Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die bedeutsame Frage der Todesstrafe nicht obenhin, bestimmt auch nicht aus irgendeinem dumpfen Gefühl heraus entscheiden. Gestatten Sie mir daher, daß ich Ihnen für ihre Aussprache einige Gesichtspunkte aufzeige, die ich für bedeutsam halte, und Ihnen einschlägige Unterlagen gebe.
Man sieht das Problem der Todesstrafe nur richtig, wenn man es in seinem geschichtlichen Ablauf, in seiner Entwicklung betrachtet. Die Todesstrafe beruhte ursprünglich auf Blutrache, auf heidnischem Kultopfer, ist nach der Christianisierung des Abendlandes zurückgedrängt worden und hat dann im Mittelalter einen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Taten, die uns heute als Lappalien erscheinen, sind in diesen Zeiten mit dem Tode gesühnt worden. Diebstahl ganz geringfügiger Art, Fälschung von Münzen, Gewichten, Maßen, Gotteslästerung, — alle diese Taten führten zum Galgen.
In England — es ist ganz interessant, sich das zu vergegenwärtigen — sind noch 1810 Ladendieb-
Ich möchte auch meinen: wer das hohe Mandat der Volksvertretung hat, wird am Ende eine größere Charakterstärke haben, die notwendig ist, um eine wichtige Frage unseres Volkes richtig zu entscheiden.
Es kann keine Rede davon sein, daß die Volksüberzeugung einheitlich sei. Es gibt j a diese Volksbefragungen. Das Gallup-Institut hat 1936 in Amerika eine Mehrheit von 61 °/o für die Todesstrafe errechnet, das demoskopische Institut in Allensbach im März 1949 eine Mehrheit von 74 %. Auf der andern Seite haben Volksabstimmungen in der Schweiz und in einzelnen Staaten Nordamerikas Mehrheiten für die Abschaffung der Todesstrafe ergeben. Die Volksmeinung schwankt, sie ist von Stimmungen und von bestimmten Reizen abhängig. Unter dem frischen Eindruck von Gewaltverbrechen und Mordtaten fordert sie die Todesstrafe. Es scheint, daß Kollege Ewers stark unter dem Eindruck der Untat des Attentäters Halacz steht. Aber es gibt auch andere Stimmungen. Als Sacco und Vanzetti
vor dem elektrischen Stuhl standen, da hat sich eine ganze Welt gegen die Vollstreckung der Todesstrafe aufgebäumt.
Ich könnte viele Fälle zitieren, z. B. zu Zeiten Voltaires die Justizmordaffäre Calas, die die Gemüter damals erregt hat.
Ich muß auf jeden Fall für mich sagen: als ich um das Leben der durch die Militärgerichte Verurteilten rang, da habe ich mich auf das Grundgesetz bezogen und habe gesagt: ihr — die Amerikaner — dürft nicht mehr vollstrecken, weil es hier auf deutschem Boden keine Todesstrafe mehr gibt, und ich würde mich mit meiner eigenen Haltung in Widerspruch setzen, wenn ich jetzt einen anderen Standpunkt einnähme.
Wenn wir heute in der Zeitung gelesen haben, daß die niederländische Königin den letzten zum Tode verurteilten Deutschen Willy Lages begnadigt hat, — haben wir das gebilligt oder verurteilt?
Auch hier, meine ich, wirken Stimmungen in ganz wesentlicher Weise mit.
Wir haben einige Jahrzehnte Psychoanalyse hinter uns. Ich meine, manches hat sie immerhin
aufgeklärt. Sieht man von den aktuellen Reizen ab, so bleiben für die sogenannte Volksüberzeugung irgendwelche Residuen, die im Blute liegen, noch wirksam, Reste der früheren Entwicklungsstufen. Das sind Stimmungen, die sich einer rationalen Kontrolle entziehen, bei dem einfachen Menschen noch mehr als bei dem geistig differenzierten Menschen. Der Psychoanalytiker sagt uns, daß in jedem Menschen der Drang zur Vernichtung, zur Zerstörung liegt und daß man diesen Drang noch auf den anderen, vielleicht sogar auf den Staat zu übertragen versucht. In einem sehr interessanten Gutachten des Juristen Liepmann, das er für den Wiener Juristentag erstattet hat, wird gesagt, daß der Anhänger der Todesstrafe überall unter dem Einfluß ererbter Gefühle kämpft. Vielleicht wollen wir uns diesen Satz hei der Behandlung des Problems vor Augen stellen.
