Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle, glaube ich, wissen dem Ausschuß für Beamtenrecht Dank dafür, daß er dieses Gesetz mit einer derartigen Bevorzugung beschleunigt verabschiedet und uns hier wieder vorgelegt hat. Aber die dritte Lesung dieses Gesetzes gibt doch Veranlassung darauf hinzuweisen, daß mit seiner Verabschiedung im Grunde recht wenig geschehen ist. Eigentlich handelt es sich gar nicht um eine Wiedergutmachung, sondern lediglich darum, daß die verfolgten Beamten, die heute im Ausland leben, weil sie aus Deutschland vertrieben wurden, in ihre alten Rechte wieder eingesetzt sind. Wir haben zwar aus dem Bericht des Herrn Berichterstatters entnommen, daß Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums bei der Ausschußberatung die Erklärung abgegeben haben, aller Voraussicht nach würden Devisen für einen
Transfer der Bezüge zur Verfügung gestellt werden, aber ich glaube, daß uns diese im Ausschuß abgegebene Erklärung nicht genügen kann. Wir bitten Sie deshalb, der von uns vorgelegten Entschließung zuzustimmen, wodurch ,die Bundesregierung ersucht wird, dafür zu sorgen, daß für die nach diesem Gesetz den Geschädigten zustehenden Bezüge Devisen zur Verfügung gestellt und den Geschädigten überwiesen werden. Leider war der § 5 des Gesetzes notwendig; die devisenrechtlichen Bestimmungen sind nun einmal für die Überweisung in das Ausland entscheidend und maßgeblich. Aber das kann keine Beruhigung für unser Gewissen sein. Wir müssen fordern, daß in der Verwaltungshandhabung das Devisenkontingent zur Verfügung gestellt wird; denn, meine Damen und Herren, es ist doch unerträglich, zu denken, daß Reisedevisen gegeben werden, solange diese Schuld an die Verfolgten unerfüllt bleibt.
Jeder Deutsche müßte doch Scham empfinden, mit
Reisedevisen in der Tasche im Ausland einem Beamten zu begegnen, der sein Ruhegehalt hier auf
Sperrkonto bekommt und draußen Hunger leidet.
Unter Umständen müßte also auch das Auftreten im Ausland etwas bescheidener werden, solange diese Pflicht hier nicht erfüllt ist.
Aber die dritte Lesung dieses Gesetzes gibt darüber hinaus auch Veranlassung, nicht zu vergessen, daß die Wiedergutmachung — und bei dem Gesetz kann man von Wiedergutmachung kaum sprechen — kein Zahlungsproblem, sondern ein sittliches Gebot ist; denn das unsägliche Leiden der Verfolgten, der Verlust der Heimat und alles, was sie haben erdulden müssen, ist ja nicht dadurch wieder gutgemacht, daß sie in gewisse Bezüge wieder eingesetzt werden. Darum ist es notwendig, bei dieser Gelegenheit auch noch ein anderes Wort zu sagen.
Wir müssen unseren Verfolgten im Ausland sagen, daß wir bereit und willens sind, ihnen ihre deutsche Heimat wiederzugeben.
Mich erfüllt schmerzlichstes Bedauern, daß ich mich nicht imstande sehe, diese Erklärung namens des Bundestags in seiner Gesamtheit abzugeben, weil ich dazu nicht befugt bin. Aber als Sprecher der deutschen Sozialdemokraten erkläre ich: Wir rufen jeden Verfolgten zur Rückkehr, wir freuen uns über jeden Verfolgten, der die Heimkehr wagen will, und werden ihn mit offenen Armen aufnehmen.
Meine Damen und Herren, ich kann diese Aufforderung nicht aussprechen, ohne in tiefer Sorge zwei Gedanken Raum zu geben.
