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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 10605 232. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1952 Geschäftliche Mitteilungen 10606C, 10616D, 10665D Erweiterung der Tagesordnung 10606D Kleine Anfrage Nr. 293 der Fraktion der SPD betr. Bezüge von Aufsichtsräten (Nrn. 3683, 3720 der Drucksachen) . . . 10606D Achter Bericht des Bundesministers für Arbeit über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (Nr. 3721 der Drucksachen) 10606D Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3679 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von den Abg. Dr. Etzel (Bamberg), Dr. Horlacher u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 102 des Grundgesetzes (Nr. 3702 der Drucksachen) . . 10606D Ewers (DP), Antragsteller . 10607A, 10625D Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller 10609C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10610B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10616D Frau Meyer-Laule (SPD) 10618C Wagner (SPD) 10619D, 10625D Dr. Schneider (FDP) 10622A Fisch (KPD) 10623C Dr. Meitinger (FU) 10624D Abstimmungen über Anträge auf Ausschußüberweisung 10628B Zweite und dritte Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU betr. den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr (Nr. 3714 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) (Nr. 3722 der Drucksachen) 10606D, 10628C Scharnberg (CDU), Berichterstatter 10628D Beschlußfassung 10628D Termin der nächsten Fragestunde 10629A, 10665D Erste Beratung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung (Nr. 3650 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Einführung der Rechtsanwaltsordnung (Nr. 3667 der Drucksachen) 10629A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 10629A, 10630D, 10634D Wagner (SPD) 10631A Dr. Schneider (FDP) 10632B Dr. Weber (Koblenz) (CDU) . . . 10633A Ausschußüberweisung 10636A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf des ehem. Wehrmacht-Pferdelazaretts in Nürnberg, Wallensteinstr. 117, an den Bayerischen Rundfunk, München (Nr. 3690 der Druck sachen) 10636A Ausschußüberweisung 10636B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Winterbeihilfe (Nr. 3672 der Drucksachen) 10636B Frau Korspeter (SPD), Antragstellerin 10636B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10637A, 10640A Willenberg (FU) 10638B Arndgen (CDU) 10638C Kohl (Stuttgart) (KPD) 10638D Freidhof (SDP) 10639C Ausschußüberweisungen 10640C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungbaugesetzes (Nr. 3676 der Druck sachen) 10640C Jacobi (SPD), Antragsteller 10640D, 10648D Neumayer, Bundesminister für Wohnungsbau 10642B Parzinger (FU) 10643D Paul (Düsseldorf) (KPD) 10644D Lücke (CDU) 10645C Wirths (FDP) 10647D Kalbfell (SPD) 10649D Ausschußüberweisungen 10650D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Devisenkontrolle (Nrn. 3684, 2180 der Druck sachen) 10650D Dr. Serres (CDU), Berichterstatter 10651A Beschlußfassung 10651D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betr. die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern (Nr. 3283 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 3685 der Drucksachen) 10652A Lange (SPD), Berichterstatter . . 10652A Abstimmungen 10652B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (24. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Paßgebühren (Nrn. 3635, 3185 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Abg. Morgenthaler, Leonhard u. Gen. betr. Paßgebühren (Nr. 3695 der Drucksachen; Anderungsantrag Umdruck Nr. 661 [neu]) 10652C Feldmann (CDU): als Berichterstatter 10652C als Abgeordneter 10655C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10653D, 10655B Morgenthaler (CDU), Antragsteller 10654A Jacobi (SPD) 10654C Abstimmungen 10656A Beratung des Antrags der Fraktion der DP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Ausübung der Krankenpflege (Nr. 3687 der Drucksachen) 10656A Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 10656A Frau Dr. Steinbiß (CDU) 10657C Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10658C Frau Dr. Hubert (SPD) 10659A Frau Dr. Mulert (FDP) 10660B Frau Strohbach (KPD) 10661A Frau Arnold (FU) 10661C Beschlußfassung 10662A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms (Nr. 3691 der Drucksachen) . . 10662B Frau Dietz (CDU), Antragstellerin . 106623 Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 10662D Frau Dr. Ilk (FDP) 10663C Frau Nadig (SPD) 10663D Frau Thiele (KPD) 10664C Ausschußüberweisung 10665C Nächste Sitzung 10665D Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Zur Begründung des Antrages der Herren Abgeordneten Dr. Etzel und Genossen hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
    Dr. Etzel (Bamberg) (FU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre ein billiger Triumph, ironische Genugtuung darüber zu empfinden, daß der Antrag der Bayernpartei aus dem Jahre 1950, über den das Hohe Haus zur Tagesordnung übergegangen ist, nun von einer Fraktion der Regierungsparteien wiederholt worden ist. Dazu ist das an die Grundlagen des menschlichen Seins und der im Staat organisierten Gesellschaft rührende Problem zu ernst und zu düster. Ich habe auch nicht die Absicht, die rechtsphilosophischen und rechtspolitischen, die soziologischen und die theologischen Darbietungen zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe, die schon in der Debatte des 27. März 1950 bis zum Rande gemacht worden sind, noch um einige weitere zu vermehren. Ich will weder auf die Sicherungs- noch auf die Abschreckungs-, die Sühne- und die Besserungstheorie noch auf den Einwand des möglichen Justizirrtums und das Gebot „Du sollst nicht töten!" noch auf die listige Vexierfrage: „Wo ist der Henker, wer macht den Henker?" eingehen. Ich will auch nicht Untersuchungen anstellen über die soziale Situation eines Mörders, seine seelische — materialistisch ausgedrückt —, seine endokrine, innersekretorische Pathologie und das Verhältnis zu seinem Opfer: „Der Ermordete, nicht der Mörder ist schuld!" Ich darf nur feststellen, daß zwei Jahre genügt haben, um einen bemerkenswerten Wandel in den Anschauungen herbeizuführen. Viele sind nachdenklich geworden und fragen sich, ob nicht die völlige Abschaffung der Todesstrafe durch den Parlamentarischen Rat, die unter dem noch frischen Eindruck der furchtbaren Herrschaft und Arbeit des nationalsozialistischen Fallbeils erfolgt ist, übereilt war. Ich möchte mir nicht die Ansicht zu eigen machen, daß parlamentarische und sonstige parteipolitische Kreise erst durch tatsächlich oder vermeintlich politische Attentate, als es nicht mehr nur um Opfer aus der anonymen Masse, sondern um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ging, geneigt wurden, ihren bisher ablehnenden Standpunkt zu überprüfen und zu ändern. Diese Wandlung in den Anschauungen einer erschreckten Öffentlichkeit ist doch wohl schon durch die sich massenhaft häufenden Morde und die besondere Bestialität, die besondere Intensität und Schauerlichkeit des verbrecherischen Willens, womit sie ausgeführt wurden, durch die Fälle Pleil, Liebenow und viele andere herbeigeführt worden. Ich bin gewiß, daß gar manche Ausführungen in der Debatte des März 1950 anders ausgefallen oder unterblieben wären, auch sehr verletzende Äußerungen des Herrn Sprechers der Regierungsbank, wenn damals schon mehr Abstand zu dem tatsächlichen Geschehen während der vorausgegangenen Ära gewonnen gewesen wäre und die Erfahrungen der letzten Jahre vorgelegen hätten.
    Unser Gesetzesvorschlag will die Bahn für die Möglichkeit öffnen, die Todesstrafe bei den schwersten Gewaltverbrechen, denen des Mordes und des


