Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast genau auf den Tag vor zweieinhalb Jahren, am 27. März 1950, hatten wir hier im Hause eine sehr langwierige, teilweise sehr leidenschaftliche, meist aber doch sehr in die Materie eindringende Debatte über den Wert oder den Unwert der Todesstrafe. Ich will dringend hoffen und wünschen, daß wir all die Grundsätze, die uns Unterrichteten einigermaßen geläufig sind, heute nicht zu wiederholen brauchen.
Die Frage der Todesstrafe ist seit rund 200 Jahren umstritten. Es gibt ein Für und Dagegen — die Gegner beißen bekanntlich Abolitionisten
es gibt festgefahrene Ansichten, die durch keine
Debatte irgendwie umzustoßen sind,und für „für”
und für „gegen" gibt es theoretisch und rechtspraktisch gute und schlechte Gründe. Wir von der Deutschen Partei haben ,uns geradezu für verpflichtet gehalten, diesen Antrag einzubringen — übrigens in derselben Form wie die Bayernpartei vor 21/2 Jahren —, aus Gründen, auf die ich im Laufe meiner Ausführungen noch eingehen werde und die Ihnen zeigen sollen, warum gerade wir uns dazu besonders legitimiert vorkommen. Wir wollen nicht, daß die Leidenschaft darüber aufgepeitscht wird.
Ich möchte zum Ethos dieses Antrags nur ganz kurz, insbesondere unter Bezugnahme auf einen Aufsatz in der Zeitschrift „Christ und Welt", folgendes sagen. Zweifellos muß die Todesstrafe schon deshalb die Gemüter aufrühren und aufregen, weil sie eben dem Menschenleben ein Ziel auf Erden setzt und weil man zögert, einer irdischen Gewalt das Recht hierzu einzuräumen. Das ist weniger durch geschriebenes Gesetz als durch die Grundeinstellung zum Leben überhaupt begründet, letzten Endes also nur noch religiös zu klären. Der Art. 2 des Grundgesetzes, der den Schutz des Lebens garantiert, kann schon deshalb nicht herangezogen werden, weil das Grundgesetz ja ebenso die Freiheit und das Eigentum gewährleistet und niemand in Zweifel zieht, daß diese beiden Güter, ebenso wie andere allgemeine Menschenrechte, in Form des Strafvollzugs und des Strafrechts angetastet werden können, was ja auch aus der Erklärung der Menschenrechte des Europarats mit aller Deutlichkeit hervorgeht. Wir sind uns klar darüber, daß, wenn wir nach unserem Ethos für die Todesstrafe eintreten, wir auf bestes europäisch-abendländisches Gedankengut zurückgreifen, das selbstverständlich von der Religion her mitbetont ist, nämlich von der Frage, ob dieser Blutzoll, den der Staat verlangt, nicht eine Sühnemaßnahme darstellt, deren ein Staat, wenn er sich nur selbst an der Kandare hält, gar nicht entraten kann. Mehr möchte ich darüber nicht sagen.
Vor 21/2 Jahren hat eine, wenn ich nicht irre, sehr große Mehrheit dieses Hauses beschlossen, über den damaligen Antrag der Bayernpartei zur Tagesordnung überzugehen. Damals, ziemlich genau ein halbes Jahr nachdem wir uns zum erstenmal nach dem
Grundgesetz hier im Hause zusammengefunden hatten, war das der erste Antrag, der am Grundgesetz rütteln sollte, und die Frage der Aktualität gegenüber dem damals vor etwa zehn Monaten beschlossenen Grundgesetz konnte in Zweifel gezogen werden. Damals also war sozusagen die Weihe des Grundgesetzes noch gegeben, die man nicht unnötig ohne aktuellen Anlaß glaubte antasten zu sollen. Heute haben wir seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes den Ablauf von demnächst vier vollen Jahren zu verzeichnen. Wir haben seit der ersten Behandlung dieses Themas zweieinhalb Jahre weiter gelebt und inzwischen nicht nur im Plenum, sondern auch im Rechtsausschuß — leider nur sehr schleppend, aber sehr eingehend — uns mit einer Fülle strafrechtlicher Probleme befaßt und werden uns weiter damit befassen. Der .Tustizminister hat bei der damaligen Debatte erklärt, daß man die Frage nach zweieinhalb Jahren wiederaufgreifen solle. Diese Frist ist jetzt verstrichen. Daher ist es nun erforderlich, zu der Frage erneut irgendeine Stellung zu beziehen.
