Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat am 24. Oktober vorigen Jahres nach einer lebhaften politischen und staatsrechtlichen Debatte einen Antrag meiner Fraktion Drucksache Nr. 2727 mit großer Mehrheit angenommen. In diesem Antrag war verlangt, daß der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten das Kehler Hafenabkommen in bezug auf sein verfassungsmäßiges Zustandekommen überprüfen und dem Plenum über das Ergebnis seiner Prüfung alsbald Bericht erstatten sollte. In der Aussprache über den SPD-Antrag hat mein Parteifreund Carlo Schmid die Klage meiner Fraktion beim Bundesverfassungsgericht für den Fall angekündigt, daß der Auswärtige Ausschuß entgegen der Auffassung der Opposition das Verfahren bei Abschluß des Vertrages über das Kehler Hafenabkommen und die dabei von der Bundesregierung eingenommene Haltung gutheißen sollte.
Nach Auffassung meiner Fraktion hatte der Ausschuß zu folgenden Fragen eine Feststellung zu treffen: erstens, ob die badische Regierung bei dem von ihr getätigten Vertragsabschluß badischem Landesrecht im Sinne von Art. 28 des Grundgesetzes entsprochen habe; zweitens, ob das Auswärtige Amt verpflichtet gewesen sei, vor seiner Zustimmung die Rechtslage im Hinblick auf diese Bestimmung zu prüfen; drittens, ob der Vertrag nach den Bestimmungen des Art. 59 des Grundgesetzes der Beschlußfassung von Bundesrat und Bundestag unterliege, und viertens, ob hinsichtlich des Vertragsinhalts seitens des Ausschusses politische Bedenken gegen die gemäß Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes erteilte Zustimmung der Bundesregierung zu dem Vertragsabschluß durch das Land Baden geltend gemacht werden müßten.
Nach dem vom Herrn Berichterstatter vorgetragenen Ergebnis dieser Prüfung, das zum Teil in dem Mündlichen Bericht Drucksache Nr. 3058 seinen Niederschlag findet, hat die Ausschußmehrheit eine Kompetenz hinsichtlich der Entscheidung. der ersten beiden Punkte verneint. Bei der Frage 3 hingegen kommt der Ausschuß zu der Feststellung, daß der Vertrag über das Kehler Hafenabkommen nach den Bestimmungen des Art. 59 des Grundgesetzes der Beschlußfassung von Bundestag und Bundesrat unterliege — demnach also in verfassungsverletzender Weise zustande gekommen ist —, zieht aber daraus keinerlei Konsequenzen für die Gültigkeit des Vertrags. Es wird im Gegenteil zur Frage 4 festgestellt, daß weder gegen den Vertragsinhalt, noch gegen die gemäß Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes erteilte Zustimmung der Bundesregierung zum Abschluß des Vertrags durch die Regierung des Landes Baden irgendwelche Bedenken bestünden.
Meine Fraktion ist von dem Ergebnis der Prüfung des Auswärtigen Ausschusses nicht befriedigt und hält an ihrem bei der Besprechung der in der 170. Sitzung des Bundestags behandelten Interpellation vertretenen Rechtsstandpunkt fest. Danach war das Land Baden zum Abschluß des Kehler Hafenvertrags nicht zuständig. Auf eine Anfrage im badischen Landtag leitete die badische Landesregierung in einer Erklärung des Herrn Staatspräsidenten Wohleb ihre Zuständigkeit zum
Abschluß des Kehler Hafenvertrags aus Art. 77 der badischen Verfassung in Verbindung mit Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes ab. Nach Art. 77 der badischen Verfassung obliegt der Landesregierung die Leitung der gesamten Staatsverwaltung, der Vollzug der Gesetze und der Landtagsbeschlüsse sowie die Vertretung des Staates. Nach Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes sind die Länder, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind, zum Abschluß von Verträgen mit auswärtigen Staaten ermächtigt, bedürfen dabei jedoch der Zustimmung der Bundesregierung.
Die angezogene Vorschrift der badischen Verfassung betrifft jedoch nicht die Zuständigkeit der badischen Regierung zum Abschluß von Staatsverträgen, da diese Frage in Art. 99 der badischen Verfassung als lex specialis für diese Materie besonders geregelt ist. Nach diesem Art. 99 kann die Landesregierung zwar in Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, mit anderen deutschen Ländern oder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen, diese Verträge bedürfen aber nach der badischen Verfassung der Zustimmung des Landtages. Ganz gleich, ob für die Vertretungsbefugnis der Landesregierung nun der Art. 77 oder der Art. 99 der badischen Verfassung die rechtliche Grundlage bildet, so regeln die Vorschriften doch nur die Vertretungsbefugnis des Organs in Fällen der Zuständigkeit des Landes zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge.
