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ID0119503400

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    Deutscher Bundestag — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1952 8369 195. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1951. Geschäftliche Mitteilungen 8370D Autounfall des Abg. Bazille 8370D Mandatsniederlegung des unter dem Namen Dr. Franz Richter gewählten Abgeordneten Fritz Rössler 8370D Änderungen der Tagesordnung 8370D Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fall Kemritz (Nr. 2531 der Drucksachen): Beratung abgesetzt 8370D Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Behandlung wiederkehrender Leistungen bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (Nr. 3068 der Drucksachen) 8371A Ausschußüberweisung 8371A Erste Beratung des Entwurf eines Gesetzes über den Zollvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 20. Dezember 1951 (Nr. 3108 der Drucksachen; Umdruck Nr. 451) 8371A Ausschußüberweisung 8371B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Sander, Günther, Rademacher u. Gen. betr. Verbilligung von Dieselkraftstoff (Nrn. 3090, 2906 der Drucksachen; Umdruck Nr. 446) 8371B Dr. Bleiß (SPD): als Berichterstatter 8371B als Abgeordneter 8374C Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen . . . 8372C Rademacher (FDP) 8373C Beschlußfassung 8375A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Volkholz gemäß Schreiben der Rechtsanwältin Lammers, München, vom 4. Januar 1952 (Nr. 3119 der Drucksachen) . . 8375B Weickert (BHE-DG), Berichterstatter 8375B Beschlußfassung 8375C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Volkholz gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. Januar 1952 und 6. Februar 1952 (Nr. 3120 der Drucksachen) 8375C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 8375D Beschlußfassung 8376B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Soziale Studienkommission (Nr. 3024 der Drucksachen; Umdruck Nr. 455) 8376C Dr. Preller (SPD), Antragsteller . 8376C, 8392B Horn (CDU) 8380D Renner (KPD) 8383C Richter (Frankfurt) (SPD) 8385B Storch, Bundesminister für Arbeit 8386C Arndgen (CDU) 8388A Frau Kalinke (DP) 8388D Dr. Hammer (FDP) 8390B Dr. Atzenroth (FDP) 8391D Abstimmungen 8392C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Kohlenförderung im Warndt (Nr. 3023 der Drucksachen) 8392D zur Sache: Dr. Mommer (SPD), Antragsteller . 8392D zur Geschäftsordnung: Dr. Krone (CDU) 8394C Renner (KPD) 8394D Ausschußüberweisung 8395A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über iden Antrag der Fraktion der KPD betr. Freilassung der an Frankreich ausgelieferten deutschen Staatsangehörigen, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Begleitumstände dieser Auslieferung und Schließung der Werbebüros für die Fremdenlegion usw. (Nrn. 2836, 2541 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Französische Fremdenlegion (Nr. 2851 der Drucksachen) sowie der Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Einstellung der Werbung von Deutschen für ausländischen Militärdienst (Nr. 2967 der Drucksachen) . . . 8395A Dr. von Merkatz (DP): als Berichterstatter 8395B als Abgeordneter 8405B Fisch (KPD), Antragsteller 8396D Storch, Bundesminister für Arbeit 8399B Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 8400A Müller (Frankfurt) (KPD), Antragsteller 8400C Wehner (SPD) 8401B Höfler (CDU) 8404A Abstimmungen 8405D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Tätigkeit von Deutschen bei den Besatzungsmächten (Nrn. 3056, 2577 der Drucksachen) 8405D Dr. Pfleiderer (FDP), Berichterstatter 8406A Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 8407B Erler (SPD) 8407C Müller (Frankfurt) (KPD) 8409D Stegner (FDP) 8411A Höfler (CDU) 8411D Abstimmungen 8411D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Regelung von irregulären Besatzungsschäden (Nrn. 3057, 2709 der Drucksachen; Umdruck Nr. 457) . . . 8412A Erler (SPD): als Berichterstatter 8412A als Abgeordneter 8413D Dr. Etzel (Bamberg) (FU) 8413C Beschlußfassung 8413D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Vertrag über das Kehler Ha-. fenabkommen (Nrn. 3058, 2727 der Drucksachen) 8414A Dr. Kopf (CDU): als Berichterstatter 8414A als Abgeordneter 8417D Maier (Freiburg) (SPD) 8416A Niebergall (KPD) 8417C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß)über den Antrag der Fraktion der DP betr. Durchsuchung deutscher Wohnungen durch Angehörige der in Deutschland stationierten westalliierten Armeen (Nrn. 3059, 2874 der Drucksachen) . . . 8418D Erler (SPD), Berichterstatter . . . 8418D Beschlußfassung 8419C Beratung des Interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 456) . 8371A, 8395A, 8405D, 8419C Beschlußfassung 8419C Nächste Sitzung 8419C Die Sitzung wird um 13 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der ausführlichen Begründung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion ist Herr Professor Preller auf sehr viele Probleme eingegangen. Vieles davon hat wenig Neues ge-