Der aktuelle Anlaß für meine Partei — ich spreche es unumwunden aus — ist der Fall Halacz aus Verden, von wo aus dieser Verbrecher bekanntlich Dynamitpakete ohne Sinn und Verstand verschickt hat, um von sich reden zu machen, und damit den Tod mehrerer ihm völlig unbekannter und völlig aus dem politischen Leben und seinem Scheinwerferlicht herausgerückter unschuldger Personen und Staatsbürger verschuldet hat. Das hat in den Kreisen dieses Gebietes von Niedersachsen, in dem zufällig Abgeordnete meiner Partei in direktem Wahlgang gewählt worden sind,
eine unerhörte Erregung hervorgerufen, weil dieser Mensch nicht, wie es sich gehört hätte, für diese Schandtat zum Tode verurteilt worden ist.
Das ist der erste aktuelle Anlaß. In Verfolg dieser damit begründeten weitgehenden und tiefen, insbesondere von strenggläubigen evangelischen Christen getragenen Erregung hat der Landesverband Niedersachsen ein Bekenntnis zur Todesstrafe in toto abgelegt. Im weiteren Verfolg dieser Erregung erklärt sich der hier heute im Bundestag zur Behandlung stehende Antrag.
Sie sehen schon aus diesem äußeren Anlaß, daß wir als politische Partei in der Tat den Vergeltungsgesichtspunkt, der die Todesstrafe zuletzt allein nur rechtfertigen kann, hier ganz stark hervorheben und damit in Verbindung stellen — allerdings in zweiter Linie; aber auch nicht ohne entscheidende Bedeutung — den Abschreckungscharakter, weniger dagegen den Charakter des Schutzes der Gesellschaft, der auch durch eine hinreichend sichere lebenslängliche Verwahrung erfüllt werden könnte. Für uns scheidet dagegen der sehr oberflächliche und meines Erachtens nicht zu erörternde Gesichtspunkt, daß die lebenslängliche Verwahrung den Staat Geld kostet, vollständig aus. Wenn wir die Todesstrafe nicht aus dem Ethos begründen können, — mit rein materiellen Erwägungen der Staatsfinanzen läßt sie sich unter gar keinen Umständen halten. Wir müssen uns dagegen verwahren, daß derartiges in diese sehr ernste Debatte hineingebracht wird.
Nun lehrt die Wissenschaft — und zwar seitdem mein verehrter Lehrer Professor Liepmann, bei dem ich in Kiel Strafrecht hörte, von Hamburg
aus als Gegner der Todesstrafe auftrat und seine Meinung wissenschaftlich untermauerte —, daß der abschreckende Charakter der Todesstrafe höchst zweifelhaft sei. Die Statistik, in diesem Falle die Strafrechtsstatistik, will den Nachweis führen, daß nicht erkennbar sei, daß in Ländern mit oder ohne Todesstrafe — ohne Todesstrafe hat bekanntlich Italien jahrzehntelang Justiz getrieben — irgendwie auf die Häufigkeit der Morde ein Einfluß ausgeübt werde. Ich habe gegen diese Statistiken, wenn sie sich nicht auf naturwissenschaftliche Dinge beziehen, von vornherein eine gewisse Skepsis. Ich bekenne das offen und bin der Meinung, daß man auf diese Weise wissenschaftliche Erkenntnisse nicht begründen kann. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei diesen Bestien in Menschengestalt, jenen Massenmördern, die in allen Ländern hier und da auftauchen und ihr fürchterliches Handwerk meistens jahrzehntelang unentdeckt durchführen — Frauen meistens mit Gift, Männer auf andere, meistens noch bestialischere Art — der Abschreckungscharakter überhaupt nicht irgendwie zum Zuge kommt. Man muß also den Verbrechertyp erfassen oder erkennen, muß den einzelnen Fall typisieren, um zu sehen, welche Rolle der Abschreckungscharakter spielt.
Was die Angelegenheit Halacz oder den Fall des bisher nicht gefaßten Täters der Münchener Dynamitverschickung anlangt
— ich bitte, mich nicht zu unterbrechen —,
so ist erkennbar, daß hier irgendwie ein unerhörter und sinnloser Leichtsinn eine Rolle spielt. Eine Tat wird in die Wege geleitet, deren Erfolg außer einer ungeheuren öffentlichen Beunruhigung ohne jeden Nutzen für den Täter zu sein scheint. Es sind also Handlungen von Abenteurern meist im jugendlichen Alter von unter 30 Jahren vermutlich, die mit solchen Beunruhigungen eines im Werden begriffenen Staates irgendwelche dunklen Zwecke glauben verbinden zu können. Wie auf einen solchen Typ von Menschen der Umstand wirkt, daß sie, wenn sie ertappt werden, Gefahr laufen, aus dem Leben befördert zu werden, ist unerforscht, auch von der Wissenschaft. Erforscht ist aber, daß die übrigen Morde, die wir heute, ich hätte beinahe gesagt, an der Tagesordnung sehen, wiederum meistens von Jugendlichen unter 30 Jahren, vielleicht von älteren Herrschaften angeleitet, begangen werden, die den Typ der amerikanischen Gangster verwirklichen wollen, die amerikanisches Gangstertum in mitteleuropäisches Gelände einführen, um in Bankfilialen, in alleinstehenden Häusern oder bei sonstigen Gelegenheiten kümmerlichste Raubmorde zu begehen, „kümmerlich" deshalb, weil der Ertrag an Bargeld meistens in einem erschreckenden Mißverhältnis zu der Schwere des begangenen Verbrechens steht.
