Rede von
Dr.
Harald
Koch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß den Regierungsparteien bei ihren
eigenen Steuervorlagen nicht sehr wohl ist, daß für diese Steuervorlage der Regierungsparteien ein Mitglied der Regierungspartei dafür spricht — und sehr offensichtlich mit etwas schlechtem Gewissen — und zwei Mitglieder der Regierungsparteien dagegen sprechen, daß Herr Kollege Neuburger von den Unzulänglichkeiten dieser Vorlage spricht, soll uns ein erfreulicher Beweis dafür sein, daß die Regierungsparteien sich angesichts ihrer Steuerpolitik und der Steuerpolitik des Herrn Bundesfinanzministers wenigstens noch schämen können.
Die Vorlage Drucksache Nr. 3838 trägt doch immerhin die volle Überschrift „Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/ DPB", und hier müssen wir erleben, daß mehr Redner der Regierungsparteien gegen die Vorlage sprechen als für die Vorlage. Vielleicht ist es richtiger, wenn Sie das nächste Mal lediglich diejenigen Ihre Vorlagen unterschreiben lassen, die tatsächlich eine derartige Steuerpolitik überhaupt noch billigen können.
Wenn man die Vorlage Drucksache Nr. 3838 in die Hand nimmt, muß man schon denken: „große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus!" Und diese großen Ereignisse, meine Damen und Herren, das ist der Wahlkampf des kommenden Jahres!
Allein diesem Umstand verdanken nämlich sicher diese Vorlage Drucksache Nr. 3838 und die anderen Vorlagen ihr kümmerliches Dasein —,
kümmerlich aus dem Grunde, weil wir in den letzten Monaten und Jahren immer so viel von der großen Steuerreform gehört haben und jetzt als Schlußstein unter einer Steuerpolitik von drei Jahren nichts anderes übrig bleibt als diese Vorlage. Man sollte als Motto darüber schreiben: Der Wahlkampf ist eröffnet!
Meine Damen und Herren! Was enthalten denn nun diese Vorlagen? Sie enthalten zunächst einmal einige alte und abgestandene und zum Teil längst außer Kraft gesetzte Steuervorschriften —Steuervorschriften, vor denen jedem einsichtigen und vernünftigen Finanzbeamten grausen muß; ich denke an § 10 a, ich denke an § 32 b —, Vorschriften, mit denen kaum ein Finanzbeamter fertig werden kann. Es ist ganz besonders interessant, daß in demselben Gesetzentwurf, mit dem Sie die Wiedereinführung des § 10 a vorschlagen, Sie selbst einen weiteren § 50 a vorschlagen, mit dem das Unglück, das durch den alten § 10 a in die Welt gebracht worden ist, durch Pauschalierungen wieder ausgeglichen werden soll.
Ich finde es im übrigen sehr bezeichnend, daß der Vorschlag der Föderalistischen Union ehrlich von einer „Steuerbegünstigung" im Rahmen des § 10 a spricht, während Sie von einer steuerlichen „Sonderbehandlung" sprechen. Herr Kollege Neuburger hat es auch richtig als Begünstigung bezeichnet. Ich glaube, dieses Wortspiel liegt auf derselben Linie wie der Unterschied zwischen Preiserhöhungen und Preisanhebungen.
Was kommt nun noch hinzu? Es kommen jetzt als Vorschläge einige neue unzulängliche und unausgegorene Steuervorschriften die reinen
Wahlkampfcharakter tragen; da sind Mittelstandsanträge, da sind Anträge über die Steuerfreiheit der Erholungsreisen, über Erhöhung der Werbungskosten und ähnliche Anträge.
Aber diese Steuervorlagen, meine Damen und Herren, enthalten auch eine Reihe von sehr guten und brauchbaren Vorschlägen.
— Ja, aber diese Vorschläge, diese Blumen aus dem Steuerbukett, Herr Kollege Wellhausen, stammen aus Nachbars Garten!
