Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den beiden Ihnen vorliegenden Anträgen geht es nicht um eine Stellungnahme zu den rechtlichen Problemen des Bundesverfassungsgerichts und nicht um eine politische Auseinandersetzung über die Funktionen des Bundesverfassungsgerichts, sondern lediglich darum, daß die Äußerungen des Bundesjustizministers über das Bundesverfassungsgericht zu der Frage zwingen, ob die Haltung dieses Bundesjustizministers noch mit der Verantwortung seiner hohen Stellung vereinbar ist.
Bei den Ihnen bekannten Äußerungen handelt es sich leider nicht um eine einmalige Entgleisung, wie sie einem temperamentvollen Redner zwar auch nicht unterlaufen soll, von der man aber allenfalls sagen könnte, sie entspräche doch nicht der Grundhaltung des Redners. Es handelt sich hier vielmehr um aufeinanderfolgende, von Verdächtigung zur Feststellung sich konkretisierende Äußerungen.
In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die
Vorgeschichte dieser Äußerungen notwendig. Am
21. November 1952, auf dem Parteitag der FDP in
Bad Ems, sprach der Bundesjustizminister bei der
Erörterung über den EVG-Vertrag die öffentliche
und deutliche Verdächtigung aus — ich zitiere —:
Sie wissen, die Barriere des Bundesverfassungsgerichts besteht für unsere Verträge. Ich
möchte hoffen, daß in dem höchsten deutschen Gericht keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen fallen.
Er präzisierte diese Äußerung dann durch die
folgende:
Ich möchte hoffen, daß sich beim Bundesverfassungsgericht der Geist des Sozialismus nicht auswirkt.
Das Bundesverfassungsgericht beantwortete diesen Angriff dadurch, daß es den Bundesjustizminister aufforderte, seine Rede bei ihm einzureichen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Formulierung der am 9. Dezember 1952 vom Plenum des Bundesverfassungsgerichts abgegebenen Erklärung insbesondere auf die Äußerungen des Bundesjustizministers abzielten. In diesen Äußerungen hat der Bundesjustizminister sich nicht nur zu einem vor dem höchsten Bundesgericht schwebenden Verfahren abfällig geäußert, er hat diesem Gericht geradezu Rechtsbruch und politische Parteilichkeit vorgeworfen oder zumindest unterstellt.
Es heißt in der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember wörtlich:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Besorgnis von den herabsetzenden Äußerungen Kenntnis genommen, die in den letzten Wochen in zunehmendem Maße im Zusammenhang mit den anhängigen Verfahren über die Vertragswerke in der Presse und in politischen Kreisen über das Gericht und seine Mitglieder gefallen sind. Diese Äußerungen haben sich in einzelnen Fällen zu Warnungen gesteigert. Man hat dem Gericht sogar unterstellt, daß politische und damit nicht rechtliche Erwägungen seine Entscheidungen bestimmen könnten.
Die Erklärung des Bundesverfassungsgerichts vom
9. Dezember 1952 schließt mit den Worten: Das Bundesverfassungsgericht hat gestern beschlossen, daß dieses Gutachten und alle anderen Gutachten des Plenums beide Senate binden. Dies ergibt sich vor allem aus der durch § 16 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht begründeten Funktion des Plenums, bei einer Meinungsverschiedenheit über eine Rechtsfrage zwischen den Senaten die letzte Entscheidung zu treffen. So wird zugleich verhindert, daß die Zuständigkeit eines bestimmten Senates aus sachfremden Erwägungen in Anspruch genommen wird.
War der Angriff auf das Bundesverfassungsgericht erfolgt, weil der Bundesjustizminister Anlaß zu haben glaubte, eine Rechtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwarten zu müssen, die der politischen Willensentscheidung seiner politischen Freunde nicht entgegenkam, so bestritt er in der Folge die Zulässigkeit einer Verfahrensweise, die den politischen Erwartungen seiner politischen Freunde nicht entsprach. Der Herr Bundesjustizminister hat bei dem bekannten „Kanzlertee" am
10. Dezember 1952 diese Verfahrungsregelung wörtlich als „völlig rechtlos, als gegen das Grundgesetz und gegen das Bundesverfassungsgerichtsgesetz verstoßend" gebrandmarkt,
ja, er hat dem Verfassungsgericht, jedes Maß überschreitend, den Vorwurf der Rechtsanmaßung entgegengeschleudert, indem er ihm vorwarf, es habe
durch diese Verfahrungsregelung „Recht zu setzen versucht, nicht im Sinne eines richterlichen Spruches, sondern um neues Gesetzesrecht zu schaffen".