Erstens: Warum hat es die Bundesregierung in den über zwei Jahren ihrer Tätigkeit unterlassen — auch bei der Regierungserklärung zur Judenfrage —, diese Aufforderung zur Rückkehr an die Verfolgten auszusprechen und 'zu sagen, daß sie uns in Deutschland willkommen sind?
Allein mein Parteifreund, der Abgeordnete Kurt Schumacher, hat in der ersten Rede, die er im Bundestag überhaupt gehalten hat, gesagt, wie sehr uns die jüdischen Deutschen für den Wiederaufbau fehlen und wie notwendig ihre Rückkehr wäre. Das war bekanntlich der Anlaß für die Einfelder
Rede des Herrn Hedler mit dem Tenor, daß man die Juden nicht brauche und sie nicht wiedersehen wolle.
Zweitens: Mich erfüllt eine bange Sorge, ob in Deutschland heute noch eine echte Bereitschaft dazu besteht, den Verfolgten wieder eine Heimat zu geben. Der Antisemitismus — und bei einem Großteil der ins Ausland vertriebenen verfolgten Beamten handelt es sich um rassisch Verfolgte -
hat ja nicht mit Hitler begonnen. Seine traurige Vergangenheit reicht sehr weit zurück. Schon Anfang der zwanziger Jahre - um nur ein Beispiel zu erwähnen — mußte Anna von Gierke wegen ihrer jüdischen Mutter wohl oder übel die Deutschnationale Partei verlassen,
der damals und noch lange Zeit danach der gegenwärtige Herr Bundesminister des Innern angehörte.
Es war dies die erste Partei, die für sich in
Deutschland den Arierparagraphen erfunden hat,
und wir haben noch kein Wort der Umkehr gehört.
Aber der Herr Bundesminister des Innern hat kürzlich erst Einladungen versandt, um am 19. Januar in Düsseldorf einen „arteigenen Freundeskreis" für den als antisemitisch bekannten Schriftsteller Wilhelm Schäfer ins Leben zu rufen und erneut gegen die „ Überfremdung des deutschen Schrifttums" anzugehen.
Meine Damen und Herren! Nicht erst mit Hitler, sondern bereits mit dem Arierparagraphen der Deutschnationalen in der Weimarer Zeit und dem Arierparagraphen der waffentragenden Verbindungen in der Studentenschaft hat die Verfolgung begonnen, die dann zur Austreibung der verfolgten Beamten geführt hat.
Hitlers sogenannte „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" fand den Boden bereits vorbereitet vor.
Aus vielen Mordankündigungen, die vor dem Jahre 1933 lagen, will ich nur eine einzige zitieren. Im Jahre 1929 hat Herr Dr. Löpelmann — damals Stadtverordneter der NSDAP in Berlin, später war er Mitglied des Reichstags und Gauinspektor der NSDAP in der Kurmark — in der „Hasenheide" ausgeführt — ich darf es mit freundlicher Genehmigung des Präsidenten wörtlich zitieren —:
Wir werden nicht ruhen und rasten, bis wir
diese Judenrepublik, die aus Verrat, Betrug
und Gemeinheit geboren wurde, dorthin gejagt haben, wo sie hingehört, zum Teufel nämlich. Die jüdischen Drahtzieher aber werden
wir an den Laternenpfählen aufhängen. Wir
haben genug Laternenpfähle für diese Kreaturen.
Das war im Jahre 1929. Dieser gleiche Herr Dr. Löpelmann leitet heute den technisch-theoretischen Teil eines Rednerkurses, den in Berlin der Landesverband der Deutschen Partei veranstaltet.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Verfolgten zur Rückkehr auffordern, müssen wir uns fragen, ob es in Deutschland so aussieht, daß wir
ihnen eigentlich die Rückkehr zumuten können. Unerbittlich sehen wir uns vor diese Frage gestellt, ob wir wirklich bereit und in der Lage sind, den Verfolgten wieder eine Heimat zu bieten.