    (Dr. Etzel [Bamberg])

    Menschenraubs, anzudrohen und auszusprechen. Im Zuge einer großen Strafrechtsreform wird zu prüfen und zu entscheiden sein, ob die auf das Gesetz vom 4. September 1941 zurückgehende gegenwärtige Fassung des Straftatbestandes des § 211, welche die frühere Fassung wesentlich geändert hat, beibehalten werden kann. Das verdammungswürdige Verbrechen des Menschenraubs ist zwar in § 234 nur mit Zuchthausstrafe bedroht. Gleichwohl könnte es angebracht erscheinen, auch für diese Handlung die Androhung der Todesstrafe zuzulassen. Dadurch, daß unser Antrag die Abschaffung der Todesstrafe bestehen läßt und Ausnahmen nur für zwei normierte verbrecherische Tatbestände zuläßt, beugt er einem Abgleiten in eine Strafgesetzgebung nach Art der Republikschutzgesetze oder der nationalsozialistischen Gesetzgebung vor, also der Androhung und Verhängung der Todesstrafe für politische Tatbestände, wie dies vor einigen Monaten auch in der Türkei geschehen ist. Nur der Mord im juristischen Sinne, nur der Gewaltverbrecher gegen die höchste göttliche und menschliche Satzung, nicht die Tat gegen eine staatliche Grundordnung, gegen ein politisches System und Regime, soll mit dem Tode bestraft werden können.
    Gewiß bleibt bei der Stellungnahme zu einem so ernsten, vielschichtigen und verwickelten, ja geradezu metaphysischen Problem immer ein ungelöster Rest. Aber ich darf wohl der Meinung Ausdruck geben, daß schwerwiegende Gründe für eine Regelung im Sinne unseres Gesetzesvorschlags sprechen.
    Namens der Antragsteller bitte ich das Hohe Haus, unseren Gesetzesvorschlag auf Drucksache Nr. 3702 zusammen mit jenem auf Drucksache Nr. 3679 an den 23. Ausschuß — für Rechtswesen und Verfassungsrecht — überweisen zu wollen.

    (Beifall der FU.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich eröffne die Aussprache über beide Anträge im Rahmen der allgemeinen Redezeit von 90 Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber (Koblenz).

(Bundesminister der Justiz Dr. Dehler: Ich hatte ums Wort gebeten!)

— Ich bitte um Entschuldigung. Zunächst der Herr Bundesminister der Justiz!

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    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die bedeutsame Frage der Todesstrafe nicht obenhin, bestimmt auch nicht aus irgendeinem dumpfen Gefühl heraus entscheiden. Gestatten Sie mir daher, daß ich Ihnen für ihre Aussprache einige Gesichtspunkte aufzeige, die ich für bedeutsam halte, und Ihnen einschlägige Unterlagen gebe.
    Man sieht das Problem der Todesstrafe nur richtig, wenn man es in seinem geschichtlichen Ablauf, in seiner Entwicklung betrachtet. Die Todesstrafe beruhte ursprünglich auf Blutrache, auf heidnischem Kultopfer, ist nach der Christianisierung des Abendlandes zurückgedrängt worden und hat dann im Mittelalter einen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Taten, die uns heute als Lappalien erscheinen, sind in diesen Zeiten mit dem Tode gesühnt worden. Diebstahl ganz geringfügiger Art, Fälschung von Münzen, Gewichten, Maßen, Gotteslästerung, — alle diese Taten führten zum Galgen.
    In England — es ist ganz interessant, sich das zu vergegenwärtigen — sind noch 1810 Ladendieb-

