Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Kaum eine sozialpolitische Frage in diesem Hause ist auf so außerordentliches Interesse und so viel Teilnahme gestoßen wie gerade unser Antrag und die Diskussion über die Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner.
Die Krankenversicherung der Rentner, die 1941 durch eine Verordnung des Reichsarbeitsministers in Kraft trat, stammt in Form und Inhalt und auch im Charakter der Durchführung aus dem Gedankengut des Krieges. Sie stammt weiter aus den Gedanken und Bestrebungen der nationalsozialistischen Zeit, auf dem Gebiet der Sozialversicherung zu weitgehender Vereinheitlichung zu kommen. Im Geist solcher Gedanken wurde am 4. November 1941 bestimmt, daß die Versicherungsträger, die Orts- und Landkrankenkassen, die Reichsbahnversicherungsanstalt und für die Rentner der Knappschaftsversicherung die Knappschaft, die Krankenversicherung der Rentner durchzuführen haben. Sie beginnt mit dem Tage, an dem der Rentenbescheid ergeht, und endet mit Ablauf des Monats, für den der Rentner eine Rente empfing. Namentliche An- und Abmeldungen der Rentner bei den Krankenkassen finden nicht statt, — eine Handhabung, die in der deutschen Krankenversicherung und Sozialversicherung überhaupt nicht üblich ist. Die Meldungen wurden durch die Landesversicherungsanstalten und die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte nach der Zahl der Rentenempfänger über die Postämter an den Verband der Ortskrankenkassen gemacht, und die Beiträge wurden wiederum nach der Zahl der Rentenempfänger pauschal an die Ortskrankenkassen überwiesen. Der Beitrag für die Krankenversicherung für die Rentner betrug damals 3,30 Mark für jeden Rentner, und zwar für jeden Invaliden-, Witwen- oder Witwerrentner , Waisenrentner, Kranken- oder Altersrentner usw. Durch Verordnung des Bundes-
ministeriums für Arbeit vom 8. Februar 1951 wurde dieser Erstattungsbetrag auf 4,20 Mark heraufgesetzt. Das wurde als erste Reform der Krankenversicherung der Rentner bezeichnet.
Die zweite Reform dieser Art, die nun für die Krankenversicherung der Rentner beabsichtigt ist, soll diesen Erstattungsbetrag von 4,20 Mark auf 5,50 Mark heraufsetzen, — als wäre das Problem der Krankenversicherung der Rentner nur ein Problem der Höhe des Betrages, der für die Auftragsangelegenheit erstattet werden muß! Aber, meine Herren und Damen, es ist ein weitaus größeres Problem; denn die Landesversicherungsanstalten und die Angestelltenversicherung, die von ihnen im Augenblick treuhänderisch verwaltet wird, zahlen für 5 Millionen Rentner Millionenbeträge an die beauftragten Versicherungsträger, in diesem Fall die Orts- und Landkrankenkassen, ohne eine Möglichkeit der Nachprüfung, inwieweit und ob die einzelnen Rentner Leistungen empfangen haben. Der Präsident des Verbandes der Rentenversicherungsträger nannte neulich auf der Tagung, die das Versicherungswissenschaftliche Institut in Köln veranstaltet hat, den für dieses Jahr veranschlagten Betrag mit 400 Millionen.
Übt nun der Rentner eine versicherungspflichtige Tätigkeit aus, so wird abweichend die Krankenversicherungspflicht bei der Kasse durchgeführt, der er angehört. Für diese Rentner wurde damals bei dem Erlaß der Verordnung von 1941 eine Beitragserstattung vorgesehen. Heute wird den Krankenkassen, bei denen der versicherungspflichtige Rentner versichert ist, von der Ortskrankenkasse ein Betrag von 2,80 Mark erstattet. Das war der Satz, der damals 85 % von 3,30 Mark ausmachte. Heute bekommt also die Kasse 4,20 Mark - demnächst soll sie 5,50 Mark bekommen —; die andere Kasse aber, die den versicherungspflichtigen Rentner betreut, erhält weiter 2,80 Mark, — ein Tatbestand, der für die Monopolkassen, die kraft Gesetzes zur Durchführung der Rentenversicherung verpflichtet sind, einen Gewinn zu Lasten der anderen Kassen bedeutet.