Man operiert manchmal mit der Erwägung, die Abschaffung der Todesstrafe würde zu Verdrängungen führen und am Ende in der Lynchjustiz endigen. Tatsache ist, daß dort, wo gelyncht wird, am meisten gehängt oder hingerichtet wird.
Das ist — so viele Bedenken man auch mit dem Herrn Kollegen Ewers gegen Statistiken haben muß — eine unbestreitbare Tatsache.
Schmerzlich hat es mich berührt, daß Herr Kollege Ewers, der mit Recht seine ethische Haltung in den Vordergrund gestellt hat, das Vergeltungsprinzip, die Talionstheorie aufstellt, daß man Gleiches mit Gleichem vergelten müsse.
Ist das möglich? — Es ist praktisch und ethisch un- möglich, Herr Kollege Ewers. Wir wissen, wir können bei keinem Sittlichkeitsdelikt Gleiches mit Gleichem vergelten. Auch in diesem Zusammenhang ein Zitat des Juristen Merkel, das ich für sehr richtig halte. Er sagt: „Die Strafe soll nicht den Geist der Elemente sniegeln, die sie bekämpft, sondern derer, die berufen sind, jene emporzuziehen."
Man hat weiter die Todesstrafe als Notwehr- recht des Staates zu rechtfertigen versucht. Davon kann keine Rede sein, soweit es sich um einen einzelnen Mordfall handelt. Die Konstruktion, daß der Ermordete sein im Augenblick des Angriffs gegebenes Notwehrrecht dem Staate abtrete, der es dann in der Hinrichtung anwende, ist meiner Meinung nach nicht haltbar. In Betracht käme eine derartige Rechtfertigung nur bei einer großen Anzahl von Anschlägen, die letztlich gegen die Gemeinschaft gerichtet sind. Deswegen hat auch in bestimmten Einzelfällen das Frankfurter Parlament, wie auch die Schweiz, die Todesstrafe in Sonderfällen, z. B. im Kriege, für zulässig gehalten. Den Verfechtern des Republikschutzgesetzes in der Weimarer Zeit hat man auch zum Vorwurf gemacht, daß die Todesstrafe in Abweichung von vorher begründeten Grundsätzen im Republikschutzgesetz für zulässig erklärt worden war.
Folgender Gesichtspunkt scheint mir von besonderem Gewicht: Die Todesstrafe kann, wenn man sie nicht als bloße Sicherungsmaßnahme ansieht, nur als Strafe für volle Schuld angesehen werden; weil sie die physische Existenz des Schuldigen vernichtet. Die moderne Soziologie und die moderne Psychologie haben aber erwiesen, daß es auch unter der Voraussetzung der Anerkennung
des Postulats sittlicher Verantwortlichkeit kein Verbrechen gibt, an dem nicht andere Momente mit Schuld tragen, daß es kein Verbrechen gibt, an dem der Täter allein sittlich schuldig ist. Am Zustandekommen jedes Verbrechens sind viele andere Faktoren beteiligt, die dem Täter nicht zur Last gelegt werden können: seine Anlage, für die er nichts kann, seine Umwelt, in die er hineingeboren worden ist und für die er nicht verantwortlich gemacht werden kann. Bloße Teilschuld verlangt nach meiner Meinung aber auch eine teilbare Strafe, wie sie die Todesstrafe niemals sein kann.
Ein Gesichtspunkt, der erst durch die Erfahrungen nach 1933 wieder besondere Anschaulichkeit erlangt hat und den ich besonders Herrn Kollegen Dr. Etzel entgegenhalten möchte: Das Bestehenbleiben der Todesstrafe für wenige Delikte, auch nur für ein einziges, birgt die Gefahr der Ausweitung in sich. Hat man sich grundsätzlich für die Todesstrafe entschlossen, dann ist die entscheidende Schwelle überschritten;
dann ist die Ausdehnung der Todesstrafe eben keine Grundsatzentscheidung mehr. Wer, meine Damen und Herren, wie ich erlebt hat, wie im letzten Weltkrieg Menschen wegen eines Wortes, man kann sagen, wegen einer Geste, wegen einer Haltung, die sich kaum geäußert hat, oder wegen wirtschaftlichen Verhaltens aufs Schafott gekommen sind, der weiß, welche Gefahr in der Möglichkeit der Ausdehnung der Todesstrafe liegt.
