Rede von
Dr.
Fritz
Baade
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Als Sie auf der heutigen Tagesordnung unseren Antrag lasen, hatten Sie sicher überwiegend den Eindruck, daß es sich um eine entsetzlich trockene Materie handle.
— Sie haben Recht, Herr Kollege, es ist wirklich paradox, von Trockenheit bei einer Materie zu reden, die mit Trockenheit so wenig zu tun hat wie der Branntwein. Aber die schwache Besetzung des Hauses scheint mir doch dafür zu sprechen, daß der überwiegende Teil unserer Kollegen eine sehr trockene Debatte erwartet hat und deshalb die weniger trockenen Räume dieses Hauses während dieser Debatte vorgezogen hat.
Ich will mich bemühen, Ihnen in den zwölf Minuten Redezeit über diese Materie einiges so wenig trocken wie nur irgend möglich vorzutragen. Lassen Sie mich mit einem persönlichen Erlebnis beginnen. Es ist ja zunächst schon ein angenehmes persönliches Erlebnis, ein Buch, das man vor 26 Jahren geschrieben hat, wie dieses Buch „Neugestaltung der deutschen Branntweinwirtschaft", nach 26 Jahren zitiert zu hören und dabei feststellen zu können, daß fast jedes Wort heute noch gilt. Aber ich habe mit diesem Buch ein viel angenehmeres Erlebnis gehabt. Als ich dieses Buch gerade geschrieben hatte, bin ich mit einer jungen Dame zum Tanzen ausgegangen.
— Vor 25 Jahren; also das ist verziehen!
Sie erzählte mir, sie hätte dieses Buch von mir gelesen. Sie hätte am Abend damit angefangen und hätte dann das Buch mit ins Bett genommen und die ganze Nacht daran gelesen, weil es sich gelesen habe wie ein Kriminalroman.
Ich muß Ihnen gestehen, daß ich heute wieder einmal in dieses Buch hineingesehen habe. Es liest sich immer noch wie ein Kriminalroman; und die Kapitel, die neu zu diesem Buch geschrieben werden müßten und über die mein Kollege Gülich ja einiges gesagt hat, würden sich wieder so spannend lesen. Dabei versteht natürlich der Herr Finanzminister vollkommen, daß ich mit dem Wort „Kriminalroman" nicht ausdrücken will, daß die Dinge, die in der deutschen Branntweinwirtschaft vor sich gehen, kriminell sind. Immerhin. es ist schon eine ungewöhnlich spannende Geschichte, wie sich hier buchstäblich durch Jahrzehnte hindurch „Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fortgeerbt" haben.
Daß der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums die Geschichte der deutschen Branntweinwirtschaft grundsätzlich nicht anders beurteilt als jene junge Dame, von der ich Ihnen erzählt habe, dafür bürgt Ihnen der erste Passus des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats, den ich Ihnen hier mit Erlaubnis des Präsidenten verlesen darf. Er besagt:
Die Geschichte der deutschen Branntweinbesteuerung ist weitgehend die Geschichte der mit ihr verbundenen und aus ihr finanzierten Subventionen. Ziel der Neugestaltung muß es sein, die Branntweinwirtschaft aus einer Quelle der Liebesgaben zu einer Quelle der Staatseinnahmen zu machen.
Dieses Urteil wäre schon vor 25 Jahren zutreffend gewesen, und es gilt heute noch in demselben Umfang.
Ein ganz kurzer Überblick über die Geschichte. Vor 65 Jahren fing die Liebesgabenpolitik an, und zwar mit dem Branntweinsteuergesetz von 1887, in dem die Liebesgabe geschaffen wurde. Diese Liebesgabe war eine bevorzugte Behandlung der nicht leistungsfähigen Betriebe in der deutschen Branntweinwirtschaft, die damals unter Bismarck sogar in die Form einer direkten geldlichen Rückvergütung gekleidet wurde. Den landwirtschaftlichen Brennereien, vor allem den landwirtschaftlichen Kartoffelbrennern, flossen in jedem Jahr der Liebesgabenpolitik 40 Millionen alte gute Goldmark an Subventionen zu. Da diese Politik insgesamt 15 Jahre — bis zur Novelle von 1902 — betrieben worden ist, sind in diesen 15 Jahren insgesamt 600 Millionen Goldmark an Liebesgaben gezahlt worden. Dies geschah im Dienste einer Politik, die darauf hinauslief, erstens systematisch die Verwendung teurer Rohstoffe zu begünstigen, und zwar von Rohstoffen, die wir, wie Getreide und Kartoffeln, für die menschliche und tierische Ernährung nutzen können, zweitens die Verwendung billiger Rohstoffe zu unterdrücken, drittens systematisch unwirtschaftlich arbeitende kleinere Betriebsgrößen zu erhalten und viertens systematisch den Prozeß zu unterbinden, der in der ganzen übrigen Wirtschaft vor sich geht und der dadurch gekennzeichnet ist, daß immer größere und immer leistungsfähigere Betriebsgrößen geschaffen werden.
