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ID0123200900

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    Vokabeln: 6
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    4. Frau: 1
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    6. Meyer-Laule.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 10605 232. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 Geschäftliche Mitteilungen 10606C, 10616D, 10665D Erweiterung der Tagesordnung 10606D Kleine Anfrage Nr. 293 der Fraktion der SPD betr. Bezüge von Aufsichtsräten (Nrn. 3683, 3720 der Drucksachen) . . . 10606D Achter Bericht des Bundesministers für Arbeit über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (Nr. 3721 der Drucksachen) 10606D Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3679 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von den Abg. Dr. Etzel (Bamberg), Dr. Horlacher u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3702 der Drucksachen) . . 10606D Ewers (DP), Antragsteller . 10607A, 10625D Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller 10609C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10610B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10616D Frau Meyer-Laule (SPD) 10618C Wagner (SPD) 10619D, 10625D Dr. Schneider (FDP) 10622A Fisch (KPD) 10623C Dr. Meitinger (FU) 10624D Abstimmungen über Anträge auf Ausschußüberweisung 10628B Zweite und dritte Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU betr. den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr (Nr. 3714 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) (Nr. 3722 der Drucksachen) 10606D, 10628C Scharnberg (CDU), Berichterstatter 10628D Beschlußfassung 10628D Termin der nächsten Fragestunde 10629A, 10665D Erste Beratung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung (Nr. 3650 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Einführung der Rechtsanwaltsordnung (Nr. 3667 der Drucksachen) 10629A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10629A, 10630D, 10634D Wagner (SPD) 10631A Dr. Schneider (FDP) 10632B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10633A Ausschußüberweisung 10636A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf des ehem. Wehrmacht-Pferdelazaretts in Nürnberg, Wallensteinstr. 117, an den Bayerischen Rundfunk, München (Nr. 3690 der Druck sachen) 10636A Ausschußüberweisung 10636B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Winterbeihilfe (Nr. 3672 der Drucksachen) 10636B Frau Korspeter (SPD), Antragstellerin 10636B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10637A, 10640A Willenberg (FU) 10638B Arndgen (CDU) 10638C Kohl (Stuttgart) (KPD) 10638D Freidhof (SDP) 10639C Ausschußüberweisungen 10640C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungbaugesetzes (Nr. 3676 der Druck sachen) 10640C Jacobi (SPD), Antragsteller 10640D, 10648D Neumayer, Bundesminister für Wohnungsbau 10642B Parzinger (FU) 10643D Paul (Düsseldorf) (KPD) 10644D Lücke (CDU) 10645C Wirths (FDP) 10647D Kalbfell (SPD) 10649D Ausschußüberweisungen 10650D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Devisenkontrolle (Nrn. 3684, 2180 der Druck sachen) 10650D Dr. Serres (CDU), Berichterstatter 10651A Beschlußfassung 10651D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betr. die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern (Nr. 3283 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 3685 der Drucksachen) 10652A Lange (SPD), Berichterstatter . . 10652A Abstimmungen 10652B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (24. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Paßgebühren (Nrn. 3635, 3185 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Abg. Morgenthaler, Leonhard u. Gen. betr. Paßgebühren (Nr. 3695 der Drucksachen; Anderungsantrag Umdruck Nr. 661 [neu]) 10652C Feldmann (CDU): als Berichterstatter 10652C als Abgeordneter 10655C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10653D, 10655B Morgenthaler (CDU), Antragsteller 10654A Jacobi (SPD) 10654C Abstimmungen 10656A Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Ausübung der Krankenpflege (Nr. 3687 der Drucksachen) 10656A Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10656A Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10657C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10658C Frau Dr. Hubert (SPD) 10659A Frau Dr. Mulert (FDP) 10660B Frau Strohbach (KPD) 10661A Frau Arnold (FU) 10661C Beschlußfassung 10662A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms (Nr. 3691 der Drucksachen) . . 10662B Frau Dietz (CDU), Antragstellerin . 106623 Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10662D Frau Dr. Ilk (FDP) 10663C Frau Nadig (SPD) 10663D Frau Thiele (KPD) 10664C Ausschußüberweisung 10665C Nächste Sitzung 10665D Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Karl Weber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, nach dem bisherigen Verlauf der Debatte zunächst feststellen zu können, daß das Problem der Todesstrafe von so hoher Warte, unter gespannter Anteilnahme des gesamten Hauses und mit dem sittlichen Ernst geführt wird, der diesem Gegenstand zukommt.