    (Frau Kalinke)

    bracht, man kann sagen, kaum Neues, und ist kaum wert, außer im Kreis von Fachleuten bis ins einzelne diskutiert zu werden. Herr Professor Preller hat aber — und insofern muß ich dem Herrn Abgeordneten Richter antworten — die Zielrichtung angegeben und Grundsatzfragen aufgeworfen, die nicht nur technische Fragen sind, für das, was er mit dieser Sozialen Studienkommission als Ergebnis der Forschungen, als Endziel erreichen möchte. Meine Freunde sind dankbar dafür, daß der Sprecher der Regierungsparteien, der Abgeordnete Horn, gegenüber den von Herrn Professor Preller herausgestellten Grundsatzfragen ebenso klar die Grundsätze der Regierungsparteien dargelegt hat.
    Herr Kollege Preller hat zu Beginn seiner Begründung des sozialdemokratischen Antrags davon gesprochen, daß die deutsche Sozialversicherung eine fortschrittliche Leistung war. Ich meine, sie ist es noch. Man könnte von ihr in Umbildung des klassischen Begriffs, den Klopstock in einer seiner schönsten Oden von der deutschen Sprache geprägt hat, wahrhaft sagen: „daß keine, welche lebt, sich mit Deutschlands Sozialversicherung in einen wohledlen Wettstreit wagen dürfe. Sie ist, damit ich kurz mit ihrer Kraft es sage, an mannigfacher Uranlage, an immer neuer und doch deutscher Wandlung reich."

    (Zurufe links.)

    — Ja, ich habe die Klopstockschen Oden einmal gut gelernt, und ich glaube, daß es sehr nützlich ist, aus der deutschen Literatur wie aus der deutschen Geschichte manches zu behalten, weil man daraus vieles lernen kann.

    (Erneute Zurufe links.)

    Sie, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, die Sie „von der Wurzel her etwas Neues" schaffen wollten, haben mir leider heute nicht die Freude gemacht, neue Gedanken zu bringen, die die Grundlage einer solchen Schöpfung von der Wurzel 'her sein könnten. Sie haben zwar alle möglichen Dinge diskutiert, die in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung seit 70 Jahren bekannt sind, Probleme, die seit ebenso langer Zeit diskutiert werden, Fragen, die zum Teil vielleicht Fragen der Zweckmäßigkeit sind, andere, die sicherlich Fragen einer zwangsläufigen Entwicklung sind. Aber Sie haben — ich habe es schon eingangs gesagt — nichts Neues gebracht. Denn der Schrei nach der Staatsbürgerversorgung, der Schrei nach der totalen Beseitigung der Bordschwellen — mein Kollege Arndgen hat es schon gesagt — ist durchaus nichts Neues. Es handelt sich auch nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Professor Preller, um eine Zweckmäßigkeitsfrage und ebenfalls nicht, wie gestern Herr Schellenberg gesagt hat, um eine Frage der Technik, sondern um eine Frage sehr ernsthafter Erfahrung, nämlich darum, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem, dem ein Mensch sich selbst verantwortlich verpflichtet fühlt, und dem, was der Staat für alle seine Bürger zu tun verpflichtet ist.
    Mit Rücksicht auf die Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit — im Gegensatz zur Länge der Begründung — kann ich nur auf ein Teilgebiet dessen eingehen, was Herr Professor Preller hier ausgeführt hat. Er befindet sich in Gemeinschaft mit seinem Kollegen Auerbach vom Bundesrat, der das in den sozialdemokratischen Diskussionen bei der Empfehlung dieses Antrags als Grundlage des künftigen Wahlkampfes und der grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung unter den Wählern etwas deutlicher ausgedrückt hat. Er hat gesagt, die Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge sei eine historische Begebenheit oder gar eine Spielerei. Nun, wir haben in Deutschland heute, besser als 1945 im Zonenbeirat und im Länderrat, die Möglichkeit, uns ein ganz eindeutiges Bild darüber zu machen, was Spielereien, was Experimente und was sehr ernsthafte Versuche sind. Experimente dieser Art sind nur geeignet, den Restbestand eines Volkes, das mit seinen sozialen Problemen so schwer ringt, und damit uns alle unter Umständen in die größten finanziellen Schwierigkeiten zu bringen.
    Ich möchte nur mit wenigen Sätzen an das Ergebnis in der französischen Zone erinnern. Die damalige Zwangs- und Einheitsversicherung, beschert von den Freunden des Herrn Renner über die französische Militärregierung, hat weder die Leistungen erhöht, noch die Verwaltungskosten gesenkt, noch die Versicherten in irgendeiner Weise glücklicher gemacht.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Das Experiment der Versicherungsanstalt Berlins — nicht von Ihnen (nach links), sondern von der sowjetischen Militärregierung beschert, aber von Ihnen verteidigt — hat uns unerhörte Mittel gekostet.