Hier, verehrter Herr Minister, muß ich doch gleich eins anmerken: die Gegenüberstellung Chemie — Natur zieht in diesem Fall nicht. In den gleichen 65 Jahren, in denen wir in Deutschland diese verkehrte Branntweinwirtschaft betrieben haben, ist in anderen Ländern eine entgegengesetzte Branntweinwirtschaft betrieben worden. Ich erwähne nur England. Von diesen 65 Jahren spielte die Chemie in der englischen Branntweinwirtschaft mindestens 60 Jahre lang gar keine Rolle. Während dieser Zeit hat sich in der englischen Branntweinwirtschaft nur die Vernunft durchgesetzt. Der weltwirtschaftlich billigste Rohstoff, die Melasse, wurde in England der wichtigste Rohstoff. Man hielt nicht kleine und verwaltungsmäßig teuer zu kontrollierende Betriebe künstlich am Leben, sondern verfolgte in der Branntweinwirtschaft einen gesunden Konzentrationsprozeß — nicht von Staats wegen, sondern im Wege einer sich frei entfaltenden Konkurrenz.
Als Ergebnis sehen wir folgendes. In Deutschland hatten wir — als das gesamte deutsche Gebiet noch beisammen war — 50 000 Brennereien, während in England die Zahl der Brennereien um die Jahrhundertwende schon auf 200 herabgesunken war; diese Zahl ist inzwischen nochmals auf die Hälfte zurückgegangen. Das ist eine Entwicklung, die mit der Chemie gar nichts zu tun hat, sondern einfach mit der wirtschaftlichen Vernunft in dem Sinne, wie sie eigentlich gerade von der rechten Seite des Hauses vertreten wird.
Ich kann Ihnen hier in der kurzen Zeit nicht die ganze Geschichte der Branntweinwirtschaft vortragen, sondern nur im Eilzugtempo einige Tatsachen anführen. Nach der Periode der Liebesgabenpolitik kam die Periode des Privatmonopols auf Grund der Branntweinsteuernovelle vom Jahre 1902 und der vorangegangenen Gründung des Spirituskartells. Das war eine Periode, die der Finanzwissenschaftler Lotz dahin gekennzeichnet hat, daß hier privatwirtschaftlich orientierte Planwirtschaft zur Herstellung eines Privatmonopols betrieben wurde.
Dieses Privatmonopol funktionierte nicht. Infolgedessen wurde es 1918 durch ein Staatsmonopol ersetzt, ein Staatsmonopol. das uns Sozialdemokraten in unserem Herzen nicht teuer ist, weil es nichts anderes als eine neue Form der Fortsetzung der Liebesgabenpolitik darstellte. Als ich im Jahre 1925 diesen „Kriminalroman" schrieb, war die Situation so, daß sich die Geschäfte der Monopolverwaltung in zwei Gruppen teilen ließen, in Verlustgeschäfte und Gewinngeschäfte. Aus den Gewinngeschäften — d. h. in der Hauptsache beim Absatz von Trinkbranntwein — wurden etwa 165 Millionen Mark Einnahmen erzielt. Bei den Verlustgeschäften wurden 83 Millionen Mark zugesetzt. Diese 83 Millionen Mark wurden bezahlt aus der Ausnutzung eines Staatsmonopols, das eigentlich verpflichtet gewesen wäre, dem Staat diese Einnahmen abzuliefern, das aber statt dessen 83 Millionen Mark jährlich ausgab, um verlustbringende Absatzzweige aufrechtzuerhalten. Das habe ich damals angeprangert und gleichzeitig als erster festgestellt, daß der ganze Wert dieser Brennrechte, den die Besitzer selber ihnen zumessen, nur in der Größenordnung eines Kapitalwerts von 100 Millionen Mark lag. Der Reichsfinanzminister hätte also ein glänzendes Geschäft gemacht, wenn er diesen ganzen Mißbrauch rein privatwirtschaftlich abgelöst hätte und die Brennrechte, die für die Versorgung des Trinkbranntweinverbrauchs nicht mehr benötigt wurden, abgelöst hätte. Er hätte dabei das hineingesteckte Geld zu 80 % verzinst.