    (Dr. Weber [Koblenz])

    Wer geglaubt hätte, daß das Problem nach der stundenlangen Debatte, die wir vor 21/2 Jahren um den gleichen Sachgegenstand geführt hatten, nicht noch weiter vertieft werden könne, der ist durch die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers eines anderen belehrt worden. Ich bin zwar der Meinung, daß dieses Plädoyer für die Beibehaltung des Art. 102 advokatorisch gesehen wirkungsvoller gewesen wäre, wenn es nach der ersten halben Stunde abgeschlossen worden wäre.

    (Beifall rechts.)

    Die anderen Ausführungen hätten dann sehr wohl im Ausschuß gemacht werden können, weil sie mehr Einzelheiten betrafen und im übrigen auch sehr stark von emotionalen Gesichtspunkten getragen waren.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Meine Damen und Herren! In Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es:
    Jeder hat das Recht auf Leben und körper-
    liche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person
    ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf
    Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Damit ist noch nichts Entscheidendes zu dem heute zur Debatte stehenden Thema und Problem gesagt. Immerhin erscheint es mir angebracht, darauf hinzuweisen, welche hohe Wertung das Grundgesetz dem Recht auf Leben zugemessen hat, daß es einmal dieses als Grundrecht schützte und Eingriffe nur auf Grund eines Gesetzes gestattete. „Das Leben ist heilig." Zum andern können wir daraus die Einsicht gewinnen, welch schweres Verbrechen derjenige begeht, der dieses zu Eingang des Grundgesetzes geschützte Recht auf Leben frivol verletzt, also tötet, mordet.
    Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß diese Rechtsbrecher auch schwerste Strafe treffen muß. Das fünfte Gebot im Dekalog, im Grundgesetz der Christen, heißt: „Du sollst nicht töten". Es richtet sich sowohl an den einzelnen als auch an die Allgemeinheit, den Staat. Im kirchlichen und im staatlichen Recht ist es aber anerkannt, daß davon Ausnahmen gemacht werden müssen, wie z. B. im Falle der Notwehr des einzelnen sowohl als auch der Allgemeinheit. Ebenso ist in der christlichen Moraltheologie anerkannt, daß der Staat das Recht hat, durch seine Gerichte denjenigen, der das Leben anderer nicht geachtet, sondern vorsätzlich und überlegt vernichtet hat, selbst des Lebens für verlustig zu erklären. Dieses Recht des Staates wird auch von meinen Freunden grundsätzlich anerkannt.
    Um die Frage aber, ob der Staat von diesem Recht Gebrauch machen soll, welche Sühne, welche Strafe den Mörder und Totschläger treffen muß, ist, wie bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, seit Jahrhunderten ein lebhafter Streit entbrannt. Das Grundgesetz hat ihn im Art. 102 lapidar dahin entschieden: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". Es hat damit auch dem Gesetzgeber die ihm in Art. 2 an sich gegebene Befugnis, durch ein einfaches Bundesgesetz den Eingriff in das Grundrecht des Lebens zu gestatten, entzogen. Wir hatten damals, als das Grundgesetz beschlossen wurde —das hat auch der Herr Bundesjustizminister bereits in der Erklärung der Genesis dieses Artikels hervorgehoben —, die schlimmen Erfahrungen der Nazizeit bis 1945 und — auch das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden — die schlimmen Erfahrungen nach 1945 vor Augen. Der im Jahre 1928 vor dem Reichsgericht in Leipzig verkündete Programmsatz: „Wenn ich einmal
    zur Herrschaft komme, werden die Köpfe rollen",