    (Zuruf von der SPD: Sagen Sie das mal in Berlin!)

    Wir hier im Bundesgebiet sind auch heute noch bereit, um der Berliner willen, nicht um Ihres Experimentes willen, den Berlinern zu helfen, nicht aber der VAB.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Ja, ich muß es auch hier wiederholen: wir identifizieren die Bürger Berlins nicht mit der Sozialdemokratischen Partei!

    (Beifall rechts. — Anhaltende Zurufe links.) Das Experiment im Saarland, das unseren deutschen Menschen im Saarland aufgezwungen wird, zwingt sie heute in denselben Abwehrkampf, den deutsche Männer und Frauen in der französischen Zone einmal führen mußten.


    (Sehr richtig! rechts.)

    Dort haben die Parlamente gegen das Experiment entschieden.
    Lassen Sie mich nun etwas zu den Beispielen sagen, die Sie und Ihre Freunde immer anzuführen pflegen. Sie wollten diese Soziale Studienkommission in die skandinavischen Länder schicken. Meine Herren von der Opposition, in den skandinavischen Ländern, besonders in Schweden, das Sie uns so empfehlen, gibt es noch keine Krankenversicherung, 'die Sie studieren könnten, und die deutsche Sozialversicherung, wird dort noch für lange Zeit ein Fernziel sein.
    Was England betrifft, so möchte ich Ihnen dazu nur folgendes sagen. Sie wissen selbst, daß im britischen Haushalt für den nationalen Gesundheitsdienst im Jahre 1951 die Summe von 411 Millionen Pfund ausgegeben wurde gegenüber der im Jahre 1946 veranschlagten Summe von 146 Millionen Pfund. Aber der Mann, den Sie so oft zitiren und mit 'dem zu diskutieren auch ich das Vergnügen hatte, Lord Beveridge, hat in einem seiner neuesten Bücher jenes bemerkenswerte Wort von der Gefahr der Staatsbürgerversorgung und der Notwendigkeit der Freiheit aller seiner Bürger gesprochen, die Verantwortung selbst zu tragen, weil die Demokratie die freiwillige Einsatzbereitschaft


    (Frau Kalinke)

