Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß der Herr Bundesfinanzminister es für wert hält, während der Debatte des Nachtrages noch zu erscheinen, wenn er das Haus verlassen haben sollte. Ich glaube nicht, daß es üblich ist,- daß nur der Herr Staatssekretär dasitzt. Ich bedaure, diese Einleitung machen zu müssen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister hat gestern den Nachtrag zum Bundeshaushalt 1952/53 mit einer, man muß es leider sagen, recht mageren Begründung dem Hause vorgelegt. Unsere Haushaltsberatungen entbehren an sich schon der in anderen Ländern üblichen dramatischen Spannung. Herr Schäffer hat noch ein übriges getan, um die Haushaltsberatungen in diesem Hause abzuwerten. Was er an Zahlen genannt hat, diente ausschließlich dem Zweck, die Starrheit von rund 80% der Ausgaben zu unterstreichen — eine These, die noch sehr genau im Lichte der einzelnen Haushaltspositionen untersucht werden müßte —, und seine Bemerkungen über die Entwicklung der Bundeseinnahmen verrieten einen Zweckpessimismus, dessen Hintergründe man sehr leicht erraten kann.
Besonders interessant fanden wir Sozialdemokraten die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers, daß mit der Einbringung des Nachtrags nun die volle Verantwortung auf das Parlament übergehe. Das ist an sich eine Binsenwahrheit, die aber von dem Herrn Bundesfinanzminister offenbar ausgesprochen worden ist, weil er damit einen Appell an das Verantwortungsbewußtsein des Hohen Hauses richten wollte. Nun, ich darf wohl annehmen, daß dieser Appell an die Einsicht des Parlaments in erster Linie an die Regierungskoalition gerichtet war, die im Hinblick auf den kommenden Wahlkampf nicht müde wird, Anträge von erheblicher finanzieller Tragweite zu stellen.
— Ja, Herr Kollege Bausch, es ist ein kleiner Unterschied, ob die Opposition bestimmte Anliegen aufnimmt oder ob die Regierungskoalition, die sich verpflichtet fühlt — —
— Sie reden gelegentlich davon, daß wir weniger Verantwortung haben als Sie. Aber wenn Sie diese Verantwortung schon haben - Herr Kollege Bausch, ich rede nicht von Ihnen individuell, das ist nicht meine Sache, sondern von der Koalition -, dann
haben Sie auch die Aufgabe, Ihrem Herrn Bundesfinanzminister in die Seite zu treten.
— In die Seite! Ich meine das so, wie Sie es verstehen, Herr Bausch. Der Herr Bundesfinanzminister hätte eigentlich die Verpflichtung — man hat es allerdings bisher von ihm nicht gehört —, in der Öffentlichkeit ein offenes Wort an seine eigenen Freunde zu richten, und zwar unter Nennung der genauen Adresse. Das würde vielleicht mehr zur Klärung der Situation beitragen als dunkle Andeutungen von der vollen Verantwortung, die jetzt auf das Parlament übergehe. Aber vielleicht holt der Herr Bundesfinanzminister diesen Appell an seine Freunde noch nach; wir wären ihm dankbar.
Nun haben wir gestern vom Herrn Bundesfinanzminister bei einer anderen Gelegenheit, nämlich bei der Beratung der Anträge und Vorlagen über die Beamtenbesoldung, ganz im Vorbeigehen, erfahren, daß die Finanz- und Steuerreform, von der so lange und so viel geredet worden ist, noch im weiten Felde sei. Der Herr Bundesfinanzminister hat nämlich die Frage der Besoldungsreform in einen nach meiner Auffassung zu Recht bestehenden Zusammenhang mit der Finanz- und Steuerreform gebracht und gesagt, die Besoldungsreform sei ein so kompliziertes Werk, daß darüber noch viel Zeit vergehen werde. Ergo: auch die Finanz- und Steuerreform wird noch sehr, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.
Das ist zwar keine absolute Neuigkeit; denn darüber ist schon seit einiger Zeit gemunkelt worden, daß man nicht daran gehen will, noch in diesem Parlament dieses dornenvolle Werk in Angriff zu nehmen. Ich muß sagen: wir bedauern das in mehr als einer Hinsicht, weil wir nämlich befürchten, daß damit ein Fragenkomplex weiter im Dunkel bleibt, dessen Aufhellung für die Urteilsbildung der Wähler im kommenden Jahr von außerordentlicher Bedeutung gewesen wäre.
Man hätte dann nämlich Farbe bekennen müssen, und das Farbe-Bekennen wäre manchen Leuten, auf deren Mithilfe bei der kommenden Bundestagswahl die Regierungskoalition Wert legt — ich meine Mithilfe nicht im Sinne von Reden, sondern im Sinne von konkreten Leistungen —, sehr auf die Nerven gegangen.
Man kann also durchaus verstehen, daß man dieses unangenehme Geschäft auf einen späteren Zeitpunkt vertagt, und die Frage ist erlaubt, ob das Tempo der Arbeit an dem großen Werk der Finanz- und Steuerreform nicht vielleicht doch durch politische oder gar wahlpolitische Überlegungen bestimmt worden ist.
Bei dieser Gelegenheit übrigens eine Frage. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern mit großer Genugtuung von der kommenden Bundesanleihe über eine halbe Milliarde DM gesprochen. Ich möchte die Erfolgsmöglichkeit dieser Anleihe nicht im geringsten beeinträchtigen. Ich bin überzeugt, daß zur Deckung der Bedürfnisse des außerordentlichen Haushalts ein erheblicher Zuschuß vom Kapitalmarkt her notwendig sein wird. Aber es ist auch aus den Bedingungen, die genannt worden sind, klar geworden, daß sie für die Geldinstitute, die so bereitwillig waren, den größeren Teil der Anleihe zu übernehmen, ein recht ordentliches Geschäft ist.
In diesem Zusammenhang aber darf ich doch die Frage stellen: Was wird nun eigentlich aus der 200-Millionen-Anleihe, die bei den Beratungen über den Lastenausgleich als eine der Möglichkeiten für die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs in Aussicht gestellt worden ist? Das, was im „Bulletin" der Bundesregierung vom 26. November über den Inhalt eines geplanten „Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Vorfinanzierung des Lastenausgleichs" — ein langer Titel, wie ich zugeben muß; er ist nicht von mir — mitgeteilt worden ist, kann man kaum als eine Erfüllung dieses Versprechens ansehen. Denn die Bedingungen für die Maßnahmen, die da mitgeteilt worden sind, dürften für die potentiellen Darlehensgeber kaum einen großen Anreiz darstellen. Aber über diese Frage wird j a noch an anderer Stelle zu reden sein, und ich denke, daß auch einige Herren aus den Kreisen der Regierungskoalition über diese Dinge ihre eigenen Gedanken haben. Hoffentlich sprechen sie sie recht nachdrücklich aus, so nachdrücklich, wie Herr Dr. Kather es in der Presse getan hat.