    war besonders in den letzten Kriegsjahren zu einer grausigen Wirklichkeit geworden. Die Achtung und die Ehrfurcht vor dem Leben waren weithin geschwunden, und es erschien deshalb angebracht, diesen Werten dadurch wieder Geltung zu verschaffen, daß man jeden gewaltsamen Eingriff in das Leben schlechthin verbot und damit die Todesstrafe abschaffte. Auch viele meiner politischen Freunde haben damals trotz mancher Bedenken, wie sie eben auch der Herr Bundesjustizminister erörtert hat, dieser Regelung zugestimmt. Einige haben sie auch abgelehnt, weil sie der Ansicht waren, daß gerade angesichts der durch die Kriegszeit eingerissenen Verwilderung und Verrohung der Sitten die Todesstrafe als Mittel der Abschreckung und damit der Sicherung der menschlichen Gesellschaft sowie als gerechte Sühne nicht zu entbehren sei.
    Der Streit um die Todesstrafe ist aber auch mit dieser Entscheidung des Parlamentarischen Rates nicht zur Ruhe gekommen. Schon nach mehreren Monaten hatte sich ja das Hohe Haus mit der Frage zu beschäftigen, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden solle. Am 27. März 1950 in der 52. Sitzung fand eine mehrstündige, man darf sagen: erregte, aber auch erregende Debatte statt. Ich habe schon zu Beginn meiner Ausführungen betont, daß man nach deren Verlauf eigentlich hätte erwarten und sagen können, daß Wesentliches zu der Frage, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden oder ob sie abgeschafft bleiben solle, nicht mehr zu sagen sei.
    Meine Fraktion hat sich mit der Frage eingehend befaßt. Sie vertrat in der Debatte am 27. März 1950 — unbeschadet der sachlichen Stellungnahme — ganz überwiegend den Standpunkt, daß es nicht angängig sei, die erst vor wenigen Monaten mit großer Mehrheit vom Parlamentarischen Rat getroffene Entscheidung nun schon wieder zu ändern, und stimmte deshalb dem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu. Des weiteren wurde auch damals schon in der Debatte vom Herrn Bundesjustizminister im gleichen Sinne betont, daß man doch mindestens einige Jahre zuwarten und Erfahrungen sammeln müsse, um die Auswirkung der Bestimmung auf die Entwicklung der schweren Kriminalität überprüfen zu können. Dazu sei dann voraussichtlich im Rahmen der Erörterung der Strafrechtsreform Gelegenheit geboten, auf die wir ja nun noch bis heute warten. Bei dieser müsse dann sowieso das geltende Strafensystem erneut überprüft, unter die Lupe genommen und geordnet werden.
    Obwohl das Hohe Haus mit so großer Mehrheit damals beschloß, zur Tagesordnung überzugehen, dauerte aber die Erörterung über die Frage der Todesstrafe in der Öffentlichkeit an. Es ist nicht zu verkennen, daß einzelne besonders greuliche, scheußliche und empörende Mordfälle die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, in der breiten Masse des Volkes erheblich wachsen ließ. Es ist ja schon betont worden, daß die statistischen Erhebungen durch Institute zur Erforschung der öffentlichen Meinung ergeben haben, daß die Befragten bis zu einem Prozentsatz von 75% sich für die Wiedereinführung und für die Notwendigkeit der Todesstrafe ausgesprochen haben.

    (Abg. Dr. Greve: Das kommt darauf an, wann Sie die befragen! Wenn Sie die nach einem Mord befragen, ja, Herr Kol lege Weber! Aber wenn Sie die in aller Ruhe fragen?! — Weitere Zurufe von der SPD.)


    (Dr. Weber [Koblenz])

    — Gerade im Zusammenhang mit einem Mord, ich komme auf das Argument, Herr Kollege Greve, noch zu sprechen. Ich halte es durchaus nicht für durchschlagend, sondern betone das, was Herr Kollege Schmid bereits in der Debatte am 27. März 1950 ausgeführt hat und was eben auch in ausgezeichneter Weise Herr Bundesjustizminister ausgesprochen hat, daß wir uns durch die öffentliche Meinung nicht entscheidend beeinflussen lassen dürfen.

