zunächst werden wir in der Bundesrepublik überhaupt nicht anfangen,
auch nicht mit Freiwilligen
und auf keinen Fall ohne gesetzliche Regelung.
Kein einziger Deutscher kann und darf rekrutiert
werden ohne vorherige parlamentarische Entscheidung!
— Einverstanden! Sehen Sie, Herr von Brentano, ich verstehe Ihren Optimismus und Ihre Gutgläubigkeit nicht ganz.
Aber es gibt ja noch eine These, die mindestens im Schoße der Regierung schon erörtert wurde, man könne den Aufbau des deutschen Kontingents einer Europa-Armee, wenn es auf freiwilliger Basis geschieht, so organisieren, daß man dem Bundestag ähnlich wie beim Schumanplan-Vertrag einen internationalen Vertrag über die europäische Verteidigungsorganisation vorlegt, der dann mit einfacher Mehrheit angenommen werden kann, so daß man auf diesem kalten Wege zu den ersten entscheidenden Schritten kommt. Meine Damen und Herren, hier nur die Feststellung: wir warnen davor! Sie werden auf den entschiedensten Widerstand der Sozialdemokratie stoßen, falls dieser Versuch gemacht werden sollte.
Und nun komme ich zum Schluß, und zwar zu einem Schluß, den ich mir für den Herrn Bundeskanzler und für Sie etwas freudiger, etwas positiver vorgestellt hätte.
Aber ich glaube, daß der heutige Tag nicht nur —
— Das wird sich später zeigen! Wissen Sie, .es ist in der Politik wie beim Skatspiel; unten wird gerechnet!
— Ja, ja, Sie spielen ja Tarock!
Heute hat der französische Außenminister vor dem gemeinsamen auswärtigen Ausschuß der französischen Nationalversammlung zu den Fragen Stellung genommen, die die Kardinalfragen unserer Diskussion und unserer Entscheidung sind, nämlich zu dem Verhältnis zwischen Generalvertrag und Verteidigungsvertrag, zum Verhältnis von europäischer Gemeinschaft und deutscher Mitbestimmung und zum Verhältnis von NATO und der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO. Der Herr Bundeskanzler hat gestern geglaubt, in seiner Erwiderung auf meine Rede sagen zu müssen, meine Feststellung, daß die Pariser Konferenz am vorletzten Wochenende abgebrochen worden sei, sei nicht richtig, entspreche nicht den Tatsachen. Nun, was hat der Herr Außenminister Schuman heute vor dem französischen Parlament in diesen drei Fragen erklärt? Erstens, zur Frage der Ablösung des Besatzungsstatuts durch vertragliche Vereinbarung mit der Bundesrepublik: Diese vertragliche Vereinbarung sei mit der eines Abkommens über den deutschen Verteidigungsbeitrag verbunden, es werden keine vertraglichen Vereinbarungen mit der Bundesregierung abgeschlossen werden, ehe das Problem der Europaarmee gelöst ist.
Da ist die Frage des Junktims heute zum zweiten Male, nach Mr. Acheson auch durch M. Schuman, in aller unzweideutigen Klarheit aufgezeigt.
Sie haben zuerst zu entscheiden über den Verteidigungsbeitrag.
— Sie müssen nicht hineinlesen, was Sie wünschen, sondern was die Realität ist!
— Bitte, Herr von Rechenberg, wir werden uns wiedersprechen.
Zweiter Punkt war die Stellung der Bundesrepublik in der NATO-Organisation. Danach hat M. Schuman heute erklärt: Ein Staat, der verlorengegangenes Gebiet beanspruche oder einen abgetrennten Bevölkerungsteil wiedergewinnen wolle; könne nicht dem Atlantikpakt beitreten.
Ohne den Sinn des Atlantikpakts zu ändern, wäre es nicht möglich, daß Staaten dem Pakt beitreten, die territoriale Ansprüche vorzubringen haben. „Das würde für uns das Risiko bedeuten, in einen Angriffskrieg verwickelt zu werden." —
Das ist Punkt zwei.
Was sagte M. Schuman über die Stellung Deutschlands in bezug auf die Europaarmee im Fall eines Angriffs auf Deutschland? Da sagte M. Schuman, über ein Eingreifen der europäischen Armee hätte der Ministerrat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft einstimmig Beschluß zu fassen. Auf die Frage, was geschehen würde, wenn eine der nationalen Gruppen der Europaarmee in einen Grenzzwischenfall verwickelt werde, antwortete Schuman, dies werde nicht automatisch zu einem Krieg führen, da der Ministerrat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft an die Einstimmigkeit gebunden sei.
