Rede von
Rudolf-Ernst
Heiland
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem § 315 des Gesetzes kommen wir an einen neuralgischen Punkt des Lastenausgleichs schlechthin. Wenn die 250 Millionen DM mit
diesem Paragraphen durch die öffentliche Hand der Einnahmeseite dieses Gesetzes zugute gebracht werden sollen, fragt man sich, ob die deutsche Sprache noch einen Sinn hat. Denn das Wort „Lastenausgleich" soll doch wohl sagen, daß die Lasten des Krieges von denen ausgeglichen werden sollen, die bisher an den Kriegslasten nicht teilgehabt haben. Es soll also eine echte Vermögensumschichtung auf die Seite derer durchgeführt werden, die bisher die Lasten des Krieges allein getragen haben.
Aber es sind ja nicht nur diese 250 Millionen DM, die durch die öffentliche Hand zum Lastenausgleich beigesteuert werden. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich eine eingehende Arbeit gemacht und beweisen, daß außer diesen 250 Millionen DM, die nach § 315 durch die öffentliche Hand, nämlich durch den Bund, die Länder und die Gemeinden, aufgebracht werden sollen, durch den Fortfall der bisherigen Vermögensteuer den Ländern ein Ausfall von 250 Millionen DM entsteht, durch Aufbringung der Teuerungszulage 160 Millionen DM, durch Anrechnung eines Drittels der neuen Vermögensteuer bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer ein Ausfall von 180 Millionen DM, durch Belastung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens der Länder und Gemeinden 120 Millionen DM und durch Aufbringung der Verwaltungskosten auf der Länder- und Gemeindeebene 100 Millionen DM. Das ist zusammen eine ganze Milliarde, die durch die öffentliche Hand von den gut 2 Milliarden des Lastenausgleichsaufkommens überhaupt aufgebracht werden muß; davon entfallen auf die Länder und Gemeinden allein 670 Millionen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Richtigkeit dessen, was die Spitzenverbände der Kommunen schon häufiger gesagt haben, nämlich, daß sich diese Bundestagsmehrheit das Prädikat verdient hat, kommunalfeindlich zu sein, dürfte damit bewiesen sein.
Wir sollten aber auch noch bedenken, daß der Herr Kollege Kunze — ich bedaure es außerordentlich, daß er nicht anwesend ist —
dieser Tage in der Debatte ein sehr häßliches Wort gesprochen hat. Herr Kunze hat folgenden Satz gesprochen: „Die Gemeinden haben die Leute nach Bethel abgeschoben." Wenn die Flüchtlinge nach 1945 auf die Mildtätigkeit von Bethel allein angewiesen gewesen wären, dann hätten sie ein sehr trauriges Schicksal vor sich gehabt.
Wenn sich die Gemeinden nicht mit ihrer ganzen Kraft hinter die Flüchtlinge gestellt hätten, dann wäre die Aufgabe gar nicht lösbar gewesen.
— Ich habe ein Wort des Herrn Kollegen Kunze zitiert.
— Dann sollte Herr Kollege Kunze seine Worte etwas vorsichtiger wählen.
— Es ist nur komisch, daß Sie immer so nervös werden, wenn mal °irgend etwas von Ihnen zitiert wird.
— Na ja, dann warten Sie es doch erst mal ab. Herr
Kunze hat sogar noch einen zweiten Halbsatz zu-
gefügt; er hat gesagt: „wenn sie nicht fertig geworden sind". Daß das Problem der Flüchtlinge in den ersten Krisentagen überhaupt lösbar war, war doch nur durch den selbstlosen Einsatz der Kommunen möglich.
Dazu ist noch einmal zu sagen, daß dieser Bundestag, wenn es darum geht, wirklich Bundeslasten zu tragen, nämlich die Kriegsfolgelasten, die ja nach dem Grundgesetz eine Bundeslast sind, immer wieder den Ausweg sucht, in die Kommunen und Länder auszuweichen. Ich brauche an das Beispiel des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes nicht noch besonders zu erinnern.
Es stellt sich wirklich die Frage, ob wir es hier mit einem echten Lastenausgleich zu tun haben oder ob hier nicht doch ein Kriegsschädensteuergesetz verabschiedet wird und die Lasten, die von den bisher vom Krieg nicht Betroffenen aufgebracht werden sollen, durch dieses Gesetz nicht noch letzten Endes auf die öffentlichen Haushalte und damit auf die Menschen verlagert werden, die zum Teil einen Anspruch an dieses Gesetz haben.
Es ist doch ein nicht zu bestreitender Tatbestand, daß die Flüchtlinge, die Kriegsgeschädigten und die Kriegsbeschädigten, vor allen Dingen in den dicht besetzten Gebieten an der Ruhr und in den Großstädten, zu diesem Ausgleich — nämlich über die öffentlichen Haushalte — zu einem sehr erheblichen Teil herangezogen werden; d. h. das, was sie nach diesem Gesetz auf lange Zeit bekommen sollen, müssen sie erst einmal selbst in Form von Steuern einzahlen.
