Rede:
ID0123201100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Wagner.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 10605 232. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 Geschäftliche Mitteilungen 10606C, 10616D, 10665D Erweiterung der Tagesordnung 10606D Kleine Anfrage Nr. 293 der Fraktion der SPD betr. Bezüge von Aufsichtsräten (Nrn. 3683, 3720 der Drucksachen) . . . 10606D Achter Bericht des Bundesministers für Arbeit über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (Nr. 3721 der Drucksachen) 10606D Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3679 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von den Abg. Dr. Etzel (Bamberg), Dr. Horlacher u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3702 der Drucksachen) . . 10606D Ewers (DP), Antragsteller . 10607A, 10625D Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller 10609C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10610B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10616D Frau Meyer-Laule (SPD) 10618C Wagner (SPD) 10619D, 10625D Dr. Schneider (FDP) 10622A Fisch (KPD) 10623C Dr. Meitinger (FU) 10624D Abstimmungen über Anträge auf Ausschußüberweisung 10628B Zweite und dritte Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU betr. den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr (Nr. 3714 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) (Nr. 3722 der Drucksachen) 10606D, 10628C Scharnberg (CDU), Berichterstatter 10628D Beschlußfassung 10628D Termin der nächsten Fragestunde 10629A, 10665D Erste Beratung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung (Nr. 3650 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Einführung der Rechtsanwaltsordnung (Nr. 3667 der Drucksachen) 10629A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10629A, 10630D, 10634D Wagner (SPD) 10631A Dr. Schneider (FDP) 10632B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10633A Ausschußüberweisung 10636A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf des ehem. Wehrmacht-Pferdelazaretts in Nürnberg, Wallensteinstr. 117, an den Bayerischen Rundfunk, München (Nr. 3690 der Druck sachen) 10636A Ausschußüberweisung 10636B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Winterbeihilfe (Nr. 3672 der Drucksachen) 10636B Frau Korspeter (SPD), Antragstellerin 10636B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10637A, 10640A Willenberg (FU) 10638B Arndgen (CDU) 10638C Kohl (Stuttgart) (KPD) 10638D Freidhof (SDP) 10639C Ausschußüberweisungen 10640C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungbaugesetzes (Nr. 3676 der Druck sachen) 10640C Jacobi (SPD), Antragsteller 10640D, 10648D Neumayer, Bundesminister für Wohnungsbau 10642B Parzinger (FU) 10643D Paul (Düsseldorf) (KPD) 10644D Lücke (CDU) 10645C Wirths (FDP) 10647D Kalbfell (SPD) 10649D Ausschußüberweisungen 10650D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Devisenkontrolle (Nrn. 3684, 2180 der Druck sachen) 10650D Dr. Serres (CDU), Berichterstatter 10651A Beschlußfassung 10651D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betr. die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern (Nr. 3283 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 3685 der Drucksachen) 10652A Lange (SPD), Berichterstatter . . 10652A Abstimmungen 10652B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (24. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Paßgebühren (Nrn. 3635, 3185 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Abg. Morgenthaler, Leonhard u. Gen. betr. Paßgebühren (Nr. 3695 der Drucksachen; Anderungsantrag Umdruck Nr. 661 [neu]) 10652C Feldmann (CDU): als Berichterstatter 10652C als Abgeordneter 10655C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10653D, 10655B Morgenthaler (CDU), Antragsteller 10654A Jacobi (SPD) 10654C Abstimmungen 10656A Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Ausübung der Krankenpflege (Nr. 3687 der Drucksachen) 10656A Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10656A Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10657C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10658C Frau Dr. Hubert (SPD) 10659A Frau Dr. Mulert (FDP) 10660B Frau Strohbach (KPD) 10661A Frau Arnold (FU) 10661C Beschlußfassung 10662A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms (Nr. 3691 der Drucksachen) . . 10662B Frau Dietz (CDU), Antragstellerin . 106623 Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10662D Frau Dr. Ilk (FDP) 10663C Frau Nadig (SPD) 10663D Frau Thiele (KPD) 10664C Ausschußüberweisung 10665C Nächste Sitzung 10665D Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Emmy Meyer-Laule


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte dem Herrn Justizminister von ganzem Herzen für seine Ausführungen danken. Ich bin überzeugt, felsenfest überzeugt davon: wenn diese Ausführungen vor der Einbringung dieser Anträge gemacht worden wären, hätten wir, glaube ich, heute diese Debatte nicht zu führen.