    (Abg. Dr. Greve: Sehr richtig! — Zuruf rechts: Dann brauchen wir gar keine Wahlen mehr zu machen!)

    Das Problem wurde gerade in den letzten Monaten in öffentlichen Diskussionen und in Zeitungsartikeln eingehend behandelt. Diese Erörterungen sind ja wohl auch maßgebend gewesen ebenso wie die Vorkommnisse, wie sie im einzelnen von Herrn Kollegen Ewers angeführt worden sind, daß wir uns heute mit diesen beiden Anträgen zu befassen haben. Die gestellten Anträge bezwecken entweder, den Art. 102 ganz zu beseitigen oder ihn dahingehend zu ergänzen, daß er keine Geltung für bestimmte Taten haben soll.
    Wir haben uns nun zu prüfen: Haben sich die Verhältnisse gegenüber der Zeit vor zweieinhalb Jahren so geändert, oder haben wir inzwischen so entscheidende neue Erkenntnisse und Einsichten gewonnen, daß wir jetzt schon eine Änderung in der im Frühjahr 1950 eingenommenen Haltung vornehmen müssen? Meine Fraktion sieht sich nicht in der Lage, auf diese Frage jetzt schon eine einhellige und eindeutige Antwort zu geben. Auch in ihr ist die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, erheblich gewachsen, während ein anderer Teil ebenso eindeutig bei der Ablehnung der Todesstrafe bleibt.
    Einigkeit besteht allerdings bei uns darin, daß es nicht in Frage kommen kann, den Art. 102 schlechthin aufzuheben und damit den Weg dafür freizumachen, daß durch einfaches Bundesgesetz jedes für todeswürdig erachtete Verbrechen nun auch mit der Todesstrafe bedroht werden kann. Die Erlebnisse der 12 Jahre Naziherrschaft und ihre Auswirkungen stehen ja noch so lebhaft und allzu lebhaft vor unseren Augen, als daß wir in Erwägung ziehen könnten, dem Gesetzgeber sozusagen wieder freie Hände zu geben. Wir können deshalb dem Antrag der DP auf Aufhebung des Art. 102 schlechthin nicht zustimmen.
    Eine andere Frage ist aber die, ob nicht für gewisse rohe und abscheuliche Straftaten — so insbesondere den Raubmord und den Lustmord — die Todesstrafe angedroht werden sollte. Diese Frage wird von einer großen Zahl meiner politischen Freunde bejaht, aber nur dann, wenn die Feststellung des Täters und der Tatumstände durch einen klaren und direkten Beweis und nicht im Wege des Indizienbeweises möglich ist.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    Die Frage bedarf aber noch einer eingehenden Erörterung und Überprüfung. Es wird notwendig sein, dazu statistisches Material heranzuziehen, wie es uns der Herr Bundesjustizminister ja zum Teil schon vorgetragen hat, und zwar in einer solchen Fülle, daß es bei der Kürze der Zeit gar nicht möglich war, dem allem zu folgen und das alles zu verarbeiten. Es wird nötig sein, daß Sachverständige gehört werden. Wir denken dabei an Theologen, Ärzte, Richter und Staatsanwälte, damit ein wohlfundiertes Urteil ermöglicht wird. Ich stimme deshalb den gestellten Anträgen auf Verweisung beider Anträge an den Rechtsausschuß namens meiner Fraktion zu.
    Ich meine abschließend, man sollte die Stellungnahme zu dieser Frage und in diesem Hause nicht zum Gegenstand ethisch abschätzender oder anerkennender Beurteilung machen. Die Entscheidung Für oder Wider wird jeder von uns selber vor seinem Gewissen zu treffen und zu verantworten haben.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Es lassen sich viele gewichtige Gründe für das Für, aber auch für das Dagegen anführen. Wir werden alle diese Gründe mit dem dem Sachgegenstand zukommenden sittlichen Ernst und mit Gründlichkeit prüfen und erörtern und sollten dann die Entscheidung, die jeder einzelne trifft, als das Ergebnis ehrlichen Ringens und Mühens um ein schwieriges Problem anerkennen und würdigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer-Laule.

