Rede von
Dr.
Wilhelm
Niklas
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Sachlage! Die Milcherzeugung in der Deutschen Bundesrepublik ist seit dem Wirtschaftsjahr 1947/48 von 8,4 Millionen t auf 15,2 Millionen t im Kalenderjahr 1951 gestiegen.
Zur Aufgliederung des Milchverbrauchs! Zur Butterherstellung gelangten 60 bis 65 % der Anlieferung, zu Trinkmilchzwecken 25 bis 30 %, zur Käseherstellung 7 bis 8 %, zur Dauermilchherstellung 2 bis 3 %.
Der Herr Interpellant hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die dadurch entstehen, daß aus handelspolitischen Gründen immer noch gewisse Buttermengen eingeführt werden können, obwohl wir heute in der Lage sind, unseren Butterbedarf fast selbst zu decken. Ergebnis unserer Berechnungen: Butterkonsum in Deutschland im laufenden Jahre 300 000 t, Eigenerzeugung 290 000 t; es würde also eine Einfuhr von rund 10 000 t genügen, um das Gleichgewicht herzustellen.
Die Misere auf dem Buttergebiet, daß die inländische Butter nicht mehr absetzbar ist, weil aus handelspolitischen Gründen zuviel Butter aus dem Ausland hereingebracht werden muß, wäre zu vermeiden, wenn man einen entsprechend größe-
ren Teil der anfallenden Milch für Trinkzwecke verwenden würde.
Es ist richtig, daß im Interesse der Volksgesundheit der Milchkonsum gesteigert werden muß. Es sind ja nicht nur die Eiweißkörper in der Milch nach ihrer Zusammensetzung mit die biologisch hochwertigsten Eiweißkörper
— und die billigsten! —, sondern auch das Milchfett ist für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit des Menschen von hohem Wert.
Weiterhin enthält die Milch sämtliche Vitamine in idealem Zusammenwirken.
Nicht zuletzt ist Vollmilch als Spender von kalk-und phosphorsauren, leicht resorbierbaren Salzen anzusehen.
Zusammengefaßt kann also gesagt werden, daß die Milch nach dem Urteil der namhaftesten Ernährungsphysiologen in der ganzen Welt dem Ideal eines vollkommenen Lebensmittels am nächsten kommt.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist die Milch — Herr Dr. Horlacher hatte mit seinem Zuruf vorher recht — auch heute noch das preisgünstigste Nahrungsmittel. Leider greift man heute immer noch nicht in dem Umfange nach der Milch, wie es wünschenswert wäre. In Deutschland wurden in der Vorkriegszeit 1935/38 im Durchschnitt etwa 0,3 Liter Milch je Tag und Kopf der Bevölkerung verbraucht. Zur Zeit liegt der Durchschnittsverbrauch in der Bundesrepublik, nachdem er in der Nachkriegszeit stark heruntergegangen war, wiederum bei 0,3 Liter. Das zeigt, daß in Deutschland der Friedensverbrauch von 1935/38 erreicht ist, ja sogar überschritten wird, wenn der erhöhte Verbrauch an Kondens- und Sterilmilch hinzugerechnet wird. In anderen Ländern wie Dänemark und Schweden liegt der Verbrauch bei 0,6 — doppelt so hoch —, in der Schweiz bei 0,65 und in Nordamerika annähernd bei rund 1 Liter. Daß wir aber noch viel nachzuholen haben, wenn wir uns den Verbrauchszahlen der anderen europäischen Völker nähern wollen — von Amerika gar nicht zu sprechen —, ist klar. Es ist zu hoffen, daß hierin auch bei uns ein Wandel eintritt. Wenn der Milchverbrauch in der Bundesrepublik je Tag und Kopf der Bevölkerung auf 0,4 Liter gesteigert werden könnte — man ist sich darin einig, daß das durchaus im Interesse der allgemeinen Volksgesundheit liegen würde —, dann wären unsere ganzen Milchabsatzsorgen beseitigt.