Dies ist aber derselbe Bundesjustizminister, der noch vor neun Monaten in einem Schriftsatz erklärt hatte — ich zitiere wörtlich —:
Es ist sicherlich eine ebenso hohe wie verantwortungsvolle Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, bestehendes Recht, unter Umständen auch bestehendes Verfahrensrecht fortzubilden.
Aber am 10. Dezember, als ihm der Verfahrensbeschluß des Bundesverfassungsgerichts für seine politischen Pläne gefährlich zu werden schien, sprach er in lapidaren Worten den Bundesverfassungsrichtern jedes Recht auf einen Verfahrensbeschluß ab, indem er wörtlich sagte: „sie können überhaupt keinen Beschluß fassen", und er lehnte für sich und die Bundesregierung die Anerkennung dieses Beschlusses des höchsten Verfassungsgerichts kategorisch mit den Worten ab:
Wir werden diesen Beschluß niemals anerkennen. Dieser Beschluß ist ein Nullum.
Nachdem er nun auf wahrhaft demagogische Weise die völlige Nichtigkeit dieses Beschlusses des höchsten Bundesgerichts und dessen angebliche politische Befangenheit und Rechtsbeugung proklamiert hatte, suchte er diese Diskriminierung des Gerichts noch dadurch zu überbieten, daß er erklärte, der größte Mangel dieses Gerichts sei nicht seine parteipolitische Zusammensetzung, sondern seine fehlende richterliche Qualität.
Ich erinnere nochmals daran, daß es bei dem Gutachtenverfahren in Karlsruhe keineswegs um eine politische Entscheidung ging, sondern ausschließlich um die verfassungsrechtliche Frage, ob die Vertragstexte mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht. Bei dem Beschluß des Gerichts vom 9. Dezember handelte es sich ausschließlich um eine Verfahrensregelung, nicht aber um eine Gesetzgebungsfrage.
Bei den Äußerungen des Bundesjustizministers handelt es sich allerdings um ein höchstes Politikum, nämlich um die Haltung des höchsten Vertreters des Rechts in der Bundesregierung zum höchsten Gericht des Bundes, zur höchsten Instanz unseres Rechts. Jede Staatsform, vor allem jede Demokratie, kann sich auf längere Sicht nur erfolgreich behaupten und als fruchtbare Ordnung erweisen, wenn sie sich echte Autorität erhält oder echte Autorität erwirbt. Dies gilt ganz besonders für die junge deutsche Demokratie, die durch ihre Entwicklungs- und Daseinsbedingungen, die Ihnen ja allen bekannt sind, besonders empfindlich und besonders gefährdet ist. Zu dieser Autorität und zu diesen Wachstumsbedingungen aber gehört vor allem, daß diese Demokratie die Gesetze und die Verfassungseinrichtung, die sie geschaffen hat, selber achtet und schützt, auch wenn ein Staatsgesetz oder eine staatliche Institution einmal gegen die Gruppe auszuschlagen scheint, die diese mit geschaffen hat. „Wehe dem Volke, dessen Menschen der Sinn fehlt für die Verbindlichkeit des Rechts ihres Staates!"
— Sie haben soeben damit dem Herrn Bundesjustizminister Beifall gezollt; denn kein anderer als
er hat am 10. Juni 1952 in der „Schwäbischen Landeszeitung" diesen Satz veröffentlicht, mit dem er sich allerdings auch selber gerichtet hat.
Doch damit nicht genug. Jetzt kommt das Schlimmste. Als am 10. Dezember 1952 nach der bekannten Rücksprache mit dem Herrn Bundeskanzler der Herr Bundespräsident sein Ersuchen um ein Gutachten beim Bundesverfassungsgericht zurückzog, richteten sechs angesehene Rechtsanwälte folgendes Telegramm an den Bundesjustizminister und seinen Staatssekretär — ich zitiere wörtlich —:
Durch letzte Vorgänge tief bestürzt, bitten
dringend: verhindert weitere für das Ansehen
von Justiz und Staat unerträgliche Schritte
gegenüber höchstem deutschem Gericht. Unterschriften: Zutt, Schüle, Kleine, Duden, Schilling und Rowedder.