    (c Tode bestraft worden, und noch 1835 wurden Entwendungen von Briefen bei der Post mit dem Tode bestraft. Zahllose Todesurteile sind vollstreckt worden. Die Zahlen der Menschen, die dem Henker verfielen, sind wissenswert. Unter Heinrich VIII. sind 72 000, unter Elisabeth 89 000 Todesurteile gefällt worden. In Deutschland soll der Inhaber des Leipziger Schöffenstuhls, Benedikt Carpzow, allein von .1652 bis 1660 rund 20 000 Todesurteile gesprochen haben. Ein Nürnberger Scharfrichter am Anfang des 16. Jahrhunderts hat in zwanzig Jahren 1159 Todesurteile vollzogen. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, was für Strafen damals noch hinzukamen: die Folter, das Rädern und vieles andere. Ich erinnere — das ist wichtig, wenn man ein klares Bild gewinnen will — daran, daß die Todesstrafe ursprünglich der Abschreckung wegen öffentlich vollzogen wurde, auf Marktplätzen, auf Straßen, gewöhnlich in der Form eines Volksfestes. Auch das liegt nicht allzuweit zurück. In Preußen war noch 1805 nach der preußischen Kriminalordnung der Lehrer verpflichtet, seine Kinder zu den Hinrichtungen zu führen. Erst in der Zeit der vielgescholtenen Aufklärung hat sich ein Wandel vollzogen; es waren ja nicht die schlechtesten Geister, die hier nach einer Änderung gerufen haben, besonders Thomas Morus in seiner „Utopia". Die Söhne der Maria Theresia — man muß diesen Namen nennen —, Josef II. in Österreich und Leopold I. in Toscana, haben schon 1786/87 die Todesstrafe in ihren Ländern abgeschafft. Dann kamen wieder Rückschläge; aber seit dieser Zeit — mit Recht sagte Herr Kollege Ewers: seit 200 Jahren — ist dieses Problem strittig. Ich möchte aber darüber hinaus sagen, daß sich seit dieser Zeit eine Entwicklung vollzogen hat, die zu einer ständig zunehmenden Einengung der Todesstrafe führte. Die grausamen Vollzugsformen sind vollkommen verschwunden; der Vollzug in der Öffentlichkeit hat aufgehört. Eine ganze Reihe europäischer und außereuropäischer Staaten hat die Todesstrafe abgeschafft: Rumänien 1865, Portugal 1867, Holland 1870, Schweiz 1874, Italien 1890, Norwegen 1905, Osterreich 1920, Schweden 1921, Dänemark 1930, Spanien 1932, in Amerika zwischen 1847 und 1915 acht Staaten und dann in Mittelund Südamerika zwischen 1873 und 1929 eine Reihe von Staaten: Mexiko, Guatemala, Costarica, Honduras, Columbien, Nicaragua, Brasilien, Argentinien, Ekuador, Venezuela, Peru und Uruguay. Andere haben von dem Vollzug der Todesstrafe restlos abgesehen, vor allem Finnland schon seit Anfang und Belgien seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ich glaube also nicht, daß es ganz richtig ist, wenn Herr Kollege Ewers den Vorwurf erhebt, man sei von einem Extrem ins andere gefallen. Vielmehr ist das eine Frage — mit Recht haben das die beiden Herren betont —, die die Menschen zutiefst berührt und auf alle Gebiete unseres Lebens greift. Wo die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, ist sie auf ganz wenige Verbrechenstatbestände beschränkt worden; auch bei uns in Deutschland wurde sie in dem Strafgesetzbuch von 1871 nur auf Mord, Hochverrat und einen bestimmten Tatbestand der Sprengstoffdelikte beschränkt. Aber auch bei uns hat sich darüber hinaus eine ganz intensive Auseinandersetzung mit dem Problem der Todesstrafe vollzogen, nicht nur literarisch, sondern auch politisch. Hier darf ich Herrn Kollegen Ewers ergänzen: nicht nur das PaulskirchenParlament hat sich 1848 zu der Abschaffung der Todesstrafe bekannt, sondern auch die Preußische Nationalversammlung, beide übrigens ungefähr mit der gleichen Stimmenzahl von 60 °/o. Ausgenommen wurden damals nur bestimmte Fälle des Kriegsrechts. Tatsächlich — das wollen wir auch nicht vergessen — ist nach den Frankfurter Beschlüssen in Sachsen, in Württemberg, in Baden, in Hessen, in Oldenburg, in Braunschweig, in Hamburg, in Bremen und in einigen anderen kleineren deutschen Staaten die Todesstrafe abgeschafft worden. Nur Österreich, Bayern und Preußen haben davon abgesehen; es ist Ihnen überlassen, daraus Schlüsse zu ziehen. Schon 1863 hat ein Deutscher Juristentag — damals in Mainz —, an dem bedeutendste Rechtslehrer teilgenommen haben, ich muß schon sagen: — die Fixsterne unseres Juristenhimmels —, Ihering, Planck, Gneist, von Wächter und Merkel, mit überwiegender Mehrheit die Abschaffung der Todesstrafe verlangt. Es ist interessant, daß sich auch noch bei den Verhandlungen zur Zeit des Norddeutschen Bundes der Reichstag in den ersten beiden Lesungen für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden hat. Dann hat sich in einer geschichtlich gewordenen Rede am 1. März 1870 Bismarck mit seinem ganzen Gewicht in diese Debatte geworfen, und daraufhin hat sich eine relativ kleine Mehrheit — 127 zu 119 Stimmen — für die Beibehaltung der Todesstrafe entschieden. Aber auch damals ist von Bismarck selbst gesagt worden, daß diese Entscheidung keine endgültige sein solle, sondern daß man die Entwicklung abwarten wolle. In Deutschland ist danach in dieser Frage eine gewisse rückläufige Entwicklung eingetreten. Der Juristentag 1910 in Danzig und der Juristentag 1912 in Wien haben sich für die Beibehaltung der Todesstrafe eingesetzt. Es ist aber sehr interessant, daß auch die strafrechtliche Abteilung des Juristentages in Wien sich in der Abstimmung nur mit 159 zu 158 Stimmen für die Beibehaltung entschied. Die Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches in der Folgezeit haben keine eindeutigen Ergebnisse gezeitigt. In der Weimarer Nationalversammlung wurde die Beibehaltung der Todesstrafe mit 153 zu 128 Stimmen beschlossen. Sehr interessant ist, daß damals ein Mann eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat, dem begegnet zu sein, ich mir immer noch als großen Gewinn anrechne: Geheimrat Kahl, der große Strafrechtler und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Reichtstag. Er war der Mann, der auf dem Juristentag in Wien 1912 die entscheidende Rede für die Beibehaltung der Todesstrafe gehalten hat und dann im Laufe der Jahre doch zum Gegner der Todesstrafe geworden ist. Es trifft nicht zu, was Herr Abgeordneter Ewers sagt, daß es hier nur festgefahrene Meinungen gäbe. Es wäre trübe, wenn es in diesem Punkt nicht den Willen gäbe, den Dingen nachzugehen und diese schwierigen Fragen, die ja wirklich religiöse, weltanschauliche, kriminalpolitische sind, ernstlich zu erwägen. Ich meine, es gilt, besonders die Stimme derer zu hören, die sich mit diesem Problemen intensiv abgegeben haben. Wenn ein Mann wie Kahl, ein Mann mit der höchsten Einsicht in die Rechtswissenschaft, in die Rechtspolitik und in die allgemeine Politik im Lauf seines Lebens seine Anschauung wandelt, so ist das, glaube ich, für uns eine ernste Mahnung. Die Dinge sind dann in der Weimarer Verfassung so weitergegangen, daß sich der Reichsjustizminister Koch-Weser im Jahre 1928 auf Grund einer allgemeinen Enquête bei im Geistesleben hervorragenden Deutschen veranlaßt gesehen hat, die Landesregierungen zu ersuchen, von der Vollstreckung der Todesstrafe bis zu einer einheitlichen reichsrechtlichen Regelung abzusehen. Danach hat sich der zuständige Rechtsausschuß im Oktober 1928 für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden. Aber man hat sich nicht endgültig einigen können, und die Dinge sind am Ende liegengeblieben. Die Entwicklung nach 1933 ist Ihnen bekannt. Italien hat im Jahre 1931 unter dem Eindruck der faschistischen Lehre die Todesstrafe wieder eingeführt, ist aber in der Anwendung sehr zurückhaltend geblieben. In Deutschland sind schon im Jahre 1934 mehr Menschen hingerichtet worden als in der gesamten Zeit von 1924 bis 1933. Und wie dann die Guillotinen und Galgen ihre Tätigkeit gesteigert haben, — Sie wissen es ja alle. In den Jahren 1933 bis 1945 sind in Deutschland rund 16 500 Todesurteile gefällt worden, davon in den Kriegsjahren rund 15 900, die überwiegend vollstreckt worden sind. Ein einziger Scharfrichter in München, Reichhart, hat in den Jahren von 1933 bis 1945 2948 Hinrichtungen vorgenommen. Der Parlamentarische Rat hat sich dazu entschlossen, die Todesstrafe in dem Grundgesetz abzuschaffen. Der Herr Kollege Ewers sagt, das sei nicht der Weisheit letzter Schluß gewesen. Ich will zugestehen, daß die Dinge dort nicht in allen Einzelheiten durchdacht worden sind und daß wir zweifellos im Parlamentarischen Rat unter dem Reflex der Ereignisse der Jahre vorher gestanden sind. Ich vergesse nicht, daß die leidenschaftlich bewegte Rede unseres Herrn Kollegen Wagner damals viele in ihren Bann schlug und daß ein Teil des Parlamentarischen Rates die zweifellos auch damals vorhandenen Hemmungen zurückstellte und sich für den Antrag des Herrn Justizrats Wagner entschied. Es ist irrig, wenn Herr Kollege Ewers sagt, daß in keinem anderen Staat die Abschaffung der Todesstrafe in die Verfassung aufgenommen worden sei. Über die Zweckmäßigkeit kann man durchaus streiten. Ich hatte damals meinerseits auch Bedenken, diese Frage im Grundgesetz zu klären; aber diesen Weg ist eine ganze Reihe von Staaten gegangen: Italien, Österreich, Portugal, Schweiz, Nicaragua, Kolumbien, Ekuador und Uruguay haben alle in ihrer Verfassung die Todesstrafe abgeschafft. Bei der Bedeutung der Frage hat das vielleicht einen gewissen Sinn. Die Herren Ewers und Dr. Etzel haben vollkommen recht, daß zunächst die Beurteilung des Problems der Todesstrafe eine Frage der Weltanschauung wie auch der Religion ist. Deshalb werden Grundfragen beantwortet werden müssen und verschieden beantwortet werden können, so die Fragen: Hat der Staat das Recht, das Leben eines Menschen zu vernichten, hat der Staat das Recht, einem Menschen zuzumuten, andere Menschen berufsmäßig zu töten? Je nach der Weltanschauung des einzelnen wird die Antwort verschieden aus fallen. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, wie man sich zum Tode stellt, ob man ihn, wie damals Bismarck in seiner Rede am 1. März 1870, als „Janua vitae", als Tor des Lebens sieht oder ob man in dem Tod ein absolutes Auslöschen oder ein ungeklärtes Mysterium sieht. Noch bedeutsamer ist vielleicht die Frage, welche Rolle man dem Staate zubilligt, vor allem ob man den Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, dahin auslegt, daß hinter dem Staat Gott steht. In der bayerischen Verfassung ist der klassische Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" aus dieser Erwägung vermieden worden. Man hat erklärt, das Volk sei nur der Träger der Staatsgewalt, aber alle Gewalt sei bei Gott. Es handelt sich also um die Frage, ob man annimmt, daß das Volk seine Staatsgewalt von Gott habe, daß in dem Staate und hinter dem Volke Gott stehe, oder ob man in dem Volk und damit hinter dem Staat nur eine irdische Staatsgewalt und im Staate lediglich Menschenwerk sieht. Kollege Ewers hat den Artikel in „Christ und Welt" zitiert, in dem man so weit geht, daß man sagt, nur ein theokratischer Staat dürfe die Todesstrafe verhängen, nur d e r Staat dürfe dem Menschen das Leben nehmen, der „deum imitatur", der Gott nachfolgt, der Gott in seinem Werke nachahmt. Es würde zu weit führen, diese Dinge hier vertiefen zu wollen. Auch Bismarck war dieser Anschauung. Seine Argumentation in seiner damaligen Rede war: eine menschliche Kraft, die keine Rechtfertigung von oben in sich spürt, ist zur Führung des Richtschwertes nicht stark genug. Der dritte entscheidende Punkt in der weltanschaulichen Bewertung ist wohl, wie man die Würde, das Gewicht des einzelnen Menschen im Verhältnis zu Staat und Volk bewertet. Hitler hat den einzelnen verachtet, er hat nur der Masse einen Wert gegeben und ist deswegen über die Leichen von vielen Tausenden geschritten. Alle diese Grundfragen lassen aber — das müssen wir zugestehen — verschiedene Antworten zu, so daß das Ja oder das Nein zur Frage der Todesstrafe nicht nur von der Weltanschaung her gefunden werden kann. Tatsächlich ist es ja so, daß sich Befürworter und Gegner der Todesstrafe von jeher in allen geistigen und politischen Lagern finden. Ich darf vielleicht auch in diesem Zusammenhang sagen, daß die Haltung des Christentums zu diesem Problem in keiner Weise einheitlich ist. Zitate aus dem Alten Testament lassen sich ohne weiteres f ü r die Todesstrafe verwerten, Zitate aus dem Neuen Testament, ich meine vor allem die geistige Grundhaltung des Neuen Testaments, g e g en die Todesstrafe. Es kommt darauf an, wie man die Akzente setzt; danach wird die Antwort verschieden ausfallen. Ich darf nur erwähnen, daß z. B. die Waldenser die Todesstrafe als unsittlich verworfen haben, daß aber Papst Innozenz III. dagegen Verwahrung eingelegt hat. Es gibt noch einige Tatsachen, die nicht uninteressant sind. In der Paulskirche haben von 14 protestantischen und katholischen Geistlichen 9, darunter immerhin der spätere Bischof von Ketteler, für die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt. In der Preußischen Nationalversammlung stimmten von 38 Geistlichen 31 für die Abschaffung der Todesstrafe. Darf ich ein Wort von Ernst Moritz Arndt in der Paulskirche zitieren. Er sagte: „Der Verbrecher, der morgen hingerichtet wird oder nach 30 Jahren ( stirbt, mag vielleicht besser sein als sein Beichtvater oder als der Oberrichter, der ihn verurteilt hat. Das ist auch der christliche Glaube." Bei Erörterung des Problems wird viel mit der Volksüberzeugung gearbeitet. Auch ein Mann wie Kahl hat bei seinem Referat in Wien die Volksüberzeugung in den Vordergrund gestellt. Die verehrten Herren Kollegen haben ebenfalls darauf verwiesen. Darf ich ein ketzerisches Wort sagen: Ich glaube, man verkennt das Wesen der Demokratie, wenn man glaubt, das Parlament sei der Exekutor der Volksüberzeugung. Ich meine, das Wesen der repräsentativen Demokratie ist ein anderes, es ist das der parlamentarischen Aristokratie. Die Parlamentarier haben die Pflicht und die Möglichkeit, aus einer größeren Einsicht, aus einem besseren Wissen zu handeln, als es der einzelne kann. (Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)