In diesem Zusamenhang eine ganz bedeutsame Tatsache über die Beziehung des Mörders zu seinem Leben. In Berlin hat eine Tötungsstatistik ergeben, daß in den Jahren 1926 bis 1932 von 287 Mördern 153 Selbstmord begangen haben. Die Mörder scheuen also gar nicht den Tod; im Gegenteil, sie suchen ihn,
weil letztlich ihre Taten und die Selbstvernichtung aus der gleichen seelischen Wurzel herausfließen. Von 32 Totschlägern dagegen hat nur einer Selbstmord begangen. Diese aufschlußreichen Zahlen sprechen auf jeden Fall sehr gegen die Annahme, daß sich der Mörder von der Todesstrafe abschrecken lasse. Aber wir müssen uns, um zu einem Bild zu kommen, auch wenn der Herr Kollege Ewers die Kriminalstatistik nicht für sehr überzeugend hält, auf die Zahlen verlassen. Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, die die Todesstrafe abgeschafft oder sie zeitweise beseitigt haben? Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, in denen für bestimmte Gebiete die Todesstrafe galt und für andere nicht? Da gibt es ein ganz umfassendes Material, mit dem sich auch der Rechtsausschuß, wenn die Anträge an ihn überwiesen werden, befassen wird. Alle diese ganz eingehenden Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß eine Beeinflussung der Mordziffer durch das Vorhandensein oder Fehlen der Todesstrafe nicht feststellbar ist. Natürlich sagt man: da wirken wieder andere Faktoren mit, die man nicht kennt und die sich dauernd ändern, niemand könne daher sagen, inwieweit die relative Konstanz der Mordziffer vor oder nach der Aufhebung der Todesstrafe als Folge dieser Maßnahme gewertet werden könne. Das ist an sich richtig; aber man müßte doch zumindest zu dem Schluß kommen können, daß, wenn die Todesstrafe beseitigt worden ist, eine Verschlechterung eingetreten wäre, es sei denn, daß sich damals die übrigen Faktoren nur günstig entwickelt haben, was aber doch nicht anzunehmen ist.
Gerade in Ländern, bei denen die Einzelstaaten nur teilweise die Todesstrafe kennen, müßte die Abschreckung besonders wirksam werden, z. B. in der Schweiz. Die Schweiz hat Zeiten mit und ohne Todesstrafe gehabt. Vielleicht darf ich mich auf eine Erklärung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von 1949 berufen, in der ausdrücklich festgestellt wird: „eine Zunahme der Morde seit dem Inktrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom Jahre 1942, durch das die Todesstrafe abgeschafft wurde, ist nicht feststellbar". Die einzelnen Kantone in der Schweiz haben die gleiche Feststellung getroffen.
In Queensland — Australien — hat man beispielsweise eine leichte Abnahme der Morde und Gewaltverbrechen festgestellt. Das gleiche könnte ich Ihnen aus Einzelstaaten von Nordamerika berichten.
Vielleicht darf ich auf eine interessante Untersuchung für die USA aus dem Jahre 1946 hinweisen. Als Maßstab für die Kriminalitätsstatistiken nimmt man eine Zahl, die von 100 000 Strafmündigen ausgeht. Danach hat sich für die Staaten der USA mit Todesstrafe im Jahre 1946 eine Mordkriminalitätsziffer von 1,49 ergeben, für die
Staaten ohne Todesstrafe eine solche von nur 0,51, also von einem Drittel.
-- Nun, man darf das nicht verallgemeinern;
aber es sind doch immerhin wichtige Indizien.
Ich will aus dem reichen Material die Entwicklung in Deutschland kurz darstellen. Die Kriminalitätsziffer im Jahre 1883 war 0,48; das ist der Höchststand zwischen 1882 und 1914. Sie betrug 1908 nur 0,18 — der tiefste Stand zwischen 1882 und 1914; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum —, 1921 0,50 — der höchste Stand zwischen 1918 und 1933 —, dann 1929 0,14, der tiefste Stand zwischen 1918 und 1933; Sie wissen, daß da wirklich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ausschlaggebend waren.