Und nun einige Bemerkungen zum Nachtrag selber. Zu Beginn muß ich leider wieder die Beschwerde vorbringen, die nicht zum ersten Male in diesem Hause ertönt, daß der Nachtrag dem Hause mit beträchtlicher Verspätung vorgelegt worden ist. Die Schuld daran liegt nicht beim Parlament. Die entscheidende Einnahmeposition des Nachtrags, nämlich der höhere Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, war längst ausgehandelt. Dagegen haben offenbar die Verhandlungen über den Etatausgleich im Schoße der Regierung über Gebühr lange gedauert, und man kann noch nicht einmal sagen, daß jetzt die Unterlagen vollständig seien; denn am Dienstagnachmittag i) wurde im Hause ein ganzer Berg Organisations-und Stellenpläne abgeliefert, und zwar zu einer Zeit, zu der sie nicht mehr verteilt werden konnten, und die Frage erhebt sich: Wer soll eigentlich solch umfangreiches Paket, dessen Kenntnis doch zum Verständnis des Haushalts notwendig ist, durcharbeiten oder durchsehen? Man kann weiter fragen: War es nicht möglich, diese Unterlagen früher zu liefern? Haben sie dem Bundesrat bei seiner Beratung nicht vorgelegen? Ich kann es mir kaum vorstellen. Wann sind sie fertiggestellt worden? Ich habe mir sagen lassen, daß sie schon monatelang im Bundesfinanzministerium fertig sind. Um so erstaunlicher ist es, daß man dieses Paket dem Hause oder vielmehr den Mitgliedern des Hauses, die mit diesen Fragen beschäftigt sind, erst im letzten Augenblick zustellt.
Man kann nur die Hoffnung aussprechen, daß es mit dem Haushaltsplan 1953/54 nicht ebenso geht. Auch wenn jetzt angekündigt wird, daß er demnächst vom Kabinett verabschiedet werde, zwingt die Erfahrung zu einiger Skepsis. Hoffen wir, daß diese Skepsis widerlegt wird!
Der Nachtrag bringt — das weiß nur derjenige, der ihn durchgearbeitet hat; und ich habe leider neben den Mitgliedern des Haushaltsausschusses die unangenehme Verpflichtung, das zu tun, und zwar schon von vornherein — beträchtliche neue Personalanforderungen, nämlich — nach der Zusammenstellung des Bundesfinanzministeriums — insgesamt annähernd 5900 neue Forderungen für Planstellen, für TOA-Stellen, für Arbeiterstellen. Die Erhöhung des Personalbestands ist nicht ohne
weiteres in allen Fällen selbstverständlich. Sie wird in den Ausschußberatungen einer scharfen Durchleuchtung bedürfen. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir sind nicht unter allen Umständen gegen die Vermehrung von Planstellen oder Stellen für Angestellte und Arbeiter. Dort, wo echte neue Aufgaben oder eine Vermehrung der Aufgaben vorliegen und wo dafür die gesetzlichen Grundlagen bestehen, werden wir keine Schwierigkeiten machen. Aber nicht für alle neu geforderten Stellen gib t es gesetzliche Grundlagen, und nicht in jedem Fall können wir die Ausweitung des Personalbestands und die Begründung dazu akzeptieren, daß die Aufgaben sich erweitert hätten.
Ich will zwei Fälle herausgreifen, ohne damit das Thema zu erschöpfen. Da ist das Amt Blank. Es fordert 123 neue Stellen, davon 45 planmäßige und 8 außerplanmäßige Beamtenstellen sowie 61 Angestelltenstellen. Ich frage — und meine Fraktion fragt mit mir —: Wo ist die Grundlage für diese Ausdehnung?
Das Amt Blank unterliegt geradezu einem Wucherungsprozeß. Wenn man uns in diesen Tagen öffentlich versichert hat, daß es nicht richtig sei, daß die Sonderabteilung beim Bundesfinanzministerium in Bad Homburg auf das Amt Blank übergegangen sei, daß dagegen das Amt Blank einen Teil der bisherigen Aufgaben dieser Stelle übernommen habe, nämlich die Beschaffungsaufgaben, dann steht das im direkten Widerspruch zu dem, was uns im Haushaltsausschuß auf die direkte Frage gesagt worden ist, daß nämlich ein erheblicher Teil des Personals und der Aufgaben der Sonderabteilung in Bad Homburg zum Amt Blank übergewechselt sei.
Man sollte doch Mitteilungen etwas genauer auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen, ehe man sie der Öffentlichkeit übergibt, oder man sollte dann doch wenigstens den Ausschüssen des Parlaments die volle Wahrheit sagen.
Ich sagte, das Amt Blank unterliege geradezu einem Wucherungsprozeß. Man kann eher von einer Aufgabenüberschreitung ohne jede gesetzliche Grundlage sprechen. Daß dabei eine echte parlamentarische Kontrolle fehlt, ist keineswegs der kleinste Mangel. Herr Blank hält immer wieder öffentliche Reden über die Tätigkeit und die Absichten seiner Dienststelle und verbreitet damit in weiten Kreisen der Bevölkerung Unruhe; aber dem Parlament hat er sich dank der fein ausgeklügelten Zweideutigkeit seiner Stellung als Abgeordneter und quasi-Verteidigungskommissar bisher noch nie gestellt.
Ich glaube, hier ist es notwendig, daß das Parlament selber sich das Recht der Kontrolle über eine solche doch immerhin mit einer Aufgabe und Verantwortung von hohem Grad und von hoher Gefährlichkeit belastete Stelle rechtzeitig sichert.
Und nur nebenbei, meine Damen und Herren: auch die Personalerweiterungen bei einzelnen Ressorts sind beunruhigend, und man kann nur hoffen, daß der Ausbau der Bundesverwaltung jetzt allmählich abgeschlossen wird. Wir werden, wie gesagt, auf alle diese Fragen im Ausschuß zurückkommen. Daß es auch andersherum geht, zeigen einige Positionen im Bereich des Verkehrsministeriums, womit ich keineswegs das Ministerium selbst meine. Bei einigen Verwaltungen, die dem Verkehrsministerium unterstehen, hat der Bundesrech-
nungshof geprüft, und diese Prüfung hat eine recht heilsame Wirkung gehabt. In einem Fall bei einer dem Verkehrsministerium unterstehenden Dienststelle war es möglich, den Personalbestand von 170 auf 101 Stellen herabzudrücken,
immerhin eine beachtliche Leistung. Es zeigt sich also, daß man bei sorgsamer Prüfung auf diesem Gebiet doch einiges erreichen kann, obwohl ich mich niemals der Illusion hingegeben habe, daß allein durch die Reduzierung des Personalbestands oder durch das, was man die Sparsamkeit in der Verwaltung nennt, wesentliche Gewichtsverschiebungen innerhalb der öffentlichen Haushalte erreicht werden können.