    erhalten muß, um ihr eigenes Gesetz, die Freiheit, zu bewahren.
    In Frankreich ist neulich das Kabinett gestürzt worden, nicht zuletzt wegen der finanziellen Schwierigkeiten durch den Sozialetat. Ich habe nur noch eine Minute Redezeit. Wenn mir die Zeit dafür zur Verfügung stünde, wäre es sehr reizvoll, Ihnen etwas aus der Sozialdebatte in Frankreich zu zitieren, aus jener Debatte in Frankreich, in der es darum ging, ob sich ein Volk wie die Franzosen ein solches Maß von Sozialexperimenten heute noch leisten kann. Aber ich möchte einem Mann das Wort geben, dem französischen Schöpfer dieser Einheitsversicherung, Herrn Laroque, der schon vor Jahren, nicht erst heute, gesagt hat, daß die soziale Sicherheit an sich kein Ziel sein kann, daß am Ende der Mensch steht. Herr Laroque beliebte seinerzeit an das Wort von Montesquieu zu erinnern, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte:
    Die Freiheit besteht in der Sicherheit jeden Bürgers und in seinem Bewußtsein, daß er sie besitzt.
    Aber, welcher Art Freiheit würde sich das Individuum noch erfreuen, wenn es sich nach und nach all seiner Verantwortlichkeiten zu Lasten der Gemeinschaft entledigen würde? Jede Gesellschaft, die die eigene Anstrengung der Person durch den Paternalismus des Staates ersetzt, ist einem langsamen Tode geweiht. Die Inkas in Peru hatten eine totale Planung der Bedürfnisse und aller Arbeiten durchgeführt, ehe sie mit ihrer Zivilisation untergingen, und die römischen Kaiser begannen 'einmal, Lebensmittel umsonst an das Volk zu verteilen. Das war der geschichtliche Zeitpunkt, als ihr Weltreich bald dem Ende entgegenging.
    Meine Freunde sind nicht der Auffassung, daß Experimente dieser Art auf dem Rücken unseres so geschlagenen Volkes exerziert werden sollten. Meine Freunde glauben, daß die Studienkommission im Arbeitsministerium wertvolle Beiträge zu einer fortschrittlichen Entwicklung unserer klassischen Sozialversicherung und zu einer Anpassung an ihre Bedürfnisse in der Gegenwart wie in der Zukunft leisten wird; Deshalb bitten wir Sie: Stimmen Sie dem Antrag der Regierungsparteien zu!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard Hammer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Die sogenannte Studienkommission, die der Herr Kollege Renner vorhin „die hohle Hand" genannt hat, hat in der Sozialgeschichte Europas in den letzten Jahrzehnten einige Vorgänger gehabt. Gestatten Sie mir, an die schwedische Vorgängerin dieser Kommission kurz zu erinnern. Sie hat im Jahre 1949 ein Résultat herausgebracht, das Sie interessieren dürfte, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei. Darin steht nämlich, daß ein solches Unternehmen, eine so umfassende Fürsorge und Versorgung der gesamten Bevölkerung nur auf kommunaler Ebene gelöst werden könne. Und als vor einigen Tagen Ihr Parteifreund Zinnkann aus London zurückkam und in Hessen in Versammlungen auftrat, da berichtete er über seine Erlebnisse in Großbritannien und traf dabei eine ganz interessante Feststellung. Er sagte, dieses System komme doch für uns nicht in Frage,

    (Hört! Hört! rechts — Abg. Frau Kalinke: Das ist ja sehr interessant!)

    denn das bedeute ja das Ende unserer Versicherungsträger. Ich bitte doch einmal zu überlegen und in Ihrer Partei Umfragen anzustellen, Herr Professor Preller, ob die Konsequenz, die zum Ende unserer Ortskrankenkassen führen würde, eigentlich die Konsequenz ist, die im Zuge Ihrer Parteipolitik liegt.
    Die schwedische Kommission hat 1949, als diese Resultate bekanntgegeben wurden, gerade zehn Jahre bestanden. Ich glaube, sie lebt jetzt noch; dann wäre sie im 14. Lebensjahr. Kommissionen haben eine merkwürdige Fähigkeit, sich zu erhalten. Sie pflegen zu reisen, sie pflegen außerordenliche Diäten und Unkosten zu verursachen. Ich kann mir vorstellen, daß diese Kommission wenigstens zu Herrn Melas nach Wien, wahrscheinlich aber auch nach Neuseeland fahren würde, und unser Etat würde reizend aussehen, wenn wir uns auf ewig einen derartigen Kostgänger zulegten.

    (Unruhe und Zurufe von der SPD.)

    Und im übrigen was für einen Kostgänger! Eine Studienkommission mit objektiven Aufgaben! Diese wunderbare Idee der voraussetzungslosen Wissenschaft — und dann nach dem d'Hondtschen System gewählt —, ist das nicht überhaupt ein Witz, der in die Faschingszeit hineinpaßt?

    (Abg. Renner: Nach dem System wählen Sie doch sonst immer!)