Nun einige Zahlen aus der letzten Zeit. Es ist ein bißchen schwierig, richtige Zahlen zu geben, weil wir besonders für die Jahre vor 1947 keine umfassenden Feststellungen treffen konnten. An Fällen von Mord und Totschlag einschließlich des Versuchs sind bekanntgeworden: im Jahre 1947: 1252, 1948: 985, 1949: 855, 1950: 847, 1951 805; also eine dauernd fallende Tendenz. Es ist vielleicht interessant, wieviele von diesen Fällen aufgeklärt werden konnten: von den 1252 im Jahre 1947 861, von den 985 im Jahre 1948 743, von den 855 im Jahre 1949 689, von den 847 im Jahre 1950 751 und von den 805 im Jahre 1951 732, also auf jeden Fall nach diesen Feststellungen eine fallende Tendenz seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.
— Ja, sehr richtig, Herr Kollege Ewers, auch das spielt natürlich bei den Statistiken mit; aber das war 1948 längst erledigt; auch 1947 hat es kaum noch — —
— Na, bitte; die Hauptkriminalität durch Ausländer, die sich in Deutschland vollzogen hat — ich glaube, ich habe hier sehr guten Einblick —, hat sich im Jahre 1945 vollzogen und ist schon Ende 1945 ganz gewaltig gesunken, in der Folgezeit gab es nur Einzelfälle.
Vielleicht noch eine statistische Zusammenstellung über die rechtskräftigen Verurteilungen in einigen Ländern. In Bayern sind wegen Mordes verurteilt worden im Jahre 1948 32; im Jahre 1949 45; 1950 32; 1951 22; und im ersten Halbjahr 1952 16. Nun führen diese Zahlen teilweise deswegen irre, weil in ihnen Fälle von Mordtaten besonders aus der Kriegszeit, teilweise auch aus der Vorkriegszeit enthalten sind, die erst jetzt zur Sühne bei den Gerichten gekommen sind. Für Nordrhein-Westfalen lauten die Zahlen: 1948 30; 1949 37; 1950 36; 1951 28; erstes Halbjahr 1952 8; für Rheinland-Pfalz: 1948 6; 1949 12; 1950 14; 1951 9; erstes Halbjahr 1952 5. Das sind für das letzte halbe Jahr als 29, verdoppelt 58. 1948 waren es 68. Auch hier eine fallende Tendenz.
Nun, ich gestehe zu, daß die Zahlen kein vollständiges und kein endgültiges Bild zulassen, da viele Faktoren hier zusammenwirken. Aber insgesamt kann man feststellen, daß eine sinkende Tendenz vorliegt. Keinesfalls kann man behaupten, daß seit der Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1949 eine ungünstige Wirkung eingetreten wäre. Bei der ersten Debatte in diesem Hause habe ich erklärt: „Sprechen wir in zwei oder zweinhalb Jahren wieder". Es ist richtig, daß wir das tun; aber wir werden zu dem Ergebnis kommen, daß c sich unsere Erkenntnis seit dieser Zeit nicht zum Negativen entwickelt hat.
Interessant sind nun diese Zahlen vor allem, wenn man sie mit der anderen Kriminalität vergleicht. Während die Mordziffer und überhaupt die Tötungsziffer ständig im Fallen sind, sind andere Delikte gegen die Person — die Körperverletzungen und vor allem die Sittlichkeitsdelikte — im Steigen. Ein doppelter Beweis dafür, daß die Abschaffung der Todesstrafe in Wirklichkeit nicht geschadet hat. Seit 1947 sind die Tötungsdelikte die einzigen unter den Delikten gegen die Person, die eine fallende Tendenz haben, während im übrigen die Tendenz steigend ist, wenn es auch teilweise mit der besseren kriminalistischen Erfassung zusammenhängt. Ich glaube, man kann über dieses Tatsachenmaterial der Statistik nicht hinwegkommen.