Ich möchte nicht etwa durch diese Äußerung eine solche Illusion nähren. Das weiß jeder, der mit den Dingen zu tun hat.
Ein besonderer Fall, der auch noch genauer untersucht werden muß, ist das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Ich sage das nicht, weil uns etwa dieses Presse- und Informationsamt besonders im Magen läge. Es ist aber nicht nur in den Reihen der Opposition, sondern auch bei vielen nüchtern überlegenden Mitgliedern des Hauses — insbesondere in den Reihen des Haushaltsausschusses — immer wieder die Frage gestellt worden, ob der Umfang, den dieses Presse- und Informationsamt der Bundesregierung angenommen hat, in der Sache gerechtfertigt sei. Das Presse- und Informationsamt fordert 16 neue Stellen für Beamte und 52 für Angestellte.
Ich darf in diesem Zusammenhang gleich daran erinnern, daß einer von den, ich weiß nicht, wievielen verflossenen Chefs des Amtes, Herr von Twardowski, mehrfach, und zwar öffentlich und in Gesprächen mit verantwortlichen Leuten, die Auffassung vertrat, daß die Aufgaben des Presse- und Informationsamts beschränkt werden müßten. Man kann nur feststellen, daß offensichtlich das Gegenteil der Fall ist.
Die Aufgabenstellung des Amtes ist nach unserer Meinung einfach falsch. Es sollte weder eine Nachrichtenagentur ersetzen, noch sollte es ein Propagandaministerium sein.
Aber offensichtlich versucht es, beides zugleich zu sein, und der Erfolg ist zunächst nicht eine bessere Information der Öffentlichkeit, sondern eine Aufblähung des Personalbestands.
In diesem Zusammenhang gleich noch eine Bemerkung zum Haushaltsplan des Bundeskanzleramts, nämlich zum Kap. 2 Tit. 31. Das ist auch das Bundespresse- und Informationsamt. Unter der Zweckbestimmung „für Förderung des Informationswesens" werden, wie hier steht, zur Verfügung des Bundeskanzlers im Nachtrag neue Mittel, und zwar 453 600 DM angefordert, so daß der Gesamttitel auf 31/2 Millionen DM anwächst. Die Prüfung der Verwendung dieser Mittel und die Entlastung erfolgt nur durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Es ist nicht der einzige Titel dieser Art und auch nicht der einzige im Bereich des Bundeskanzleramts. Wir wissen natürlich auch, daß solche Fonds nicht immer vermeidbar sind. Aber in diesem Falle liegt der Verdacht sehr nahe, daß es sich um einen echten Korruptionsfonds handelt. Ich darf bemerken, daß auch der Präsident des Bundesrechnungshofs gelegentlich sehr nachdrücklich Bedenken gegenüber der Verantwortung geäußert hat, die ihm mit der Inanspruchnahme des § 89 der Reichshaushaltsordnung in solchen Fällen aufgebürdet wird. Es wird ernsthaft zu überlegen sein, ob solche Fonds nicht stärker unter parlamentarische Kontrolle gebracht werden können.
Damit komme ich zu einem andern Punkt, der den Haushaltsplan des Bundeskanzleramts betrifft. Im außerordentlichen Haushalt des Einzelplans IV ist der Betrag von 4,4 Millionen DM für den Bau einer neuen Bundeskanzlei angefordert.
Die Frage ist erlaubt, ob es gerade jetzt notwendig ist, im Nachtrag, und dazu noch im außerordentlichen Haushalt, eine solche Summe für einen solchen Zweck sozusagen durch den Türspalt einzuschmuggeln. Wir sind gegen den Versuch, öffentliche Bauten dieser Art über das Extraordinarium zu finanzieren. Die ganze Sache kann bestimmt bis zum Haushalt 1953/54 warten.
Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, die dringlicher sind als der Bau eines neuen Bundeskanzleramts.
In anderen Fällen — das möchte ich hinzufügen — hat sich der Herr Bundesfinanzminister — und an den richtet sich j a diese Frage — nicht so großzügig gezeigt. Ich erinnere nur an den mehr als frostigen Empfang, den Herr Minister Schäffer vor kurzem den Vertretern der Kriegsopferverbände bereitet hat.
Dabei beschränkte er sich darauf, zu den Forderungen der Kriegsopfer und -hinterbliebenen mehrmals hintereinander nein zu sagen und sich dann zu empfehlen, weil er noch mit einer Vertretung der Steuerzahler zu verhandeln habe. Von Verhandeln kann man in diesem Falle wohl kaum sprechen, eher schon von einem sanften Rausschmiß der Vertreter der Kriegsopferverbände,
und das gegenüber einer Schicht der Bevölkerung, die schließlich berechtigte Wünsche vorzutragen hat, berechtigte Wünsche, die nicht nur von der Opposition geltend gemacht worden sind, sondern auch in Teilen der Regierungskoalition anerkannt werden. Ich will hier der Überzeugung meiner Fraktion Ausdruck geben, daß es bei gutem Willen durchaus möglich wäre, im Rahmen des Bundeshaushalts eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung zu erreichen. Wir werden uns jedenfalls mit allen Kräften für die Forderungen der Kriegsopferverbände einsetzen.
— Ich will noch in einem Punkt meiner Rede den Nachweis erbringen, daß sogar Regierungsvertreter der Meinung sind, es gäbe noch Möglichkeiten, Herr Bausch.
— Da sind wir j a wieder einmal einer Meinung, was nicht oft vorkommt.
Herr Minister Schäffer hat gestern sehr nachdrücklich auf die geringe Manovriermasse im Bundeshaushalt hingewiesen, die sich aus der Erstattung von mehr als 800/o der Ausgaben ergäbe. Im großen — aber nur im großen — mag man diese
These hinnehmen, wobei noch darauf hingewiesen werden muß, daß das dauernde Operieren mit den 40,2% Sozialleistungen politisch-psychologisch — von der sachlichen Seite ganz abgesehen — ein großer Fehler ist.
Warum trennt man nicht endlich ganz klar die
Kriegsfolgelasten von den übrigen Sozialleistungen,
um damit unserem Volke klarzumachen, was ein verlorener Krieg kostet,
wie hoch der Preis für das Abenteuer gewesen ist? Warum nimmt man das immer in diesen großen schwarzen Block „Sozialleistungen"? Schließlich läßt sich auch auf diesem Gebiet mit der nüchternen und bitteren Wahrheit mehr erreichen als mit einer etwas anonymen Masse von Kosten, hinter denen jeder alles suchen kann. Auch sonst ließe sich zu dieser allzusehr auf Vereinfachung ausgehenden Schematisierung in der Aufgliederung der Haushaltseinnahmen und -ausgaben noch manches sagen. Wir behalten uns das für spätere Gelegenheiten vor.