Darum muß ich in diesem Zusammenhang auch auf Vorgänge eingehen, die sich in jüngster Zeit abgespielt haben, und zwar in Freiburg und in Göttingen. In Freiburg wurden nach zuverlässigen Zeugnissen und einem Bericht, den der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen auch allen Abgeordneten zugänglich gemacht hat, auf Grund der Zeugenaussagen, die insbesondere von Seiner Magnifizenz, dem Rektor der Universität Freiburg, Herrn Professor Dr. Johannes Vincke, veranlaßt worden sind, bei Gegendemonstrationen gegen studentische Demonstranten folgende Ausdrücke gebraucht: „Ihr Judenlümmel", „ich habe noch keinen im Gasofen gesehen", „Heil Hitler", „ihr Judenschweine", „es wird Zeit, daß die Hitler-Zeit wieder aufgemacht wird", „ihr gehörtet eigentlich erschossen", „wer bezahlt euch eigentlich, ihr Judensöldlinge".
Das sind Ausdrücke, die — in großer Zahl nachweisbar — in Freiburg in der Öffentlichkeit gefallen sind.
In Göttingen war es nicht anders. Dort hat man auf der Straße das Lied angestimmt: „Wetzt die langen Messer". Man hat gerufen: „Aufhängen", „Juden raus", „Judensöldlinge", „schlagt die Judenlümmel doch zusammen, schlagt sie tot", „es wird Zeit, daß wir wieder eine SS kriegen", „brecht den Judenmenschen die Knochen", „hier sitzt auch noch so eine Judenhure", „wenn Sie den ,Jud Süß' gesehen haben, wie können Sie dann noch für die Juden demonstrieren?!". Das sind Äußerungen, die beweisbar und schon bewiesen sind. Ich entnehme sie einem allgemein bekannten Bericht des überparteilichen Bundes demokratischer Studenten und des Ringes freier Studentenvereinigungen an der Universität Göttingen.
Diese Vorfälle haben einer großen Anzahl von Hochschullehrern mit teilweise europäischem Namen oder sogar mit Weltruf — zu den Unterzeichnern gehören die beiden deutschen Nobelpreisträger Otto Hahn und Werner Heisenberg — Veranlassung gegeben, eine öffentliche Erklärung abzugeben, in der es unter Ziffer 2 heißt:
Noch mehr bedauern wir, daß es in Göttingen ähnlich wie in Freiburg zu zahlreichen antisemitischen Äußerungen und zu Tätlichkeiten gegen Studenten kam, die für den Frieden mit Israel demonstrierten. Insbesondere verurteilen wir die schweren Überfälle offenbar organisierter Schlägertrupps auf Studenten, die noch stundenlang nach dem Ende der Demonstration ausgeführt wurden.
Bei Verabschiedung dieses Gesetzes kann der Bundestag nicht stillschweigend an diesen schmachvollen und traurigen Vorkommnissen vorbeigehen. Vor aller Öffentlichkeit will ich hier erklären: Diese Schmährufe in Freiburg und Göttingen haben nicht die Juden getroffen, auch nicht die Studenten, die mit bewundernswertem Mut und moralischer Ehrlichkeit für eine Aussöhnung mit Israel demonstrierten, sie haben das deutsche Volk ins Gesicht geschlagen!
Für diese Schreier in Freiburg und Göttingen und für alle ihre Helfershelfer und Hintermänner gibt es nur einen Namen: sie sind Landesverräter, die elendesten Verräter, die den deutschen Namen je geschändet haben.
Die wirkliche Wiedergutmachung, die wir den Verfolgten schulden, wird erst damit beginnen, glaubhaft zu machen, daß ihnen ihre Heimat wieder offensteht. Jeder einzelne und die gesamte Öffentlichkeit sollte sich darin einig sein, daß wir unsere ganze Kraft aufzuwenden haben, um geistig und moralisch die Wiederholung aller an den Nationalsozialismus erinnernden Vorkommnisse ein für allemal in Deutschland unmöglich zu machen.