    (Bewegung)


    (Hört! Hört! links.)


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Ich möchte auch meinen: wer das hohe Mandat der Volksvertretung hat, wird am Ende eine größere Charakterstärke haben, die notwendig ist, um eine wichtige Frage unseres Volkes richtig zu entscheiden.
    Es kann keine Rede davon sein, daß die Volksüberzeugung einheitlich sei. Es gibt j a diese Volksbefragungen. Das Gallup-Institut hat 1936 in Amerika eine Mehrheit von 61 °/o für die Todesstrafe errechnet, das demoskopische Institut in Allensbach im März 1949 eine Mehrheit von 74 %. Auf der andern Seite haben Volksabstimmungen in der Schweiz und in einzelnen Staaten Nordamerikas Mehrheiten für die Abschaffung der Todesstrafe ergeben. Die Volksmeinung schwankt, sie ist von Stimmungen und von bestimmten Reizen abhängig. Unter dem frischen Eindruck von Gewaltverbrechen und Mordtaten fordert sie die Todesstrafe. Es scheint, daß Kollege Ewers stark unter dem Eindruck der Untat des Attentäters Halacz steht. Aber es gibt auch andere Stimmungen. Als Sacco und Vanzetti

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    vor dem elektrischen Stuhl standen, da hat sich eine ganze Welt gegen die Vollstreckung der Todesstrafe aufgebäumt.

    (Abg. Ewers: Das war politisch!)

    Ich könnte viele Fälle zitieren, z. B. zu Zeiten Voltaires die Justizmordaffäre Calas, die die Gemüter damals erregt hat.
    Ich muß auf jeden Fall für mich sagen: als ich um das Leben der durch die Militärgerichte Verurteilten rang, da habe ich mich auf das Grundgesetz bezogen und habe gesagt: ihr — die Amerikaner — dürft nicht mehr vollstrecken, weil es hier auf deutschem Boden keine Todesstrafe mehr gibt, und ich würde mich mit meiner eigenen Haltung in Widerspruch setzen, wenn ich jetzt einen anderen Standpunkt einnähme.

    (Beifall in der Mitte, rechts und bei der SPD.) Wenn wir heute in der Zeitung gelesen haben, daß die niederländische Königin den letzten zum Tode verurteilten Deutschen Willy Lages begnadigt hat, — haben wir das gebilligt oder verurteilt?