    (Widerspruch rechts.)

    Den vorliegenden Antrag wird man nur gerecht würdigen können, wenn man die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten klar sieht. Auch die Antragsteller werden sich doch 'darüber einig sein, daß dieser Bundestag in seinen letzten Arbeitswochen und -monaten keine Zeit mehr finden wird, um eine so wichtige und umstrittene Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Wir Sozialdemokraten fragen uns deshalb, was der tiefere Grund für dieses Verhalten ist. Denn wer sich damals bei der ersten Debatte zu einem Nein in dieser zutiefst menschlichen Frage durchgerungen hatte, der sollte für immer seinen Standpunkt bezogen haben, auch wenn er durch die Häufung der Verbrechen, die nach der Begründung der Antragsteller zu diesem Antrag geführt haben, sein Gewissen noch einmal überprüfen mußte.
    Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß wir genau so erschüttert vor den Opfern stehen, wir, die wir den Mord in jeder Form als eine Ausgeburt des Bösen empfinden. Wir alle, die wir gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wissen um die Unpopularität unserer Einstellung. Wir wissen aber auch um den 'uralten, in jedem Menschen latenten Trieb nach Vergeltung, wir wissen um den Racheinstinkt, der eine Ansteckungsgefahr bedeuten kann, und wir wissen auch um die daraus hervorgehende gefährliche Gefühlsreaktion. Wir werden noch viele Jahre brauchen, um diese Reaktionen zu überwinden; denn der nationalsozialistische Staat hat ja bewußt die vox populi in diese gefährliche Richtung gelenkt, weil er nur damit seinen Verbrechen den Anschein der Legalität geben konnte. Aus diesem Grunde darf dieser unser Staat nicht Mörder und nicht Henker wer-


    (Frau Meyer-Laule)

    den. Er muß die Wunden heilen, die die Vergangenheit geschlagen hat, und das entstandene seelische Vakuum mit Menschlichkeit, Liebe und Güte ausfüllen. Unsere junge Demokratie als Erbfolger dieses mörderischen Systems darf nicht heute und nicht morgen und nicht in aller Zukunft auch nur das geringste aus jener Zeit übernehmen, wenn diese Demokratie die Vermenschlichung der Zustände anstrebt.
    Sind es die Verbrechen der letzten Zeit, die zu diesem Antrag geführt haben — und Herr Kollege Dr. Weber hat uns ja dasselbe versichert —, so möchte ich einmal sagen: denken Sie doch darüber nach, daß der Gekreuzigte noch im Tode seinen Mördern verzieh und wie 'diese verzeihende Liebe wie eine Gloriole seit 2000 Jahren über der Christenheit steht.

    (Zuruf des Abg. Ewers.)

    Ich weiß nicht, ob in einer so ernsten Debatte und bei einem so ernstgemeinten Wort ein Zwischenruf überhaupt sein dürfte.

    (Zurufe rechts.)

