Rede von
Emmy
Meyer-Laule
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte dem Herrn Justizminister von ganzem Herzen für seine Ausführungen danken. Ich bin überzeugt, felsenfest überzeugt davon: wenn diese Ausführungen vor der Einbringung dieser Anträge gemacht worden wären, hätten wir, glaube ich, heute diese Debatte nicht zu führen.
Den vorliegenden Antrag wird man nur gerecht würdigen können, wenn man die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten klar sieht. Auch die Antragsteller werden sich doch 'darüber einig sein, daß dieser Bundestag in seinen letzten Arbeitswochen und -monaten keine Zeit mehr finden wird, um eine so wichtige und umstrittene Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Wir Sozialdemokraten fragen uns deshalb, was der tiefere Grund für dieses Verhalten ist. Denn wer sich damals bei der ersten Debatte zu einem Nein in dieser zutiefst menschlichen Frage durchgerungen hatte, der sollte für immer seinen Standpunkt bezogen haben, auch wenn er durch die Häufung der Verbrechen, die nach der Begründung der Antragsteller zu diesem Antrag geführt haben, sein Gewissen noch einmal überprüfen mußte.
Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß wir genau so erschüttert vor den Opfern stehen, wir, die wir den Mord in jeder Form als eine Ausgeburt des Bösen empfinden. Wir alle, die wir gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wissen um die Unpopularität unserer Einstellung. Wir wissen aber auch um den 'uralten, in jedem Menschen latenten Trieb nach Vergeltung, wir wissen um den Racheinstinkt, der eine Ansteckungsgefahr bedeuten kann, und wir wissen auch um die daraus hervorgehende gefährliche Gefühlsreaktion. Wir werden noch viele Jahre brauchen, um diese Reaktionen zu überwinden; denn der nationalsozialistische Staat hat ja bewußt die vox populi in diese gefährliche Richtung gelenkt, weil er nur damit seinen Verbrechen den Anschein der Legalität geben konnte. Aus diesem Grunde darf dieser unser Staat nicht Mörder und nicht Henker wer-
den. Er muß die Wunden heilen, die die Vergangenheit geschlagen hat, und das entstandene seelische Vakuum mit Menschlichkeit, Liebe und Güte ausfüllen. Unsere junge Demokratie als Erbfolger dieses mörderischen Systems darf nicht heute und nicht morgen und nicht in aller Zukunft auch nur das geringste aus jener Zeit übernehmen, wenn diese Demokratie die Vermenschlichung der Zustände anstrebt.
Sind es die Verbrechen der letzten Zeit, die zu diesem Antrag geführt haben — und Herr Kollege Dr. Weber hat uns ja dasselbe versichert —, so möchte ich einmal sagen: denken Sie doch darüber nach, daß der Gekreuzigte noch im Tode seinen Mördern verzieh und wie 'diese verzeihende Liebe wie eine Gloriole seit 2000 Jahren über der Christenheit steht.
Ich weiß nicht, ob in einer so ernsten Debatte und bei einem so ernstgemeinten Wort ein Zwischenruf überhaupt sein dürfte.
Sollte aber der Entschluß von der Idee der Staatsräson beeinflußt sein, müßten wir ihn geradezu als verhängnisvoll bezeichnen. Damit würde dem Staat, gleich, wer ihn repräsentiert, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe ein Mittel in die Hand gegeben werden, das weit über das hinausgeht, was jeder einzelne von uns verantworten kann. Alle Menschen in der Bundesrepublik, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, mögen bedenken, daß -- auch wenn die Todesstrafe an bestimmte Voraussetzungen gebunden würde — die Möglichkeit der Ausweitung auf andere Fälle — ich will nur Kriegsdienst- oder Befehlsverweigerung nennen — jederzeit in dem Bereich der Möglichkeit läge.