Im übrigen hat sich in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliches Recht entwickelt, das durch diese Novelle ebenfalls dringend vereinheitlicht werden muß. Aber mit Rücksicht auf Ihre Zurufe und das sicherlich große Interesse, das Sie dem Tatbestand der Neuordnung entgegenbringen werden, lege ich doch Wert darauf, im Hinblick auf die Grundsatzdebatte über die Schaffung der Krankenversicherung der Rentner, die die gleichen Probleme aufgerissen hat, welche auch heute wieder als grundsätzliche Fragen unsere Debatte beherrschen werden, einiges zu sagen. Damals — das war in der nationalsozialistischen Ara — hat sich der Reichsverband der Ortskrankenkassen mit dem Monopolanspruch durchgesetzt. Damals verlangten alle übrigen Versicherungsträger, angesichts der großen Verpflichtung für ihre Rentner, die zeitlebens den Kassen angehört haben, nicht nur aus psychologischen Gründen, nicht nur aus Gründen gemeinsamer Verpflichtung, sondern aus dem Gefühl der selbstverständlichen Verbundenheit mit diesem Versichertenkreis die Versicherung auch dann durchzuführen, wenn sie kein gutes Risiko mehr ist. In der Zwischenzeit hat sich gezeigt, daß die Durchführung der Krankenversicherung der Rentner die Ortskrankenkassen, die sie allein durchführen müssen, samt den Landkrankenkassen finanziell außerordentlich belastet hat.
In der Diskussion draußen wird sehr oft fälschlicherweise darauf hingewiesen, daß es ja die Ortskrankenkassen seien, die ganz allein diese große Belastung und dieses Risiko tragen müssen, und daß es die übrigen Kassenarten seien, die sich dieser Belastung entziehen. Nicht bekannt ist, daß bei den Grundsatzdiskussionen 1941 wie seit 1950 alle übrigen Kassen immer wieder betont und durch ihre Verbände erklärt haben, daß sie bereit seien, diese gemeinschaftliche Aufgabe der Solidarität zu erfüllen. Diese Anträge werden beharrlich abgelehnt, und es ist schwer zu verstehen, daß man ein Risiko als schlecht bezeichnet, sich aber trotzdem nicht dessen entäußern will, wenn die Möglichkeit gegeben ist.
Was die Diskussion um die Grundsatzfragen angeht, so ist es sicherlich im Interesse des Rentners, um den es hier geht — nicht im Interesse der Versicherungsträger —, außerordentlich wichtig, zu wissen, daß es Rentner gibt, die 30, 40 und 50 Jahre, während der Berufstätigkeit ihres ganzen Lebens einer Kasse angehört haben und die nun nach 30 oder 40 Jahren aus ihrer Kasse ausscheiden müssen, um von dem Augenblick an, in dem sie die Rente empfangen, bei der zuständigen Orts- oder Landkrankenkasse versichert zu sein. Viele von ihnen haben unter sehr großen materiellen Opfern, unter Verzicht auf so manches, oft nur mit Verwandtenhilfe die Beiträge aufgebracht, um sich freiwillig bei ihren alten Versicherungsträgern weiterzuversichern. Diese Rentner sind dann doppelt versichert.
Aus der Auseinandersetzung von damals ist interessant, daß es gar nicht darum ging, zu fragen, was denn das echte Bedürfnis des Rentners und der Rentnerin sei, sondern daß es weitgehend darum ging, politische Grundsätze, die im Sinne der einheitlichen Durchführung eines Gesetzes und der Verwaltung lagen, zu verwirklichen. Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, daß ich zitiere, was damals, 1941, der bekannte nationalsozialistische Führer Zimmermann namens des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen zu diesem Gesetz begründend geschrieben hat:
Wenn die Krankenversicherung nicht von selbst den Weg der Besinnung beschreitet, wird es zu einer schmerzlich radikalen Lösung kommen. Die Forderung nach der Beseitigung der Zersplitterung ist so tief in der nationalsozialistischen Weltanschauung verankert, die Vorteile der Beseitigung so 'offensichtlich, daß sich die Sache mit der Kraft der Idee früher oder später durchsetzen wird. Die Verwirklichung der in der nationalsozialistischen Weltanschauung verwurzelten Idee der Einheitlichkeit der Krankenversicherung kann durch Unverstand vielleicht aufgehalten werden, sie wird sich aber über kurz oder lang gegen die großen Widerstände durchsetzen.