Betrachtet man den Nachtragshaushalt im einzelnen, so kann man die These des Herrn Bundesfinanzministers von der Starrheit und geringen Manövrierfähigkeit im Bundeshaushalt keineswegs in vollem Umfang akzeptieren. Ich bin weit davon entfernt, jede Stellungnahme des Bundesrats zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung als Evangelium zu betrachten. Dazu wissen wir alle zu gut, welche regionalen und anderen Gesichtspunkte den Bundesrat bei seinen Stellungnahmen manchmal beeinflussen. Was aber der Bundesrat zu dem Nachtragshaushalt in der Ziffer 2 seiner „Allgemeinen Bemerkungen" gegenüber der Bundesregierung anführt, möchte ich beinahe im vollen Umfang akzeptieren. Damit das Haus die Einwände des Bundesrats schon in diesem Stadium der Beratungen kennenlernt und sie auch für die Beratungen im Haushaltsausschuß zu Protokoll gehen, darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze wörtlich zitieren. Es heißt da:
Bei der Aufstellung des Haushalts 1953 sollte eine Reihe haushaltsrechtlicher Grundsätze wieder Beachtung finden, die bei den bisherigen Bundeshaushalten auf Grund des Überrollungs- und Wiederholungsprinzips nicht genügend berücksichtigt sind.
Das ist durchaus in Ordnung. Es geht aber dann weiter:
Bei den Zweckausgaben sollten grundsätzlich nur Ausgaben veranschlagt werden, die dem Grund und der Höhe nach mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Der Nachtragshaushalt 1952 enthält eine Reihe von Ausgabenansätzen, die gesetzliche Vorschriften voraussetzen, mit denen in diesem Rechnungsjahr nicht mehr zu rechnen ist ...
Ich werde noch darauf zu sprechen kommen.
Auch wenn solche Ansätze teilweise gesperrt werden, wird hierdurch der Haushalt aufgebläht, so daß der Finanzbedarf des Bundes höher erscheint, als er tatsächlich ist.
Ich will nicht im einzelnen auf die weiteren Ausführungen des Bundesrats eingehen, erkläre aber, daß wir diese Beurteilung einzelner, nicht unwesentlicher Positionen des Nachtrags im Prinzip durchaus unterstreichen. Was hier gesagt wird, ist — ich wiederhole es — im Kern richtig. Ich will ein krasses Beispiel nehmen, um zu illustrieren, was gemeint ist. Im Einzelplan XI — Bundesministerium für Arbeit -- finden Sie in Kap. 1 c den Tit. 31 — Flüchtlingsrenten —, bei dem 175 Millionen DM Nachtragsforderungen veranschlagt sind. Diese Position wird in der Erläuterung mit § 15 eines „Gesetzes über Fremdrenten der Sozialversicherung usw." — auch ein langer Titel — begründet, einem Gesetz, das noch gar nicht da ist. Die Erläuterung sagt ferner: da das Gesetz voraussichtlich erst am 1. September 1952 in Kraft trete, vermindere sich der Mehrbedarf für das Rechnungsjahr 1952 auf 175 Millionen DM statt 300 Millionen DM, wie man im ganzen veranschlagen wollte. Nun schreiben wir heute nicht den 1. September 1952, sondern bereits den 27. November 1952, und nicht nur ist in diesem Hause von diesem Gesetzentwurf bisher keine Spur zu entdecken gewesen, sondern er hat noch nicht einmal das Licht des Kabinetts erblickt;
das Gesetz ist auch nicht einmal über die Referentenentwürfe hinaus gediehen.
Das zuständige Bundesministerium ist der Meinung, daß mit dem Gesetz nicht vor dem 31. März 1953 gerechnet werden könnte. Man fragt sich also, was in Gottes Namen diese 175 Millionen DM in dem Nachtrag tun,
wenn sie nicht einfach dazu dienen sollen, den Ausgabenbedarf des Bundeshaushalts größer erscheinen zu lassen.
Das nenne ich eine stille Reserve; sie ist sogar so „still", daß sie schon beinahe schreit. Es sind -bloß! — 175 Millionen DM.
Ich weise ferner darauf hin, daß in einem Einzelplan ganze Kapitel im Hinblick auf noch zu erlassende Gesetze, also auf Gesetze, von denen niemand weiß, wann sie das Parlament passieren werden, veranschlagt sind. Diese Kapitel sind zwar gesperrt, d. h. es werden keine Ausgaben geleistet, aber sie tragen dazu bei, das Gesamtvolumen des Haushaltsplans zu erhöhen und in einem Umfang erscheinen zu lassen, den er tatsächlich nicht hat.
Daß das auch auf anderen Gebieten der Fall ist, hat ein hoher Beamter des Bundesfinanzministeriums kürzlich in einem Ausschuß des Bundestages offen zugegeben. Er hat mit einigen Vorbehalten davon gesprochen, daß der Titel Kriegsopferversorgung in den Ausgaben vermutlich um 300 Millionen DM hinter den Soll-Sätzen zurückbleibe.
Das gilt für den Haushalt des nächsten Jahres 1953/54. Aber schon für dieses Jahr ergebe sich — nach dieser Quelle — beim gleichen Titel eine Einsparung von nahezu 68 Millionen DM.
Nun bin ich zwar der Auffassung, daß man vom haushaltspolitischen Gesichtspunkt aus den Grundsatz der Gesamtdeckung nicht allzuoft durch die Zweckbindung von Haushaltsmitteln durchbrechen soll. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die man im ganzen für richtig halten muß. Man soll nicht allzu
viele Positionen im Etat an bestimmte Verwendungszwecke binden. Aber das entgegengesetzte Extrem ist in einer Lage wie der unsrigen, wo die sozialen Probleme uns so auf den Nägeln brennen, ebenfalls unmöglich. Es würde den Herrn Bundesfinanzminister zum absoluten Diktator und die Haushaltsberatungen des Parlaments zur Farce machen. Denn wir hätten dann praktisch keinerlei Möglichkeit mehr, innerhalb der Manövriermasse, die dem Herrn Bundesfinanzminister zur Verfügung steht, überhaupt noch Änderungen vorzunehmen.