    Sollte aber der Entschluß von der Idee der Staatsräson beeinflußt sein, müßten wir ihn geradezu als verhängnisvoll bezeichnen. Damit würde dem Staat, gleich, wer ihn repräsentiert, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe ein Mittel in die Hand gegeben werden, das weit über das hinausgeht, was jeder einzelne von uns verantworten kann. Alle Menschen in der Bundesrepublik, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, mögen bedenken, daß -- auch wenn die Todesstrafe an bestimmte Voraussetzungen gebunden würde — die Möglichkeit der Ausweitung auf andere Fälle — ich will nur Kriegsdienst- oder Befehlsverweigerung nennen — jederzeit in dem Bereich der Möglichkeit läge.
    Oder sollte die Sinnesänderung in dem Verlangen nach Schutz der menschlichen Gesellschaft begründet liegen? Auch der Tod des Mörders macht den Gemordeten nicht mehr lebendig, und die Gesellschaft wird geschützt und gesühnt durch das Wort „lebenslänglich". Es ist nicht so, als bedeute die lebenslängliche Strafe keine Sühne oder eine milde Sühne. Wer einmal selbst das Schicksal eines Verurteilten erlebt hat — und das war manch einem in diesem Hohen Hause während des „Dritten Reiches" bestimmt —, der weiß, wie schwer es ist, zu warten, ob die Zeit vergeht, wie lange er noch warten muß, bis er die Freiheit bekommt. Ich möchte zu bedenken geben, daß lebenslänglich doch mindestens sein muß wie lebendig begraben.
    Das weite Feld der Kriminalität ist aber auch auf der sozialen Ebene zu suchen oder im Milieu, das nur zu oft ein entscheidender Faktor werden kann. Vergessen wir nicht die Kriminalität durch Kriege bedingt und daß Veranlagung und Umwelt wichtige Faktoren sein können. In einer Zeit, in der schen der ehrliche Finder bestaunt wird, wo Mensch und Menschlichkeit nur durch das Wort verwandt sind, wo die guten Taten seltener sind als die bösen, da muß es doch ein anderes Mittel eben als die Todesstrafe, um eine neue moralische Kraft bei uns lebendig zu machen.
    Goethe, der wie selten einer um die menschliche Not, um das menschliche Leid und um die menschliche Unzulänglichkeit wußte und der in jungen Jahren seine Zustimmung zur Todesstrafe nur bedingt gegeben hat, sagte in einem Gespräch im hohen Mannesalter zu Eckermann, er habe von
    keinem Verbrechen gehört, das er nicht auch selbst hätte begehen können. Können auch wir bestreiten, daß wir alle in Gedanken gesündigt, oder bestreiten, daß auch in unserem Unterbewußtsein schlechte, niedrige, ja kriminelle Gedanken und Wünsche verborgen sind? Wer gibt uns die Kraft, sie nicht auszuführen, und wer nimmt dem Mörder die Kraft, zu widerstehen? Hier steht der Mensch vor unlösbaren Rätseln, und das Wissen um sie muß uns nachdenklich machen.
    Lassen Sie mich an die Herren, die bereit sind, für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu stimmen, die Frage richten: Sind Sie auch bereit, das Todesurteil zu vollstrecken, oder sind es die Richter und Staatsanwälte, die sich hinter Ihre Forderung stellen? Wenn sie, die Richter, nicht mit den ihnen gegebenen strafrechtlichen Möglichkeiten fertig werden und nur Kritik am Grundgesetz üben, dann, glaube ich, sind diese Richter fehl am Platze.
    Ich habe hier die neueste Nummer der „KettelerWacht", die Zeitschrift für das katholische Volk, und in einem Artikel wird sehr ausführlich über die Todesstrafe geschrieben. Unter Punkt 3 der Begründung lesen wir:
    Die Erfahrung zeigt, daß sich fast alle zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung mit Gott versöhnten, während das bei der Verurteilung zur Zuchthausstrafe nicht der Fall ist.
    Meine Damen und Herren, so geht es nicht!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    In mir empört sich die Christin und der Mensch, wenn auf so primitive Weise zu den menschlichsten Fragen argumentiert, ich möchte fast sagen: unchristlich argumentiert wird.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sollten die vorgebrachten Argumente Sie aber nicht von unserem Standpunkt überzeugen können, so möchte ich noch ein furchtbares Wort erwähnen: Fehlurteil — Justizmord! Alle Justizirrtümer sind reparabel, nur der Justizmord ist es nicht. Und immer wieder möchte ich Ihnen zurufen: Vergessen Sie nie das Erlebte oder die Schrecken des Erlebten, wo der Justizmord zur Strafjustiz der sogenannten Rechtsprechung gehörte! Zurufen möchte ich Ihnen: Stoßen Sie das Tor nicht auf; der Weg führt rückwärts, und keiner von Ihnen weiß, welches Ende er nimmt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Friedrich Wilhelm Wagner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler hat heute eine ganz große Rede gehalten. Er hat heute eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie gedruckt an das ganze deutsche Volk hinausginge.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Er hat eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie, etwas ergänzt, als Flugschrift zur Aufklärung der Nichtaufgeklärten verwendet werden möge, und sofern in diesem Hause noch Nichtaufgeklärte sitzen, möchte ich wünschen, daß auch diese Nichtaufgeklärten, soweit sie willig sind, Tatsachen und der Wahrheit ihre Ohren zu öffnen, aufgeklärt worden sind.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Wagner)