Das sind die Steuervorschläge, für die wir vergeblich in den Jahren 1950 bis 1952 gekämpft
haben. Da finden wir den Antrag auf Abschaffung
der Steuertabelle B, von Herrn Wuermeling seinerzeit als ein reiner Agitationsantrag gekennzeichnet.
Wir haben ihn im März 1950 gestellt, wir haben ihn im Juni 1951 gestellt. Sie haben diesen Antrag immer wieder abgelehnt. Jetzt, vier, fünf, sechs, sieben Monate vor dem Wahlkampf, kommen Sie nun mit diesem guten alten SPD-Antrag.
Wir haben immer wieder die Erhöhung der Freibeträge beantragt. Diese Anträge wurden uns immer wieder abgelehnt.
Jetzt kommen S i e damit.
Ein alter SPD-Antrag beschäftigte sich mit den Pauschbeträgen für die freien Berufe. Immer wieder abgelehnt! Jetzt, vor dem Wahlkampf, rafft sich die Regierungskoalition auf und bringt uns unsere alten bekannten Vorschläge.
— „Alles zu seiner Zeit!", dieser Zwischenruf liegt genau auf der Linie dessen, was ich Ihnen zu Anfang gesagt habe.
Herr Kollege Arndgen, als die sozialdemokratische Fraktion vor zwei und drei Jahren diese Anträge stellte, da trugen sie einen ausgesprochen sozialen Charakter.
Als Sie damals diese Anträge ablehnten, da bewiesen Sie damit Ihre Einstellung gegenüber diesen Anträgen, und diese Einstellung entsprach Ihrer Haltung.
Daß Sie nun aber heute diese Anträge stellen, läßt den wahren Charakter der Vorlage sehr deutlich erkennen, nämlich den Charakter, den ich mit dem Motto ausdrückte: Der Wahlkampf ist eröffnet!
Die Vorlage Drucksache Nr. 3830 könnte man auch mit einem Motto versehen, nämlich mit dem, daß der Ruhm der CDU die Föderalistische Union nicht schlafen ließ. Und wenn wir zu dem Antrag Drucksache Nr. 3860, den die Kollegin Kalinke begründete, ebenfalls ein Motto suchen, dann dürfen wir sagen: „Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten?" Denn mit diesem Antrag, meine Damen und Herren, mußten wir uns bisher Jahr für Jahr beschäftigen.
Meine Damen und Herren, seit dem Bestehen des ' Bundestages, also drei Jahre lang, haben wir immer und immer wieder die Regierung und immer und immer wieder die Regierungskoalition aufgefordert, doch endlich eine große Steuerreform vorzulegen und mit dieser großen Steuerreform Klarheit in das Steuersystem, Steuervereinfachung und eine Entlastung für die Verwaltung zu bringen, damit die Steuermoral zu heben und soziale Gerechtigkeit in den Steuergesetzen zu verankern. Immer wieder haben wir unsere Anträge und Vorschläge vorgebracht; immer wieder haben Sie sie abgelehnt. Und was ist das Ergebnis gewesen? Sie haben bis jetzt festgehalten an Ihrer alten 1949 er und 1950 er Konzeption: Herunter mit der Einkommensteuer für die hohen Einkommen, herauf mit der Umsatzsteuer und mit anderen unsozialen indirekten Steuern, wenn das Loch infolge Ihrer Steuergeschenke zu groß wurde, und dazu dann das Herumdoktern an den Gesetzen statt einer grundlegenden Neuordnung, Wenn diese Legislaturperiode vorüber ist, werden Sie vier Jahre lang Zeit gehabt haben für eine grundlegende Steuerreform. Sie haben aber ebenso wie der Bundesfinanzminister in allen diesen vier Jahren auf eine echte Steuerpolitik verzichtet. Das Steuersystem ist immer unübersichtlicher und auch immer ungerechter geworden. Trotzdem haben Sie den vielfachen, den immer wiederholten und immer stärker werdenden Ruf des Volkes, der Wirtschaft und der Verwaltung — Ihrer eigenen Verwaltung! — nach einer grundlegenden Steuerreform überhört. Es gibt heute keinen Verband mehr, keine Wirtschaftsgruppe, keinen Wirtschaftszweig und kein Steuerinstitut, die nicht Vorschläge für eine grundlegende Steuerreform gemacht haben. Aber der Finanzminister sagt uns, in dieser Legislaturperiode könnten wir mit der Steuerreform nicht mehr rechnen.