Meine Damen und Herren, stellen Sie diese drei Erklärungen des französischen Außenministers mit dem Katalog Ihrer Voraussetzungen und Bedingungen gegenüber! Ein klareres und eindeutigeres Bild des Fiaskos der Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers am Schluß dieser Debatte ist überhaupt nicht möglich.
Herr von Brentano hat gemeint, man solle diese Frage nicht unter parteitaktischen Überlegungen behandeln.
Nun, Sie hatten vorhin behauptet, man müsse jedem, unterstellen, er habe sachliche Gründe. Ganz haben Sie diese gute Absicht in Ihrer Rede uns gegenüber nicht durchgehalten.
Aber, Herr von Brentano, Sie haben die Frage gestellt, was denn die deutsche Sozialdemokratie praktisch tun wolle. Ich habe diese Frage ebenso wie mein Freund Carlo Schmid und mein Freund Dr. Arndt, glaube ich, beantwortet.
— Nun, ich sage es Ihnen noch mal; die Sache ist
nämlich sehr einfach. Über das Prinzip der Ver-
teidigung der Freiheit und Demokratie gibt es keine Meinungsverschiedenheiten.
Die Meinungsverschiedenheit liegt darin, daß wir
deutschen Sozialdemokraten nicht bereit sind, die
jetzt von der Bundesregierung verfolgte Politik
der Verteidigung Deutschlands und seiner Eingliederung in eine europäische und internationale Gemeinschaft mit zu unterstützen. Wir lehnen sie ab,
weil wir überzeugt sind, daß auf diesem Wege eine
effektive, auf dem Grundsatz der Gleichwertigkeit
und Gleichberechtigung der Deutschen gegründete
deutsche Position nicht geschaffen werden kann.
Das ist klar und das ist für jeden verständlich, der
versteht, mit der deutschen Sprache umzugehen.
Lassen Sie mich nun noch an den Herrn Bundeskanzler ein letztes Wort richten. Meine Damen und Herren, Sie wissen, wir haben in dieser Diskussion in aller Form die Forderung erhoben, einen Weg zu finden, damit das deutsche Volk die Möglichkeit hat, einen neuen Bundestag auch unter Abwägung und Berücksichtigung der Probleme zu wählen, die uns heute hier auf das tiefste berühren. Wir haben nicht damit gerechnet, daß Sie auf diese Forderung mit sachlichen Argumenten eingehen.
— Nun komme ich auf diesen Punkt, Herr Wuermeling; deswegen mache . ich diese Bemerkung. Herr Bundeskanzler, Sie haben in einer ähnlichen Situation, d. h. auch in einer Diskussion über sehr schwerwiegende Fragen, nämlich bei der Beratung des Schumanplan-Vertrags, hier auch das Beispiel des englischen Parlaments in bezug auf das Verhältnis von Regierung und Opposition gebracht. Sie haben damals erklärt, welch außerordentlich tiefen Eindruck dieses Beispiel vor allem auch während Ihres Besuchs in England auf Sie gemacht hat. Herr Bundeskanzler, wenn das Ihre ehrliche Überzeugung war, wollen Sie nicht auch einmal überlegen, ob in dieser Frage — völlig unabhängig von dem sachlichen Standpunkt des einzelnen — nationalpolitisch eine Gelegenheit gegeben ist, bei der Sie, der Sie nach dem Grundgesetz die Richtlinien der Politik bestimmen, zu dem Schluß kommen sollten: Im Interesse der Sicherung der Demokratie, im Interesse der Fundierung der Entscheidung über diese Frage, wie immer sie ausfallen möge, folge ich dem Beispiel englischer Regierungen, die bei Anlässen von viel weniger weittragender Bedeutung' das Mandat an das Volk zurückgegeben haben!?
Herr Bundeskanzler, Sie haben von dem Grundsatz, den wir gemeinsam mit Ihnen im Grundgesetz
beschlossen haben: „Der Bundeskanzler bestimmt
die Richtlinien der Politik", reichlich Gebrauch gemacht. Sie haben die Position, die Ihnen das
Grundgesetz gab, in vollem Umfange ausgenutzt.
— Pflichtgemäß! Das ist kein Vorwurf. Aber, meine
Damen und Herren, ein solches Recht schließt auch
eine hohe Pflicht ein, nämlich die Pflicht der Prüfung, wann es Zeit ist, Raum zu geben, damit das Volk
in freier Entscheidung seinen Willen neu bekunden kann.