    (Beifall in der Mitte, rechts und bei der SPD.)

    Auch hier, meine ich, wirken Stimmungen in ganz wesentlicher Weise mit.
    Wir haben einige Jahrzehnte Psychoanalyse hinter uns. Ich meine, manches hat sie immerhin


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    aufgeklärt. Sieht man von den aktuellen Reizen ab, so bleiben für die sogenannte Volksüberzeugung irgendwelche Residuen, die im Blute liegen, noch wirksam, Reste der früheren Entwicklungsstufen. Das sind Stimmungen, die sich einer rationalen Kontrolle entziehen, bei dem einfachen Menschen noch mehr als bei dem geistig differenzierten Menschen. Der Psychoanalytiker sagt uns, daß in jedem Menschen der Drang zur Vernichtung, zur Zerstörung liegt und daß man diesen Drang noch auf den anderen, vielleicht sogar auf den Staat zu übertragen versucht. In einem sehr interessanten Gutachten des Juristen Liepmann, das er für den Wiener Juristentag erstattet hat, wird gesagt, daß der Anhänger der Todesstrafe überall unter dem Einfluß ererbter Gefühle kämpft. Vielleicht wollen wir uns diesen Satz hei der Behandlung des Problems vor Augen stellen.
    Man operiert manchmal mit der Erwägung, die Abschaffung der Todesstrafe würde zu Verdrängungen führen und am Ende in der Lynchjustiz endigen. Tatsache ist, daß dort, wo gelyncht wird, am meisten gehängt oder hingerichtet wird.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das ist — so viele Bedenken man auch mit dem Herrn Kollegen Ewers gegen Statistiken haben muß — eine unbestreitbare Tatsache.
    Schmerzlich hat es mich berührt, daß Herr Kollege Ewers, der mit Recht seine ethische Haltung in den Vordergrund gestellt hat, das Vergeltungsprinzip, die Talionstheorie aufstellt, daß man Gleiches mit Gleichem vergelten müsse.

    (Zuruf von der SPD: Dann müßten die Nazis alle weg sein!)

    Ist das möglich? — Es ist praktisch und ethisch un- möglich, Herr Kollege Ewers. Wir wissen, wir können bei keinem Sittlichkeitsdelikt Gleiches mit Gleichem vergelten. Auch in diesem Zusammenhang ein Zitat des Juristen Merkel, das ich für sehr richtig halte. Er sagt: „Die Strafe soll nicht den Geist der Elemente sniegeln, die sie bekämpft, sondern derer, die berufen sind, jene emporzuziehen."

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man hat weiter die Todesstrafe als Notwehr- recht des Staates zu rechtfertigen versucht. Davon kann keine Rede sein, soweit es sich um einen einzelnen Mordfall handelt. Die Konstruktion, daß der Ermordete sein im Augenblick des Angriffs gegebenes Notwehrrecht dem Staate abtrete, der es dann in der Hinrichtung anwende, ist meiner Meinung nach nicht haltbar. In Betracht käme eine derartige Rechtfertigung nur bei einer großen Anzahl von Anschlägen, die letztlich gegen die Gemeinschaft gerichtet sind. Deswegen hat auch in bestimmten Einzelfällen das Frankfurter Parlament, wie auch die Schweiz, die Todesstrafe in Sonderfällen, z. B. im Kriege, für zulässig gehalten. Den Verfechtern des Republikschutzgesetzes in der Weimarer Zeit hat man auch zum Vorwurf gemacht, daß die Todesstrafe in Abweichung von vorher begründeten Grundsätzen im Republikschutzgesetz für zulässig erklärt worden war.
    Folgender Gesichtspunkt scheint mir von besonderem Gewicht: Die Todesstrafe kann, wenn man sie nicht als bloße Sicherungsmaßnahme ansieht, nur als Strafe für volle Schuld angesehen werden; weil sie die physische Existenz des Schuldigen vernichtet. Die moderne Soziologie und die moderne Psychologie haben aber erwiesen, daß es auch unter der Voraussetzung der Anerkennung
    des Postulats sittlicher Verantwortlichkeit kein Verbrechen gibt, an dem nicht andere Momente mit Schuld tragen, daß es kein Verbrechen gibt, an dem der Täter allein sittlich schuldig ist. Am Zustandekommen jedes Verbrechens sind viele andere Faktoren beteiligt, die dem Täter nicht zur Last gelegt werden können: seine Anlage, für die er nichts kann, seine Umwelt, in die er hineingeboren worden ist und für die er nicht verantwortlich gemacht werden kann. Bloße Teilschuld verlangt nach meiner Meinung aber auch eine teilbare Strafe, wie sie die Todesstrafe niemals sein kann.
    Ein Gesichtspunkt, der erst durch die Erfahrungen nach 1933 wieder besondere Anschaulichkeit erlangt hat und den ich besonders Herrn Kollegen Dr. Etzel entgegenhalten möchte: Das Bestehenbleiben der Todesstrafe für wenige Delikte, auch nur für ein einziges, birgt die Gefahr der Ausweitung in sich. Hat man sich grundsätzlich für die Todesstrafe entschlossen, dann ist die entscheidende Schwelle überschritten;

    (Zustimmung bei der SPD)

    dann ist die Ausdehnung der Todesstrafe eben keine Grundsatzentscheidung mehr. Wer, meine Damen und Herren, wie ich erlebt hat, wie im letzten Weltkrieg Menschen wegen eines Wortes, man kann sagen, wegen einer Geste, wegen einer Haltung, die sich kaum geäußert hat, oder wegen wirtschaftlichen Verhaltens aufs Schafott gekommen sind, der weiß, welche Gefahr in der Möglichkeit der Ausdehnung der Todesstrafe liegt.

    (Beifall bei der SPD.)


