Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der ausführlichen Begründung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion ist Herr Professor Preller auf sehr viele Probleme eingegangen. Vieles davon hat wenig Neues ge-
bracht, man kann sagen, kaum Neues, und ist kaum wert, außer im Kreis von Fachleuten bis ins einzelne diskutiert zu werden. Herr Professor Preller hat aber — und insofern muß ich dem Herrn Abgeordneten Richter antworten — die Zielrichtung angegeben und Grundsatzfragen aufgeworfen, die nicht nur technische Fragen sind, für das, was er mit dieser Sozialen Studienkommission als Ergebnis der Forschungen, als Endziel erreichen möchte. Meine Freunde sind dankbar dafür, daß der Sprecher der Regierungsparteien, der Abgeordnete Horn, gegenüber den von Herrn Professor Preller herausgestellten Grundsatzfragen ebenso klar die Grundsätze der Regierungsparteien dargelegt hat.
Herr Kollege Preller hat zu Beginn seiner Begründung des sozialdemokratischen Antrags davon gesprochen, daß die deutsche Sozialversicherung eine fortschrittliche Leistung war. Ich meine, sie ist es noch. Man könnte von ihr in Umbildung des klassischen Begriffs, den Klopstock in einer seiner schönsten Oden von der deutschen Sprache geprägt hat, wahrhaft sagen: „daß keine, welche lebt, sich mit Deutschlands Sozialversicherung in einen wohledlen Wettstreit wagen dürfe. Sie ist, damit ich kurz mit ihrer Kraft es sage, an mannigfacher Uranlage, an immer neuer und doch deutscher Wandlung reich."
— Ja, ich habe die Klopstockschen Oden einmal gut gelernt, und ich glaube, daß es sehr nützlich ist, aus der deutschen Literatur wie aus der deutschen Geschichte manches zu behalten, weil man daraus vieles lernen kann.
Sie, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, die Sie „von der Wurzel her etwas Neues" schaffen wollten, haben mir leider heute nicht die Freude gemacht, neue Gedanken zu bringen, die die Grundlage einer solchen Schöpfung von der Wurzel 'her sein könnten. Sie haben zwar alle möglichen Dinge diskutiert, die in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung seit 70 Jahren bekannt sind, Probleme, die seit ebenso langer Zeit diskutiert werden, Fragen, die zum Teil vielleicht Fragen der Zweckmäßigkeit sind, andere, die sicherlich Fragen einer zwangsläufigen Entwicklung sind. Aber Sie haben — ich habe es schon eingangs gesagt — nichts Neues gebracht. Denn der Schrei nach der Staatsbürgerversorgung, der Schrei nach der totalen Beseitigung der Bordschwellen — mein Kollege Arndgen hat es schon gesagt — ist durchaus nichts Neues. Es handelt sich auch nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Professor Preller, um eine Zweckmäßigkeitsfrage und ebenfalls nicht, wie gestern Herr Schellenberg gesagt hat, um eine Frage der Technik, sondern um eine Frage sehr ernsthafter Erfahrung, nämlich darum, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem, dem ein Mensch sich selbst verantwortlich verpflichtet fühlt, und dem, was der Staat für alle seine Bürger zu tun verpflichtet ist.
Mit Rücksicht auf die Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit — im Gegensatz zur Länge der Begründung — kann ich nur auf ein Teilgebiet dessen eingehen, was Herr Professor Preller hier ausgeführt hat. Er befindet sich in Gemeinschaft mit seinem Kollegen Auerbach vom Bundesrat, der das in den sozialdemokratischen Diskussionen bei der Empfehlung dieses Antrags als Grundlage des künftigen Wahlkampfes und der grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung unter den Wählern etwas deutlicher ausgedrückt hat. Er hat gesagt, die Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge sei eine historische Begebenheit oder gar eine Spielerei. Nun, wir haben in Deutschland heute, besser als 1945 im Zonenbeirat und im Länderrat, die Möglichkeit, uns ein ganz eindeutiges Bild darüber zu machen, was Spielereien, was Experimente und was sehr ernsthafte Versuche sind. Experimente dieser Art sind nur geeignet, den Restbestand eines Volkes, das mit seinen sozialen Problemen so schwer ringt, und damit uns alle unter Umständen in die größten finanziellen Schwierigkeiten zu bringen.
Ich möchte nur mit wenigen Sätzen an das Ergebnis in der französischen Zone erinnern. Die damalige Zwangs- und Einheitsversicherung, beschert von den Freunden des Herrn Renner über die französische Militärregierung, hat weder die Leistungen erhöht, noch die Verwaltungskosten gesenkt, noch die Versicherten in irgendeiner Weise glücklicher gemacht.