Zunächst soll einmal untersucht werden, worauf der immer schon im Verhältnis zu anderen Ländern geringe Milchverbrauch zurückzuführen ist:
1. Der Milchverbrauch wird stark durch Verbrauchsgewohnheiten bestimmt. Diese werden ihrerseits beeinflußt durch die Einstellung der Verbraucher zur Milch und durch die Art und Weise und die Qualität, in der die Milch den Verbrauchern angeboten wird. In Deutschland hat die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg vor dem Kriege einmal den prozentualen Anteil der verschiedenen kalten Getränke am Gesamtkonsum ermittelt. Er betrug: alkoholische Getränke 69 %, alkoholfreie Getränke 18,7 % und Trinkmilch 12,2 %. Bei der Aufgliederung zeigt sich, daß die jüngste Lebensgruppe mit 25 bis 30 Jahren, die erfaßt wurde, wie auch die Frauen einen überdurchschnittlichen Verbrauch von 16,25 % ausweisen. Hier muß eine Maßnahme einsetzen, um eine Verbrauchswandlung zu erzielen, d. h. es ist durch Aufklärung dafür zu sorgen, daß Milch in Zukunft nicht mehr als Getränk, sondern als hochwertiges Nahrungsmittel angesehen wird. Meines Erachtens ist bereits eine geistige Umstellung der Bevölkerung, besonders der Jugend, festzustellen. Die Anschauung jedenfalls in jugendlichen Kreisen, daß das Milchtrinken unmännlich sei, ist schon stark zurückgegangen.
2. Man darf folgendes nicht vergessen. Seit 1933 bis weit nach 1945 mußte die Butterproduktion gefördert werden. Diese Maßnahmen haben das sogenannten „Milchbewußtsein" in der Bevölkerung, besonders bei der jungen Generation, unterdrückt.
Man hat das Milchtrinken etwas verlernt.
3. Die Qualitätsbestrebungen sind durch die Mangellage im Krieg und in den Nachkriegsjahren vernachlässigt worden, weil die Milch den Molkereien und Händlern ohne Rücksicht auf die Güte buchstäblich aus der Hand gerissen wurde. Aber schon nach der Währungsreform wurde wieder die Bedeutung eines gesteigerten Milchkonsums im Interesse der Milchwirtschaft und der Verbraucher erkannt. Deshalb wurde im Frühjahr 1950 in Fortsetzung der Arbeiten des ehemaligen Reichsmilchausschusses, der bis 1933 wirkte, der Verein zur Förderung des Milchverbrauchs ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Bemühungen um die Steigerung des Milchverbrauchs zu verstärken.
Die deutsche Gesundheitswissenschaft setzt sich aus den bekannten guten Gründen für einen weitgehenden Verbrauch von Milch ein. Sie erhebt damit aber eine unabwendbare Gegenforderung: die Forderung nach einer hygienisch einwandfreien Milch. Es gehört zu den Pflichtaufgaben der Ärzte und Gesundheitsverwaltungen, sich um die Hygiene des Milchkonsums zu kümmern. Ich will nicht verschweigen, daß die Hygiene und die Qualität der Trinkmilch noch vor einigen Jahren zu wünschen übrig ließ. Folglich mußte ich, bevor ich mit einer durchschlagenden Propaganda einsetzen konnte, die erste Voraussetzung für die Steigerung des Trinkmilchverbrauchs schaffen, und zwar die Verbesserung der Hygiene und Qualität der Milch.
In den letzten Jahren sind verschiedene Maßnahmen auf diesem Gebiete eingeleitet worden mit dem Ziel, eine qualitativ hochwertige und vollmundige Milch in den Verkehr zu bringen. Im einzelnen darf ich folgendes erwähnen:
1. Gewinnung einer gesunden und keimarmen Milch a) durch Bekämpfung gewisser Rinderseuchen, insbesondere der Tuberkulose — der Bund hat in zwei Etappen jeweils 5 Millionen, insgesamt also 10 Millionen aus ERP-Mitteln für diese Aktion beigesteuert —; b) durch saubere, gut gelüftete und belichtete Ställe; saubere Milchgewinnung, gepflegte Melkgerätschaften, Melkmaschinen, sofortige Kühlung der Milch nach dem Melken. Der land- und hauswirtschaftliche Auswertungs-
und Informationsdienst bringt zur Zeit eine Schrift für die Erzeuger heraus, die als Wegweiser für eine einwandfreie Milchgewinnung und -kühlung dienen soll.
