Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß wir in der Diskussion über diese lebenswichtigen politischen Fragen im Zusammenhang mit dem, was der Herr Vorredner der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterstellt hat, allmählich dazu kommen — und ich möchte das im Hinblick auf den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion sagen —, einen Schritt in die Illegalität zu tun,
nämlich dann, wenn wir diesen Antrag annehmen sollten.
Was ist denn eigentlich das Wesen einer Demokratie?
-- Meine Herren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei,
es scheint sich so allmählich ein Zustand herauszubilden, in dem wir über das, was wir und was Sie unter Demokratie verstehen, sehr verschiedener Meinung sein werden,
und das ist keine Atmosphäre, in der man in einem parlamentarischen System regieren kann.
Ich habe mich mit dem Antrag der Sozialdemokratischen Partei zu befassen, der darauf abzielt, eine verstärkte Ratifikationsklausel als eine Neuschöpfung des Völkerrechts, die man bisher noch nicht gekannt hat, einzuführen. Ich möchte die Tragweite dessen, was mit diesem Antrag bezweckt wird, darstellen. Zunächst kommt es mir darauf an, darauf hinzuweisen, daß die Ablehnung des Antrags, Vertreter zu entsenden, nach meiner Auffassung damit motiviert ist, daß der Verfassungsstreit, den Sie behaupten, hier in diesem Hause noch nicht existent ist, daß also über Dinge geurteilt werden soll, die noch gar nicht in der Welt sind.
Deshalb, meine Damen und Herren, und wegen der verfassungspolitischen Tragweite lehne ich
die Entsendung von Vertretern ab.
Aus folgenden rechtlichen Gründen glaube ich, daß der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion nicht gerechtfertigt ist. Das Grundgesetz gibt eine erschöpfende Regelung der Kompetenzen von Exekutive, Legislative und Verfassungsgericht. Meine Bemerkung hinsichtlich der Demokratie vorhin bedeutete, daß es bei ihr darauf ankommt, und zwar in einem sehr sorgfältig zu wägenden Sinn darauf ankommt, daß jedes Verfassungsorgan in seinen Grenzen bleibt. Die Bundesregierung unterzeichnet die Verträge mit auswärtigen Staaten, die, falls die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes vorliegen, der Zustimmung des Parlaments bedürfen. Die Ratifikation, d. h. nämlich die Bestätigung der vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem ausländischen Vertragspartner, erfolgt in jedem Fall durch den Bundespräsidenten. Die Aufgabe der Legislative ist somit fest umrissen. Sie beschränkt sich darauf, der innerstaatlichen Transformierung ihre Zustimmung zu geben oder zu verweigern. Dagegen ist im Grundgesetz eine vorherige Bindung der Exekutive durch Beschlüsse der Legislative nicht bekannt. Die Gestaltung der auswärtigen Politik ist im Stadium der Vertragsverhandlungen bis einschließlich der Unterzeichnung das ausschließliche Recht der Regierung. Sie ist für ihre Maßnahmen auf dem Gebiet der auswärtigen Politik in der gleichen Weise verantwortlich wie für alle ihre anderen Handlungen. Die Unterzeichnung des Vertrags bedeutet die Feststellung, daß sich die an den Verhandlungen beteiligten Regierungen über den Vertragsinhalt einig geworden sind. Sie bedeutet jedoch nicht, daß der betreffende Staat bereits gebunden ist. Im Deutschlandvertrag ist, wie es heute bei allen Verträgen von größerer Bedeutung üblich ist, ausdrücklich erklärt, daß die spätere Ratifizierung durch das Staatsoberhaupt nach dem verfassungsmäßig vorgesehenen Verfahrèn zu erfolgen hat. Das Staatsoberhaupt ratifiziert, nicht die Legislative. Das Parlament hat im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 das Recht, über die Zustimmung oder Ablehnung des von der Bundesregierung unterzeichneten Vertrags zu befinden. Es trägt dafür die politische Verantwortung vor dem deutschen Volk, von dem es gewählt ist.
Der Bundespräsident hat die Gesetze, darunter auch die Zustimmungsgesetze zu internationalen Verträgen, auszufertigen und zu verkünden. Er stellt dadurch fest, daß das Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen ist. Es steht auch dann noch in seinem Ermessen, ob er die völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik herbeiführt, indem er die Ratifikation gegenüber dem anderen Partner des Vertrags erklärt. Er bringt in der Ratifikationsurkunde zum Ausdruck, daß das Zustimmungsverfahren vor dem Parlament in ordnungsmäßiger Weise stattgefunden hat. Zweifelt er, ob ein vom Parlament beschlossenes Gesetz — darunter auch ein Zustimmungsgesetz zu einem Vertrag — eine Änderung des Grundgesetzes erfordert, so kann er das Bundesverfassungsgericht um ein Gutachten ersuchen. Nur der Bundespräsident kann dieses Gutachten einholen, niemand anders.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Aufgabe, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen im Wege der Normenkontrolle zu entscheiden. Es hat ferner den Umfang der Zuständigkeit der obersten Verfassungsorgane festzustellen, wenn Streit über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten entsteht. Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die politische Verantwortung von Regierung, Parlament und Bundespräsident zu übernehmen. Dies würde der Fall sein, wenn das Bundesverfassungsgericht in einem Zeitpunkt eine Entscheidung treffen würde, in dem weder eine Verpflichtung der Bundesregierung erzeugt ist noch der Bundestag die politische Verantwortung für das Abkommen zu tragen hat noch der Bundespräsident im Rahmen seiner Kompetenz zu der Verfassungsfrage überhaupt Stellung genommen hat Diese Organe würden dadurch ihrer Prüfungsfreiheit beraubt werden. Das Bundesverfassungsgericht würde von einer Kontrollinstanz für die Rechtmäßigkeit zu einem für politische Entscheidungen richtungweisenden obersten Organ werden, und genau das war es, was wir vom ersten Tage der Beratungen über das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht an abgelehnt haben.