Das Experiment der Versicherungsanstalt Berlins — nicht von Ihnen , sondern von der sowjetischen Militärregierung beschert, aber von Ihnen verteidigt — hat uns unerhörte Mittel gekostet.
Wir hier im Bundesgebiet sind auch heute noch bereit, um der Berliner willen, nicht um Ihres Experimentes willen, den Berlinern zu helfen, nicht aber der VAB.
— Ja, ich muß es auch hier wiederholen: wir identifizieren die Bürger Berlins nicht mit der Sozialdemokratischen Partei!
Das Experiment im Saarland, das unseren deutschen Menschen im Saarland aufgezwungen wird, zwingt sie heute in denselben Abwehrkampf, den deutsche Männer und Frauen in der französischen Zone einmal führen mußten.
Dort haben die Parlamente gegen das Experiment entschieden.
Lassen Sie mich nun etwas zu den Beispielen sagen, die Sie und Ihre Freunde immer anzuführen pflegen. Sie wollten diese Soziale Studienkommission in die skandinavischen Länder schicken. Meine Herren von der Opposition, in den skandinavischen Ländern, besonders in Schweden, das Sie uns so empfehlen, gibt es noch keine Krankenversicherung, 'die Sie studieren könnten, und die deutsche Sozialversicherung, wird dort noch für lange Zeit ein Fernziel sein.
Was England betrifft, so möchte ich Ihnen dazu nur folgendes sagen. Sie wissen selbst, daß im britischen Haushalt für den nationalen Gesundheitsdienst im Jahre 1951 die Summe von 411 Millionen Pfund ausgegeben wurde gegenüber der im Jahre 1946 veranschlagten Summe von 146 Millionen Pfund. Aber der Mann, den Sie so oft zitiren und mit 'dem zu diskutieren auch ich das Vergnügen hatte, Lord Beveridge, hat in einem seiner neuesten Bücher jenes bemerkenswerte Wort von der Gefahr der Staatsbürgerversorgung und der Notwendigkeit der Freiheit aller seiner Bürger gesprochen, die Verantwortung selbst zu tragen, weil die Demokratie die freiwillige Einsatzbereitschaft
erhalten muß, um ihr eigenes Gesetz, die Freiheit, zu bewahren.
In Frankreich ist neulich das Kabinett gestürzt worden, nicht zuletzt wegen der finanziellen Schwierigkeiten durch den Sozialetat. Ich habe nur noch eine Minute Redezeit. Wenn mir die Zeit dafür zur Verfügung stünde, wäre es sehr reizvoll, Ihnen etwas aus der Sozialdebatte in Frankreich zu zitieren, aus jener Debatte in Frankreich, in der es darum ging, ob sich ein Volk wie die Franzosen ein solches Maß von Sozialexperimenten heute noch leisten kann. Aber ich möchte einem Mann das Wort geben, dem französischen Schöpfer dieser Einheitsversicherung, Herrn Laroque, der schon vor Jahren, nicht erst heute, gesagt hat, daß die soziale Sicherheit an sich kein Ziel sein kann, daß am Ende der Mensch steht. Herr Laroque beliebte seinerzeit an das Wort von Montesquieu zu erinnern, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte:
Die Freiheit besteht in der Sicherheit jeden Bürgers und in seinem Bewußtsein, daß er sie besitzt.
Aber, welcher Art Freiheit würde sich das Individuum noch erfreuen, wenn es sich nach und nach all seiner Verantwortlichkeiten zu Lasten der Gemeinschaft entledigen würde? Jede Gesellschaft, die die eigene Anstrengung der Person durch den Paternalismus des Staates ersetzt, ist einem langsamen Tode geweiht. Die Inkas in Peru hatten eine totale Planung der Bedürfnisse und aller Arbeiten durchgeführt, ehe sie mit ihrer Zivilisation untergingen, und die römischen Kaiser begannen 'einmal, Lebensmittel umsonst an das Volk zu verteilen. Das war der geschichtliche Zeitpunkt, als ihr Weltreich bald dem Ende entgegenging.
Meine Freunde sind nicht der Auffassung, daß Experimente dieser Art auf dem Rücken unseres so geschlagenen Volkes exerziert werden sollten. Meine Freunde glauben, daß die Studienkommission im Arbeitsministerium wertvolle Beiträge zu einer fortschrittlichen Entwicklung unserer klassischen Sozialversicherung und zu einer Anpassung an ihre Bedürfnisse in der Gegenwart wie in der Zukunft leisten wird; Deshalb bitten wir Sie: Stimmen Sie dem Antrag der Regierungsparteien zu!