    (I Todesstrafe nicht ausschließt, sollte das Recht des Staates, Menschenleben zu vernichten, nur dann ausgeübt werden, wenn es notwendig, wenn es zum wenigsten, nützlich ist. Ich glaube, darauf müßte sich unsere Diskussion besonders erstrecken, weil wir auf der weltanschaulichen Ebene zu keiner Verständigung oder gemeinschaftlichen Entscheidung kommen können. Ich möchte sagen, daß in den letzten Jahren deswegen zu Recht über die Beschränkung der Diskussion auf die Frage: „Ist die Todesstrafe notwendig, oder ist sie nützlich?", Einverständnis bestanden hat. Die Frage, die uns beschäftigt, verlagert sich damit in das Gebiet kriminalpolitischer Überlegungen, und diese haben den Vorzug, überprüfbar zu sein und rational entschieden werden zu können. Die Todesstrafe stammt — das habe ich schon gesagt — aus einem ganz anders gearteten System der Lebensund Leibesstrafen des Mittelalters und läßt sich in ein modernes Strafensystem nur schwer einpassen. Die Strafe, wie wir sie sehen, die Strafe nach modernen Vorstellungen will nicht die T a t treffen, sondern den Täte r. Wir müssen an eine moderne Strafe die Anforderung stellen, daß sie jedem einzelnen Fall gerecht werden kann. Den verschiedenen Graden des Verschuldens muß eine Art gleitende Skala der Strafen entsprechen. Absolute Strafen stehen im inneren Widerspruch zu dieser Anforderung an das Strafensystem. Selbst wenn die Todesstrafe nicht in absoluter Form angedroht wird — das schwebt offensichtlich auch den Antragstellern vor —, sondern nur neben der Möglichkeit, lebenslängliches oder zeitliches Zuchthaus zu verhängen, so würde dieser Widerspruch nicht ausgeräumt werden; denn die Schuld stuft sich graduell ab, und der Übergang von der Frei heitsstrafe zur Todesstrafe ist ein qualitativer Sprung. Todesstrafe und zeitliche Strafen, überhaupt Freiheitsstrafen, sind inkommensurabel. Die Möglichkeit, Freiheitsstrafe statt Todesstrafe zu verhängen, würde nach meiner Meinung übrigens auch den Richter vor eine kaum lösbare Verantwortung stellen. Sie würde praktisch zur Abschaffung der Todesstrafe auf dem Wege der Rechtsprechung führen können. Ich würde die Todesstrafe in unserem Strafen-system auch deswegen als einen Fremdkörper empfinden, weil es nach den Vorstellungen unserer Zeit die entscheidende, mindestens doch die wesentliche Aufgabe der Strafe ist, zu resozialisieren, den Menschen zu bessern. Die Todesstrafe ermöglicht es lediglich, den Täter vor der Hinrichtung zu einer inneren Umkehr zu bringen. Es gibt Darlegungen, besonders von Gefängnisgeistlichen, die das behaupten und die glauben, daß sie in ihrer Praxis echte innere Umkehr der zum Tode Verurteilten vor deren Hinrichtung erlebt haben. Wir werden sehr skeptisch bleiben, ob solche inneren Wandlungen sich nicht aus Todesangst oder aus der Hoffnung auf Gnade vollzogen haben. Wir wissen es nicht. Die Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus ermöglicht dem Täter jedenfalls eine echte innere Umkehr. Wir haben hinreichendes Material, daß in Wirklichkeit wegen Mordes Verurteilte zu einer echten Besserung gekommen sind und in den Strafanstalten ein beispielhaftes Leben geführt haben. Die Frage der Abschreckung ist ein wichtiger, sehr umstrittener Punkt bei dieser Auseinandersetzung. Es ist sicher eine sehr fragwürdige Angelegenheit, ob es möglich ist, einem Menschen ein derart einschneidendes Übel zuzufügen, nur um das Verhalten anderer dadurch zu beeinflussen. Aber — und hier ist es besonders schwer, mit Laien zu diskutieren — es scheint mir überhaupt überaus zweifelhaft zu sein, ob der Todesstrafe eine abschreckende Wirkung zukommt. Von vielen, die Einblick haben, ist immer wieder festgestellt worden, daß gerade die Länder und die Zeitalter der härtesten Strafen auch die blutigsten und unmenschlichsten Verbrechen sahen. Ich glaube, wir haben eine Periode hinter uns, die uns die Richtigkeit dieser Tatsache nahebringt. Es wird immer wieder auf diese abschreckende Wirkung der Todesstrafe hingewiesen, und es ist nicht leicht, diese Frage zu entscheiden. Sie entzieht sich der verstandesgemäßen Feststellung. Immerhin bleiben in diesem Zusammenhang einige interessante Tatsachen. Ein englischer Gefängnisgeistlicher, der 167 Hingerichteten beigestanden und sie zur Richtstätte geführt hat, hat festgestellt — es war in der Zeit des öffentlichen Vollzugs der Strafe —, daß von den 167 Hingerichteten 6 noch keine Hinrichtung miterlebt hatten. Die anderen 161 sind durch das Ansehen der Hinrichtung nicht nur nicht beeinflußt, sondern möglicherweise sogar zu ihren Untaten ge reizt worden. Herr Kollege Ewers hat darauf hingewiesen, daß kürzlich ein Täter im Gerichtssaal die Todesstrafe gefordert habe, eine oft festgestellte Tatsache, die aber gerade beweist, daß den Mörder der Tod nicht schreckt, daß also eine abschreckende Wirkung auf denjenigen, der zu seiner Tat entschlossen ist, nicht feststellbar ist. (Abg. Ewers: Im Gegenteil! Nicht der Täter, sondern derjenige, der plant, ist abgeschreckt, vor der Tat!)


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)


    (Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)


    (Sehr wahr! bei der SPD.)


    (Sehr richtig! bei der SPD)

    In diesem Zusamenhang eine ganz bedeutsame Tatsache über die Beziehung des Mörders zu seinem Leben. In Berlin hat eine Tötungsstatistik ergeben, daß in den Jahren 1926 bis 1932 von 287 Mördern 153 Selbstmord begangen haben. Die Mörder scheuen also gar nicht den Tod; im Gegenteil, sie suchen ihn,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    weil letztlich ihre Taten und die Selbstvernichtung aus der gleichen seelischen Wurzel herausfließen. Von 32 Totschlägern dagegen hat nur einer Selbstmord begangen. Diese aufschlußreichen Zahlen sprechen auf jeden Fall sehr gegen die Annahme, daß sich der Mörder von der Todesstrafe abschrecken lasse. Aber wir müssen uns, um zu einem Bild zu kommen, auch wenn der Herr Kollege Ewers die Kriminalstatistik nicht für sehr überzeugend hält, auf die Zahlen verlassen. Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, die die Todesstrafe abgeschafft oder sie zeitweise beseitigt haben? Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, in denen für bestimmte Gebiete die Todesstrafe galt und für andere nicht? Da gibt es ein ganz umfassendes Material, mit dem sich auch der Rechtsausschuß, wenn die Anträge an ihn überwiesen werden, befassen wird. Alle diese ganz eingehenden Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß eine Beeinflussung der Mordziffer durch das Vorhandensein oder Fehlen der Todesstrafe nicht feststellbar ist. Natürlich sagt man: da wirken wieder andere Faktoren mit, die man nicht kennt und die sich dauernd ändern, niemand könne daher sagen, inwieweit die relative Konstanz der Mordziffer vor oder nach der Aufhebung der Todesstrafe als Folge dieser Maßnahme gewertet werden könne. Das ist an sich richtig; aber man müßte doch zumindest zu dem Schluß kommen können, daß, wenn die Todesstrafe beseitigt worden ist, eine Verschlechterung eingetreten wäre, es sei denn, daß sich damals die übrigen Faktoren nur günstig entwickelt haben, was aber doch nicht anzunehmen ist.
    Gerade in Ländern, bei denen die Einzelstaaten nur teilweise die Todesstrafe kennen, müßte die Abschreckung besonders wirksam werden, z. B. in der Schweiz. Die Schweiz hat Zeiten mit und ohne Todesstrafe gehabt. Vielleicht darf ich mich auf eine Erklärung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von 1949 berufen, in der ausdrücklich festgestellt wird: „eine Zunahme der Morde seit dem Inktrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom Jahre 1942, durch das die Todesstrafe abgeschafft wurde, ist nicht feststellbar". Die einzelnen Kantone in der Schweiz haben die gleiche Feststellung getroffen.
    In Queensland — Australien — hat man beispielsweise eine leichte Abnahme der Morde und Gewaltverbrechen festgestellt. Das gleiche könnte ich Ihnen aus Einzelstaaten von Nordamerika berichten.
    Vielleicht darf ich auf eine interessante Untersuchung für die USA aus dem Jahre 1946 hinweisen. Als Maßstab für die Kriminalitätsstatistiken nimmt man eine Zahl, die von 100 000 Strafmündigen ausgeht. Danach hat sich für die Staaten der USA mit Todesstrafe im Jahre 1946 eine Mordkriminalitätsziffer von 1,49 ergeben, für die


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    Staaten ohne Todesstrafe eine solche von nur 0,51, also von einem Drittel.

