Rede von
Dr.
Viktoria
Steinbiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meinen kurzen Ausführungen schicke ich voraus, daß ich den Antrag stellen möchte, bei der Beratung dieses Gesetzes auch den
Gesundheitsausschuß zuzuziehen, aus folgenden Gründen. Der vorliegende Gesetzentwurf versucht in der Auslegung des Art. 104 des Grundgesetzes auf die Einweisung in ein Krankenhaus und in eine Heil- und Pflegeanstalt Einfluß zu nehmen und diese zu erschweren, sicherlich mit einigem Recht. Der Gesetzentwurf tut dies aber unter Voraussetzungen, die vom Gesundheitswesen im ganzen nicht gebilligt und anerkannt werden können. Die Ärzteschaft muß aufhorchen. Ich möchte daher den Antrag stellen, den ich eben erwähnt habe, den Gesundheitsausschuß zuzuziehen.
In dem Gesetzentwurf wird mit dem Begriff Freiheitsentziehung gearbeitet, der der richterlichen Entscheidung unterstellt werden soll. In der Begründung wird bei der Deutung des Art. 104 zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung unterschieden, und diesen beiden Begriffen werden wesentliche Unterschiede zugerechnet. Im öffentlichen Gesundheitsdienst aber sind die Übergänge zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung durchaus fließend, und es würde hier zu großen Schwierigkeiten kommen. Ein Beispiel: Bei Krankenhauseinweisung von Infektionskranken handelt es sich ganz offensichtlich um eine Freiheitsbeschränkung, der der Patient meist willig folgt. Im Laufe der Behandlung könnte sich aber herausstellen, daß der Patient durch seine Krankheit in einen Erregungszustand gerät und nun abgeschlossen von anderen Patienten gehalten werden muß. Dieser Zustand kann einen Tag oder auch länger dauern. Auf jeden Fall wäre es eine Freiheitsentziehung. So willig der Kranke der Einweisung gefolgt ist, so sehr hat er meist das Bestreben, wenn er sich besser fühlt, nach Hause entlassen zu werden, ganz gleich, ob
die ärztlichen Zeittermine erfüllt sind, d. h. ob sein Bakterienbefund zwei- oder dreimal negativ ausgefallen ist. Wenn der Termin nicht erfüllt ist, dann muß der Arzt den Kranken zurückhalten, um ihn nicht zu einer Gefahrenquelle für seine Umgebung werden zu lassen. Er macht sich also der Freiheitsentziehung schuldig, wenn er nicht die richterliche Entscheidung anruft. Wenn wir dem stattgäben, meine Damen und Herren, so müßten unsere großen Krankenhäuser einen besonderen Dienst einrichten, der unter Umständen die Stationierung eines Richters in einem Krankenhaus verlangt.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß in keinem Lande der Welt die Behandlung kurzfristiger Infektionskrankheiten unter die richterliche Aufsicht gestellt wird. Zudem muß noch beachtet werden, daß in der Psychiatrie die Behandlungsweise stark gewechselt hat. Man gehe einmal durch Bethel oder durch ähnliche Anstalten: man wird sehen, daß man immer mehr von der Anstaltsbewahrung zur krankenhausmäßigen Heilbehandlung kommt. Diese Entwicklung zur Heilbehandlung kann durch eine Erschwerung der Anstaltseinweisung, wie die fachärztlichen Kreise betonen, erheblich gehemmt werden.
Aus diesen zwei erwähnten Gründen - man könnte noch mehr aufzählen — möchte ich das Hohe Haus bitten, meinem Antrag zuzustimmen.
Ich möchte aber noch eine Besonderheit dieses Gesetzes erwähnen, die darin besteht, daß die vom Gesetz erzwungene Einschaltung der richterlichen Entscheidung unter Gebührenpflicht gestellt wird. In der Masse der Fälle wird sich die richterliche Entscheidung als ein Hemmnis ausweisen und der Bevölkerung unbequem sein. Noch weniger wird
die Bevölkerung damit einverstanden sein, daß die Gebühr höher liegt als die des Arztes, der die Facharbeit, die Untersuchung und die Beratung leitet.
Ich bitte also das Hohe Haus nochmals, dem Antrag, dieses Gesetz auch dem Bundesgesundheitsausschuß zur Beratung mit zu überweisen, zuzustimmen.