    Herr Dr. Dehler hat mir meine Aufgabe für heute außerordentlich erleichtert, und ich danke ihm. Der Amerikaner würde sagen: he stole the show — er stahl die Schau. Das war die Rede, die niemand in der heutigen Debatte erreichen und übertreffen kann.
    Ich bedaure, daß diese beiden Anträge nun schon wiedergekommen sind und an einem Grundsatz der Verfassung, an einem Grundsatz des Grundgesetzes rütteln. Ich halte es auch für durchaus unerfreulich, daß der gleiche Antrag in einem Zeitablauf von zwei Jahren zum zweitenmal kommt, obwohl sich am Tatbestand nichts geändert hat und obwohl nicht damit zu rechnen ist, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes geändert wird. Ich bedaure das, weil wir uns nicht dauernd mit dem gleichen Thema befassen können, das jenesmal ausführlich und gründlich erörtert worden ist. Der einzige Gewinn dieser Anträge ist die Rede, die wir heute aus dem Munde des Herrn Bundesjustizministers gehört haben.

    (Zuruf rechts: Aha!)

    Aber das haben Sie j a nicht erwartet, und das haben Sie auch nicht gewollt. Wenn diese Rede trotzdem kam, so sind Sie, glaube ich, darüber sehr wenig erfreut; denn ich habe den Eindruck, Sie wollen nun einmal diesen Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Todesstrafe abgeschafft sein soll, wieder beseitigen, koste es, was es wolle, und seien die Argumente, wie sie auch immer sein mögen.
    Meine Herren und Damen, in der 50. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 10. Februar 1949 hat nach meinem Antrag, der nun Art. 102 des Grundgesetzes geworden ist, ein Abgeordneter das Wort ergriffen und das ausgeführt, was ich Ihnen — es ist sehr kurz — mit gütiger Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf. Er sagte:
    Ich bin dem Herrn Kollegen Wagner sehr dankbar, daß er den Antrag jetzt hier gestellt hat. Ich darf daran erinnern, daß ich in der zweiten Lesung den Antrag gleichfalls gestellt hatte, und darf mich auf meine damalige Begründung ausdrücklich beziehen. Ich brauche die Ausführungen von Herrn Wagner nicht noch weiter zu unterstützen; denn sie sprechen für sich selbst. Vom weltanschaulichen Gesichtspunkt aus ist es insbesondere nach den Erlebnissen der letzten Jahre, nicht nur der Zeit bis 1945, sondern auch der Zeit seit 1945, eine unbedingte Notwendigkeit, daß wir uns gegen die Todesstrafe aussprechen. Ich bin auch der Auffassung, daß wir diese Frage in dem Grundgesetz zu regeln haben. Es ist eine Frage, die nicht dem normalen Gesetzgeber überlassen werden sollte. Die Frage ist so wichtig, daß sie in einem Grundgesetz Verankerung finden muß. Deswegen unterstütze ich den Antrag und werde dafür stimmen.
    Und wer war das? Dieser Mann, der so sprach, war das Mitglied des Parlamentarischen Rats Dr. Seebohm,