    (Zuruf rechts.)

    -- Nun, man darf das nicht verallgemeinern;

    (erneute Zurufe rechts)

    aber es sind doch immerhin wichtige Indizien.
    Ich will aus dem reichen Material die Entwicklung in Deutschland kurz darstellen. Die Kriminalitätsziffer im Jahre 1883 war 0,48; das ist der Höchststand zwischen 1882 und 1914. Sie betrug 1908 nur 0,18 — der tiefste Stand zwischen 1882 und 1914; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum —, 1921 0,50 — der höchste Stand zwischen 1918 und 1933 —, dann 1929 0,14, der tiefste Stand zwischen 1918 und 1933; Sie wissen, daß da wirklich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ausschlaggebend waren.
    Nun einige Zahlen aus der letzten Zeit. Es ist ein bißchen schwierig, richtige Zahlen zu geben, weil wir besonders für die Jahre vor 1947 keine umfassenden Feststellungen treffen konnten. An Fällen von Mord und Totschlag einschließlich des Versuchs sind bekanntgeworden: im Jahre 1947: 1252, 1948: 985, 1949: 855, 1950: 847, 1951 805; also eine dauernd fallende Tendenz. Es ist vielleicht interessant, wieviele von diesen Fällen aufgeklärt werden konnten: von den 1252 im Jahre 1947 861, von den 985 im Jahre 1948 743, von den 855 im Jahre 1949 689, von den 847 im Jahre 1950 751 und von den 805 im Jahre 1951 732, also auf jeden Fall nach diesen Feststellungen eine fallende Tendenz seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.

    (Abg. Ewers: Weil die Polen nicht mehr da sind!)

    — Ja, sehr richtig, Herr Kollege Ewers, auch das spielt natürlich bei den Statistiken mit; aber das war 1948 längst erledigt; auch 1947 hat es kaum noch — —

    (Lebhafter Widerspruch bei der DP.)

    — Na, bitte; die Hauptkriminalität durch Ausländer, die sich in Deutschland vollzogen hat — ich glaube, ich habe hier sehr guten Einblick —, hat sich im Jahre 1945 vollzogen und ist schon Ende 1945 ganz gewaltig gesunken, in der Folgezeit gab es nur Einzelfälle.
    Vielleicht noch eine statistische Zusammenstellung über die rechtskräftigen Verurteilungen in einigen Ländern. In Bayern sind wegen Mordes verurteilt worden im Jahre 1948 32; im Jahre 1949 45; 1950 32; 1951 22; und im ersten Halbjahr 1952 16. Nun führen diese Zahlen teilweise deswegen irre, weil in ihnen Fälle von Mordtaten besonders aus der Kriegszeit, teilweise auch aus der Vorkriegszeit enthalten sind, die erst jetzt zur Sühne bei den Gerichten gekommen sind. Für Nordrhein-Westfalen lauten die Zahlen: 1948 30; 1949 37; 1950 36; 1951 28; erstes Halbjahr 1952 8; für Rheinland-Pfalz: 1948 6; 1949 12; 1950 14; 1951 9; erstes Halbjahr 1952 5. Das sind für das letzte halbe Jahr als 29, verdoppelt 58. 1948 waren es 68. Auch hier eine fallende Tendenz.
    Nun, ich gestehe zu, daß die Zahlen kein vollständiges und kein endgültiges Bild zulassen, da viele Faktoren hier zusammenwirken. Aber insgesamt kann man feststellen, daß eine sinkende Tendenz vorliegt. Keinesfalls kann man behaupten, daß seit der Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1949 eine ungünstige Wirkung eingetreten wäre. Bei der ersten Debatte in diesem Hause habe ich erklärt: „Sprechen wir in zwei oder zweinhalb Jahren wieder". Es ist richtig, daß wir das tun; aber wir werden zu dem Ergebnis kommen, daß c sich unsere Erkenntnis seit dieser Zeit nicht zum Negativen entwickelt hat.
    Interessant sind nun diese Zahlen vor allem, wenn man sie mit der anderen Kriminalität vergleicht. Während die Mordziffer und überhaupt die Tötungsziffer ständig im Fallen sind, sind andere Delikte gegen die Person — die Körperverletzungen und vor allem die Sittlichkeitsdelikte — im Steigen. Ein doppelter Beweis dafür, daß die Abschaffung der Todesstrafe in Wirklichkeit nicht geschadet hat. Seit 1947 sind die Tötungsdelikte die einzigen unter den Delikten gegen die Person, die eine fallende Tendenz haben, während im übrigen die Tendenz steigend ist, wenn es auch teilweise mit der besseren kriminalistischen Erfassung zusammenhängt. Ich glaube, man kann über dieses Tatsachenmaterial der Statistik nicht hinwegkommen.
    Es gibt noch viele andere Faktoren, die mitspielen. Man muß natürlich die Tötungsdelikte nach ihrem Hintergrund unterscheiden, Dinge, die man statistisch nicht erfassen kann. Wir wissen doch — so weit ist unsere Psychologie fortgeschritten —, daß Menschen, die einen Mordentschluß fassen, sich in einer besonderen psychischen Verfassung befinden. Es ist ganz charakteristisch, wenn Herr Kollege Ewers sagt, daß die meisten Mörder jünger sind als 30 Jahre, daß sie also zum größten Teil keine gefestigten Menschen sind, sondern daß sie aus irgendeinem Affekt heraus, unter einem übermenschlichen seelischen Druck handeln, z. B. der verschmähte Liebhaber. In England ist in den letzten Tagen jemand hingerichtet worden, der die Frau, die ihn verschmäht hat, niedergestochen hat. Es ist nicht vorstellbar, daß bei Berücksichtigung unserer immerhin verfeinerten Betrachtungsweise ein deutsches Gericht zu diesem Ergebnis gekommen wäre; oder ich will vorsichtig sagen: es ist sehr zweifelhaft, ob es zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Aber daß die Mörder im allgemeinen unter einem besonderen seelischen Druck stehen, das ist doch zweifelsfrei. Wenn in einer bestimmten Zeit der größere Teil der Mörder, wie ich Ihnen vorhin dargelegt habe, Selbstmord begangen hat, dann wissen Sie, in welcher abnormen Verfassung diese Menschen standen. In einer solchen Verfassung kalkuliert man nicht, was einem droht, was man zu erwarten hat. Natürlich gibt es eiskalte Rechner, Raubmörder. Es gibt Berufsverbrecher, die die Todesstrafe gewissermaßen als Berufsgefahr einkalkulieren. Das sind exzeptionelle Fälle, die man hei einer Erörterung auch berücksichtigen muß. Aber im allgemeinen wird man nicht feststellen können, daß die Todesstrafe auf den Mörder abschreckend wirkt. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es im Gegenteil durchaus möglich ist und von vielen Psychologen unterstellt wird, daß gerade durch die Todesstrafe die Bestie im Menschen geweckt und zu ihrer Tat geführt wird. Der Umstand, daß die Todesstrafe nicht mehr öffentlich vollstreckt wird, ändert an dieser Erkenntnis gar nichts; denn die Vorstellung von der Hinrichtung ist genau so lebendig wie der physische Aspekt dieses Vorganges.
    Ein anderes Argument für die Todesstrafe will ich nicht außer acht lassen: daß nur diese Strafe die Sicherheit vor neuen Verbrechen dieses Täters biete. Mit dieser Erwägung kann man beinahe für alle schweren Verbrechen die Todesstrafe fordern, und wir würden am Ende wieder zu gewissen