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    Rede von Emmy Meyer-Laule


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte dem Herrn Justizminister von ganzem Herzen für seine Ausführungen danken. Ich bin überzeugt, felsenfest überzeugt davon: wenn diese Ausführungen vor der Einbringung dieser Anträge gemacht worden wären, hätten wir, glaube ich, heute diese Debatte nicht zu führen.

    (Widerspruch rechts.)

    Den vorliegenden Antrag wird man nur gerecht würdigen können, wenn man die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten klar sieht. Auch die Antragsteller werden sich doch 'darüber einig sein, daß dieser Bundestag in seinen letzten Arbeitswochen und -monaten keine Zeit mehr finden wird, um eine so wichtige und umstrittene Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Wir Sozialdemokraten fragen uns deshalb, was der tiefere Grund für dieses Verhalten ist. Denn wer sich damals bei der ersten Debatte zu einem Nein in dieser zutiefst menschlichen Frage durchgerungen hatte, der sollte für immer seinen Standpunkt bezogen haben, auch wenn er durch die Häufung der Verbrechen, die nach der Begründung der Antragsteller zu diesem Antrag geführt haben, sein Gewissen noch einmal überprüfen mußte.
    Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß wir genau so erschüttert vor den Opfern stehen, wir, die wir den Mord in jeder Form als eine Ausgeburt des Bösen empfinden. Wir alle, die wir gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wissen um die Unpopularität unserer Einstellung. Wir wissen aber auch um den 'uralten, in jedem Menschen latenten Trieb nach Vergeltung, wir wissen um den Racheinstinkt, der eine Ansteckungsgefahr bedeuten kann, und wir wissen auch um die daraus hervorgehende gefährliche Gefühlsreaktion. Wir werden noch viele Jahre brauchen, um diese Reaktionen zu überwinden; denn der nationalsozialistische Staat hat ja bewußt die vox populi in diese gefährliche Richtung gelenkt, weil er nur damit seinen Verbrechen den Anschein der Legalität geben konnte. Aus diesem Grunde darf dieser unser Staat nicht Mörder und nicht Henker wer-


    (Frau Meyer-Laule)

    den. Er muß die Wunden heilen, die die Vergangenheit geschlagen hat, und das entstandene seelische Vakuum mit Menschlichkeit, Liebe und Güte ausfüllen. Unsere junge Demokratie als Erbfolger dieses mörderischen Systems darf nicht heute und nicht morgen und nicht in aller Zukunft auch nur das geringste aus jener Zeit übernehmen, wenn diese Demokratie die Vermenschlichung der Zustände anstrebt.
    Sind es die Verbrechen der letzten Zeit, die zu diesem Antrag geführt haben — und Herr Kollege Dr. Weber hat uns ja dasselbe versichert —, so möchte ich einmal sagen: denken Sie doch darüber nach, daß der Gekreuzigte noch im Tode seinen Mördern verzieh und wie 'diese verzeihende Liebe wie eine Gloriole seit 2000 Jahren über der Christenheit steht.

    (Zuruf des Abg. Ewers.)

    Ich weiß nicht, ob in einer so ernsten Debatte und bei einem so ernstgemeinten Wort ein Zwischenruf überhaupt sein dürfte.

    (Zurufe rechts.)