Alles in allem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Zweckpessimismus, den der Herr Bundesfinanzminister gestern mit Bezug auf die Einnahmenseite des Haushalts zur Schau getragen hat, der Ausgabenseite gegenüber noch stärker ist. Da geht er nämlich in einer Weise nach oben, die durch die Sache kaum gerechtfertigt ist. Die Ausgabenseite wird künstlich aufgebläht, um unbequemen Wünschen vorzubeugen. Damit wird ein anderes Gebot der Haushaltsgestaltung zu einer recht fragwürdigen Sache, nämlich die Haushaltswahrheit, ohne die ein Haushaltsplan ein reines Stück Papier wäre. Ich glaube, wir sollten auch in den Ausschußberatungen darauf achten, daß die Ansätze dieses Nachtrags in einigem wenigstens der Wahrheit so angenähert werden, daß man klipp und klar sieht, wo man steht.
— Ich bin überzeugt, Herr Kollege Wuermeling, daß der Pessimismus bei der Politik eines Finanzministers ein so nützliches Instrument ist, daß auch Herr Schäffer sich dieses Instruments nicht ohne 1 zwingende Not begeben wird.
— Das kann man nach dieser oder nach jener Richtung anwenden, immer wie es gerade trifft.
Ich fühle mich verpflichtet, in diesem Zusammenhang noch eine Frage aufzuwerfen, die den Einzelplan VI des Bundesministeriums des Innern betrifft. In Kap. 9 Tit. 31 sind für Zwecke des Verfassungsschutzes 3 Millionen DM veranschlagt. Wohlgemerkt, das Kapitel trägt die Überschrift „Bundesamt für Verfassungsschutz", also eine klar umschriebene Zweckbestimmung und Zweckbegrenzung. Sonst hätte es ja keinen Sinn, ein solches Kapitel einzurichten. Diese 3 Millionen DM sind einer jener Fonds, die nur der Prüfung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs unterliegen. In diesem Fall haben wir sogar einiges Verständnis dafür, daß das Amt für Verfassungsschutz über gewisse Mittel verfügt. Aber kein Verständnis haben wir dafür, daß das Bundesinnenministerium dem Amt für Verfassungsschutz nur ein Drittel dieses Betrages zur Bewirtschaftung übergibt und die restlichen 2 Millionen DM selbst bewirtschaftet.
Eine solche Praxis halten wir für unzulässig, weil sie im Widerspruch zur Zweckbestimmung des Ansatzes steht und eine Summe, die an sich schon weitgehend der Kontrolle des Parlaments entzogen ist, noch weiterhin in dunkle Kanäle leitet.
Ich muß mich nun einem Gebiet zuwenden, das mit dem vorliegenden Nachtragsentwurf mittelbar
zusammenhängt, nämlich der sozialen Situation in der Bundesrepublik. Gerade im Hinblick auf die künftigen Belastungen des Bundeshaushalts, die uns bis jetzt nur in großen Größenordnungen bekannt sind und deren Deckung noch nicht gefunden ist — wie ich dieser Tage zufällig in einem Dokument aus dem Bundesfinanzministerium gelesen habe —, wird immer wieder auf den Sozialhaushalt und seine Leistungen verwiesen, die zusammen mit dem Wehr-, Verteidigungs- oder Besatzungskostenhaushalt, oder wie immer man das Kind nennen mag, die Bewegungsfähigkeit des Bundesfinanzministers einengten.
In diesem Zusammenhang wird sehr oft mit vielen statistischen Zahlen operiert, die beweisen sollen, wie herrlich weit wir es durch die Politik der Bundesregierung gebracht haben. Auch gestern, bei der Beratung der Beamtenbesoldungsvorlagen, ist dieses Spiel hier getrieben worden. Es ging so weit, daß man Bruttolöhne der Arbeiter, Beamtengehälter und Sozialrenten durcheinanderwirbelte, so daß man schließlich beinahe den Eindruck gewinnen mußte, die große Masse der Rentenempfänger hätte eigentlich allen Grund, zufrieden zu sein.
— Ich habe das nicht so deutlich gehört, Herr Kollege, wie Sie das heute wahrhaben möchten!
— Jedenfalls war der Eindruck gestern mindestens verschwommen.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister gestern einen ausgezeichneten Satz geprägt, den wir uns bei der Betrachtung von Statistiken, die in diesem Hause und auch sonst vorgetragen werden, sehr merken sollten: man sollo nämlich Gleiches nur mit Gleichem vergleichen. Diesem Grundsatz möchte ich durchaus beipflichten. Man sollte z. B. niemals die Einkommen des Jahres 1952 mit denen des Jahres 1948 oder gar des Jahres 1936 vergleichen, ohne zugleich eine Umrechnung der Preise von 1952 auf die Preise des Vergleichsjahres vorzunehmen.
— Herr Kollege Wuermeling, ich habe Flugblätter gelesen, die Ihren Namen trugen. Da waren die Vergleichszahlen aber sehr, sehr durcheinandergemischt.
— Na also, wir werden ja noch darüber reden.
Wenn man die Preisvergleiche auf der Basis der Umrechnung vornimmt, erhält man zwar ein korrekteres Bild von der Lebenshaltung der breiten Masse unserer Bevölkerung; aber das Bild ist dann für die optimistische Propaganda der Regierung und ihrer Parteien nicht mehr so geeignet. Das mag ein Nachteil sein, aber sicher kein Nachteil für die Wahrheit.
Ich möchte an einigen Beispielen dartun, wie ein nüchterner Vergleich aussehen könnte. Man kann z. B. die Frage aufwerfen: Was braucht jemand, der im Jahre 1936 ein bestimmtes Monatseinkommen hatte, im Jahre 1952 in der Bundesrepublik, um die gleiche Lebenshaltung zu erreichen?
Das ist eine Frage, die durchaus berechtigt ist; denn
sie berührt einen großen Teil unserer Bevölkerung.
Und die Antwort: Man wird, wenn man im Jahre 1936 ein Monatseinkommen von 120 RM hatte, heute 200 DM brauchen. Man wird bei 180 RM im Jahre 1936 heute 300 DM brauchen, und das geht so fort. Bei 320 RM wird man heute mit 600 DM nur etwa dasselbe bekommen können, was man im Jahre 1936 bekommen hat. Ich will die Vergleiche auf diesem Gebiet nicht fortsetzen, sie bestätigen immer das Bild.
Ein Vergleich der Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik mit denen anderer Länder ist ebenfalls sehr nützlich, weil man dabei sieht, wie groß der Unterschied ist oder wie nahe wir bereits dem Ziele sind, das andere Länder erreicht haben. Sie erinnern sich alle, daß in diesem Hause gelegentlich die „schrecklichen" Zustände unter den verschiedenen Labourregierungen in England als Gespenst vor die Abgeordneten und vor die Öffentlichkeit hingestellt worden sind. Nun, wenn man einen Vergleich der Preisverhältnisse der Bundesrepublik mit denen Großbritanniens anstellt, bekommt man ein etwas anderes Bild. Man kann z. B. fragen: Wie lange muß jemand in Deutschland und in England arbeiten, um eine bestimmte Menge eines bestimmten Gegenstandes des täglichen Bedarfs zu erhalten? Das Ergebnis sieht dann so aus: Für 1 Kilo Brot arbeitet man in England 13 Minuten, in der Bundesrepublik 25 Minuten,
für 1 Kilo Kartoffeln in der Bundesrepublik 6 Minuten, in England 7 Minuten — hier liegt das Verhältnis zuungunsten Englands —, für 1 Kilo Rindfleisch in der Bundesrepublik 150 Minuten, in England 74 Minuten.