2. Für den Transport der Milch vom Erzeuger zur Molkerei werden nur noch verzinnte oder Aluminiumkannen oder Kannen aus nichtrostendem Stahl benutzt. Die im Krieg eingeführten rot lackierten Kannen sind durch Erlaß der Länder aus dem Verkehr gezogen.
3. In den Molkereien kommt eine Bearbeitung der Milch zur Anwendung, die einmal krankheiterregende Keime tötet und zum anderen den Rohmilchcharakter, insbesondere den Geschmack der Milch, erhält, d. h. eine Dauer- oder Kurzzeiterhitzung.
4. Die Überprüfung der Molkereien, insbesondere der Erhitzungsanlage, ist durch die zuständigen Veterinärräte und Amtsingenieure für das Molkereiwesen verstärkt worden. Ich habe in meinem Rundschreiben an die Länder vom 26. September 1950 die notwendigen Anregungen gegeben. Automatisch arbeitende Umschaltventile mit Temperaturregistrierinstrumenten sind auf meine Initiative entstanden. Damit soll erreicht werden, daß unerhitzte Milch wieder in den Annahmebehälter zurückgeführt wird und nicht zur Ausgabe gelangt.
5. Die Abgabe einer hochwertigen Flaschenmilch nimmt immer breiteren Raum ein. ERP-Kredite sind und werden bereitgestellt, um in größeren Verbrauchszentren Spezialflaschenmilchbetriebe zu errichten, die als Beispiel für die anderen Molkereien im Bundesgebiet dienen sollen. Wir haben für diese Maßnahmen und zur Verbesserung der Molkereien bisher aus ERP-Mitteln 15,294 Millionen DM aufgewendet. Es ist zu erhoffen, daß aus der dritten Tranche der ERP-Mittel weitere fünf Millionen — also insgesamt 20,294 Millionen DM — zur Verfügung stehen.
6. Weiterhin wird zur Zeit der Entwurf einer Güteverordnung für Milch auf Grund von § 9 des Milch- und Fettgesetzes von 1951 mit den Ländern beraten. Diese Güteverordnung regelt im ersten Teil die Prüfung der Milch durch amtliche Stellen, dann die Eigenkontrolle in den Molkereien und schreibt ferner die Bezahlung der Anlieferungsmilch an die Molkereien nach Gehalt und Güte vor. Werden auf Grund dieser Prüfungen Beanstandungen festgestellt, so trifft die oberste Landesbehörde entsprechende Maßnahmen, d. h. sie kann auch eine Molkerei, die minderwertige Trinkmilch liefert, von dem Markt ausschließen.
7. Fernerhin hat das Bundeskabinett eine neue Preisverordnung für Milch, Butter und Käse verabschiedet, die vorsieht, daß Milch mit einem Fettgehalt von 3 °/o statt 2,8 °/o für höchstens 38 D-Pfennig verkauft wird. Ich betone, daß die Landwirtschaft dadurch ein Opfer bringt, daß sie für die höherwertige Milch, 3 %, nur den gleichen Preis erhält wie' für die niederprozentige, 2,8 %. Für Flaschenmilch mit 3 % Fett kann ein entsprechender Zuschlag gewährt werden.