Ob nach der Materie des Vertrages das Land Baden oder aber der Bund allein abschlußberechtigt ist, richtet sich nicht nach Bestimmungen der badischen Verfassung, sondern nur .nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes. Nach Art. 32 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes. Nur in Ausnahmefällen steht nach Art. 32 Abs. 3 den Ländern eine Zuständigkeit zu unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Bundesregierung. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist die Regel extensiv, die Ausnahme restriktiv zu interpretieren. Im Zweifel ist demnach der Bund zuständig. Eine Zuständigkeit eines Landes zum Vertragsabschluß mit einem auswärtigen Staat ist auch nur dann gegeben, wenn es sich um Gegenstände der Landesgesetzgebung handelt. Der Kehler Vertrag greift aber in den dem Bund vorbehaltenen Zuständigkeitsbereich ein. Das ergibt sich auch aus der Präambel, die mit aller Deutlichkeit zeigt, daß der Vertrag die Regelung einer politischen Streitfrage vorsieht, die seit langem in den deutsch-französischen Beziehungen eine Rolle spielt.
Für wie bedeutsam die Republik Frankreich die Frage hielt, wird schon daraus deutlich, daß sie die Kehler Frage zum Gegenstand mehrerer Konferenzen der Besatzungsmächte auf höchster Ebene gemacht hat. Die Washingtoner Außenministerkonferenz war sich der hochpolitischen Bedeutung der Kehler Hafenangelegenheit bewußt und hat deshalb beschlossen, daß die französischen Behörden die Regierungsgewalt im Hafen von Kehl so lange ausüben sollten, bis eine deutsche Bundesregierung gebildet sei, die die Verhandlungen zwischen deutschen und französischen Behörden über eine gemeinsame Hafenbehörde abschließen könne. Es ist nicht angängig, in dieser Frage enger zu denken als die Besatzungsmächte selbst. Ein Vertrag dieser Art gehört also zur ausschließlichen Kompetenz der Bundesorgane.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz des Leiters der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes Professor Mosier über das Thema
„Die völkerrechtliche Wirkung bundesstaatlicher Verfassungen" in der Festschrift für Richard Thoma vom Jahre 1950 hinweisen, aus dein ich einen Satz zitieren darf: „Wenn die Kompetenzverteilung klar und das Handeln ultra vires im konkreten Fall eindeutig ist, wird man den Vertrag als ungültig halten müssen".
Meine Fraktion ist aus diesen und den in dem früher zitierten Gutachten von Professor Forsthoff aufgeführten Gründen der Auffassung, daß durch das Zustandekommen des Vertrages die Rechte des Bundestages verletzt, der Vertrag also verfassungswidrig und daher nichtig ist.
Lassen Sie mich im Anschluß an diese Ausführungen über die Rechtsfragen noch einige allgemeine Bemerkungen zum gegenwärtigen Status in der Angelegenheit der Übernahme des Kehler Hafens machen. Sie erinnern sich noch der optimistischen Äußerungen, die an die sogenannte Freigabe des Kehler Hafens geknüpft wurden. Wie sich die Lage nach Inkrafttreten des Vertrages gestaltet hat, darüber geben kritische Feststellungen Aufschluß, die in der Kehler Zeitung vom 5. Januar dieses Jahres einer der hervorragendsten Vertreter des Kehler Stadtrats, Herr Friedrich Beinert, der auch dem Auswärtigen Ausschuß Bericht erstattet hatte, getroffen hat, sowie eine Veröffentlichung der Badischen Zeitung vom 24. Januar unter der Überschrift „Kehler Hafenvertrag nur für Zivil". In den beiden Verlautbarungen kommt eine starke Enttäuschung darüber zum Ausdruck, daß sich die französische Militärverwaltung nicht an das Kehler Hafenabkommen gebunden fühle und von den 15 unzerstört gebliebenen oder wenigstens noch betriebsfähigen Anwesen nur 7 zurückgegeben habe, während 8 weitere beschlagnahmt blieben.
Wie bei der Freimachung der Stadt Kehl blieben auch bei der Übergabe des Hafens die Realitäten weit hinter den Versprechungen vor Abschluß des Vertrages zurück. Was frei wurde, ist meist zerstört, klagt Herr Beinert in seinem Artikel, und stellt resigniert fest: Die Freimachung des Kehler Hafens, von der Uneingeweihte in höchsten Lobes-tönen sprechen, sieht in der Wirklichkeit ein bißchen anders aus. Uns hatte die seinerzeitige Geschäftigkeit der badischen Regierung bei den Vertragsverhandlungen schon skeptisch gemacht, und die Oberflächlichkeit der Behandlung der Frage durch das Auswärtige Amt, die aus den Ausführungen von Herrn Professor Hallstein bei der Beratung unserer Interpellation am 24. Oktober sprach, hatte uns stark beunruhigt.
Wie schon festgestellt wurde, konnte uns auch das Ergebnis der Prüfung des Abkommens durch den Auswärtigen Ausschuß nicht befriedigen. Meine Fraktion ist deshalb entschlossen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, um in der Zukunft Schäden, wie sie durch das verfassungswidrige Verhalten der Landesregierung und der verantwortlichen Organe der Bundesregierung den deutschen Interessen zugefügt wurden, zu verhindern.
— Unverschämtheit.