Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solange wir eine einheitliche Reichsfinanzverwaltung hatten und solange die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer Reichssteuern waren, gab es Probleme wie die, deren Lösung in diesem Gesetz versucht wird, nicht. Vielmehr entstanden die Probleme dieses Gesetzes durch die Schaffung der deutschen Länder und den Föderalismus, wie er im Grundgesetz niedergelegt ist. Nach Art. 106 Abs. 2 des Grundgesetzes sind die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer Ländersteuern, und die Länder haben die Steuerhoheit; es ist aber unterlassen worden, auch den Steuergläubiger für die einzelnen Steuerpflichtigen zu bestimmen. Diese Lücke in der Steuerberechtigung soll das vorliegende Gesetz schließen.
Um ganz anschaulich zu sprechen: zum Amtsbezirk der Bundesbahndirektion Hamburg gehören außer Hamburg das gesamte Land Schleswig-Holstein und große Teile von Niedersachsen. Jeder wird Verständnis dafür haben, daß aus Gründen der Rationalisierung eine gemeinsame Lohnbuchführung bei der Zentrale in Hamburg erfolgt; niemand wird aber Verständnis dafür haben, daß die gesamte Lohnsteuer für die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Bundesbahn, die in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen beschäftigt werden, an das Land Hamburg abgeführt wird. Dasselbe gilt für die Bundespost, deren Direktionsbezirk Hamburg auch einen großen Teil von Schleswig-Holstein und von Niedersachsen umfaßt. Ebenso haben wir zahlreiche Unternehmungen, deren Betriebsstätten in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen liegen und deren Firmensitz in Hamburg oder in Bremen oder in Nordrhein-Westfalen ist. In allen diesen Fällen werden also die Einkommen- und die Körperschaftsteuer nach dem bisherigen Recht an das Land abgeführt, in welchem die Firma ihren Sitz hat, gleichgültig, wo ihre Betriebsstätte liegt. Dazu kommt, daß etwa 39 000 Arbeiter von Schleswig-Holstein nach Hamburg einpendeln, aber nur 3 800 von Hamburg nach Schleswig-Holstein, sowie daß etwa 10 000 Arbeiter von Niedersachsen nach Hamburg einpendeln, aber nur 800 von Hamburg nach Niedersachsen. An diesen konkreten Beispielen erkennen Sie das gesamte Problem.
Absurd wird die Geschichte aber nun durch folgendes: Schleswig-Holstein muß durch die Wohnsitz-Finanzämter der Lohnsteuerpflichtigen im Lohnsteuerjahresausgleich die zuviel bezahlte Lohnsteuer, die es also selbst gar nicht empfangen hat, an die Lohnsteuerpflichtigen abführen, hat also beispielsweise im Jahre 1950 808 000 Mark im Lohnsteuerjahresausgleich an Lohnsteuerpflichtige ausgezahlt, obgleich nicht Schleswig-Holstein die Lohnsteuer dafür erhalten hat, sondern Hamburg. Diese wenigen Beispiele dürften genügen, um Ihnen die Problematik des Gesetzes aufzuzeigen. Ich habe diese Beispiele auch deshalb angeführt, weil in der ersten Beratung in der 189. Sitzung vom 17. Oktober 1951 keine Aussprache stattgefunden hat und die Öffentlichkeit wie der Bundestag keine Gelegenheit gehabt haben, sich mit dieser Materie zu beschäftigen.
Es handelt sich um folgende Hauptprobleme: erstens um die Zerlegung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen dem Land des Wohnsitzes und dem Land der Betriebsstätte des Steuerpflichtigen, zweitens um die Zerlegung der Lohnsteuer, wenn Betriebsstätte und Wohnsitz des
Arbeitnehmers in verschiedenen Ländern liegen, und drittens um die Zerlegung der Steuern, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz von einem Land in das andere verlegt hat. Bisher steht der einzelne Steueranspruch dem Land zu, an dessen Finanzamt die Steuer nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit zur Besteuerung zu entrichten ist. Das sind die Grundtatsachen.
Es handelt sich, wie ich jetzt ausdrücklich sagen möchte, nicht um Angelegenheiten, welche die Bundesfinanzen berühren, sondern es handelt sich ausschließlich um Angelegenheiten, die das Verhältnis zwischen den Ländern angehen und hier insbesondere zwischen den Ländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, wozu dann noch Nordrhein-Westfalen und Hessen kommen. Die empfangsberechtigten Länder sind somit im wesentlichen die finanzschwächsten Länder des Bundes: Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Die Gesetzesvorlage ist von sehr wesentlicher Bedeutung für den horizontalen Finanzausgleich. Durch die Zerlegung des Steueraufkommens, wie sie im Entwurf vorgesehen ist, wird das bisher verfälschte Bild der Steuerkraft eines Landes korrigiert. Der bisherige Finanzausgleich beruhte ja auf einer künstlich überhöhten Spannung zwischen der Steuerkraft der einzelnen Länder. Nach Durchführung dieses Gesetzes beginnt der horizontale Finanzausgleich das zu sein, was er seiner ursprünglichen Bestimmung nach sein müßte, nämlich ein Spitzenausgleich.
Die Gesamtsumme, die bei dieser Zerlegung in Frage kommt, wird auf 150 Millionen geschätzt. Sollte der uns kürzlich zugegangene Gesetzentwurf, der eine Abgabe von 40 % der Einkommen- und Körperschaftsteuer an den Bund vorsieht, angenommen werden, dann würden 60 %, d. h. 90 Millionen Mark, als tatsächliche Summe verbleiben, die zwischen den beteiligten Ländern bewegt wird. Diese Summe rechtfertigt immerhin den Aufwand, der mit diesem Gesetz gemacht wird.