    Ich habe nicht die Absicht, das zu wiederholen, was in so vorzüglicher Form zur Frage des Versicherungsgedankens von meinen Freunden in der Koalition hier vorgetragen worden ist. Nur eine Bemerkung. Der Herr Kollege Preller hat vorhin davon geredet, daß man demjenigen, der Fürsorgeleistungen empfange, auch ein Recht darauf geben solle. Meine Damen und Herren, mit keiner positivistischen Gesetzgebung können Sie jemals das Rechtsempfinden der Menschen ändern. Das menschliche Gewissen bewertet nun einmal die Gegenleistungen, die man auf Grund eigener Leistungen von anderen zu beanspruchen hat, als wertvoller als die Fürsorgeleistung. Wenn sie tausendmal in einem Gesetz verankert ist, sie wird immer Almosen bleiben.

    (Abg. Dr. Preller: Sozialversicherung ist Almosen?!)

    Zu dem materiellen Inhalt der Dinge, zu dem, was wir uns von dieser Kommission, die beim Arbeitsministerium gebildet werden soll, versprechen, einige Vorstellungen und einige Wünsche: Ich bitte Sie, an den § 1250 der Reichsversicherungsordnung zu denken. Darin steht:
    Regelleistungen sind Renten, Beitragserstattungen und Heilverfahren.
    Wir wünschten, daß dieser neue Rat uns sehr bald Vorschläge macht, in welcher Form zu diesen alten klassischen Regelleistungen noch andere kommen, nämlich der Anspruch des Versicherten auf die Erstattung der Kosten, die zu seiner Umschulung gehören. Die Umschulung, die die Rente erspart, kann nie teuer genug bezahlt werden. Nicht allein der finanziellen Vergleiche halber! Die Rente hat eine merkwürdige Eigentümlichkeit. Wir gewähren sie, um zu helfen, nach formellen Pflichten und nach menschlichen Pflichten des Staatsbürgers. Aber wir teilen sehr oft ein merkwürdiges Geschenk aus, eine Frucht, die süß schmeckt und nahrhaft ist und die hinterher Durchfall macht. Vielleicht ist es Ihnen klar, was eine Rente bedeutet, wenn Sie einmal nachprüfen, in welchem Dauerzustand sich der Bezieher einer Teilrente befindet. Er bekommt


    (Dr. Hammer)

    seine Rente für einen ganz bestimmten Funktionsausfall und ist gezwungen, wenn er diese Rente weiterbeziehen will, diesen Funktionsausfall ständig nachzuweisen. Er wird gezwungen, das Bild der Krankheit immer wieder vorzuführen, es sei denn, daß er bereit ist, auf die Rente zu verzichten.

    (Abg. Renner: Dehler, ick hör dir trappsen!)