— Ich weiß es nicht.
— Ja, Herr Schröder! Sie sind Nationalökonom und werden ja wohl in der Lage sein, alle diese Statistiken auf den Kopf zu stellen und genau das Gegenteil zu beweisen.
Aber eines muß ich Ihnen sagen: jedenfalls hat die Politik der Arbeiterregierung in England erreicht, daß dort auch diejenigen das bekommen können, was sie zum Leben notwendig haben, die über kleine Einkommen verfügen, während bei uns das Geld der einzige Bezugschein geworden ist.
— Herr Kollege Dresbach! Ich glaube, Sie sind nicht der letzte, und ich traue es Ihnen auch nicht zu, daß Sie diese olle Kamelle wieder aufwärmen, daß die Sozialdemokraten wieder die Bezugscheine haben wollen.
Es wäre etwas besser gewesen, wir hätten auf
einigen Gebieten seit 1948 weniger Mut und Tollkühnheit besessen, und manche Leute wären nicht
so schnell wieder zu dem Glauben erwacht, daß die Vergangenheit gar nicht gewesen sei.
Wir kommen auf diese Frage der politischen Psychologie, die eng mit der Wirtschaftspolitik und mit der Gesamtpolitik zusammenhängt, noch zu sprechen. Ich fürchte, wir werden da noch eine bittere Zeche zu bezahlen haben.
Ich möchte bei all diesen Vergleichen immer nur hinzufügen, daß sie selbstverständlich nur das Durchschnittseinkommen erfassen und daß die große Masse der Einkommen keineswegs den Durchschnitt erreicht.
Gestern ist hier im Hause davon gesprochen worden, daß man bei den Sozialleistungen das Notwendige rechtzeitig tun solle. In der Praxis handelt man allerdings meistens umgekehrt: Es wird zuwenig immer zu spät getan!
Nun zu einem Kapitel, das ebenfalls nicht uninteressant ist, nämlich zur Frage der Verwendung öffentlicher Mittel für die Propaganda der Regierungsparteien. Daß die Regierung ihre Trommel schlägt, nehmen wir ihr nicht übel.
Daß die Regierungsparteien das ihre tun — mit ihren Mitteln, meine ich —, das haben wir nicht zu beanstanden. Jeder wirbt für seine Sache, so gut oder so schlecht er kann. Aber was wir zu beanstanden haben, ist, daß die Regierung ihre Dienste den Koalitionsparteien zur Verfügung stellt und ihre Behörden anweist, dasselbe zu tun.
Das ist weder selbstverständlich noch tragbar. Denn es schafft einen Grad von Ungleichheit der einzelnen politischen Gruppen gegenüber dem Staat, der ja alle repräsentiert, daß wir das nicht ungerügt hinnehmen können.
Für den Fall, daß diese Bemerkung dem Hohen Hause etwas dunkel erscheint — Herr Kollege Pelster, ich komme gleich darauf —, will ich sie durch Zitate aufhellen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einem Brief mit dem Betreff „Leistungen der Bundesregierung". Ich kann Ihnen auch die Aktenzeichen nennen, wenn Sie durchaus scharf darauf sind. In diesem Brief heißt es, wie gesagt, unter dem Betreff: Leistungen der Bundesregierung:
Der Herr Bundeskanzler wünscht eine Aufzeichnung, die unter Beschränkung auf das
Wesentliche eine anschauliche übersichtliche
Zusammenstellung der Leistungen der Bundesregierung in den jetzt verflossenen drei Jahren
ihres Wirkens gibt.
— So weit, so schön! Dann geht es weiter:
Die Berichte der Ressorts sollen nach Weisung des Herrn Bundeskanzlers im Januar und April 1953 ergänzt werden. Zur Vermeidung von Mißverständnissen weise ich darauf hin, daß es sich hierbei nicht um den in einem früheren Schreiben erwähnten Tätigkeitsbericht der Bundesregierung handelt,
— also um eine offizielle Sache, zu der die Bundesregierung nach dem Grundgesetz verpflichtet ist —
sondern um einen, dem in Abs. 1 genannten Zweck dienenden Sonderauftrag.
Dann folgt die Unterschrift. Welcher Art dieser
Sonderauftrag ist, ergibt sich aus Satz 2 dieses
Briefes, den ich mir für den Schluß vorbehalten habe; er lautet nämlich:
Diese Aufzeichnung soll den Regierungsparteien als Material für die Vorbereitung der Bundestagswahlen dienen.
Der Brief trägt am Kopf die Aufschrift „Der Bundesminister für Verkehr". Es ist nicht anzunehmen, daß Herr Dr. Seebohm oder sein Stellvertreter, oder wer immer es war, auf eigene Faust gehandelt hat. Ich glaube, daß es sich hier um eine ganz allgemeine Anweisung an die Behörden des Bundes und an andere Behörden handelt. Ich möchte sagen, daß hier eine so aufreizende Gleichstellung einer zufälligen politischen Gruppierung mit dem Staat vorliegt, daß wir sie in aller Öffentlichkeit anprangern müssen.
Abschließend noch einige Bemerkungen zur innerpolitischen Entwicklung insgesamt. Sie gehören nach unserer Auffassung zu dieser Generalaussprache, weil sich die inneren Spannungen im politischen Gefüge der Bundesrepublik nicht allein aus den Gegensätzen in der Außenpolitik erklären lassen. Da sind sie evident. In der Innenpolitik gibt es vielerlei Strömungen, die durcheinandergehen, und es wird notwendig, daß wir diese Strömungen einmal wenigstens auch hier im Zusammenhang mit der Stellungnahme zu der Grundlegung der Finanzpolitik der Bundesregierung ansprechen. Im Ausland werden in der letzten Zeit oft einzelne Vorfälle in der Bundesrepublik in unzulässiger Weise verallgemeinert und als Zeichen für die Unbelehrbarkeit der Deutschen notiert. Wir bedauern das; aber wir können nicht umhin, auf die wachsenden Rechtstendenzen in der inneren Entwicklung der Bundesrepublik hinzuweisen.
Daß diese Tendenzen einen nationalistischen Grundton haben, auch dort, wo sie sich europäisch drapieren, kann nicht übersehen werden.