    (Abg. Frau Kalinke: Der steht auch heute noch auf dem Standpunkt!)

    der Vertreter der Deutschen Partei.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der CDU: Das ist keine parteipolitische Frage!)

    Und jene Deutsche Partei ist heute die Antragstellerin, die diese Debatte zusammen mit der Bayernpartei ausgelöst hat.
    Meine Damen und Herren, da muß man sich nun fragen: Warum haben dann die Herren nach 1945 einen weltanschaulichen Standpunkt — wie sie ihn nennen — eingenommen, von dem sie heute, in ihrer Mehrheit zum mindesten, nichts mehr wissen wollen? War es denn vielleicht j enes-mal die Sorge um die Köpfe gewisser Männer, um die sie bangten,

    (Zustimmung bei der SPD)

    und ist für sie in ihrer Vorstellung vielleicht diese Gefahr überwunden

    (Abg. Kunze: Schade!)

    und ihre Weltanschauung plötzlich geändert?

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD)

    Oder ist es vielleicht — manche munkeln und vermuten so etwas —

    (Abg. Kunze: Schade!)

    der Hinblick auf ein neu zu schaffendes Militärstrafgesetzbuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in dem die Todesstrafe enthalten sein soll?

    (Zurufe von der SPD: Sehr gut!)

    Ist nicht der Hinweis des Herrn Kollegen Ewers auf den Landesverrat, den man noch in die Todesstrafe einbeziehen müsse, schon wieder die Erinnerung an die Erschießungskommandos, die man schon wieder in der Zukunft sieht?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier eröffnen sich gewisse Perspektiven. Wenn Sie die vor das deutsche Volk stellen, werden Sie eine Antwort erhalten, die Sie enttäuscht.
    Lassen Sie mich ganz kurz, da meine Zeit es mir nicht erlaubt, es näher zu tun, und da Herr Dr. Dehler im großen und ganzen das viel besser getan hat, fragen, wie aus der ehrlichen Empörung heraus, die die Menschen draußen und wir alle empfinden, wenn Morde begangen sind, die Reaktion des einfachen Menschen ist. Er hört von einer scheußlichen Tat, und diese Tat wird in der Zeitung ganz groß aufgemacht, und dann sagt er: „Das ist doch eine Schweinerei; der Kerl gehört aufgehängt." Das ist eine ganz natürliche Reaktion, geboren aus der ganzen Vergangenheit, mit der wir belastet sind. Das ist natürlich. Dann kommen die Befürworter der Todesstrafe und schreien: „Seht ihr hier diesen Mord, — und die Todesstrafe ist abgeschafft!" Als ob zwischen der Abschaffung der Todesstrafe und dem Mord ein Kausalzusammenhang bestünde,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    als ob die Abschaffung der Todesstrafe diese Morde geradezu erzeugt habe. Ich habe es erlebt, daß ich nachts in meiner Wohnung, nachdem eine solche Tat passiert ist, angerufen worden bin. Mich, den man für den Art. 102 für verantwortlich hält, hat man dann auch für diesen Mord moralisch verantwortlich gemacht. Eine solche Sinnesverwirrung ist schrecklich. Ein Abgeordneter, der die Dinge mit klarem Kopf betrachten muß, sollte zu einer solchen Schlußfolgerung keinen Beitrag leisten. Aber auch eine saubere und anständige Presse sollte sich etwas beherrschen, ehe sie derartige Dinge so aufmacht. Insbesondere aber sollten sich die Richter enthalten, Propaganda gegen das Grundgesetz zu machen,

