Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, nach dem bisherigen Verlauf der Debatte zunächst feststellen zu können, daß das Problem der Todesstrafe von so hoher Warte, unter gespannter Anteilnahme des gesamten Hauses und mit dem sittlichen Ernst geführt wird, der diesem Gegenstand zukommt.
Wer geglaubt hätte, daß das Problem nach der stundenlangen Debatte, die wir vor 21/2 Jahren um den gleichen Sachgegenstand geführt hatten, nicht noch weiter vertieft werden könne, der ist durch die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers eines anderen belehrt worden. Ich bin zwar der Meinung, daß dieses Plädoyer für die Beibehaltung des Art. 102 advokatorisch gesehen wirkungsvoller gewesen wäre, wenn es nach der ersten halben Stunde abgeschlossen worden wäre.
Die anderen Ausführungen hätten dann sehr wohl im Ausschuß gemacht werden können, weil sie mehr Einzelheiten betrafen und im übrigen auch sehr stark von emotionalen Gesichtspunkten getragen waren.
Meine Damen und Herren! In Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es:
Jeder hat das Recht auf Leben und körper-
liche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person
ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf
Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Damit ist noch nichts Entscheidendes zu dem heute zur Debatte stehenden Thema und Problem gesagt. Immerhin erscheint es mir angebracht, darauf hinzuweisen, welche hohe Wertung das Grundgesetz dem Recht auf Leben zugemessen hat, daß es einmal dieses als Grundrecht schützte und Eingriffe nur auf Grund eines Gesetzes gestattete. „Das Leben ist heilig." Zum andern können wir daraus die Einsicht gewinnen, welch schweres Verbrechen derjenige begeht, der dieses zu Eingang des Grundgesetzes geschützte Recht auf Leben frivol verletzt, also tötet, mordet.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß diese Rechtsbrecher auch schwerste Strafe treffen muß. Das fünfte Gebot im Dekalog, im Grundgesetz der Christen, heißt: „Du sollst nicht töten". Es richtet sich sowohl an den einzelnen als auch an die Allgemeinheit, den Staat. Im kirchlichen und im staatlichen Recht ist es aber anerkannt, daß davon Ausnahmen gemacht werden müssen, wie z. B. im Falle der Notwehr des einzelnen sowohl als auch der Allgemeinheit. Ebenso ist in der christlichen Moraltheologie anerkannt, daß der Staat das Recht hat, durch seine Gerichte denjenigen, der das Leben anderer nicht geachtet, sondern vorsätzlich und überlegt vernichtet hat, selbst des Lebens für verlustig zu erklären. Dieses Recht des Staates wird auch von meinen Freunden grundsätzlich anerkannt.
Um die Frage aber, ob der Staat von diesem Recht Gebrauch machen soll, welche Sühne, welche Strafe den Mörder und Totschläger treffen muß, ist, wie bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, seit Jahrhunderten ein lebhafter Streit entbrannt. Das Grundgesetz hat ihn im Art. 102 lapidar dahin entschieden: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". Es hat damit auch dem Gesetzgeber die ihm in Art. 2 an sich gegebene Befugnis, durch ein einfaches Bundesgesetz den Eingriff in das Grundrecht des Lebens zu gestatten, entzogen. Wir hatten damals, als das Grundgesetz beschlossen wurde —das hat auch der Herr Bundesjustizminister bereits in der Erklärung der Genesis dieses Artikels hervorgehoben —, die schlimmen Erfahrungen der Nazizeit bis 1945 und — auch das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden — die schlimmen Erfahrungen nach 1945 vor Augen. Der im Jahre 1928 vor dem Reichsgericht in Leipzig verkündete Programmsatz: „Wenn ich einmal
zur Herrschaft komme, werden die Köpfe rollen",
war besonders in den letzten Kriegsjahren zu einer grausigen Wirklichkeit geworden. Die Achtung und die Ehrfurcht vor dem Leben waren weithin geschwunden, und es erschien deshalb angebracht, diesen Werten dadurch wieder Geltung zu verschaffen, daß man jeden gewaltsamen Eingriff in das Leben schlechthin verbot und damit die Todesstrafe abschaffte. Auch viele meiner politischen Freunde haben damals trotz mancher Bedenken, wie sie eben auch der Herr Bundesjustizminister erörtert hat, dieser Regelung zugestimmt. Einige haben sie auch abgelehnt, weil sie der Ansicht waren, daß gerade angesichts der durch die Kriegszeit eingerissenen Verwilderung und Verrohung der Sitten die Todesstrafe als Mittel der Abschreckung und damit der Sicherung der menschlichen Gesellschaft sowie als gerechte Sühne nicht zu entbehren sei.
Der Streit um die Todesstrafe ist aber auch mit dieser Entscheidung des Parlamentarischen Rates nicht zur Ruhe gekommen. Schon nach mehreren Monaten hatte sich ja das Hohe Haus mit der Frage zu beschäftigen, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden solle. Am 27. März 1950 in der 52. Sitzung fand eine mehrstündige, man darf sagen: erregte, aber auch erregende Debatte statt. Ich habe schon zu Beginn meiner Ausführungen betont, daß man nach deren Verlauf eigentlich hätte erwarten und sagen können, daß Wesentliches zu der Frage, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden oder ob sie abgeschafft bleiben solle, nicht mehr zu sagen sei.