Es gibt noch viele andere Faktoren, die mitspielen. Man muß natürlich die Tötungsdelikte nach ihrem Hintergrund unterscheiden, Dinge, die man statistisch nicht erfassen kann. Wir wissen doch — so weit ist unsere Psychologie fortgeschritten —, daß Menschen, die einen Mordentschluß fassen, sich in einer besonderen psychischen Verfassung befinden. Es ist ganz charakteristisch, wenn Herr Kollege Ewers sagt, daß die meisten Mörder jünger sind als 30 Jahre, daß sie also zum größten Teil keine gefestigten Menschen sind, sondern daß sie aus irgendeinem Affekt heraus, unter einem übermenschlichen seelischen Druck handeln, z. B. der verschmähte Liebhaber. In England ist in den letzten Tagen jemand hingerichtet worden, der die Frau, die ihn verschmäht hat, niedergestochen hat. Es ist nicht vorstellbar, daß bei Berücksichtigung unserer immerhin verfeinerten Betrachtungsweise ein deutsches Gericht zu diesem Ergebnis gekommen wäre; oder ich will vorsichtig sagen: es ist sehr zweifelhaft, ob es zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Aber daß die Mörder im allgemeinen unter einem besonderen seelischen Druck stehen, das ist doch zweifelsfrei. Wenn in einer bestimmten Zeit der größere Teil der Mörder, wie ich Ihnen vorhin dargelegt habe, Selbstmord begangen hat, dann wissen Sie, in welcher abnormen Verfassung diese Menschen standen. In einer solchen Verfassung kalkuliert man nicht, was einem droht, was man zu erwarten hat. Natürlich gibt es eiskalte Rechner, Raubmörder. Es gibt Berufsverbrecher, die die Todesstrafe gewissermaßen als Berufsgefahr einkalkulieren. Das sind exzeptionelle Fälle, die man hei einer Erörterung auch berücksichtigen muß. Aber im allgemeinen wird man nicht feststellen können, daß die Todesstrafe auf den Mörder abschreckend wirkt. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es im Gegenteil durchaus möglich ist und von vielen Psychologen unterstellt wird, daß gerade durch die Todesstrafe die Bestie im Menschen geweckt und zu ihrer Tat geführt wird. Der Umstand, daß die Todesstrafe nicht mehr öffentlich vollstreckt wird, ändert an dieser Erkenntnis gar nichts; denn die Vorstellung von der Hinrichtung ist genau so lebendig wie der physische Aspekt dieses Vorganges.
Ein anderes Argument für die Todesstrafe will ich nicht außer acht lassen: daß nur diese Strafe die Sicherheit vor neuen Verbrechen dieses Täters biete. Mit dieser Erwägung kann man beinahe für alle schweren Verbrechen die Todesstrafe fordern, und wir würden am Ende wieder zu gewissen
politischen Erwägungen der nationalsozialistischen Zeit kommen, die in der Ausdehnung der Todesstrafe immer weiter ging und schließlich verlangte, daß jede Handlung, die die Sicherheit des Volkes gefährde, mit dem Tode gesühnt werde. Diese Erwägungen wären ja auch nur richtig, wenn man sagen könnte, daß bei ,den Mördern wirklich eine ernste Wiederholungsgefahr gegeben ist. Ich will das nicht vertiefen. Auch hier sprechen die Statistiken eine deutliche Sprache. Sie zeigen, daß die Mehrheit der Mörder überhaupt noch nicht vorbestraft war, sondern erstmalig straffällig wurde, bei Frauen sogar 80 bis 85 % noch nicht mit dem Strafgesetzbuch in Kollision gekommen waren.
Es wird weiter geltend gemacht, wer zum Tode verurteilt worden sei, habe keine Hemmung mehr, eine ähnliche Handlung zu begehen. Die Erfahrungen unseres Strafvollzuges sprechen dagegen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Erfahrung mit lebenslänglich Verurteilten im allgemeinen gut ist. Ich will dabei nicht verhehlen, daß die Meinung mancher Beamter, die im Strafvollzug stehen, anders ist und daß auch von dieser Seite der Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe kommt.
Wenn man sich schon auf das Gebiet der Argumentation begibt, muß man auch auf die Gefahr hinweisen, die in der Todesstrafe liegt. Der Schuldiggewordene wird, wenn ihm der Tod droht, vor seiner Verhaftung alles aufwenden, um sein Leben zu retten. Er wird also die Polizei und alle diejenigen, die ihn verfolgen, viel mehr gefährden, als wenn nur die Drohung mit lebenslänglichem Zuchthaus vor ihm steht.