Über die Kriminalität dieser Jugendlichen hat Herr Justizrat Wagner bei jener Debatte vor zweieinhalb Jahren Ausführungen gemacht, die vom ganzen Haus mit Beifall aufgenommen worden sind. Er hat auf die entsetzliche Sittenverderbnis, die die Presse anrichtet, Bezug genommen. Diese Ausführungen möchte ich in seinem Sinne durch den Hinweis auf das verfluchte Kino ergänzen; denn Gangsterfilme sind ja für solche Aktionen leichtsinniger, verbrecherischer Indianerhaftigkeit geradezu Lehrfilme. Diese jugendlichen Typen — das ist aus einer Fülle von Fällen erwiesen, seien es die Mörder bei dem Bankraub in Frankfurt, die jetzt in Frankreich eine Vorstrafe verbüßen, seien es die Mörder aus Ahrensburg, die in der vorigen ' Woche in Lübeck zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden sind — sind durch eine Strafabschreckung sehr wohl zu packen. Wir brauchen also, um zu sehen, ob im Interesse des Schutzes der Gesellschaft nicht nach einem begangenen Mord, sondern vor der Ausführung eines geplanten Mordes die Todesstrafe nötig ist, eine genaue Darstellung des Ministeriums über alle seit etwa zwei bis zweieinhalb Jahren zu sehr schweren Freiheitsstrafen verurteilten Mörder. Dann erst können wir erkennen, ob und inwieweit durch die Einführung der Todesstrafe an den gegenwärtig beängstigenden Zuständen irgend etwas geändert werden kann. Dabei ist interessant, wenn es vielleicht auch nur ein kleines Schlaglicht auf die Sache wirft, daß von diesen beiden Jungens aus Ahrensburg einer bei der Vernehmung vor dem Schwurgericht in Lübeck um die Todesstrafe direkt gebeten hat, daß er jedenfalls die Todesstrafe dem lebenslänglichen Zuchthaus mit seinen, ich glaube, 24 Jahren bei weitem vorzog, ein typisches Zeichen dafür, — —
— Das ist durchaus ein Beweis für die abschreckende Wirkung! Hätte er vorher gewußt, daß die Tat seinen Kopf kosten kann, hätte er sich wohl gar nicht in die Lage versetzt, seinen Tod zu ersehnen; das kann ich Ihnen versichern. Diese Dinge hängen psychologisch — nicht für den Materialisten, aber für denjenigen, der Tiefenpsychologie kennt — sehr eng zusammen, und ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: diese Frage bedarf angesichts der Beunruhigung weitester Kreise der Öffentlichkeit einer nicht statistisch-wissenschaftlichen, sondern einer die einzelnen Fälle betrachtenden genauesten Nachprüfung. Wir jedenfalls erklären: die Volksstimmung verlangt aus dem christlich betonten Grundsatz der Vergeltung, daß der Staat von seinen Machtmitteln letzten Endes in bestimmten Fällen Gebrauch macht. Und im Hintergrunde steht die Erwägung: vielleicht werden wir dadurch vor Wiederholung solcher Verbrechen geschützt. Ob dieses „vielleicht" zutrifft, bedarf der Prüfung.