    Er braucht den Krankenschein in jedem Vierteljahr,
    um den Beweis zu führen. Er braucht den „Zugeteiltenschein", und der Beamte, der seine 25 %ige Beschädigung immer nachweisen will, braucht alle Vierteljahr die Krankmeldung, um immer wieder den Beweis seiner geminderten Dienstfähigkeit geführt zu haben.
    In jeder Rente liegt eine unerhörte Verführung und Verlockung. Wenn wir einem Menschen auch mit dem Aufwand weit größerer Geldmittel einen Ersatz für Rente geben können, so sollten wir ihm trotzdem diesen Ersatz geben. Es ist eine bessere und ehrlichere Entschädigung für den Anspruch, den der Betreffende erworben hat.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Vor einigen Tagen — ich glaube, es war am 14. Februar stand in einer süddeutschen Tageszeitung, im „Mannheimer Morgen" folgende kleine Notiz, die ich mir herausgeschnitten habe:
    Würzburg. In der Gemeinde Bernreuth wurden im letzten Jahr 50 Geburten registriert. 17
    davon waren unehelich. Die Eltern dieser
    außerehelichen Kinder wollen nicht heiraten,
    da sich sonst ihr Einkommen aus Unterstützungen oder Renten wesentlich verringert.
    Aus dieser Meldung können Sie ablesen, daß eine Rente, die gewährt wird, um zu helfen, Schaden bringen kann. Der Schaden ist hier ganz einfach zu definieren: die Vorteile der Rentengewährung oder der drohende Entzug der Rente hat diese armen Frauen in eine merkwürdige Situation gebracht, hat sie so weit getrieben, daß sie auf eine der segensreichsten Ordnungsformen unseres Daseins, nämlich auf die Ehe, Verzicht geleistet haben, zweifellos nicht freiwillig und nicht mit Begeisterung.
    Wir wünschen also, daß in den Überlegungen zur kommenden Reform der Sozialversicherung das Problem der Familie angefaßt wird. Wir möchten den Familienlastenausgleich, weil wir überzeugt sind, daß jede Leistung, die von Vater zu Kind oder von Kind zu Mutter gegeben wird, eine bessere und eine echtere Leistung, eine höherstehende Leistung ist als irgendeine Leistung, die von einem Institut oder einer Versicherungsanstalt jemals gewährt werden wird.
    Es ist immer wieder darauf hinzuweisen, daß alle Vorteile unserer Sozialversicherung — die gar nicht abgestritten werden — mit einem entsetzlichen Preis zu bezahlen sind. Darf ich Ihnen das an einem kleinen Beispiel klarmachen. Wenn ich jetzt den Krankenschein erwähne, so habe ich nicht die Absicht, über ihn zu sprechen, weil er ein in Deutschland im Umlauf befindliches entwertetes Zahlungsmittel ist. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur darauf lenken, daß auf diesem Krankenschein eine bestimmte Rubrik: „Diagnose — Krankheitsangabe — bitte auf deutsch — vorgedruckt ist. Da muß nach unserer Rechtslage in Deutschland hingeschrieben *erden: Schwindsucht, Schweißfuß, Säuferwahnsinn, Syphilis, Krebs und Krätze. Die persönlichsten Nachrichten über jene unglücklichen Kranken geraten nun in die Mühle der Bürokratie, angefangen von den Angestellten der kassenärztlichen Vereinigungen, endlose Bürokratensäle durchlaufend, Dinge, die einmal persönlichstes menschliches Geheimnis waren. Das ist einer der Preise, die für die soziale Sicherheit gezahlt werden.
    Sie möchten mir sagen, auch die Angestellten der Sozialversicherung stehen unter der Schweigepflicht. Gewiß! Aber das gilt nur zu 25 %. Erstens kann man die Verwirklichung einer Schweigepflicht in bezug auf Notizen, die ganze Büroräume mit Dutzenden von Angestellten durchlaufen, über- hauet nicht mehr erzwingen. Ist es zweitens nicht sehr interessant: wenn ein Angestellter einer Krankenkasse oder einer kassenärztlichen Vereinigung die Schweigepflicht verletzt, wird er mit drei Monaten Gefängnis bestraft, der Arzt dagegen mit zwölf Monaten? Also hier ist der Wert des Geheimnisses nur noch 25 % von dem, den es sonst hat. Auch hier erleben Sie wieder die Verwirklichung des Gesetzes, nach dem eben Leistungen, die von Versicherungsträgern gewährt werden, Leistungen in einfachster Ausführung sind. Der Herr Arbeitsminister braucht keine Angst zu haben, daß ich ihm Vorschläge mache, diese Angabe der Diagnose über Nacht zu verbieten. Aber auch das muß einmal kommen; die Sozialversicherung der westlichen Länder respektiert ja auch die Schweigepflicht.
    Versicherte werden immer Leute sein. die mit einem minderen Recht dastehen. Wir sollten uns hüten, ohne dringenden Grund irgend jemand in diese Lage zu bringen. Wir sollten uns überlegen, mit welcher Steigerung des Hilfeleistungseffekts wir an unserer Sozialversicherung Änderungen vornehmen können. Wir sollten aber nicht versuchen, endlos weiter diesen Traum eines organisatorischen Perfektionismus zu träumen, fasziniert an jede bürokratische Zusammenballung dieser Apparate zu denken. Es droht uns wahrscheinlich etwas Entsetzliches. Nicht nur Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, sind von dieser Verführung bedroht; wir Politiker kennen ja alle miteinander die Versuchung, die darin liegt, organisatorisch neue Einheiten und bürokratische Überspitzungen zu schaffen.
    Ich darf Sie zum Abschluß daran erinnern, wie einer unserer größten deutschen Politiker die Gefahr gesehen hat, die aus dieser organisatorischen Überentwicklung entsteht. Vor etwa 42 Jahren hat in einem Aufsatz zur Religionssoziologie Max Weber folgende drei Sätze geschrieben:
    Niemand weiß, ob am Ende dieser Entwicklung stehen wird: mechanisierte Versteinerung mit einer Art krampfhaftem Sich-wichtigNehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für das Wort zur Wahrheit werden: „Fachmenschen die „letzten Menschen" dieser Kulturepoche ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: Dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben."

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)