherrschen im Grunde genommen die gemeinsamen Regierungen über die Allianz die einzelnen Völker. Die nationalen Parlamente können nicht unmittelbar auf sie einwirken, sondern immer nur mittelbar dadurch, daß sie jeweils auf ihre einzelnen Regierungen einwirken. In einer Allianz haben einzelne Parlamente keine Verbindung miteinander. Sehen Sie: das bedeutet das Überlegene der supranationalen Autorität.
— Das ist doch eine andere Frage, nämlich die Zuständigkeitsabgrenzung. Das kann ich jetzt nicht erörtern; ich bin aber gern bereit, auch das einmal mit Ihnen zu erörtern. Jedenfalls ist auch im Schumanplan immerhin eine gemeinsame Vertretung der beteiligten Völker durch gemeinsame parlamentarische Körper. Wieweit man die Kompetenzen da ausgedehnt oder abgegrenzt hat, ist eine andere Frage. In den Anfangsstadien einer solchen Entwicklung muß man ja auch Übergangslösungen
ertragen und Kompromisse machen. Jedenfalls besteht der Vorteil der supranationalen Institution darin, daß Volksvertreter aus den einzelnen Ländern zusammenkommen und die gemeinsamen Einrichtungen einer unmittelbaren Kontrolle unterwerfen, während man bei Allianzen und auch bei Koalitionsarmeen nie die unmittelbare demokratische Kontrolle hat. Sehen Sie, das ist der große Vorteil und das große Übergewicht der supranationalen Institutionen gegenüber den reinen Koalitionen von Regierungen und von Staaten nach dem alten Allianzsystem.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich nun bei dem Vertragswerk selbst. Es ist natürlich nicht so, als hielten wir dieses Vertragswerk für den Gipfel der Vollkommenheit. Ich glaube, das fällt keinem von uns ein; denn es gibt wenig darin, was wir nicht einer ernsthaften Kritik unterziehen könnten oder unterzogen haben. Aber wir wissen, daß, wenn ich einen internationalen Vertrag machen muß, der sechs Regierungen, sechs Auswärtige Dienste, sechs öffentliche Meinungen, sechs Parlamente, meistens noch mit Zweikammersystem, mehr oder weniger für sich gewinnen soll, dann ein Kompromiß herauskommt, bei dem im Grunde genommen keiner mit den Details zufrieden sein kann.
Wenn man noch dazu die übliche Methode des Abschlusses internationaler Verträge nimmt und einmal den traditonellen Ehrgeiz berücksichtigt, der den Unterhändlern von Auswärtigen Ämtern und Staaten anzuhaften pflegt
— die sind alle irgendwie, auch wo es sich um Republiken handelt, mit dynastischen Wunschbildern gefüttert —, ja, meine Damen und Herren, daß da natürlich nun die Erschwerung auch durch die Akribie der Wortklauberei, und was alles dazu gehört, kommt, ist begreiflich und verständlich. Deswegen ist es an sich ein sehr billiges Vergnügen, hier einzelne Artikel und Paragraphen herauszunehmen und an denen seine Kritik aufzuhängen. Ich glaube, dieses Vergnügen ist leichter als die Mühe, die große formgebende Kraft eines solchen Werkes zu verstehen und den formenden und gestaltenden Inhalt zu erkennen und dann von ihm ausgehend die eigentliche politische Entscheidung zu treffen.
Eins darf ich, glaube ich, in diesem Zusammenhang nicht übersehen. Dieser Kompromiß, der Charakter, der allen internationalen Verträgen anhaftet, namentlich wenn sie sich auf so komplizierte Dinge erstrecken, ist noch besonders dadurch hervorgerufen, ich möchte sagen, übersteigert worden, weil Schuttmassen der Vergangenheit abzuräumen waren, als man dieses Vertragswerk machte. Ich sagte schon: es enthält eine Art Vorfriedensvertrag, eine Ablösung des Besatzungsstatuts; es geht bis zu einer Integrationsform in überstaatliche Einrichtungen, und es geht über zu wechselseitigen Sicherheitsversprechungen. Ja, kann man das alles übersehen? Ich sprach von Schuttmassen. Ich meine jetzt nicht die Schuttmassen der Vergangenheit in bezug auf die materiellen Dinge, sondern die seelischen Widerstände, die doch eine Rolle spielen, wo die allgemeinen Vorurteile unmittelbar wirken, wo schlechte Erfahrungen Mißtrauen wecken und schließlich anreizen zu übermäßig verwickelter Ausgestaltung der einzelnen Texte.