Auf dieses Telegramm erhielten die Appellanten folgendes Antworttelegramm:
Sie verkennen die Lage vollständig Stop Das Bundesverfassungsgericht ist in einer erschütternden Weise von dem Wege des Rechtes abgewichen und hat dadurch eine ernste Krise geschaffen.
Unterschriften: Bundesjustizminister Dr. Dehler, Staatssekretär Dr. Strauß.
Ich glaube, wenn ein Staatssekretär ein solches Telegramm über das höchste Gericht in die Welt
schickte, wäre sein Minister verpflichtet, ein Dienststrafverfahren mit dem Ziele der Dienstentlassung gegen ihn einzuleiten.
Aber der 'Herr Bundesjustizminister hat das Telegramm ja auch unterschrieben, und der Herr Bundeskanzler hat gegen den Herrn Bundesjustizminister nichts unternommen. Der Herr Bundesjustizminister ist nunmehr Gegenstand der politischen Kontrolle durch das Parlament.
Mit diesem Telegramm hat der Mann, der in seinem Amt der höchste Wahrer des Rechts Deutschlands sein sollte, das oberste Gericht, das über die Integrität des Verfassungslebens wachen soll, des Rechtsbruchs bezichtigt. Der Justizminister eines demokratischen Staates hat kraft seines Amtes über den Parteien zu stehen, auch über der Partei, der er selbst angehört. Ich darf ein Wort von meinem alten Lehrer und Meister Ferdinand Tönnies zitieren: „Der Parteiführer, der in eine gesetzgebende Körperschaft eintritt, wird sich als weise bewähren, wenn er seine Parteihaut abstreifen und die Haut der Souveränität anziehen kann, der Souveränität, die nunmehr tätig mit auszuüben er das Recht erworben und folglich die Pflicht auf sich genommen hat."
Auch das Bundesverfassungsgericht steht kraft seines Amtes über den Parteien; sein überparteiliches Wirken, der Schutz der Verfassung vor Sonderinteressen politischer Gruppen und territorialer Bundesglieder ist ja seine eigentliche Funktion. Untragbar ist ein Bundesminister des Rechts, der die gerade ihm gebotene Zurückhaltung vermissen läßt, immer wieder aus seiner überparteilichen Stellung in die Arena des Parteikampfes heruntersteigt und seine Qualität als Bundesjustizminister mit der Funktion seiner Parteiführerschaft verwechselt oder vermischt. Ganz unerträglich aber wird ein 1 solcher Bundesjustizminister, wenn er dem höchsten überparteilichen Bundesgericht gegenüber sein Gesicht verliert und es nicht nur herabsetzt, sondern beschimpft und vernichtigt.
Der Bundesrat hat deswegen am 18. Dezember 1952 beschlossen, den Herrn Bundeskanzler um Aufklärung über die Haltung des Bundesjustizministers in diesem Verfassungsstreit mit dem Bundesverfassungsgericht zu bitten. Er hat am gleichen Tage einen Antrag angenommen, nach dem das Bundesverfassungsgericht in Zukunft seinen eigenen Etat erhalten soll, der es vom Bundesjustizminister unabhängig machen soll, und zwar mit der Begründung, daß dieses Gericht auch in haushaltsrechtlicher Hinsicht nicht Männern unterstellt sein dürfte, die ihm in der Öffentlichkeit die Achtung versagten und dadurch die Grundlage des Rechtsstaates erschütterten.
Ich glaube, meine Damen und Herren, ich komme weder bei Herrn Dr. Dehler selbst noch bei seinen Freunden in den Verdacht, daß bei mir irgendeine persönliche Antipathie mitsprechen könnte. Wir wissen alle, daß Dr. Dehler eine saubere politische Vergangenheit hat und vor und nach 1933 ein aufrechter Demokrat gewesen ist. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß sein demokratischer Sündenfall zeitlich ziemlich genau mit der Übernahme des Amtes des Bundesjustizministers zusammenfällt,
einem Amte, dem er, wie wir gesehen haben, ganz einfach nicht gewachsen ist.
Auch der ihm nahestehenden Presse, die von der Integrität seiner Persönlichkeit überzeugt ist, graut vor dem Furor seiner Sonntagsreden. Vor einiger Zeit erinnerte ihn die Wochenzeitung „Christ und Welt" daran, er möge doch Jacobus Kap. 3 nachlesen. In Jacobus 3, 8 steht: „Aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel voll tödlichen Gifts."