Nach dieser allgemeinen Bemerkung zum Besonderen. Eine der erregendsten und beunruhigendsten Erscheinungen der letzten Zeit war die Aufdeckung der sogenannten Partisanenorganisationen des BDJ im Lande Hessen, die eine Reihe von Untersuchungen über die ganze Bundesrepublik im Gefolge gehabt hat. Über die Einzelheiten ist hier im Hause bereits gesprochen worden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch gar nicht von der Verantwortung amerikanischer Besatzungsbehörden sprechen und von dem hohen Maß an negativer Weisheit, das sich bei dem, was sie da getan haben, offenbart hat,
sondern ich möchte von der Haltung der deutschen Behörden einschließlich des Herrn Verfassungsministers der Bundesrepublik sprechen. Wir wollen unsere Überzeugung nicht verhehlen, daß von mancher offiziellen deutschen Seite sehr viel getan worden ist, um die Zusammenhänge zu verdunkeln und im Bewußtsein der Öffentlichkeit den Charakter der Vorgänge und der betreffenden Organisation, die alles andere als eine Organisation deutscher Jugend ist, zu vertuschen.
Die Art, wie Herr. Dr. Lehr hier im Hause diese Angelegenheit behandelt hat, ist noch in aller Erinnerung.
Sie hat sogar den Herrn Bundeskanzler mit einem gelinden Grauen erfüllt, so daß er das Haus verlassen hat und draußen in der Halle seinem Unwillen über diese Art der Repräsentation der Politik der Bundesregierung Ausdruck gegeben hat.
Diese Art, wie Herr Dr. Lehr sich hier hingestellt hat, war so fragwürdig, daß wir in den guten Willen zur restlosen Aufklärung — ich sage das mit voller Betonung — die allerstärksten Zweifel setzen müssen.
Daß Herr Dr. Lehr keine Gelegenheit vorübergehen läßt, seiner Sympathie für die gute alte Zeit auch öffentlich Ausdruck zu geben, ist ja etwas ganz Gewohntes, und der Brief der Göttinger Studenten an den Herrn Innenminister hat schließlich zu guter Letzt gezeigt, daß Herr Lehr eben nun einfach mal zu den Leuten im politischen Leben der Bundesrepublik gehört, die „tief in der Vergangenheit wurzeln", um es milde auszudrücken.
Man könnte diesen Brief unter die Überschrift setzen: „Der Herr Bundesinnenminister mit bunter Mütze, buntem Band".
— Sie meinen das Lied? Ja, da kann man nur sehen, Herr Kollege Dresbach, was alles in der Bundesrepublik schon wieder möglich ist!
— Na, Sie sehe ich auch noch beim Stehkonvent, Herr Hasemann!
Ein anderer Vorgang, der in der letzten Zeit im In- und Ausland Aufsehen und Ärger verursacht hat, war die Rede eines ehemaligen Generals. Ich will ihn hier nicht nennen — jeder kennt ihn — und will die Gelegenheit nur benutzen, um etwas zu einem Gesamtkomplex zu sagen, der uns eigentlich beschäftigen müßte. Ich bin offen genug, zu sagen, daß ich mit meinen Freunden nicht alles, was zu dieser Rede und ihren Begleiterscheinungen im In- und Ausland gesagt worden ist, für richtig halte; im Gegenteil, vieles ist falsch und übertrieben gewesen. Aber eine Frage sollten wir uns doch einmal anläßlich solcher Vorkommnisse und der sich daran anschließenden Diskussion und vor allem angesichts der Ermutigung. die andere Leute daraus schöpfen, vorlegen, die Frage nämlich, ob es richtig ist, daß viele Leute, die offen und geheim gegen die demokratische Ordnung wühlen und die sich zugleich von der Bundesrepublik zum Teil nicht unbeträchtliche Versorgungsbezüge zahlen lassen,
so ganz absolut sicher sind, daß diese Bezüge weiterlaufen, egal, wie sie sich politisch verhalten.
Hier scheint mir doch einmal eine gewisse Über-
legung notwendig zu sein, ob man nicht diesen Leuten klarmachen könnte, daß es eine Grenze der Geduld für die demokratische Ordnung gibt, ganz unabhängig davon, wo wir im einzelnen in dieser Ordnung stehen.
Eine andere nicht unbedeutende Gefahr für die demokratische Meinungs- und Willensbildung möchte ich ebenfalls nicht unerwähnt lassen — ich weiß nicht, inwieweit es sich in Haushaltszahlen ausdrücken läßt; dahinter kommt man j a sehr schwer —, nämlich die Existenz zahlreicher merkwürdiger Tarnorganisationen mit klingenden Namen: Volksbund für alles mögliche, und ich weiß nicht, was noch, mit Geld von dunkler Herkunft.
Vielleicht ist es gar nicht so dunkel, wenn man die Quellen einmal einigermaßen anpeilen könnte. Ich sage: mit Geld von dunkler Herkunft und auch noch mit zweifelhafter personeller Ausstattung. So mancher Mann aus dem ehemaligen Propagandaministerium hat in solchen antibolschewistischen Organisationen einen Unterschlupf und eine neue Betätigungsmöglichkeit gefunden. Es besteht der dringende Verdacht, daß ein Teil dieser Organisationen unter dem Vorwand antibolschewistischer Propaganda von der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Organe gesteuert wird, um die Propaganda der Bundesregierung zu machen.
Überhaupt müssen die dunklen Gelder, die bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik neben den vielen, vielen Unterströmungen und getarnten „Organen der Willensbildung", wie ich sie vorsichtig nennen möchte, eine immer größere Rolle spielen, wahrscheinlich nicht von den Geldgebern, sondern von den Steuerzahlern aufgebracht werden, weil die edlen Spender immer wieder Mittel und Wege finden, sich ihre Gebefreudigkeit bei der Steuer honorieren zu lassen.
Man hat nicht immer den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister in seiner Stellungnahme hier sehr eindeutig ist. Aber vielleicht werden wir ihn veranlassen können, rechtzeitig vor den Wahlen ein entscheidendes Wort zu sprechen.
Davon werden wir in den kommenden Monaten noch manchmal zu reden haben.
Alle diese Dinge spielen sich auf dem Hintergrund einer Rechtsentwicklung bei den Parteien der Regierungskoalition selber ab. Ich pflege mich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Parteien einzumischen; immerhin war der Parteitag der FDP in Bad Ems eine öffentliche Angelegenheit. Er war ein gewisses Signal. Ich möchte nicht entscheiden, wer nun recht hat, wer da Sieger geblieben ist; nur läßt es aufhorchen — und das geht weit über die Interessen einer einzelnen Partei hinaus —, wenn in einer solchen Auseinandersetzung Leute wie Fritsche, Best von den Boxheimer Dokumenten, Diewerge usw. bereits wieder als salonfähige Demokraten aus der Versenkung auftauchen.