Manches davon ist nur zu verstehen, wenn man die Tiefenpsychologie des Siegers anzuwenden versucht, so etwa, wenn man sieht, was in den Einzelbestimmungen noch an geistigen Überresten aus einer nicht ganz partnermäßigen Denkweise darinsteckt. Derartiges ist sicherlich vorhanden. Aber kann man von den anderen verlangen, daß sie eine Wandlung so schnell vollziehen, wenn man selber in der Kritik an den Verträgen so mit Wogen des Mißtrauens zu wirken bemüht ist, wie dies die Opposition tut? Sie mißtrauen den andern immer nur. Sie haben eine Furcht. Sie mißdeuten ihre Motive und messen dabei immer nur mit den einstigen nationalstaatlichen Maßstäben. Ich weiß nicht, ob man damit weiterkommt. Das gilt gerade für die Außenpolitik: am besten gewinnt der Vertrauen, der Vertrauen entgegenbringt. Das ist eine Erfahrung, die im Leben immer gilt.
Man meint bei der Opposition, Überlegenheit an kritischer Weisheit könnte es beweisen, wenn man an den Details herumflickt. Ob es zur konstruktiven Wandlung und Gestaltung Weisheit ist, so im Grunde genommen doch destruktiv zu denken, das überlasse ich Ihrem Urteil, meine Damen und Herren.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu den Zusatzprotokollen. Sie sind bei der Geschäftsordnungsdebatte so behandelt worden, als ob sie tatsächlich vorhanden seien, während sie in Wirklichkeit nichts anderes sind oder sein mögen als Vorschläge. In keiner Weise binden sie irgend jemanden. Für uns sind sie bestimmt nicht verbindlich. Bei ihnen sind wir uns ohne weiteres darüber klar - Herr Kollege von Brentano hat es ja schon ausgesprochen —, daß sie für uns niemals annehmbar sein werden, wenn sie dem Geist und dem Inhalt der Verträge widersprechen und so mit ihnen unvereinbar sind. Unsere Haltung dazu ist also ganz klar. In dem Entschließungsantrag meiner politischen Freunde ist das ausdrücklich ausgesprochen worden.
Diese Zusatzprotokolle sollen nun nach Ihrer Meinung veranlassen, daß wir unsere Entscheidung zurückstellen. Was würde das bedeuten? Es würde praktisch Verhandlungen um eine Änderung der Verträge bedeuten; dann ginge der ganze Zauber noch einmal los, und es würde wieder so umständlich verhandelt. Gerade deswegen habe ich Bedenken, das zu tun.
—Weil ich an die Überlegenheit der supranationalen Institution glaube, Herr Kollege Wehner. Das ist nämlich das Entscheidende bei der Frage. Wollen Sie wieder zwischen sechs Regierungen usw. verhandeln mit dem ganzen Kram bis zur Ratifikation rauf und runter, runter und rauf, mit all dem Zubehör, der dabei eine Rolle spielt? Wenn Sie sich dagegen auf den Standpunkt stellen: Ja, dies Vertragswerk ist reformbedürftig, da sind viele Mängel enthalten, die alle beseitigt werden müssen, so müssen wir Ihnen entgegenhalten: das Vertragswerk ist eben ein erster Versuch, ein Anfang einer völlig neuartigen Gestaltung von internationalen Beziehungen.
Die Institutionen, die dieses Vertragswerk schafft, scheinen mir besser geeignet, die erstrebte Annäherung und Reformen durchzuführen mit der Anpassung an veränderte Umstände, auch an vielleicht übersehene Bedürfnisse einzelner Völker und Staaten. Es ist besser, daß das eine gemeinsame Institution macht, als daß wir wieder das ganze verwinkelte und zeitraubende Geschäft, ja Ränkespiel erleben, das sich immer abspielt, wenn sechs Regierungen und sechs Auswärtige Dienste mit dem ganzen Troß von Sachverständigen und Gutachtern sich in solche Beratungen stürzen.