So weit die politischen Gründe von 1941, die für die damalige Unterstützung eines Monopolanspruchs maßgeblich waren, dem die Rentner in ihrer Vielzahl nicht erfolgreich Widerstand leisten konnten. Der Rentner also, der es wünschte, bei seiner Krankenkasse zu bleiben, mußte es auf sich nehmen, freiwillig wesentliche Beiträge zusätzlich zu zahlen, um seiner alten Kasse anzugehören.
Es war für die heutige Diskussion außerordentlich interessant, daß meine Fraktion in diesen Tagen einen Brief vom Reichsbund bekommen hat — der jetzt eben von Herrn Renner zitiert wurde —, der dieselben Grundsätze vertritt, die auch damals der Grund waren für die Schaffung einer einheitlichen
Versicherung. Meine Freunde wünschen vom sozialpolitischen Standpunkt nicht, daß die Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner nach politischen Gesichtspunkten erfolgt, sondern sie wünschen, daß ein Gesetz so geschaffen wird, daß die Kassenarten, bei denen die Rentner in der Zeit ihrer Tätigkeit im Arbeitseinsatz versichert waren, alle verpflichtet sind, sie auch am Lebensabend gegen Krankheit zu versichern, wenn es die Rentner wünschen.
Der Reichsbund, der auch in den Mitteilungen für seine Funktionäre die Auffassung des Ortskrankenkassenverbandes aufgeriffen und zu der seinen gemacht hat, sprach von dem Prinzip der Solidarität in der Krankenversicherung der Rentner. Ich las in diesen Tagen in einem Aufsatz, daß diese Rentner alle einer Gesellschaftsschicht angehören und nicht in zwei Klassen eingeteilt werden dürfen. Im gleichen Sinn ist auch der Brief des Reichsbunds an meine Fraktion gehalten, in dem er sich als die zuständige Interessenvertretung gegen unseren Antrag ausspricht. Der Reichsbund erklärt, daß wir die soziale Gemeinschaft der Rentner auseinanderreißen wollten. Meine Freunde glauben nicht, daß es Klassen gibt, die sich etwa daraus ergeben, daß jemand eine Rente oder eine Pension bezieht. Wir würden es auch als ein großes Unglück ansehen, wenn der Tatbestand des Rentenbezuges eine Gesellschaftsschicht bilden würde, der nun derjenige angehören soll, der eine Rente empfängt. Wir glauben, daß die Vielfalt der gesellschaftlichen wie sozialen und wirtschaftlichen Situation der Menschen, die an ihrem Lebensabend einen Rentenanspruch aus Versicherung, Vorsorge oder Fürsorge haben, so unterschiedlich, so bunt und so mannigfaltig ist wie das Leben selbst. Wir glauben, daß die Rentner selbst sich am heftigsten dagegen wehren würden, als Klasse der Rentner gekennzeichnet und in einer Einheits- und einheitlichen Gesetzgebung für immer verankert zu sein.
Ist es nicht interessant, sich klarzumachen, daß einer einzigen Krankenkasse 25 000 Rentner freiwillig angehören, die ihre Beiträge aus den oft kärglichen Renten freiwillig entrichten? Auch für diese Rentner erhält die Ortskrankenkasse laufend die Pauschalüberweisung, obwohl sie niemals diese Kasse in Anspruch nehmen. Sie erhält sie weiter für die Rentner, die noch im Erwerbsleben stehen und deren Zahl, wie wir alle wissen, laufend zunimmt. Die Zahlen werden bei der Invalidenversicherung auf etwa 20 bis 30 % geschätzt, bei den Angestellten auf nur etwa 5 %, weil dort die große Zahl der beschäftigungslosen älteren Angestellten ist. Die Einführung der Mindestrente und die höhere Lebenserwartung haben weiter dazu geführt, daß die Zahl der Renten laufend steigt und ein großer Teil nach dem Gesetz Rentenberechtigter trotz dieses Rentenempfangs weiter arbeitet. Wir meinen daher, daß bei der Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner auch auf die tatsächlichen Gegebenheiten Rücksicht genommen werden muß, ferner auf die Beitragserstattung dei freiwillig weiterversicherten und wiederbeschäftigten Rentner. Wenn die Krankenversicherung durch die Krankenkassen der Rentenversicherung als Auftragsangelegenheit durchgeführt wird, dann kann sie doch nur Erstattungen für solche Fälle erhalten, in denen die Krankenkassen nachweisbar in Anspruch genommen worden sind. — Herr Präsident, darf ich Sie noch um eine Minute bitten.