Da ist doch die Frage zu stellen, ob wir nicht bereits
an einem Punkt der Entwicklung halten, wo gewisse Parteien oder mindestens Teile von ihnen
schon so weit nach rechts abgerutscht sind, daß sie ihre politische Identität verlieren. Das mag ihre Sache sein; aber Sache der öffentlichen Meinung ist es, zu solchen Erscheinungen Stellung zu nehmen.
Es gibt auch andere Parteien, die diese Rechtsentwicklung gar nicht erst durchzumachen brauchen; die haben sie sozusagen schon von ihrer Geburtsstunde an im Leibe. Ich denke da an den rechten Flügel der Regierungskoalition. Was sich da im Zusammenhang mit den Gemeindewahlen in letzter Zeit an Versuchen abgespielt hat,
alle möglichen Kombinationen zustande zu bringen, alle eindeutig mit, man sagt: antibolschewistischer oder antimarxistischer Grundtendenz, in Wirklichkeit aber mit einer ausschließlich antisozialdemokratischen Zielsetzung, das geht doch schon etwas über die Hutschnur. Diese antimarxistische Blockpolitik — ich wollte, die Herren, die dieses Wort geprägt haben, wüßten wenigstens, wovon sie reden, wenn sie von Marxismus sprechen:
aber das kann man bei ihnen ja auch nicht einmal voraussetzen - ist eine Politik der Vogelscheuchen. Man richtet Vogelscheuchen auf, damit die Vögelchen, die Wähler, die noch nicht genau wissen, wo sie hinsitzen wollen, ja nicht auf das falsche Getreidefeld sitzen, sondern die Körner nur bei der amtlich zugelassenen Parteigruppierung aufpicken. Wenn man das alles in einem Zusammenhang mit den Krämpfen und Intrigen und mit dem Hin- und Hergezerre um das künftige Bundestagswahlgesetz setzt, dann bekommt man erst eine Vorstellung davon, wie es eigentlich in den Köpfen der Leute aussieht, die sich anschicken, in einen politischen Wahlkampf mit dem Ziele hineinzugehen, endlich einmal festzustellen, wie die deutschen Wähler denken und was sie wirklich wollen.
Das Wahlgesetz — ich brauche hier im einzelnen nicht darauf einzugehen, wir werden darüber in diesem Hause j a noch sprechen — ist im Bewußtsein der Öffentlichkeit schon eine solche Tragikomödie mit einem allerdings sehr ernsten Hintergrund, daß wir hierzu nur sagen können: Meine Damen und Herren, machen Sie ruhig so weiter, und Sie stellen die Demokratie in Deutschland, in der Bundersrepublik auf eine Zerreißprobe,
von deren Ausgang Sie noch gar keine Ahnung haben.
Wenn man sich dazu noch das Satyrspiel ansieht, das sich um die Beteiligung Berlins an der Bundestagswahl abspielt, dann kann man nur mit beiden Augen bittere Tränen weinen. Und schließlich darf ich noch die Frage stellen: Was hat eigentlich Herr Vockel, der Beauftragte der Bundesrepublik in Berlin, sich in diese rein politische Auseinandersetzung mit öffentlichen Erklärungen hineinzumischen?!
Ich darf in diesem Zusammenhang noch eine abschließende Bemerkung machen, die, glaube ich, notwendig ist. Wir befinden uns an einem Schnittpunkt der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik, der wirklich die Möglichkeit in sich birgt, nach allen Seiten hin auf Irrwege zu führen. Wir haben heute in diesem Hause die Mehrheit eine Vorentscheidung fällen sehen. Das Thema, das diese Vorentscheidung betraf, gehört nicht zu meinem
Aufgabenkreis. Aber soviel muß doch gesagt werden: wenn 1945 und in den folgenden Jahren in Deutschland und vor allem in der Bundesrepublik ein gewisser Prozeß der Bewußtseinsklärung in Gang kam, wenn viele Leute aus dem Halbdämmer der Bombennächte und aus dem Trommelfeuer der offiziellen Propaganda langsam aufzuwachen schienen und wenn sich in ihnen ein neues Geschichtsbewußtsein bilden wollte, das ihnen und unserem Volk den echten Standort dieses Volkes in seiner eigenen Geschichte und in seinen Beziehungen zu anderen Ländern anzuweisen schien, dann, müssen wir leider sagen, ist diese Entwicklung durch die Politik der Bundesregierung und der Westmächte jäh unterbrochen worden.
Es scheint mir einer der tragischen Irrtümer des Westens zu sein, daß er diese Entwicklung in einem Augenblick unterbrochen hat, wo sie noch längst nicht zur Hälfte abgeschlossen war. Was erleben wir denn jetzt? Wir erleben jetzt, daß die ewig Gestrigen in allem, was vorgeht — ob das nun die Verträge sind oder ob das irgendwelche sonstigen Ereignisse sind —, eine Bestätigung dafür sehen, daß sie doch recht behalten haben und daß es ohne sie nicht geht. Damit tauchen alle die Gefahren wieder auf, die wir glaubten für immer gebannt zu haben. Es geht nicht darum, den einzelnen von der Mitarbeit am demokratischen Aufbau auszuschließen, aber es geht darum, das wahrzumachen, was einmal in diesem Hause im Zusammenhang mit der Debatte über die Frankfurter Krebs-Affäre ausgesprochen worden ist — ich glaube sogar, von dem Herrn Kollegen Dr. Wuermeling —, das Leute, die sich politisch so belastet haben, nicht mehr den Mut haben sollten, in die Öffentlichkeit zu kommen. Leider sehen wir auf der ganzen Linie eine gar nicht fröhliche Renaissance dieses alten Geistes, mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben können. Für diese Leute und, ich fürchte, leider auch für viele offizielle Träger der Bundespolitik ist Demokratie nicht eine stets neu zu lösende Aufgabe, sondern eine Sache, die sich aus dem Zwang der Niederlage ergibt und die man eben recht und schlecht trägt, wie es der Tag bringt.
Wenn ich das im Zusammenhang mit der ersten Lesung dieses Nachtragshaushalts gesagt habe, so nicht, um etwa nun gerade an diesem Punkte ein politisches Glaubensbekenntnis abzulegen, sondern weil ich überzeugt bin, daß auch Haushaltsfragen nur in gesamtpolitischem Zusammenhang gesehen werden können und daß die Entscheidung über die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik und die Steuerpolitik einer Regierung nicht nur von den dürren Zahlen abhängt, sondern auch von dem Geist, ails dem sie getrieben wird. Darüber werden wir sowohl im Ausschuß wie bei der zweiten und dritten Beratung noch einmal reden.