Ich begrüße, daß die beiden Herren Antragsteller die Erwägung, daß die Kosten des Strafvollzuges hier eine Rolle spielen könnten, von sich weisen. Das muß man, glaube ich, auch in aller Öffentlichkeit sagen, weil gerade die Volksmeinung von diesen Gedanken sehr bewegt wird. Man kommt mit einer derartigen Betrachtung doch sehr in die Nähe der Vernichtung des lebensunwerten Lebens, der Vergasung von Geisteskranken und zu ähnlichem.
Der andere Gesichtspunkt: Todesstrafe ist irreparabel, ist nicht leicht zu nehmen, meine Damen und Herren. Der Gesetzgeber schuf das Wiederaufnahmeverfahren, weil er weiß, daß keine Justiz vollkommen ist, weil er weiß, daß in jedem Verfahren Mängel liegen können, da das Einsichtsvermögen des Gerichts menschlich beschränkt ist. Soll ausgerechnet bei der Strafe, die nicht rückgängig gemacht werden kann, diese Möglichkeit, im Wiederaufnahmeverfahren ein Urteil zu kassieren, ausgeschlossen werden?
Man weist teilweise darauf hin, daß man Härten j a im Gnadenverfahren beseitigen könnte. Das ist sehr schwer möglich, meine Damen und Herren. Der für den Gnadenentscheid Zuständige ist auf die Akten mit ihren beschränkten Möglichkeiten angewiesen.
Damit kommen wir noch auf andere Zusammenhänge, die auch beim Gnadenerweis eine Rolle spielen können. Man sagt, man solle nur hinrichten, wenn der Verurteilte geständig sei. Das ist ein sehr schwerwiegendes Problem, meine Damen und Herren. Wer lange Zeit in der Rechtspflege gestanden hat, ist voller Skepsis gegenüber dem Geständnis. Wir wissen, daß es Geständnisse von pathologischen Persönlichkeiten aus einer Sucht zur Selbstbezichtigung gibt, und wir wissen, wie Geständnisse oft zustande kommen. Bedenken bestehen hier immer. Es ist ein Grundprinzip der deutschen Strafrechtspflege, daß niemals ein Geständnis allein zur Verurteilung führen kann, sondern daß der Richter verpflichtet ist, sich unabhängig davon seine Überzeugung zu bilden. Wenn man diesen Gesichtspunkt anerkennen wollte, würde das außerdem dazu führen, daß der reumütig Geständige mit dem Tode rechnen muß, während der, der hartnäckig leugnet, seinen Kopf retten würde.
Herr Kollege Ewers meint, man sollte Kautelen einführen, so daß nur bei Einstimmigkeit des Gerichts verurteilt werden soll. Meine Damen und Herren, wer Strafverfahren aus der Nähe kennt und weiß, welche Irrtumsmöglichkeiten vorhanden sind, wird darin kein Sicherheitsventil erkennen, das die Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe rechtfertigen würde.
Eine Differenzierung nach Indizienbeweis und nach Zeugenbeweis scheint mir ebenfalls nicht möglich. Die Praxis weiß, daß der Zeugenbeweis wohl das schlechteste Beweismittel ist. Ich will das nur andeuten und mir Einzelheiten ersparen. Es wäre dazu vieles zu sagen. Ich hoffe, daß gegebenenfalls im Rechtsausschuß die Möglichkeit bestehen wird, diese Materie mit der Eindringlichkeit und mit der Gewissenhaftigkeit zu behandeln, die notwendig ist.
Nur vielleicht ein Gesichtspunkt noch, der kürzlich bei einer Diskussion im Hessischen Rundfunk von dem Gerichtsmediziner Professor Witthold erwähnt wurde. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen festgestellt worden ist, daß hingerichtete Mörder in Wirklichkeit unzurechnungsfähig waren. Die Psychiater werden Ihnen sagen, daß sie sich hüten werden, mit apodiktischer Sicherheit die Zurechnungsfähigkeit, d. h. die Schuld eines Mörders festzustellen.
Wenn ich für die Diskussion drei Thesen aufstellen darf:
Die Abschreckungswirkung der Todesstrafe ist überaus zweifelhaft.
Der Sicherheitsgedanke kann nach meiner Meinung die Todesstrafe nicht rechtfertigen.
Die Gefahr von Justizirrtümern ist nicht auszuschließen.
Ich habe versucht, die Dinge möglichst objektiv darzustellen. Natürlich ist meine Meinung dabei durchgeschlagen. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn man in einer so wichtigen Frage nicht zu seiner Ansicht stünde.