Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere es außerordentlich, daß die Debatte um diesen Teil des Vertriebenengesetzes gestern und heute diese Formen angenommen hat. Es ist vielleicht richtig und wahr, was unser Freund Schütz vorhin dazwischengerufen hat. Er hat gesagt: In diesen zwei Tagen ist mehr zerstört worden, als in drei Jahren aufgebaut wurde. Man muß sich das vielleicht nicht ganz so kraß vorstellen; aber glauben Sie mir, daß bei den heimatvertriebenen Bauern, wenn sie nachher an Hand der Protokolle diese Debatte verfolgen, tatsächlich in ihrem Innern sehr viel zerstört wird.
— Sie nehmen Rücksicht auf die Einheimischen; das haben Sie reichlich getan, können Sie auch weiterhin tun.
— Gestatten Sie mir, daß ich auch vom Standpunkt der Vertriebenen hier etwas sage. So bitterböse Worte wie „Schaffung von neuen Entrechteten dadurch, daß der Landarbeiter nicht gleich zum Zuge kommt oder der zweite Sohn nicht gleich parallel mit den Heimatvertriebenen in vollem Umfang eingeschaltet wird" oder „dann schaffen wir aus Einheimischen Vertriebene und aus Vertriebenen Einheimische" darf und kann man hier nicht aussprechen.
Ich empfinde das als unverantwortlich. Man kann in diesen Dingen nicht so leichtsinnig vorgehen.
Herr Kollege Müller, Sie haben sich vorhin sehr geärgert, als die Auseinandersetzung zu dem § 57 so harte Formen annahm, und haben die Konsequenz gezogen, trotz des in Ihrem Antrag unternommenen Versuchs, wenigstens bei den wüsten
Höfen zu helfen, für die Streichung zu sprechen. Gott sei Dank ist — bei ganz knapper Mehrheit — die Streichung nicht durchgegangen. Ich glaube, wir sollen uns nicht soweit hinreißen lassen. Sie haben allerdings auch gleich gesagt, Sie würden in der dritten Lesung selber den Antrag stellen, den Paragraphen wiederherzustellen. Nun ist er sowieso geblieben.
Ich will damit nur sagen, wir sollten uns hier wirklich ernsthaft Gedanken machen und versuchen, uns in die Seele dieser Menschen hineinzuversetzen, die auf dieses Gesetz so sehnsüchtig warten. Für sie aber ist gerade dieser § 61 ein Angelpunkt. Hier kann man wirklich zeigen, ob man ernstlich helfen will. Worte haben wir genug gehört. Es hat keinen Redner gegeben, der nicht gesagt hätte: „Selbstverständlich sind wir für die Eingliederung und wollen dort helfen, wo es geht; wir wollen Lösungen suchen." Man hat Zeit genug gehabt, Lösungen zu suchen. In diesen acht Jahren hat man auch gesucht, aber diese Lösungsversuche haben zu einem sehr schlechten Ergebnis geführt. Ich habe gestern gesagt, daß es ungefähr 10 % sind, die bis Ende des letzten Jahres eingegliedert waren. Aber ich bin dafür: suchen wir weiter Lösungen, auch ohne Rücksicht auf dieses Gesetz!
Manche haben mich gestern mißverstanden als ich sagte, jede Gemeinde hätte versuchen sollen, im Laufe der letzten Jahre im Durchschnitt zwei oder drei Höfe zur Verfügung zu stellen. Natürlich geht es nicht bei jeder Gemeinde; darüber bin auch ich mir im klaren. Aber bei gutem Willen, bei Zusammenfassung aller Kräfte und geschickter Organisation in bezug auf die Menschen wäre man in den meisten Fällen in der Lage gewesen, diese zwei oder drei Höfe im Durchschnitt pro Gemeinde zu schaffen und unseren heimatvertriebenen Bauern zu geben. Dann brauchten wir dieses Gesetz nicht. Diese Möglichkeit besteht auch weiterhin. Ich fordere meine Kollegen von der Grünen Front auf: Setzen Sie sich dafür ein, daß auf freiwilliger Basis in Zusammenarbeit zwischen Einheimischen und Vertriebenen durch gemeinsame Vereinbarungen diese 20 000 Höfe von Jahr zu Jahr geschaffen werden! Dann pfeifen wir auf den § 61, dann brauchen wir ihn nirgends mehr anzuwenden. Aber es kommt darauf an, daß Möglichkeiten geschaffen werden, tatsächlich eine größere Anzahl von Vertriebenen von Jahr zu Jahr mit einzuschalten.
Die andere Frage: Wie regt man sich auf, daß man den Rechtsstaat in seinen Fundamenten quasi erschüttert, daß man zu Zwangsmaßnahmen und zu weiß Gott was kommt! Im Gesetz ist, das wollen wir noch einmal klipp und klar feststellen, an keiner Stelle von irgendeiner Enteignung die Rede. In diesen so turbulenten Zeiten sind 10 Millionen Menschen von Haus und Hof vertrieben worden, und kein Teufel hat danach gefragt: Geht es nach Recht oder nicht?