Nach dieser Periode kam eine noch viel unglücklichere Periode, die der Herr Kollege Gülich schon erwähnt hat, nämlich der Übergang eines Staatsmonopols, das wenigstens ein demokratisch kontrolliertes Monopol war, in ein totalitäres Monopol. Dieses Monopol haben wir heute noch immer in Deutschland. Während der ganzen Zeit von 65 Jahren ist mit Mitteln einer sinnlosen Zwangswirtschaft versucht worden, gegen einen Tatbestand anzukämpfen, den wir in Deutschland eigentlich nur begrüßen können, nämlich gegen die Tatsache, daß das deutsche Volk weniger Schnaps als früher trinkt. Am Beginn dieser Entwicklung, im Jahre 1880, war der Branntweinkonsum in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung 7 1/2 Liter reinen Alkohols. In Schlesien betrug er sogar 13 l reinen Alkohol. Um die Jahrhundertwende ging er auf 4 1/2 l reinen Alkohol zurück. Damit war ein erheblicher Teil der Branntweinkapazität für die Deckung des Trinkbranntweinbedarfs überflüssig geworden. Als ich mein Buch schrieb, war der Trinkbranntweinkonsum in Deutschland auf 1,3 1 zurückgegangen, d. h. auf den zehnten Teil dessen, was um das Jahr 1880 in Schlesien Betrunken worden war. Heute beträgt der Trinkbranntweinkonsum in der Bundesrepublik nur noch 0.7 l reinen Alkohol. Es sieht mir nicht so aus, als ob er in erheblichem Maße wieder steigen würde. Jugendbewegung. Sport, Obstkonsum und auch der Wein- und Bierkonsum tun das ihre, um den Branntweinkonsum nicht über die heutige Höhe hinaus ansteigen zu lassen.
Hier ergibt sich für den Finanzminister und für uns die große Aufgabe, aus diesem schmalen Sektor unseres Verbrauchs, aus einem Produkt, das zwar nicht lebensnotwendig, aber sehr angenehm zu trinken ist — ich bekenne mich selber als einer, der das zuweilen tut —, aus diesem Konsum herauszuholen, was der Branntwein fiskalisch aufbringen muß, damit unsere Staatsfinanzen in Ordnung sind.
Das ist eine Summe ungefähr in der Größenordnung von einer halben Milliarde DM. Es ist eine erschreckende Tatsache, daß meiner Schätzung nach auch heute noch neben den etwa 450 Millionen DM, die die Branntweinbelastung dem Staat einbringt, etwa 150 Millionen DM sich auf den krausen Umwegen dieser seit Jahrzehnten künstlich und immer künstlicher gestalteten Branntweinwirtschaft verlieren. Ich glaube, es kann unter uns überhaupt gar keinen Zweifel geben, daß damit endlich einmal Schluß sein muß. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß wir an eine besonnene und behutsame Reform der deutschen Branntweinwirtschaft herangehen müssen und daß eine Sache nicht allein deshalb heute als lebensfähig betrachtet werden muß, weil sie über 50 Jahre lang künstlich am Leben erhalten worden ist.
Ich möchte mich vollkommen dem anschließen, was mein Freund Gülich gesagt hat. Die Obstbrenner werden dabei nicht umgebracht werden. Wer selber in seinem Leben manchen Kirsch und Steinhager und Weinbrand durch seine Kehle hat rinnen lassen, dem müßte ja die Kehle verdorren, wenn er diese Produktion zum Erliegen bringen wollte. Davon kann gar keine Rede sein. Mit diesem Argument sollte man von vornherein nicht arbeiten. Wir müssen uns kritisch die Branntweinwirtschaft ansehen, wir müssen prüfen, was in ihr nun wirklich vollkommen überlebt ist und wo dem technischen und industriellen Fortschritt der Weg freigemacht werden muß.
Unser Antrag, meine Damen und Herren, präjudiziert in keiner Weise diese Entscheidung. Unser Antrag verlangt nur das Selbstverständlichste, was ein Parlament verlangen muß, nämlich die reichhaltigste Dokumentation, die wir nur irgend bekommen können. Ich habe mit Interesse vernommen, was der Herr Finanzminister sagte, daß wir die vollständigen Geschäftsberichte bekommen werden, sobald das Ergebnis der Rechnungsprüfung vorliegt. Ich bitte Sie, zuzustimmen, daß unser Antrag dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen wird, damit wir dann dort darangehen können, diese Frage mit all derjenigen Sorgfalt und. gestatten Sie mir zum Schluß noch das Wort, mit der Nüchternheit zu prüfen, die bei einer so alkoholischen Materie irgend angebracht ist.