    (Beifall bei der SPD und beim Zentrum)



    (Wagner)

    indem sie dem Angeklagten geradezu die Frage vorlegen: „Hätten Sie die Tat auch begangen, wenn die Todesstrafe nicht abgeschafft wäre?" Solche Richter gehören hinausgeworfen, weil sie von Jurisprudenz nichts verstehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Solche Richter können keine Strafrichter sein, weil
    sie auch von Kriminalpsychologie keine Ahnung
    haben, und solche Richter gehören nicht vom Staat
    bezahlt, weil sie gegen das Grundgesetz arbeiten.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich frage die Anhänger der Todesstrafe eines: hat es denn zu der Zeit, als die von Ihnen so geliebte Todesstrafe noch Gesetz war, etwa in Deutschland keine Morde gegeben?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da haben Sie nichts davon gehört. Ist nicht unter dem Regime der Todesstrafe in einer Weise gemordet worden, daß es, als es während der Nazizeit zur Spitze kam, geradezu schrecklich war? Da haben Sie kein Propagandamaterial gegen die Todesstrafe gefunden.

    (Zuruf des Abg. Ewers.)

    Jetzt wollen Sie, wenn wiederum Morde vorkommen, dafür verantwortlich machen, daß die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht mehr gegeben sei und daß durch den Wegfall dieser abschreckenden Wirkung die Tat geboren und ermöglicht wird.
    Der Herr Justizminister hat diese Dinge widerlegt. Der Herr Kollege Ewers hat mir geradezu ein Argument dagegen gegeben: jener angeklagte Mörder bittet seinen Richter um die Todesstrafe. Für ihn ist das ja eine Erlösung, für ihn ist das ) keine Abschreckung, sondern etwas, das er dem lebenslänglichen Zuchthaus vorzieht. Wenn schon die Behauptung, daß der Wegfall der Todesstrafe die Mordfälle vermehrt habe, nachgewiesenermaßen falsch ist, dann ist auch die Berechtigung der Antragsteller, jetzt nach zweieinhalb Jahren das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, nicht mehr gegeben. Sie hätten sich nicht durch große Zeitungsüberschriften beeinflussen lassen dürfen, sondern sie hätten es in der gleichen gewissenhaften Weise wie unser Bundesjustizminister machen müssen, der die Dinge nachgeprüft hat und ihnen den Beweis geliefert hat, daß ihre Behauptung unrichtig ist und daß sie sich benehmen wie die draußen, die keine Aufklärung besitzen.
    Schließlich noch ein Gedanke, der Gedanke der Vergeltung. Wenn Sie diesem Gedanken Rechnung tragen wollen, dürfen Sie es nicht nur auf dem Gebiet des Mordes und des Menschenraubs tun, wie es nunmehr ein Teil der Antragsteller wünscht. Warum die Vergeltung in dieser Weise nur in dem einen Fall? Wenn Sie schon ein System, das unserem Strafrechtssystem fremd ist, wieder einführen wollen, warum dann nicht die Körperstrafe? Warum wollen Sie denn nicht die Prügelstrafe überhaupt einführen? Ist nicht in weiten Kreisen unseres Volkes auch Stimmung dafür zu machen, daß es sagen würde: dieser miserable Kerl hat jenes Sexualverbrechen an diesem kleinen Mädchen begangen, zur Vergeltung: jeden Tag über den Bock und zwanzig Peitschenhiebe! Das ist die gleiche Empörung, die gleiche Reaktion, der gleiche Vergeltungsgedanke, wie er die Anhänger der Todesstrafe beherrscht. Trotzdem machen Sie diesen Schritt nicht! Vor dem schrecken Sie zurück, weil er doch einer zu weiten Vergangenheit angehört.
