Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann den Schmerz der Koalition ob des hier zugegebenen Tatbestands verstehen. Da reden Sie hier stundenlang mit Begeisterung von der Notwendigkeit, die deutsche Jugend zu schützen, reden von der Notwendigkeit, die Schutzgesetzgebung zur Erhaltung der Familie auszubauen, und nun stellt sich heraus, daß sich auf dem Boden dieser doch moralisch so sauberen Bundesrepublik dieses dreckige Geschäft vollzieht, mit Billigung und Wissen der Bundesregierung. Ich bin nun der Auffassung, daß man sich über den Tatbestand klar sein muß: die Herstellung von pornographischen Schriften und der Schrei nach ihnen sind ein Symptom dieser bei uns bestehenden verrotteten gesellschaftlichen Ordnung. So müssen wir die Dinge wohl sehen.
— Ostzone! Sie geben mir gerade den Tip!
In der Ostzone, wo diese Ihre kapitalistische „Ordnung" nicht besteht — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dem katholischen Kirchenblatt der Diözese Osnabrück —
— das wird ja wohl nicht von einem Kommunisten redigiert —, ist es so:
Vorbildliche Sowjetzone.
Sie haben nicht falsch gelesen, und ich habe mich auch nicht verschrieben: Es gibt mindestens einen Punkt, worin die rote Zone für den Westen vorbildlich ist. Sie ist nämlich nicht so dekadent erotisch, wie wir herüben. Daß man das nach kurzem Verweilen drüben schon sagen kann, kommt daher, daß es erfreulich deutlich zutage tritt. Eben ist man noch an westlichen Kiosken gestanden
— gemeint ist West-Berlin —
und hat Flut und Flat pornographischer Blätter vorbeischlammen sehen: aus Paris, aus Wien, aus Berlin, aus X, Y und Z. Dann macht man wenige Schritte — und hat ein ganz anderes Bild vor Augen: die Ost-Kioske sind zunächst verblüffend arm und nüchtern; aber gleich merkt man, woran sie ärmer sind: an Schmutz. Mögen sie an irreführender Propaganda reicher sein, und das scheint zu stimmen,
so sind sie doch keineswegs solche Straßen-
bordelle wie ihre westlichen „Kollegen". Dieses Wort, diese Feststellung aus einem berufenen katholischen Munde genügt doch wohl, um zu beweisen, wie recht wir haben.
Ich möchte nur noch das eine feststellen: Wer die Jugend in die Kasernen jagt und sie dort einsperrt, wie Sie das beabsichtigen, der braucht auch pornographische Schriften, und der bejaht auch das System der Bordelle.
Das gehört zueinander. Wie können Sie sich wegen dieses Tatbestandes aufregen? Sie müssen ja die Einfuhr dulden. Das liegt ja in dem Begriff „liberalisierter Handel". Werden Sie sich doch bitte über den Tatbestand klar, und werden Sie sich darüber klar, warum dieser verrottete Staat kein Geld für die Einfuhr von wahrhaften Kunstwerken hat.