Oder sollte die Sinnesänderung in dem Verlangen nach Schutz der menschlichen Gesellschaft begründet liegen? Auch der Tod des Mörders macht den Gemordeten nicht mehr lebendig, und die Gesellschaft wird geschützt und gesühnt durch das Wort „lebenslänglich". Es ist nicht so, als bedeute die lebenslängliche Strafe keine Sühne oder eine milde Sühne. Wer einmal selbst das Schicksal eines Verurteilten erlebt hat — und das war manch einem in diesem Hohen Hause während des „Dritten Reiches" bestimmt —, der weiß, wie schwer es ist, zu warten, ob die Zeit vergeht, wie lange er noch warten muß, bis er die Freiheit bekommt. Ich möchte zu bedenken geben, daß lebenslänglich doch mindestens sein muß wie lebendig begraben.
Das weite Feld der Kriminalität ist aber auch auf der sozialen Ebene zu suchen oder im Milieu, das nur zu oft ein entscheidender Faktor werden kann. Vergessen wir nicht die Kriminalität durch Kriege bedingt und daß Veranlagung und Umwelt wichtige Faktoren sein können. In einer Zeit, in der schen der ehrliche Finder bestaunt wird, wo Mensch und Menschlichkeit nur durch das Wort verwandt sind, wo die guten Taten seltener sind als die bösen, da muß es doch ein anderes Mittel eben als die Todesstrafe, um eine neue moralische Kraft bei uns lebendig zu machen.
Goethe, der wie selten einer um die menschliche Not, um das menschliche Leid und um die menschliche Unzulänglichkeit wußte und der in jungen Jahren seine Zustimmung zur Todesstrafe nur bedingt gegeben hat, sagte in einem Gespräch im hohen Mannesalter zu Eckermann, er habe von
keinem Verbrechen gehört, das er nicht auch selbst hätte begehen können. Können auch wir bestreiten, daß wir alle in Gedanken gesündigt, oder bestreiten, daß auch in unserem Unterbewußtsein schlechte, niedrige, ja kriminelle Gedanken und Wünsche verborgen sind? Wer gibt uns die Kraft, sie nicht auszuführen, und wer nimmt dem Mörder die Kraft, zu widerstehen? Hier steht der Mensch vor unlösbaren Rätseln, und das Wissen um sie muß uns nachdenklich machen.
Lassen Sie mich an die Herren, die bereit sind, für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu stimmen, die Frage richten: Sind Sie auch bereit, das Todesurteil zu vollstrecken, oder sind es die Richter und Staatsanwälte, die sich hinter Ihre Forderung stellen? Wenn sie, die Richter, nicht mit den ihnen gegebenen strafrechtlichen Möglichkeiten fertig werden und nur Kritik am Grundgesetz üben, dann, glaube ich, sind diese Richter fehl am Platze.
Ich habe hier die neueste Nummer der „KettelerWacht", die Zeitschrift für das katholische Volk, und in einem Artikel wird sehr ausführlich über die Todesstrafe geschrieben. Unter Punkt 3 der Begründung lesen wir:
Die Erfahrung zeigt, daß sich fast alle zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung mit Gott versöhnten, während das bei der Verurteilung zur Zuchthausstrafe nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, so geht es nicht!
In mir empört sich die Christin und der Mensch, wenn auf so primitive Weise zu den menschlichsten Fragen argumentiert, ich möchte fast sagen: unchristlich argumentiert wird.
Sollten die vorgebrachten Argumente Sie aber nicht von unserem Standpunkt überzeugen können, so möchte ich noch ein furchtbares Wort erwähnen: Fehlurteil — Justizmord! Alle Justizirrtümer sind reparabel, nur der Justizmord ist es nicht. Und immer wieder möchte ich Ihnen zurufen: Vergessen Sie nie das Erlebte oder die Schrecken des Erlebten, wo der Justizmord zur Strafjustiz der sogenannten Rechtsprechung gehörte! Zurufen möchte ich Ihnen: Stoßen Sie das Tor nicht auf; der Weg führt rückwärts, und keiner von Ihnen weiß, welches Ende er nimmt.