Es ist doch nur recht und billig, wenn diese dann verlangen, daß man so eine kleine Eingriffsmöglichkeit in das Privateigentum schafft, daß man vielleicht in Fällen, wo man es verantworten kann, auf 18 Jahre eine Art Zwangspacht schafft, wobei das Eigentum dem anderen bleibt. Bitte, lesen Sie doch den Abs. 3. Die Heimatvertriebenen könnten sagen: Ja, wie könnt ihr überhaupt dem
zustimmen, was in Abs. 3 steht? — Wir haben zugestimmt. Da heißt es:
Die Inanspruchnahme ist ausgeschlossen, wenn der Betrieb, dem die Gebäude oder Grundflächen dienen, unwirtschaftlich werden oder wenn die Inanspruchnahme aus einem anderen Grunde für den Eigentümer oder sonstigen Nutzungsberechtigten eine unbillige Härte bedeuten würde.
Also hier besteht doch ein sehr weitgehender Schutz.
Ich muß hier wiederum auf das Vertrauen zurückkommen. Haben Sie nicht das Vertrauen zu den Siedlungsbehörden und den Ministerien von Bund und Ländern, daß diese gar nicht daran denken, die kleineren und mittleren Existenzen hier irgendwie anzugreifen? Auch keiner der Herren der Grünen Front kann mir beweisen, daß es nicht zahlreiche Fälle gibt, in denen man ohne Gefährdung der anderen Existenz etwas Pachtland wegnehmen kann. Ich habe im Ausschuß die Statistik von Niedersachsen genau studiert und dabei festgestellt, daß es dort Bauernbetriebe gibt, die zu über 20 ha Eigentum 150 000 ha Pachtland haben. Kann mir oder einem heimatvertriebenen Bauern gegenüber jemand behaupten, daß er, wenn er selbst meinetwegen seine 30 ha Land und dazu 10 ha Pachtland hat und davon 5 ha abgeben soll, deswegen in seiner Existenz gefährdet ist? Aber die 5 ha können dazu dienen — wenn gleichzeitig ein wüster Hof da ist —, eine neue Existenz zu schaffen. Die beiden können friedlich nebeneinander leben. So ähnlich liegt eine ganze Reihe anderer Fälle.
Ich weise ausdrücklich darauf hin: wir haben die Frage mit den Vertretern der Kirchen eingehend besprochen. Sie haben zugestimmt. Diese Bedenken von Herrn Frühwald scheiden deswegen aus, weil wir ihnen ja das Auswahlrecht lassen. Das haben sie sich vorbehalten. Wir haben dem denn auch ohne weiteres zugestimmt.
Ferner wollen wir auch unterstreichen, daß das, was im Gesetz steht, ja nur eine Kannbestimmung ist. Auch hier könnte man sagen: Ja, verdammt nochmal, hätten die Heimatvertriebenen nicht mit Rücksicht auf die Not, die vorhanden ist, das Recht und den Anspruch, hier Mußbestimmungen zu verlangen? Auch darauf haben wir verzichtet. Ich glaube also, der Vorwurf, den man uns immer wieder machen will, wir wären nicht entgegenkommend und wären maßlos in unseren Forderungen, trifft nicht. Denn wir sind wirklich bestrebt, nach Möglichkeiten zu suchen, gemeinsame Wege zu finden.
Nun zu dem Katalog des Freundes Frühwald , dessen Ausführungen ich ansonsten unterstreiche. Ich habe volles Verständnis dafür, daß ein Einheimischer versucht, für seine Leute einzutreten. Aber das sind eben die Meinungsverschiedenheiten, bei denen wir hart aufeinander kommen. Da müssen wir versuchen, einen Weg zu finden, den wir beide gehen können. Wir vertreten unseren Standpunkt genau so hartnäckig wie er den seinen. Ich will dem Kollegen Frühwald gern zugeben, daß er bei den Verhandlungen im Unterausschuß doch derjenige war, der sehr oft dazu beigetragen hat, daß wir zu besseren Kompromissen gekommen sind. Aber er hat den Katalog angeführt und Beispiele erwähnt. Ich möchte hier ausdrücklich erklären: dieser Katalog interessiert uns an und für sich überhaupt nicht. Wenn von
Ihnen von irgendeiner Seite der Antrag kommt, aus Abs. 2 den Katalog, nach dem bei bestimmten Kreisen in erster Linie Land in Anspruch genommen werden kann, zu streichen, so werden meine Freunde und ich zustimmen. Also daran soll das wirklich nicht scheitern.
Ich will auf Einzelheiten gar nicht weiter eingehen; es ist in diesen Tagen schon soviel pro und kontra geredet worden. Ich möchte nur nochmal ernstlich die Bitte aussprechen: es möge wirklich ein jeder einmal für sich versuchen, sich in die Lage zu versetzen, wie er in diesen Fragen denken würde, wenn er selbst sieben Jahre heimatvertriebener Bauer wäre und darauf wartete, daß er sich und seiner Familie zu einer Existenz verhelfen kann!
Wenn einer das versucht und es wirklich ernst meint mit der Zusage, daß er auch selbst helfen will, dann, glaube ich, kann es gar nicht anders sein, als daß er diesen Änderungsantrag ablehnen wird und daß er den § 61 in der Form annehmen wird, wie er vom Ausschuß erarbeitet worden ist.