Und nun zu unserm Antrag und dem Antrag, den die Herren aus Bayern gestellt haben. Wir wollen mit unserm Antrag heute und hier nicht die Todesstrafe wieder einführen; wir wollen nur das Hemmnis des Grundgesetzes beseitigen. Die Frage muß aufgeworfen werden — und sie ist im Parlamentarischen Rat aufgeworfen worden —, ob ein provisorisches Verfassungsrecht richtig daran tat, diese Spezialfrage aus dem Strafrecht im Rahmen der Rechtsbestimmungen zu einem Verfassungsgrundsatz zu erheben. Dergleichen ist, soweit ich sehe, allen Kulturstaaten fremd. Die Todesstrafe wird dort gesetzlich ausgesprochen, wohin sie gehört, im Strafrecht oder seinen Nebengesetzen; sie wird nicht als verboten oder erlaubt in einem Staatsgrundgesetz — wohin sie nicht gehört — festgelegt. Wir sind der Meinung, daß, gerade wenn das Grundgesetz nur ein Provisorium sein will — und das betont das Grundgesetz —, es nicht der Weisheit letzter Schluß war, in diesem Provisorium diese Spezialfrage zu verankern. Wir haben Verständnis dafür, daß es geschah; denn es ist geschehen in Reaktion auf das entsetzliche Hinrichtungsmorden des „Dritten Reiches". Wir verstehen durchaus, daß nach dieser Zeit eine andere kommen sollte. Aber wir fragen Sie und uns: ist damit nicht der alte deutsche Fehler wiederholt,
daß man immer von einem Extrem ins andere fällt, wo doch die Wahrheit und Weisheit, wie wir alle wissen sollten, immer der mittlere Weg ist, wo doch weder rechts tiefe Nacht noch links große Helligkeit herrscht, sondern wo eben jenes dem menschlichen Verstehen, seinem Gemüt und seiner Kultur allein entsprechende angenehme Dämmerlicht waltet. Dieses Umfallen von ganz tot bis ganz lebendig scheint uns ein nur durch die revolutionären Zustände bedingtes Überschreiten der Abwehr zu sein. Es ist deswegen typisch, daß der erste deutsche Verfassungsentwurf von 1849 ebenfalls als einzige Verfassung ihrer Art schon den gleichen Grundsatz hatte. Das ist aus den vormärzlichen Ideengängen nach der Reaktionszeit zu verstehen; man wollte von der Willkür monarchischer Diktate absehen und war — leider vergeblich — bestrebt, eine neue, bessere Epoche herbeizuführen. Immer nur dann, wenn in diesem Sinne politische Leidenschaften und Abwehrkräfte groß geworden sind, schießt man so über das Ziel hinaus.
Ich möchte betonen: wir haben politisch nichts gegen die Gegner der Todesstrafe. Wir glauben sogar, daß der eine oder andere nachdenkliche Herr in unseren eigenen Reihen, der Deutschen Partei nämlich, wohl auch heute noch für die Abschaffung der Todesstrafe eintreten würde. Aber wir meinen, daß wir die Gefahr der Stunde verkennen und mißachten würden, wenn wir uns auf den Standpunkt stellten: es muß alles so bleiben.
Gegen den Gesetzentwurf der Herren aus Bayern habe ich einzuwenden, daß hier versucht wird, die Todesstrafe für zwei Dinge einzuführen, während die Frage offenbleibt, ob sie nicht bei einer gewissen Art von Landesverrat ebenfalls am Platze ist
— denn der Landesverrat gefährdet ja Hunderttausende —, ob sie nicht z. B. bei den Sprengstoffdelikten, bei denen kein Mord beabsichtigt war, aber in Kauf genommen wurde, mindestens berechtigt ist. Das Umgehen mit Sprengstoffen ist eine Gefährdungshandlung, deren Gefahr auch der dümmste Junge kennt.
— Lassen Sie mich mit dem Generalvertrag hier ungeschoren! — Ich sage Ihnen: mir ist das zu eng. — Die Frage, wieweit die Todesstrafe eingeführt werden soll, mögen wir der Spezialgesetzgebung überlassen. Darüber wird immer nur die Mehrheit dieses Hauses entscheiden können.
Weiterhin ist es meines Erachtens, wenn wir die Todesstrafe ermöglichen, nötig, daß wir uns überlegen, ob wir nicht die Bestimmung aufnehmen sollten, daß auf die Todesstrafe nur erkannt werden kann, wenn das Gericht einstimmig die Todesstrafe für die allein mögliche Sühne der Straftat hält. Diese Frage bedarf auch der gesetzgeberischen Erwägung. Ich möchte dazu heute kein weiteres Wort sagen. Ich möchte nur nicht, daß wir im Rahmen des Grundgesetzes, wohin so etwas nicht gehört, Bestimmungen darüber treffen, wie der Gesetzgeber in Zukunft mit dem sehr delikaten und schwierigen Mittel der Todesstrafe, wenn er will, verfahren soll. Daß er sie überhaupt wieder einführen wird, ist bei Annahme unseres Antrages noch keineswegs gesagt.
Ich habe zu beantragen, daß die beiden vorliegenden Anträge dem Rechtsausschuß überwiesen werden. Ich wäre dankbar, wenn wir, wie gesagt,
heute nicht die gesamte Debatte des 27. März 1950
zu wiederholen brauchten. Der Antrag ist nur aus einer Notlage zu verstehen, über die die jüngere Vergangenheit alle Deutschen belehrt haben sollte.