Nun zu den einzelnen Vorschriften dieser Drucksachen. Den § 10 a haben wir im vergangenen Jahr, wie wir aus dem Munde des Kollegen Neuburger gehört haben, abgeschafft. Jetzt soll er wiedereingeführt werden, obwohl wir immer noch an den Folgen des § 10 a kranken. Wir lesen in diesem § 10 a eine Bestimmung, die uns sehr zu denken gibt; es heißt in § 10 a Ihres Entwurfes:
Als nicht entnommen gilt auch der Teil der Summe der Gewinne, der zur Zahlung der auf das Betriebsvermögen entfallenden Abgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz dient.
Wir werden im Finanzausschuß sehr darauf zu achten haben, daß mit dieser steuergesetzlichen Bestimmung nicht die Lastenausgleichsabgaben oder durch die Lastenausgleichsabgaben nicht etwa noch das steuerliche Aufkommen zusätzlich geschmälert wird. Wenn Sie den Plafond ändern und noch einmal von 80 auf 70% heruntergehen wollen, so kann ich nur sagen, daß das durchaus auf der von Ihnen bisher verfolgten Linie liegt. Es handelt sich um einen erneuten Verzicht auf Steuern bei sehr hohen Einkommen. Aber wir sehen das ein, jetzt, vor dem Wahlkampf; irgendwoher müssen ja die Beträge für die Regierungspropaganda und für die „Waage" kommen.
Nun zu unseren guten alten sozialdemokratischen Anträgen, die in der Regierungsvorlage fröhliche Urständ feiern. Die getrennte Veranlagung von arbeitenden Ehegatten ist immer eine Forderung von uns gewesen. Wir dürfen Sie daran erinnern, daß Sie unsere Forderung seinerzeit damit bekämpft haben, daß Sie uns die Heiligkeit der Ehe entgegengehalten haben. Zu dieser Vorschrift werden wir ja sagen. Wir werden selbstverständlich auch zu unseren alten Anträgen über die Beseitigung der Tabelle B und über die Änderung der Grundtabelle A, also über die Änderung des Tarifs, ja sagen.
Eine Sonderstellung nehmen die §§ 7 a und 7 e in dem Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union Drucksache Nr. 3830 ein. Es handelt sich um Ergänzungen, die auf Grund der Änderungen, die das Vertriebenengesetz gebracht hat, notwendig sind. Wir werden diesen Ergänzungen zustimmen, werden aber dafür sorgen, daß, was offenbar vergessen worden ist, den Geschädigten diejenigen gleichgestellt werden, die aus rassischen oder religiösen oder politischen Gründen in der Nazizeit nachweisbaren Schaden erlitten haben.
— Gut, wir werden dem also zustimmen können.
Es wird Aufgabe des Finanzausschusses sein, und zwar in wahrscheinlich mühseliger Arbeit, die Bestimmungen der Vorlage, die wesentlich nur dem Wahlkampf dienen sollen, von den Bestimmungen, die einen ernst zu nehmenden sachlichen Gehalt haben, zu trennen. Unter diesen Gesichtspunkten werden wir im Finanzausschuß zusammenarbeiten müssen. Wir werden vor allen Dingen die ersten Bestimmungen unter die Lupe zu nehmen haben.
Ich möchte mit einem Wort schließen, welches ich schon anläßlich einer großen Steuerdebatte gesagt habe, daß an dieser Steuerpolitik, also an den Steuertabellen insbesondere, die deutsche Bevölkerung wird ablesen können, was sie von den sozialen Erklärungen der Regierungsparteien zu halten hat.