Allerdings habe ich den Eindruck, daß diese
Dehler-Zunge in der Tat kein Mensch zähmen
kann, dieses unruhige Übel voll tödlichen Gifts.
Wenn nun der Herr Bundesjustizminister auf seine Behauptungen festgenagelt wird, dann erklärt er, er habe es „anders gemeint als gesagt". Auch nach der Bad Emser Rede hat er erklärt, er habe das Bundesverfassungsgericht zwar gemahnt, aber er habe es nicht mahnen wollen. Er hat ja auch einmal in diesem Hause „Sie Schuft" gesagt und hinterher erklärt, er habe das nicht gemeint, er habe persönlich nicht beleidigen wollen.
— Da bin ich leider nicht gewesen. — Was einer meint, das muß er auch sagen können,
und wenn er nicht in der Lage ist, das zu sagen, was er meint, dann genügt er eben nicht für ein öffentliches Amt.
Wer nicht sagen kann, was er meint, der gilt schon im zivilen Leben als nicht vollwertig. Im öffentlichen Leben aber ist er schlechthin untragbar.
Eine im privaten Gespräch gemachte Äußerung kann zurückgenommen oder interpretiert werden; öffentlich abgegebene Äußerungen eines Ministers sind nicht wiedergutzumachen und durch keine Interpretation aus der Welt zu schaffen. Handelt es sich dabei um den Bundesjustizminister, so wird die Lage noch dadurch verschärft, daß dieser durch sein Amt, wie ich schon angedeutet habe, zu besonders verantwortungsvollen und zurückhaltenden Äußerungen verpflichtet ist. Dieser Justizminister aber scheint geradezu prädisponiert dazu, unverantwortliche Erklärungen über innen- und außenpolitische Fragen abzugeben — auch über solche, die ihn ressortmäßig überhaupt nichts angehen — und diese Aussagen alsdann zu dementieren oder zu interpretieren.
Ich brauche Ihnen die lange Reihe dieser Äußerungen, die meist eine traurige Berühmtheit erlangt haben, nicht in Erinnerung zu rufen. Auf dem Gebiet der Innenpolitik läuft eine Reihe mehr oder weniger großer Skandale, die durch Äußerungen des Herrn Dr. Dehler hervorgerufen worden sind, von Äußerungen über den Rentenschwindel bis zu solchen über das bösartige Geschwür der deutschen Gewerkschaften. Herr Dr. Dehler hat solche Äußerungen hinterher stets dementiert oder interpretiert und dadurch seine angeschlagene Stellung zu behaupten versucht.
— Das steht nicht zur Diskussion, Herr Kunze.
Da aber Herr Dr. Dehler für die sofortige Verbreitung aller seiner Äußerungen sorgt, sind solche Richtigstellungen hinterher ohne Wirkung.
Auf außenpolitischem Gebiet aber wird seine Äußerungs- und Dementierungstaktik zur Katastrophe. Wieviel Porzellan ist durch solche Äußerungen von ihm zerschlagen worden, von den Aussagen über das deutsch-französische Verhältnis bis zu den letzten Coburger Äußerungen über das Abkommen mit Israel, die selbst der Herr Bundeskanzler verurteilte! Wenn Äußerungen des Bundesjustizministers in der deutschen und ausländischen Presse erscheinen, das Abkommen mit Israel sei auf Wunsch der Amerikaner zustande gekommen und werde von diesen hoch honoriert werden,
so helfen spätere Dementierungen gar nichts,
die heute auch von den Naiven nur als eine andere Form der Bestätigung betrachtet werden.
Im höchsten Maße gilt dies von den Äußerungen über das Bundesverfassungsgericht, die unser Antrag zum Gegenstand hat.
Herr Dr. Dehler hätte längst von seinem' Amt zurücktreten müssen.
Er hat es nicht getan. Seine Freunde hätten ihn längst davon überzeugen müssen, daß er zurücktreten müsse. Dies ist offensichtlich nicht, jedenfalls nicht mit Erfolg geschehen. Darum muß der Bundestag als das zur Kontrolle berufene Organ
des Staates klar aussprechen, daß er solche An-
griffe auf das höchste deutsche Gericht mißbilligt.