Ich darf Sie jetzt kurz mit den Hauptpunkten befassen, die der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen bei der Behandlung dieses Gesetzes beachtet hat. Wir hatten den Einbau in den Finanzausgleich erwogen, haben diesen Einbau aber nach eingehenden Untersuchungen verworfen, weil die Steuerzerlegung kein begrifflicher Bestandteil des Finanzausgleichs sein kann. Aus systematischen wie aus praktischen Gründen muß die Zerlegung dem Finanzausgleich vorangehen. Abgesehen davon wären die ohnehin sehr komplizierten Finanzausgleichsverfahren durch den Einbau der Zerlegung noch komplizierter und noch unübersichtlicher geworden.
Dann haben wir uns mit den Zerlegungsmaßstäben beschäftigt und in § 3 Abs. 2 bestimmt, daß für die Zerlegung die Maßstäbe des Gewerbesteuerrechts gelten sollen. Was das Zerlegungsverfahren anbetrifft, so sieht der § 5 des Gesetzes vor, daß die Vorschriften der Reichsabgabenordnung in den §§ 382 bis 389 mit den wenigen Änderungen, die sich aus den Absätzen 2 und 3 der Ihnen vorliegenden Vorlage ergeben, angewendet werden.
Einen besonders breiten Raum nahm in den Ausschußberatungen die Frage ein, wie hoch der Aufwand an Verwaltungsarbeit sein würde und ob die zweifellos entstehende zusätzliche Verwaltungsarbeit ein solches Gesetz rechtfertigen würde. Wir sind nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis
gekommen, daß der Verwaltungsaufwand gar nicht so groß ist, wie er von den Ländern vorgetragen wird, die daran interessiert sind, daß dieser Entwurf nicht Gesetz wird, denn zum großen Teil entfällt die Summe auf die Körperschaftsteuer und damit auf relativ wenige Fälle. Außerdem ist durch die Festlegung einer Grenze von 30 000 Mark die Zahl der Fälle bei der Einkommensteuerveranlagung ganz erheblich herabgesetzt worden. Es werden durchweg weniger als 1 % der Veranlagungsfälle sein, in denen überhaupt eine Steuerzerlegung in Frage kommt. Hinzukommt, daß es sich bei der Zerlegung der Körperschaftsteuer um die analoge Anwendung des Verfahrens bei der Zerlegung der Gewerbesteuer handelt, für die eine gewisse, zusätzliche Arbeit j a ohnehin seit Jahren geleistet und auch nicht beanstandet wird. Es sind bisher keine Zweifel an der Berechtigung des Verfahrens bei der Gewerbesteuerzerlegung aufgetreten; mithin konnten wir uns um so leichter damit abfinden, die Zerlegung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer durchzuführen. Die Steuerpflichtigen selbst werden von der Zerlegung nicht berührt, sondern sie wird ausschließlich in den Finanzämtern vorgenommen.
Sehr wichtig sind nun noch die §§ 6 und 7. Der Zerlegung der Lohnsteuer wird ein von der Bundesregierung auf . 300 Mark monatlich geschätzter Arbeitslohn zugrunde gelegt. Die durchschnittliche Lohnsteuer beträgt pro Arbeitnehmer jährlich 186 Mark, was etwa der Steuerklasse II des Einkommensteuergesetzes entspricht.
Sehr eingehend haben wir nun die Frage geprüft, welche Steuersätze wir bei der Zerlegung zugrunde legen wollen. Gerecht wäre ein Steuersatz gewesen, der etwa 10 % unter der Steuerklasse II nach III hin gelegen hätte. Um aber die Annahme dieses Gesetzes zu sichern, haben wir uns im Finanzausschuß entschlossen, dem Hause vorzuschlagen, das Mittel zwischen Steuerklasse II und Steuerklasse III/1 zugrunde zu legen.
Das Gesetz sollte ursprünglich bereits für das Kalenderjahr 1951 gelten — von den beteiligten Ländern wird ja schon seit zwei Jahren an diesem Gesetz gearbeitet —, nachdem es aber nun so lange gedauert hatte, bis wir das Gesetz endlich dem Hause zur Beschlußfassung vorlegen konnten, erschien es uns nicht mehr angebracht, das Jahr 1951 zu nehmen, sondern wir schlagen jetzt in § 12 vor, das Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1952 in Kraft zu setzen und erstmalig auf die Steuer für das Kalenderjahr 1952 anzuwenden.
Noch ein letzter Punkt bedarf vielleicht des Hinweises. Die Darlegungen, die der geschätzte Kollege Leonhard über die Ermächtigungen vor einigen Monaten gemacht hat, haben einen solchen Eindruck auf uns gemacht, daß wir uns seitdem jedesmal überlegt haben, ob die Ermächtigungsparagraphen aufrechtzuerhalten seien. Nach eingehender Beratung sind wir zu dem Entschluß gekommen, den § 11 „Durchführungsbestimmungen" über die Ermächtigungen ganz zu streichen.
Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz versucht nur in recht grober Weise, die Steuer zu zerlegen und damit dem Prinzip der Steuergerechtigkeit zu dienen. Hätten wir das Verfahren verfeinert, dann wäre die Verwaltungsarbeit zu groß geworden. Deswegen haben wir uns mit diesem Gesetz, das einen Beitrag zur Änderung und Verbesserung unserer Finanzverfassung bedeutet, begnügt. Namens des Ausschusses für Finanz- und
Steuerfragen, der diesen Beschluß einstimmig gefaßt hat, habe ich Ihnen zu empfehlen, den Entwurf in der Fassung des Ausschusses nach Drucksache Nr. 3091 anzunehmen.