Bei der Weiterbildung des Vertragswerks ist gerade die Möglichkeit, die Überlegenheit der supranationalen Institution nutzbar zu machen. Gerade deswegen sollte man nicht vertagen, sondern schnellstens die Institutionen errichten, damit die notwendigen Wandlungen, die dynamische Entwicklung, wie der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Beratung gesagt hat, nicht mehr allein in der üblichen Auseinandersetzung zwischen Regierungen geschehen, sondern sich auch weitgehend in der Unmittelbarkeit der Begegnung der Volksvertreter aller beteiligten Nationen abspielen!
Ich verspreche mir immerhin davon eine Nützlichkeit. Ich kann es nicht mathematisch beweisen. Es scheint mir mindestens demokratischer zu sein, so zu denken. Das supranationale Parlament ist nämlich noch demokratischer als der Verkehr der Völker über Regierungen.
— Natürlich bin ich mir auch klar darüber, daß nun mancherlei Schwierigkeiten entstehen. Es ist eben auch die Neigung gewachsen, heute wieder überall Verhandlungen zu komplizieren, schreckliche Textvorlagen zu machen, Konferenzen zu machen, bei denen man sehr verwickelt miteinander diskutiert, bei denen sich dann so im Hintergrunde all diese Kulissengespräche abspielen
und bei denen die Querschüsse, die durch die verschiedensten Einrichtungen der öffentlichen Meinungsbildung erfunden sind, dazwischenfunken.
Ja, meine Damen und Herren, der heutige Konferenzstil ist nicht immer fruchtbar. Das einzige, was man ihm eigentlich zugute halten kann, ist, daß bei ihm wenigstens doch das heute vorliegende Vertragswerk herausgekommen ist. Aber ich möchte ihn weitgehend überwunden sehen, vor allen Dingen aber eins: den neuerlichen Geist dieser Konferenzen.
Meine Damen und Herren, der Umsturz in Prag, der damals so wie ein Schock auf die westlichen Völker wirkte, liegt schon so weit zurück; und die Geschichte mit Korea ist schon so lange her, und man hat sich so an die täglichen Bulletins gewöhnt, und man ist wieder gleichgültig geworden. Man macht wieder in dem alten zeitraubenden Stile umständliche Konferenzen mit all ihrem Drum und Dran.
Da kommt es dann zu all diesen Quertreibereien und zu mancherlei Störungsfeuer. Von einem Beispiel dieses Störungsfeuers in der deutschen Presse ist heute gesprochen worden. Ach, es ist in anderen Zeitungen, auch außerhalb unseres Bundesgebiets, auch sehr viel Störungsfeuer. Dies Störungsfeuer besteht vor allen Dingen in einer verzerrenden Form der Berichterstattung über die innere
12332 Deutscher Bundestag — Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1953
deutsche Situation, vor allen Dingen über die politischen Kräfteverhältnisse. Sie ist immer wieder darauf abgestellt, Mißtrauen in die Bundesrepublik und in die Festigkeit ihrer demokratischen Ordnung zu wecken.
— Ich rede jetzt in diesem Fall von der ausländischen Presse! — Da wird vor allen Dingen mit Vorliebe geschrieben von einem massenhaft fortwirkenden „deutschen Chauvinismus". Ja, sicherlich, es gibt aus der Vergangenheit, aus den „tausend Jahren" noch so einige Leute, es mögen einige Tausend sein, deren Geltungsbedürfnis noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist.
— Sie brauchen mich gar nicht anzulachen. Ich gehöre nicht dazu.
Also die Dinge sind so: es gibt sie. Aber ihre Zahl ist doch im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung, zur Zahl der Wähler, zu den faktisch gestaltenden und bestimmenden Elementen der Bundesrepublik völlig unbedeutend. Selbst wenn man sagt: Ja, aber das sind Bazillen, die virulent werden können, — meine Damen und Herren, das sind ebenso willkürliche wie kühne Prophezeiungen, und ich glaube nicht, daß man, wenn man gerecht sein und die Wirklichkeit so darstellen will, wie sie ist, in dieser Form mißdeuten darf. Über diese paar Leute, über diesen Typus des strammen, arroganten Menschen, den wir aus der Vergangenheit kennen, wird so furchtbar viel geschrieben, und dieser Typ wird so zahlreich dargestellt. Aber über die Hunderte von Divisionen, die da im Osten aufmarschieren, darüber wird bald überhaupt nichts mehr gesagt!