Ferner ist nunmehr die Möglichkeit gegeben, daß je nach der Einstellung der Bevölkerung, je nach den gegebenen Absatzmöglichkeiten auch im Fettgehalt höher stehende Milch wiederum in den Verkehr gebracht werden kann. Ich möchte hier nicht die Debatte über das sogenannte ungeteilte Gemelke allzusehr erwähnen
— ich höre schon die ablehnenden Rufe —; es ist aber so, daß wir zweifellos den in den verschiedenen Teilen des Bundesgebiets gegebenen örtlichen und biologischen Verschiedenheiten Rechnung tragen müssen. Ich erinnere daran, daß unsere deutschen Höhenschläge im Durchschnitt 3,7 bis 3,9 % Fett geben, während die Schwarzbunt- und Rotbuntniederungsschläge 3 bis 3,2 % Fett haben.
Damit ist der Weg zur Vollmilch für diejenigen, die es wünschen, wieder geöffnet.
Nachdem nunmehr die materiellen Voraussetzungen — also Hygiene, Qualität, Flaschenmilchpreise — gegeben sind, ist jetzt der Zeitpunkt für die Großwerbung gekommen, wobei aber auf die Initiative aller Wirtschaftsgruppen nicht verzichtet werden kann. Vor allen Dingen muß ein zusätzlicher Absatz geschaffen werden durch: Hauszustellung der Flaschenmilch durch den Milchhandel oder, wenn dieser versagt, direkt durch die Molkereien; energische Förderung der Schaffung von Gelegenheiten für den direkten Milchverzehr bei der Bundesbahn, auf der Autobahn, in den Parks, auf den öffentlichen Plätzen im Stadtinnern, in Trinkstuben oder in Milchgaststätten; Förderung des Milchvertriebs in Industriewerken, Büros seitens der Wirtschaft — Unternehmerschaften und Gewerkschaften —; großzügige Werbung in den Schulen. Der junge Mensch muß bereits in den Entwicklungsjahren an den Milchverzehr gewöhnt werden.
Eine Broschüre „Ernähren wir uns richtig", die im Auftrage des Verbraucherausschusses meines Ministeriums zur Zeit in 200 000 Exemplaren herausgegeben wurde, läßt einen breiten Raum für die Milchwerbung. Für die Wanderausstellung sind zwölf Tafeln in fünffacher Ausfertigung hergestellt worden. Auf diesen Tafeln setzen sich Ernährungswirtschaftler und Ernährungswissenschaftler mit der Frage des Ausgleichs — mehr Milch, mehr Fisch usw. — auseinander.
Die Geldmittel, die bisher dem Verein zur Förderung des Milchverbrauchs gegeben wurden, stammen aus der Umlage, die auf Grund des § 20 des Milch- und Fettgesetzes von 1951 erhoben wurde. Die bisherigen Mittel waren — das muß offen ausgesprochen werden — unzureichend. Ob sie in Zukunft überhaupt zur Verfügung stehen werden, ist noch ungewiß. Der Ernährungsausschuß des Bundestags hat bei der Beratung zur Novelle des Milch- und Fettgesetzes den § 20 gestrichen. Angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes können in absehbarer Zeit Haushaltsmittel für diesen Zweck nicht freigemacht werden. Soll also ein vermehrter Trinkmilchverbrauch erzielt werden, so bedarf es anerkanntermaßen ausreichender Geldbeträge zur Durchführung einer großangelegten Propaganda, wobei nach meinem Darfürhalten nicht allein die Landwirtschaft, sondern auch die an der Hebung der Milchwirtschaft stark interessierten Industrien ihr Scherflein beitragen müßten. Ich hoffe daher zuversichtlich, daß der Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages dieser Zielsetzung zustimmt und den bisher gestrichenen § 20 des Milch- und Fettgesetzes wiederherstellt.
Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, daß diese Große Anfrage einmal Gelegenheit gab, über diese unendlich wichtige Frage zu reden. Wenn ich darauf hinweise, daß die Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft zu 40 % aus Milchverkaufserlösen bestehen, so spreche ich als Landwirtschaftsminister. Wenn ich betone, welches Fundamentum für die menschliche Ernährung und Gesundheit die Milch darstellt, so rede ich als Ernährungsminister.