    Sie wollen nur den Schritt in den Zustand zurück machen, den wir hatten, ehe die Todesstrafe abgeschafft war. Wenn Sie die Dinge systematisch durchdenken, müssen sie erkennen — ich will da nicht wiederholen, was der Justizminister über das Wesensfremde der Todesstrafe in unserem ganzen Strafrechtssystem gesagt hat —, daß Sie zu einem Strafrecht kämen, das sich vom mittelalterlichen gar nicht unterscheiden würde. Sie kämen mit diesem brutalen Strafrecht der Todesstrafe und der Körperstrafe in eine Verbrechensepoche hinein, wie sie nur die Vergangenheit gekannt hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Staat hat mit gutem Beispiel und erzieherisch voranzugehen, wenn ihm das Volk in seiner Masse folgen soll, nicht umgekehrt. Der Staat ist auch ein Erzieher, wenn er sich selbst der Gewaltmittel entäußert, die ihm für meine Begriffe gar nicht zustehen.
    Ich will die rechtsphilosophischen und weltanschaulichen Gedankengänge gar nicht vertiefen, will auch nicht wiederholen, was ich schon gesagt habe, sondern möchte nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Täuschen Sie sich nicht! Sie streichen mit dem Art. 102, der besagt: die Todesstrafe ist abgeschafft, nicht nur einen Satz, Sie streichen einen Grundsatz, und zwar einen Grundsatz, der geradezu einen Baustein in unserem Grundgesetz bildet, denn angefangen vom Art. 1. der erklärt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist, über Art. 2 Abs. 2, daß jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, bis zum Art. 102, der die notwendige Ergänzung ist, zieht sich dieser Grundsatz, der dem Sinne nach heißt: das Leben ist heilig. Vergessen Sie nicht, daß Sie diesen Grundsatz der Heiligkeit des Lebens verletzen und damit das Tor für alle Möglichkeiten öffnen.
    Die Antragsteller des zweiten Antrags wollen, daß der Satz 1 dahin modifiziert wird, daß die Todesstrafe für Mord und Menschenraub gelte. Diese Antragsteller sind durch den Herrn Ewers bereits überboten, und sie sehen, wohin das führt. Er sagt: das genügt mir nicht, Todesstrafe allein für Mord und Menschenraub; es gibt noch ganz andere Delikte. Wenn Sie einmal das Tor zu den barbarischen Strafen aufgestoßen haben, gibt es keine Grenze mehr, dann hängt das von momentanen Stimmungen gesetzgebender Körperschaften ab, dann werden Sie im Prinzip' zu dem gleichen System kommen, das im Nazireich herrschte, und werden alle Dinge, die empörend sind, mit der Todesstrafe bedrohen, werden auch die Todesstrafe verhängen und damit einen Weg begehen, der verhängnisvoll ist.
    Meine Damen und Herren, und wenn wir das einzige Volk in Europa oder selbst in der Welt wären, das die Todesstrafe abgeschafft hat, würden wir sagen: wir bleiben bei diesem Grundsatz und kämpfen weiter für ihn. Warum sollte nicht einmal das deutsche Volk auf diesem humanitären Gebiet der Schrittmacher sein und alle Völker führen, warum sollten wir nicht die sein, die den ersten großen, bedeutenden Schritt täten, der von der Barbarei zur Humanität führt?! Deshalb, meine Damen und Herren, beantragen wir nicht etwa eine Überweisung an den Ausschuß, sondern wir beantragen, daß über beide Anträge zur Tagesordnung übergegangen wird, um zu zeigen, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Bestimmung der Heiligkeit des Lebens keine Sache ist, die ,man heute so und morgen so regelt, son-


    (Wagner)

    dern daß das deutsche Volk und das deutsche Parlament sich bewußt sind, daß eine Verfassung nicht geschaffen wird, um jeden Tag umgemodelt zu werden, wenn nicht das Parlament selbst das Ansehen beim Volke verlieren will.

    (Beifall bei der SPD.)