So entsteht dann ein Weltbild, das die wirklichen Gefahrenherde völlig ins Dunkel versinken läßt. Aber kleine Symptome noch nachwirkender Verrücktheiten werden angestrahlt, als ob sie die zentralen Ereignisse unserer Gegenwart wären.
Es ist dann weiter — sogar in ziemlicher Zuspitzung der Forderungen an den Herrn Bundeskanzler hinsichtlich der Haltung und Amtsführung des Herrn Bundesjustizministers — von den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten gesprochen worden, die sich um die Ratifizierung dieses Vertragswerks entwickelt haben. Ich will nicht auf alle Einzelheiten eingehen; ich will nur einmal folgende Überlegung doch empfehlen: Einverstanden mit dem Grundsatz der Verfassungstreue, einverstanden damit, daß wir ängstlich darüber wachen, daß kein demokratisches Recht gefährdet oder angetastet wird. Aber, meine Damen und Herren, bedeutet das, daß wir die Frage der politischen Sicherheit nun langsam immer weiter zum Gegenstand rabulistischer Deutungen der verschiedensten Verfassungs- und Vertragsartikel machen? Ist das wirklich noch Politik? Ist das der Zweck und Sinn eines höchsten Gerichts, gleichsam an der Verhinderung, mindestens aber an der Verlangsamung politischer Entscheidungen beteiligt zu werden?
Und die zweite Frage: Es geht doch bei diesen Verträgen — wenigstens für mich und meine
Freunde — darum, den Lebensraum unserer Verfassung, die Landschaft, in der das Grundgesetz Geltung hat und die die Ordnung des staatlichen Lebens normiert, zu schützen. Ist es wirklich nicht dringlicher, daran zu denken, die Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes dadurch zu wahren, daß man sie gegen Überflutung eindeicht, statt am Ende vor lauter juristischen Quisquilien in eine Gefahr zu geraten, bei der diese Verfassung dann von denen, die überfluten, sicherlich nicht respektiert wird?
Weiter ist die Frage der finanziellen Lasten gestreift worden, die sich aus diesem Vertrag ergeben. Auch da will ich nicht lange auf Details eingehen, sondern nur eine kurze Gegenfrage zu den gemachten Ausführungen stellen. Meinen Sie, wenn wir diese Verträge nicht machen, wenn also das Besatzungsstatut in seiner ganzen Wirklichkeit bleibt, daß die Auseinandersetzungen um unsere finanziellen Lasten dadurch einfacher und leichter werden? Ja, einfacher werden sie insofern, als wir dann nicht als Verhandlungspartner mitwirken, sondern einfach Verpflichtungen auferlegt bekommen, während im andern Fall auf Grund der neuen vertraglichen Regeln immerhin eine beiderseitige Verhandlungsmöglichkeit gesucht und ausgenutzt werden muß.
Ich möchte dann noch auf die Entschließung hinweisen, die meine Freunde vorgelegt haben. Darin wird vor allen Dingen eins gewünscht: daß der Ausbau der europäischen Gemeinschaft auf Grund des jetzt jüngst angenommenen Verfassungsentwurfs innerhalb der Ad-hoc-Kommission zur Koordinierung der Außenpolitik möglichst bald von der deutschen Bundesregierung angestrebt wird. Zum zweiten wünschen wir, daß eine solche Rechtskonstruktion der beabsichtigten gemeinsamen Einrichtungen angestrebt wird, damit zugleich die Möglichkeit einer demokratischen Kontrolle der europäischen Verteidigungseinrichtungen beschleunigt gesichert wird. Dazu halten wir es ebenfalls für notwendig, auf dem Gebiet der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Ordnungsgrundlagen des militärischen Daseins überhaupt, insbesondere der Soldaten, zu vereinheitlichen, und dies ganz besonders auch im Hinblick auf das Militärstrafrecht. Andernfalls könnten sich ganz unhaltbare Verhältnisse ergeben, wenn eine solche Vereinheitlichung nicht gleich am Anfang wirksam würde. Außerdem wünschen wir dringend, daß man — vielleicht über den Wortlaut des EVG-Vertrags hinausgehend, aber in seiner tiefsten Sinnerfüllung doch wohl richtig handelnd — zu gemeinsamen Verwaltungen für die gemeinsamen Verteidigungskräfte und zu einem gemeinsamen Oberbefehl kommen möge. Am Ende dieser Entwicklung soll dann die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO-Organisation stehen: das wäre ja als letzte Vollendung der deutschen Gleichberechtigung — besser gesagt: Gleichrangigkeit — anzustreben.