Es ist wirklich zu fragen, ob wir mit diesem Gesetz das Problem, das uns durch den Ausgang des Krieges hinterlassen worden ist, zu einer gerechten Lösung geführt haben. Ich hatte Gelegenheit, am 1. Mai im Fuldaer Dom ein wirklich gutes Plakat zu sehen, und ich würde Ihnen empfehlen, sich dieses Plakat auch einmal anzusehen. Man könnte fast glauben, es sei für diese Debatte gemacht. Im Fuldaer Dom hängt ein Plakat des heiligen Sankt Martin, das zeigt, wie er seinen Mantel teilt, und darauf stehen zwei Worte — diese zwei Worte sollten ein Programm sein —, nämlich: Helft! Teilt! Von dieser Teilungsbereitschaft haben wir hier bei den Besitzenden, die Herr Atzenroth als der sogenannte Wirtschaftssachverständige in diesem Ausschuß vertreten hat, nichts gespürt.
— Herr Kollege Pelster, Ihr Abwinken beweist, daß Sie anscheinend die letzte Konsequenz nicht ziehen, daß Sie, wenn es wirklich einmal an die Grundlagen der christlichen Ethik und der christlichen Lehre herangeht, dann nicht den Mut haben, bis zum letzten zu gehen.
— Herr Pelster, ich will Ihnen mal eins sagen: Christentum kann man nicht nur damit beweisen, daß man das Wort sehr oft und sehr laut in den Mund nimmt, sondern Christentum soll man damit beweisen, daß man nach diesen sittlichen Grundsätzen lebt!
— Bin ich mit Ihnen einer Meinung, Herr Kollege Schütz!
— Ach, Herr Pelster, ich scheine den wunden Punkt bei Ihnen getroffen zu haben!
— Das hätte ich gern etwas deutlicher verstanden; Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen die Antwort nicht schuldig bleibe!
Aber ich will zum Lastenausgleich auch noch etwas anderes sagen. Die Bestimmungen des § 315 werden in der Vorlage damit begründet, daß ein Teil der Fürsorgeaufwendungen der Gemeinden in Zukunft wegfalle. Ich frage: haben die Gemeinden nicht schon durch den Flüchtlingsstrom und durch die Bombenschäden erhebliche zusätzliche Lasten auf sich genommen? Führen sie nicht praktisch bereits einen Lastenausgleich durch? Wer trägt denn die Lasten des Schulbaues für die hinzugekommenen Kinder? Nehmen nicht die Vertriebenen und nehmen nicht auch die Bombengeschädigten in den Gemeinden an den öffentlichen Einrichtungen
— Gott sei Dank, sage ich — in genau demselben Maße teil wie die nicht Kriegsgeschädigten? Wenn auf einer Ebene ein Lastenausgleich bereits durchgeführt worden ist, dann ist er auf der Ebene der öffentlichen Hand durchgeführt worden!
— Das wird nicht bestritten, Herr Kollege Schütz. Es muß natürlich positiv gesagt werden, daß von dieser einen Milliarde eventuell 200 oder 250 Millionen in Zukunft entfallen, weil in der Zwischenzeit aus dem Lastenausgleichsgesetz eine Belastung des Soforthilfegesetzes für die Versorgungs- und Verkehrsbetriebe herausgekommen ist.
Aus diesem Grunde sind wir von der Sozialdemokratischen Partei der Meinung, daß § 315 auf jeden Fall gestrichen werden muß. Da Sie bei anderer Gelegenheit so sehr bereit waren, die Einnahmeseite zu kürzen — ich denke nur an die 240 Millionen, die Sie auf der Vermögensteuerseite bereitwilligst verschenkt haben —, hätten Sie durchaus die Möglichkeit, auch dieses Loch zu schließen, wenn Sie den Besitz, der erhalten geblieben ist, in einer wirklich gerechten Form belasten wollten. Aber da Sie ja keinen Lasten ausgleich schaffen wollen, sondern da Sie nur ein Fragment eines Lastenausgleichs zustande zu bringen gewillt sind, um nach draußen hin so zu tun, als wollten Sie einen Teil Ihrer Pflicht erfüllen, und da Sie den Flüchtlingen, Vertriebenen und Bombengeschädigten gegenüber noch irgendeine Farce eines Lastenausgleichs aufrechterhalten wollen, deswegen müssen Sie jetzt diese Mittel, die Sie zahlen wollen, von der öffentlichen Hand eintreiben.
Einen echten Lastenausgleich gibt es nur dadurch, daß man das vom Kriege nicht betroffene Vermögen zu einem gerechten Ausgleich für das durch den Krieg vernichtete Vermögen heranzieht. Wenn Sie das wollen, wenn Sie einen wirklichen Lastenausgleich wollen, dann müssen Sie die erhebliche Belastung der öffentlichen Hand aus diesem Gesetz herausnehmen.