Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist sicherlich ungewöhnlich, daß ein Problem von solchem Ausmaß wie die Auswirkung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes laut Beschluß des Ältestenrats in diesem Hohen Hause in 40 Minuten, also von der antragstellenden Fraktion in 5 Minuten behandelt werden soll. Bei der Begründung unseres Antrags Nr. 35 habe ich schon 1949 auf die unerhörten Härten des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes und darauf hingewiesen, daß durch die Erhöhung der Beiträge auf Grund dieses Gesetzes die Leistungen und insbesondere die Steigerungsbeträge für die Angestellten herabgesetzt wurden Daß weiter durch die Einführung der Mindestrenten eine Problematik entstanden ist, weil Fürsorgebeträge und Versicherungsleistungen miteinander verquickt wurden, daß ein neuer Invaliditätsbegriff geschaffen wurde, der durch die Einführung des Stichtages und die Vorschriften des § 21 SVAG unerhörte unsoziale Härten gebracht hat, daß die Witwen der Invalidenversicherung ihre Rente nur dann bekommen, wenn sie den Antrag nach dem 31. Mai 1949 stellen, daß also von zwei Invalidenwitwen, die im selben Haus, im selben Stockwerk wohnen, die eine, deren Mann im Mai 1949 gestorben ist, die Rente nicht erhält, während die andere, deren Mann in den ersten Junitagen gestorben ist, Anspruch darauf hat. Ebenso hart ist, daß die Stammversicherten, die vielen Angestellten, die in der Jugend Beiträge in der Invalidenversicherung gezahlt haben und ab 1911 angestelltenversicherungspflichtig wurden, Beiträge in der Invalidenversicherung sogar noch freiwillig weiter gezahlt haben, bei der Gewährung ihrer Renten, wenn sie vor dem 65. Lebensjahr berufsunfähig werden und die Rente beantragen, zwar die Angestelltenversicherungsbeiträge als Leistung angerechnet erhalten, die Invalidenversicherungsbeiträge nur dann, wenn sie den Antrag nach dem 31. Mai 1949 gestellt haben. Das heißt also, daß hier eine dem Versicherungsprinzip absolut widerstrebende, ja eine ungerechte Nichtanrechnung — ich möchte ein kritischeres Wort nicht gebrauchen — geleisteter Beiträge erfolgt, weil man damals beim Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz aus wer weiß welchen politischen Gründen zu reformieren begann, ohne die finanziellen Voraussetzungen zu haben, um gleiches Recht für alle da zu schaffen, wo aus Gründen der Versicherungsgerechtigkeit eben nur gleiche Leistungen gegeben werden können. Auf der andern Seite hat man diejenigen ihres Rechtsanspruches beraubt, die Jahrzehnte Beiträge gezahlt haben, und durch die Übergangsvorschriften zum SVAG offensichtlich benachteiligt.
Nun könnte jemand sagen, die vor der Währungsreform in der Sozialversicherung geleisteten Beiträge seien genau so entwertet wie die Beiträge auf der Sparkasse. Aber, meine Herren und Damen, es erhalten Leute Renten nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, die mit wenigen Beitragsmarken und mit einigen Beträgen, die praktisch schon am Tage X entwertet waren, als sie ihre Beiträge nachklebten, sich einen Rentenanspruch auf Lebenszeit erworben haben!
Ich bedauere außerordentlich, daß es mir wegen der 5 Minuten Redezeit nicht möglich ist, die Problematik, die durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz aufgeworfen ist und die nie aufgehört hat, die Öffentlichkeit zu beschäftigen, hier zu vertiefen. Die Sozialdemokratische Partei hat sich immer wieder auf den § 21 Abs. 3 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes bezogen und dagegen gewandt, daß hier zweierlei Invalidenrecht geschaffen werde. Sie hat auch in der öffentlichen Diskussion oft erklärt, daß sie selber diesem zweierlei Recht zugestimmt hat, weil ihr die übrigen Partner nicht die Mittel gewährt haben. Die Deutsche Partei glaubt, daß Sozialpolitik, die aus politischen Gründen gemacht wird und zweierlei Recht schafft, die schlechteste Sozialpolitik ist. Deshalb halten wir es auch für unerträglich, daß über unseren Antrag nach drei Jahren — und dieser Vorwurf richtet sich auch an unsere Koalitionspartner — im Ausschuß in unserer Abwesenheit in einer Weise entschieden worden ist, die ihm eine Beerdigung erster Klasse bereitet hat, d. h. es soll auf die Reform der Sozialversicherung gewartet werden.
— Auf solche törichten oder unverschämten Zwischenrufe antworte ich nicht. — Wir sind der Auffassung, daß das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz endlich revidiert werden sollte und daß uns der Arbeitsminister nun wirklich einen Vorschlag über die Revision der versicherungsungerechten und unsozialen Leistungen nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz vorlegen sollte.