Meine Freunde und ich sind einmütig der Überzeugung, daß wir diesen Verträgen wie in der zweiten Beratung so auch in der dritten Beratung unsere Zustimmung geben müssen. Wir sind der Überzeugung, daß wir diesen Schritt tun müssen trotz aller Fragen und Zweifel und Vorbehalte im einzelnen.
Es ist hier — von dem Sprecher der Opposition ausgehend — davon gesprochen worden, daß dies Vertragswerk wegen der Haltung der anderen Völker, die daran beteiligt sind, nicht zustande kommen könnte. Dazu, meine Damen und Herren, glaube ich sagen zu müssen: Selbst wenn der Fall eintreten sollte, daß sich eines der vertragschließenden Völker nachträglich nicht beteiligt, weil Quertreiberei und der alte Chauvinismus zu stark sind, würden wir die größte Torheit unserer politischen Entwicklung begehen, wollten wir daraus die Folgerung ziehen, dieses Vertragswerk nicht anzunehmen. Wenn andere das Vertragswerk nicht wollen sollten, dann wollen nicht wir schuld gewesen sein an seinem Scheitern!
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort über die Grenze hinaus nach Westen hin richten. Da wirkt immer noch ungeheuer viel Mißtrauen gegen unser Volk; man begeistert sich an der Vorstellung, chauvinistisch-machtpolitische Begehrlichkeit wäre geradezu ein erbbiologischer Zwangszustand des deutschen Volkes. Meine Damen und Herren, dies deutsche Volk besteht hinsichtlich seiner Erbsubstanz aus keiner anderen Masse als alle anderen europäischen Völker! Wenn in der Entwicklung des deutschen Volkes chauvinistische Strömungen, Neigungen und Kräfte — keineswegs in ihm allein — so oft in den letzten hundert Jahren eine verletzende Wirkung gehabt haben, dann sollte man sich einmal fragen, ob solche Erscheinungen nicht milieubedingt sind! Auch ein Volk hat ein Milieu, indem die Anlieger bestimmte Eigenschaften hervorrufen, anreizen! Man sollte nicht immer die Schuld in einer angeblichen deutschen Veranlagung sehen, sondern etwa einmal einen Blick auf die Karte tun: ob es im Laufe einer vielhundertjährigen Entwicklung denn gerade das deutsche Volk gewesen ist, das in anderen Volksgebieten dauernde Eroberungen gemacht hat! Wenn man in eine Karte Europas zum Beispiel die sprachliche Herkunft der Ortsnamen eintragen würde, dann würde sich ergeben, daß das deutsche Volk in seiner zentralen Lage immer einem sehr wirksamen Druck der peripheren Völker ausgesetzt gewesen ist.
Ich glaube, es ist notwendig, auch einmal auszusprechen, daß das deutsche Volk in dieser Hinsicht keineswegs immer gut behandelt wurde, wenn man es oft zum Objekt der anderen werden ließ, leider Gottes durch viele Jahrhunderte hindurch. So etwas dringt in die Tiefen der Erinnerung und der Gefühlswelt eines Volkes ein und schafft Vorstellungen ganz merkwürdiger Art. Ich möchte das doch einmal denen gegenüber sagen, die so leichthin von der Unabänderlichkeit unseres „bösartigen" Charakters zu sprechen belieben.
Ich will schließen. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, mit der Annahme dieses Vertragswerks einen Beitrag zur Sicherung und Weiterbildung unserer Freiheit zu liefern. Wir sind uns klar darüber, daß wir es nur mit einem bescheidenen Anfang zu tun haben. Aber wer ein großes Haus bauen will, muß damit anfangen, die Fundamente für die Bauhütte zu legen.