Selbst wenn die Bundesregierung dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion entspräche, würde der mit dem Antrag erstrebte Erfolg nicht erzielt werden. Wie ich bereits ausgeführt habe, tritt die Bindung der Bundesrepublik erst mit der Ratifizierung durch den Bundespräsidenten ein. Ein Vorbehalt, daß die Bindung von der Erfüllung innerstaatlicher Voraussetzungen abhänge, ist gegenstandslos, weil er sich von selbst versteht. Der Vorbehalt einer etwaigen späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann überhaupt nur einen Sinn haben, wenn er im Zeitpunkt der Bindung erklärt wird — vorher hat er über-
haupt gar keinen juristischen und auch keinen politischen Sinn —, d. h. dann, wenn die Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde durch den Bundespräsidenten zur Frage steht. Nur dadurch tritt die Bindung ein. Alles was vorher geschieht, projiziert diesen Vorgang in einen Zeitpunkt hinein, indem es die verfassungsmäßigen Rechte der Organe beschneidet und darüber hinaus versucht, einen innerstaatlichen Vorgang, einen Vorgang rein unseres inneren Hauses, auf die internationale Ebene zu verlagern.
Infolgedessen ist in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eine große Gefahr sowohl hinsichtlich der Begrenzung des Umfangs der Rechte und Pflichten unserer Organe, als auch im Hinblick auf die künftige Vertragsfähigkeit unseres Landes. Denn wenn wir hier die verstärkte Ratifikationsklausel erfinden, so könnte bei jedem multilateralen Vertrag irgendein Vertragspartner plötzlich auf die Idee kommen, diese verstärkte Ratifikationsklausel zu fordern oder vorauszusetzen, um dann vor der Ratifikation die Handlungsfreiheit dieses Landes noch weiter zu beschränken, als das bereits der Fall ist. Diese Erfindung der verstärkten Ratifikationsklausel, meine Damen und Herren, ist eine Schlinge, die unserem Lande um den Hals gelegt werden kann. Dieser Punkt ist sehr entscheidend.
Ich bin nicht bereit, in eine Kritik der von Herrn Kollegen Dr. Arndt verlesenen Sätze der Begründung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzutreten. Es ist hier nicht der Ort, um das zu tun. Aber die Gefahr einer Kompetenzüberschreitung, die sich hier anzeigt, für unser Land, für jede kommende Regierung, sollte uns doch sehr vorsichtig stimmen und uns veranlassen, den Antrag der SPI) sehr sorgfältig zu prüfen. Vorbehalte bei der Unterzeichnung — ich meine hier den einfachen Unterzeichnungsakt, der zur Frage steht — haben nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf den Inhalt des Vertrages beziehen, auf eine bestimmte sachliche Regelung oder auf die etwa vorhandene Schiedsklausel oder ähnliche Dinge. Solche Vorbehalte bei der Unterzeichnung hat man in der Geschichte des Völkerrechts öfter gekannt. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Darum handelt es sich aber jetzt hier nicht. Obwohl das Völkerrecht keine Grundsätze über ein Verschulden bei Vertragsabschluß kennt und es infolgedessen auch nach völkerrechtlichen Grundsätzen nicht erforderlich ist, den Vertragspartner auf etwa in der Durchführung des Vertrages entstehende Schwierigkeiten besonders aufmerksam zu machen, würde dieser Gesichtspunkt für den von der SPD beantragten Vorbehalt überhaupt nicht in Betracht kommen. Der Vertrag selbst sieht, wie ich bereits gesagt habe, ausdrücklich den Vorbehalt des verfassungsmäßigen Verfahren vor.
Ich möchte abschließend sagen, die Ablehnung des Antrags der SPD dient dazu, daß die verfassungsrechtlich abgegrenzten und gegeneinander ausgewogenen Kompetenzen von Parlament, Bundespräsident und Bundesregierung nicht verschoben werden und daß wir uns nicht selbst durch solche Verwischung der Grenzen für künftige Vertragsabschlüsse Schlingen legen, über die wir dann stolpern müßten.