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    politischen Erwägungen der nationalsozialistischen Zeit kommen, die in der Ausdehnung der Todesstrafe immer weiter ging und schließlich verlangte, daß jede Handlung, die die Sicherheit des Volkes gefährde, mit dem Tode gesühnt werde. Diese Erwägungen wären ja auch nur richtig, wenn man sagen könnte, daß bei ,den Mördern wirklich eine ernste Wiederholungsgefahr gegeben ist. Ich will das nicht vertiefen. Auch hier sprechen die Statistiken eine deutliche Sprache. Sie zeigen, daß die Mehrheit der Mörder überhaupt noch nicht vorbestraft war, sondern erstmalig straffällig wurde, bei Frauen sogar 80 bis 85 % noch nicht mit dem Strafgesetzbuch in Kollision gekommen waren.
    Es wird weiter geltend gemacht, wer zum Tode verurteilt worden sei, habe keine Hemmung mehr, eine ähnliche Handlung zu begehen. Die Erfahrungen unseres Strafvollzuges sprechen dagegen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Erfahrung mit lebenslänglich Verurteilten im allgemeinen gut ist. Ich will dabei nicht verhehlen, daß die Meinung mancher Beamter, die im Strafvollzug stehen, anders ist und daß auch von dieser Seite der Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe kommt.
    Wenn man sich schon auf das Gebiet der Argumentation begibt, muß man auch auf die Gefahr hinweisen, die in der Todesstrafe liegt. Der Schuldiggewordene wird, wenn ihm der Tod droht, vor seiner Verhaftung alles aufwenden, um sein Leben zu retten. Er wird also die Polizei und alle diejenigen, die ihn verfolgen, viel mehr gefährden, als wenn nur die Drohung mit lebenslänglichem Zuchthaus vor ihm steht.
    Ich begrüße, daß die beiden Herren Antragsteller die Erwägung, daß die Kosten des Strafvollzuges hier eine Rolle spielen könnten, von sich weisen. Das muß man, glaube ich, auch in aller Öffentlichkeit sagen, weil gerade die Volksmeinung von diesen Gedanken sehr bewegt wird. Man kommt mit einer derartigen Betrachtung doch sehr in die Nähe der Vernichtung des lebensunwerten Lebens, der Vergasung von Geisteskranken und zu ähnlichem.
    Der andere Gesichtspunkt: Todesstrafe ist irreparabel, ist nicht leicht zu nehmen, meine Damen und Herren. Der Gesetzgeber schuf das Wiederaufnahmeverfahren, weil er weiß, daß keine Justiz vollkommen ist, weil er weiß, daß in jedem Verfahren Mängel liegen können, da das Einsichtsvermögen des Gerichts menschlich beschränkt ist. Soll ausgerechnet bei der Strafe, die nicht rückgängig gemacht werden kann, diese Möglichkeit, im Wiederaufnahmeverfahren ein Urteil zu kassieren, ausgeschlossen werden?
    Man weist teilweise darauf hin, daß man Härten j a im Gnadenverfahren beseitigen könnte. Das ist sehr schwer möglich, meine Damen und Herren. Der für den Gnadenentscheid Zuständige ist auf die Akten mit ihren beschränkten Möglichkeiten angewiesen.
    Damit kommen wir noch auf andere Zusammenhänge, die auch beim Gnadenerweis eine Rolle spielen können. Man sagt, man solle nur hinrichten, wenn der Verurteilte geständig sei. Das ist ein sehr schwerwiegendes Problem, meine Damen und Herren. Wer lange Zeit in der Rechtspflege gestanden hat, ist voller Skepsis gegenüber dem Geständnis. Wir wissen, daß es Geständnisse von pathologischen Persönlichkeiten aus einer Sucht zur Selbstbezichtigung gibt, und wir wissen, wie Geständnisse oft zustande kommen. Bedenken bestehen hier immer. Es ist ein Grundprinzip der deutschen Strafrechtspflege, daß niemals ein Geständnis allein zur Verurteilung führen kann, sondern daß der Richter verpflichtet ist, sich unabhängig davon seine Überzeugung zu bilden. Wenn man diesen Gesichtspunkt anerkennen wollte, würde das außerdem dazu führen, daß der reumütig Geständige mit dem Tode rechnen muß, während der, der hartnäckig leugnet, seinen Kopf retten würde.
    Herr Kollege Ewers meint, man sollte Kautelen einführen, so daß nur bei Einstimmigkeit des Gerichts verurteilt werden soll. Meine Damen und Herren, wer Strafverfahren aus der Nähe kennt und weiß, welche Irrtumsmöglichkeiten vorhanden sind, wird darin kein Sicherheitsventil erkennen, das die Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe rechtfertigen würde.
    Eine Differenzierung nach Indizienbeweis und nach Zeugenbeweis scheint mir ebenfalls nicht möglich. Die Praxis weiß, daß der Zeugenbeweis wohl das schlechteste Beweismittel ist. Ich will das nur andeuten und mir Einzelheiten ersparen. Es wäre dazu vieles zu sagen. Ich hoffe, daß gegebenenfalls im Rechtsausschuß die Möglichkeit bestehen wird, diese Materie mit der Eindringlichkeit und mit der Gewissenhaftigkeit zu behandeln, die notwendig ist.
    Nur vielleicht ein Gesichtspunkt noch, der kürzlich bei einer Diskussion im Hessischen Rundfunk von dem Gerichtsmediziner Professor Witthold erwähnt wurde. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen festgestellt worden ist, daß hingerichtete Mörder in Wirklichkeit unzurechnungsfähig waren. Die Psychiater werden Ihnen sagen, daß sie sich hüten werden, mit apodiktischer Sicherheit die Zurechnungsfähigkeit, d. h. die Schuld eines Mörders festzustellen.
    Wenn ich für die Diskussion drei Thesen aufstellen darf:
    Die Abschreckungswirkung der Todesstrafe ist überaus zweifelhaft.
    Der Sicherheitsgedanke kann nach meiner Meinung die Todesstrafe nicht rechtfertigen.
    Die Gefahr von Justizirrtümern ist nicht auszuschließen.
    Ich habe versucht, die Dinge möglichst objektiv darzustellen. Natürlich ist meine Meinung dabei durchgeschlagen. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn man in einer so wichtigen Frage nicht zu seiner Ansicht stünde.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU.)