Meine Fraktion hat sich mit der Frage eingehend befaßt. Sie vertrat in der Debatte am 27. März 1950 — unbeschadet der sachlichen Stellungnahme — ganz überwiegend den Standpunkt, daß es nicht angängig sei, die erst vor wenigen Monaten mit großer Mehrheit vom Parlamentarischen Rat getroffene Entscheidung nun schon wieder zu ändern, und stimmte deshalb dem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu. Des weiteren wurde auch damals schon in der Debatte vom Herrn Bundesjustizminister im gleichen Sinne betont, daß man doch mindestens einige Jahre zuwarten und Erfahrungen sammeln müsse, um die Auswirkung der Bestimmung auf die Entwicklung der schweren Kriminalität überprüfen zu können. Dazu sei dann voraussichtlich im Rahmen der Erörterung der Strafrechtsreform Gelegenheit geboten, auf die wir ja nun noch bis heute warten. Bei dieser müsse dann sowieso das geltende Strafensystem erneut überprüft, unter die Lupe genommen und geordnet werden.
Obwohl das Hohe Haus mit so großer Mehrheit damals beschloß, zur Tagesordnung überzugehen, dauerte aber die Erörterung über die Frage der Todesstrafe in der Öffentlichkeit an. Es ist nicht zu verkennen, daß einzelne besonders greuliche, scheußliche und empörende Mordfälle die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, in der breiten Masse des Volkes erheblich wachsen ließ. Es ist ja schon betont worden, daß die statistischen Erhebungen durch Institute zur Erforschung der öffentlichen Meinung ergeben haben, daß die Befragten bis zu einem Prozentsatz von 75% sich für die Wiedereinführung und für die Notwendigkeit der Todesstrafe ausgesprochen haben.
— Gerade im Zusammenhang mit einem Mord, ich komme auf das Argument, Herr Kollege Greve, noch zu sprechen. Ich halte es durchaus nicht für durchschlagend, sondern betone das, was Herr Kollege Schmid bereits in der Debatte am 27. März 1950 ausgeführt hat und was eben auch in ausgezeichneter Weise Herr Bundesjustizminister ausgesprochen hat, daß wir uns durch die öffentliche Meinung nicht entscheidend beeinflussen lassen dürfen.
Das Problem wurde gerade in den letzten Monaten in öffentlichen Diskussionen und in Zeitungsartikeln eingehend behandelt. Diese Erörterungen sind ja wohl auch maßgebend gewesen ebenso wie die Vorkommnisse, wie sie im einzelnen von Herrn Kollegen Ewers angeführt worden sind, daß wir uns heute mit diesen beiden Anträgen zu befassen haben. Die gestellten Anträge bezwecken entweder, den Art. 102 ganz zu beseitigen oder ihn dahingehend zu ergänzen, daß er keine Geltung für bestimmte Taten haben soll.
Wir haben uns nun zu prüfen: Haben sich die Verhältnisse gegenüber der Zeit vor zweieinhalb Jahren so geändert, oder haben wir inzwischen so entscheidende neue Erkenntnisse und Einsichten gewonnen, daß wir jetzt schon eine Änderung in der im Frühjahr 1950 eingenommenen Haltung vornehmen müssen? Meine Fraktion sieht sich nicht in der Lage, auf diese Frage jetzt schon eine einhellige und eindeutige Antwort zu geben. Auch in ihr ist die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, erheblich gewachsen, während ein anderer Teil ebenso eindeutig bei der Ablehnung der Todesstrafe bleibt.
Einigkeit besteht allerdings bei uns darin, daß es nicht in Frage kommen kann, den Art. 102 schlechthin aufzuheben und damit den Weg dafür freizumachen, daß durch einfaches Bundesgesetz jedes für todeswürdig erachtete Verbrechen nun auch mit der Todesstrafe bedroht werden kann. Die Erlebnisse der 12 Jahre Naziherrschaft und ihre Auswirkungen stehen ja noch so lebhaft und allzu lebhaft vor unseren Augen, als daß wir in Erwägung ziehen könnten, dem Gesetzgeber sozusagen wieder freie Hände zu geben. Wir können deshalb dem Antrag der DP auf Aufhebung des Art. 102 schlechthin nicht zustimmen.
Eine andere Frage ist aber die, ob nicht für gewisse rohe und abscheuliche Straftaten — so insbesondere den Raubmord und den Lustmord — die Todesstrafe angedroht werden sollte. Diese Frage wird von einer großen Zahl meiner politischen Freunde bejaht, aber nur dann, wenn die Feststellung des Täters und der Tatumstände durch einen klaren und direkten Beweis und nicht im Wege des Indizienbeweises möglich ist.
Die Frage bedarf aber noch einer eingehenden Erörterung und Überprüfung. Es wird notwendig sein, dazu statistisches Material heranzuziehen, wie es uns der Herr Bundesjustizminister ja zum Teil schon vorgetragen hat, und zwar in einer solchen Fülle, daß es bei der Kürze der Zeit gar nicht möglich war, dem allem zu folgen und das alles zu verarbeiten. Es wird nötig sein, daß Sachverständige gehört werden. Wir denken dabei an Theologen, Ärzte, Richter und Staatsanwälte, damit ein wohlfundiertes Urteil ermöglicht wird. Ich stimme deshalb den gestellten Anträgen auf Verweisung beider Anträge an den Rechtsausschuß namens meiner Fraktion zu.
Ich meine abschließend, man sollte die Stellungnahme zu dieser Frage und in diesem Hause nicht zum Gegenstand ethisch abschätzender oder anerkennender Beurteilung machen. Die Entscheidung Für oder Wider wird jeder von uns selber vor seinem Gewissen zu treffen und zu verantworten haben.
Es lassen sich viele gewichtige Gründe für das Für, aber auch für das Dagegen anführen. Wir werden alle diese Gründe mit dem dem Sachgegenstand zukommenden sittlichen Ernst und mit Gründlichkeit prüfen und erörtern und sollten dann die Entscheidung, die jeder einzelne trifft, als das Ergebnis ehrlichen Ringens und Mühens um ein schwieriges Problem anerkennen und würdigen.