    Sollte aber der Entschluß von der Idee der Staatsräson beeinflußt sein, müßten wir ihn geradezu als verhängnisvoll bezeichnen. Damit würde dem Staat, gleich, wer ihn repräsentiert, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe ein Mittel in die Hand gegeben werden, das weit über das hinausgeht, was jeder einzelne von uns verantworten kann. Alle Menschen in der Bundesrepublik, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, mögen bedenken, daß -- auch wenn die Todesstrafe an bestimmte Voraussetzungen gebunden würde — die Möglichkeit der Ausweitung auf andere Fälle — ich will nur Kriegsdienst- oder Befehlsverweigerung nennen — jederzeit in dem Bereich der Möglichkeit läge.
    Oder sollte die Sinnesänderung in dem Verlangen nach Schutz der menschlichen Gesellschaft begründet liegen? Auch der Tod des Mörders macht den Gemordeten nicht mehr lebendig, und die Gesellschaft wird geschützt und gesühnt durch das Wort „lebenslänglich". Es ist nicht so, als bedeute die lebenslängliche Strafe keine Sühne oder eine milde Sühne. Wer einmal selbst das Schicksal eines Verurteilten erlebt hat — und das war manch einem in diesem Hohen Hause während des „Dritten Reiches" bestimmt —, der weiß, wie schwer es ist, zu warten, ob die Zeit vergeht, wie lange er noch warten muß, bis er die Freiheit bekommt. Ich möchte zu bedenken geben, daß lebenslänglich doch mindestens sein muß wie lebendig begraben.
    Das weite Feld der Kriminalität ist aber auch auf der sozialen Ebene zu suchen oder im Milieu, das nur zu oft ein entscheidender Faktor werden kann. Vergessen wir nicht die Kriminalität durch Kriege bedingt und daß Veranlagung und Umwelt wichtige Faktoren sein können. In einer Zeit, in der schen der ehrliche Finder bestaunt wird, wo Mensch und Menschlichkeit nur durch das Wort verwandt sind, wo die guten Taten seltener sind als die bösen, da muß es doch ein anderes Mittel eben als die Todesstrafe, um eine neue moralische Kraft bei uns lebendig zu machen.
    Goethe, der wie selten einer um die menschliche Not, um das menschliche Leid und um die menschliche Unzulänglichkeit wußte und der in jungen Jahren seine Zustimmung zur Todesstrafe nur bedingt gegeben hat, sagte in einem Gespräch im hohen Mannesalter zu Eckermann, er habe von
    keinem Verbrechen gehört, das er nicht auch selbst hätte begehen können. Können auch wir bestreiten, daß wir alle in Gedanken gesündigt, oder bestreiten, daß auch in unserem Unterbewußtsein schlechte, niedrige, ja kriminelle Gedanken und Wünsche verborgen sind? Wer gibt uns die Kraft, sie nicht auszuführen, und wer nimmt dem Mörder die Kraft, zu widerstehen? Hier steht der Mensch vor unlösbaren Rätseln, und das Wissen um sie muß uns nachdenklich machen.
    Lassen Sie mich an die Herren, die bereit sind, für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu stimmen, die Frage richten: Sind Sie auch bereit, das Todesurteil zu vollstrecken, oder sind es die Richter und Staatsanwälte, die sich hinter Ihre Forderung stellen? Wenn sie, die Richter, nicht mit den ihnen gegebenen strafrechtlichen Möglichkeiten fertig werden und nur Kritik am Grundgesetz üben, dann, glaube ich, sind diese Richter fehl am Platze.
    Ich habe hier die neueste Nummer der „KettelerWacht", die Zeitschrift für das katholische Volk, und in einem Artikel wird sehr ausführlich über die Todesstrafe geschrieben. Unter Punkt 3 der Begründung lesen wir:
    Die Erfahrung zeigt, daß sich fast alle zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung mit Gott versöhnten, während das bei der Verurteilung zur Zuchthausstrafe nicht der Fall ist.
    Meine Damen und Herren, so geht es nicht!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    In mir empört sich die Christin und der Mensch, wenn auf so primitive Weise zu den menschlichsten Fragen argumentiert, ich möchte fast sagen: unchristlich argumentiert wird.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sollten die vorgebrachten Argumente Sie aber nicht von unserem Standpunkt überzeugen können, so möchte ich noch ein furchtbares Wort erwähnen: Fehlurteil — Justizmord! Alle Justizirrtümer sind reparabel, nur der Justizmord ist es nicht. Und immer wieder möchte ich Ihnen zurufen: Vergessen Sie nie das Erlebte oder die Schrecken des Erlebten, wo der Justizmord zur Strafjustiz der sogenannten Rechtsprechung gehörte! Zurufen möchte ich Ihnen: Stoßen Sie das Tor nicht auf; der Weg führt rückwärts, und keiner von Ihnen weiß, welches Ende er nimmt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)