Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, zu so vorgeschrittener Stunde Ihre Aufmerksamkeit für eine Reihe von ernsten Fragen in Anspruch nehmen zu müssen. Meine persönliche Auffassung ist, daß es bei einigem Entgegenkommen hätte möglich sein müssen, uns eine solche peinliche Nachtsitzung. in so ernster Sache zu ersparen; denn bitte, meine Damen und Herren, welche Rolle spielt ein Tag, wenn es um fünfzig Jahre geht?
Doch zur Sache. Der Herr Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaftspolitik hat die Entscheidung, die mit dem Ratifikationsgesetz zur Montan-Union vom Bundestag gefällt werden soll, als eine Entscheidung von, wie er sagte, ungewöhnlicher Bedeutung bezeichnet. Der Bericht, der mit dem Antrag schließt, das Ratifikationsgesetz unverändert anzunehmen, nennt die damit vom Bundestag geforderte Entscheidung die schwerwiegendste unter allen, die er bisher zu fällen gehabt hat. Ehe wir durch unsere Stimmabgabe diese Entscheidung treffen, müssen wir uns über die Auswirkungen dieses Gesetzes auf Leben und Zukunft unseres Volkes ganz klar werden. Auch diel enigen unter Ihnen, d; e entschlossen sein sollten, dem Gesetz unter allen Umständen ihre Zustimmung zu geben, sollten noch einmal die Argumente der Opposition, die wir Ihnen heute hier vorgetragen haben und noch vortragen, wägen. Es kann auch Ihnen nichts schaden.
Der Herr Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zitiert in seinem schriftlichen Bericht aus der Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman den Satz — ich zitiere Schuman —:
Das Zusammenlegen der Kohle- und Stahlerzeugung wird zwangsläufig zur ersten Etappe des europäischen Staatenbundes, der sofortigen Schaffung gemeinsamer Grundlagen für den Ausbau der Wirtschaft und zu einem Wandel im Geschick dieser Länder führen.
Soweit Herr Schuman. Das Vertragswerk über die Montan-Union wird also mit diesen Worten des französischen Außenministers als erstes Glied einer Kette von dann zwangsläufig folgenden Ereignissen gekennzeichnet. Ein Grund mehr, sorgfältig zu prüfen, ob diese Zwangsläufigkeit unserem Volk und Land dienlich sein kann. Ein Grund mehr, auch sorgfältig zu prüfen, ob der beabsichtigte angekündigte zwangsläufige Wandel im Geschick der in der Montan-Union zusammengeschlossenen Länder unserem Land zum Segen gereichen kann.
Der Herr Bundeskanzler hat während der Ausschußberatungen Wert darauf gelegt, der Kritik der Sozialdemokratischen Partei mit der Erklärung zu begegnen, wir kämen nicht an der Tatsache vorbei, daß wir den Krieg nicht gewonnen hätten. Dèshalb müsse man — so sagt Herr Bundeskanzler — bei der Kritik des vorliegenden Schumanplans davon ausgehen, inwiefern die deutsche Lage gegenüber dem, was jetzt ist, gebessert werde. Diese Argumente des Herrn Bundeskanzlers haben sich j a auch in dieser Debatte von gestern und heute einige Male wiederholt.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen und der wirtwirtschaftspolitischen Tatbestände ist hier vieles gesagt worden. Lassen Sie mich nun ein wenig bei den Zwangsläufigkeien verweilen, die sich aus den wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Tatbeständen, die die Montan-Union schafft, für unser Land, für das Schicksal Deutschlands ergeben. Auch diejenigen unter Ihnen, die ,dem Herrn Bundeskanzler zu folgen bereit sind und aufzurechnen versuchen, was sich durch die MontanUnion zum Vorteil Deutschlands ändere, werden nicht umhin können, die Natur der Zwangsläufigkeiten, die sich aus der Montan-Union ergeben, in Rechnung zu stellen, — in Ihr e Rechnung zu stellen! Wenn wir erst einmal in die Kettenreihe dieser Zwangsläufigkeiten eingeschlossen sind, ergibt es sich vielleicht, daß sich für unser Land, gerade für unser Land, ein Wandel — um das Wort des französschen Außenministers zu gebrauchen — im Geschick herausstellt, der in schroffem und nicht zu lösendem Gegensatz zu den Zielen der Bundesrepublik steht. Kohle und Stahl haben ihr eigenes spezifisches Gewicht. Das SchumanplanVertragswerk trägt an und für sich die Merkmale eines tiefen operativen Einschnitts in unser gesamtes Wirtschaftsleben. Wenn wir aber den Schumanplan, wie es auch die Regierung wünscht, als ein erstes oder nächstes Stück auf einem Wege betrachten, der als ein Ganzes begrffen werden soll, dann muß man doch den Überblick über das Ganze haben. Wer sich für oder gegen dieses Gesetz entscheiden soll, muß das Ganze kennen, von dem die Montan-Union nur ein Teil ist.
Die Bundesrepublik soll den Schumanplan-Vertrag ratif .zieren, ohne im Besitz der Souveränität zu sein. Die Bundesrepublik soll, wie es in der Begründung des Vertragswerkes heißt, in ein „Gebilde verfassungsrechtlicher Gattung" eingeschlossen werden. In der von der Bundesregierung vorgelegten Begründung des Vertragswerks heißt es ausdrücklich — ich zitiere —:
Die durch den Vertrag auf einem beschränkten, aber entscheidenden Wirtschaftsgebiet begründete Rechtsordnung verdrängt die partikularen innerstaatlichen Ordnungen. Sie bindet sowohl die Mitgliedstaaten als auch unmittelbar die einzelnen Bürger, insbesondere die einzelnen Unternehmen, im Raume der Gemeinschaft.
Soweit die Begründung der Bundesregierung. Meine Frage ist nun: Sind diese Bindungen von einer Art, die im Gegensatz zur Zielsetzung unseres Grundgesetzes steht oder einen solchen Gegensatz heraufbeschwören kann? Erschwert uns der Einschluß in den, wie es heißt, „Raum der Gemeinschaft" die Vereinigung mit den Teilen unseres Volkes, die außerhalb dieses Raumes bleiben müssen? Besteht die Gefahr, daß das deutsche Volk in verschiedene, scharf voneinander
getrennte Räume eingeschlossen wird? Diese Fragen sind durch die gestrige Erklärung des Herrn Bundeskanzlers leider keineswegs befriedigend beantwortet worden.
Die Verlagerung wirtschaftlicher Schwergewichte, die dem Montanvertrag innewohnt, hat ihre eigene Logik und ihre Folgen hinsichtlich der Substanz, die wir um unserer nationalen und staatlichen Einheit willen behaupten müssen.
Die Präambel unseres Grundgesetzes sagt, daß das Grundgesetz beschlossen wurde, „um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben". Man darf wohl sagen, daß uns Deutschen bewußt ist, welche Tragik darin legt, daß uns immer noch verwehrt wird, unser Land entsprechend dem Willen der Bevolkerung aller Teile durch eine von allen frei gewählte gesetzgebende Körperschaft und eine ihr verantwortliche Regierung selbst zu regieren. Könnten wir Abgeordnete des ersten frei gewählten Parlaments des größeren Teiles Deutschlands der uns im Grundgesetz gestellten Aufgabe gerecht werden, wenn wir uns dafür entschieden, durch Annahme des Gesetzes über die Montan-Union die Bindungen einzugehen und die Zwangsläufigkeiten auf uns zu nehmen, von denen in der Begründung der Bundesregierung und in der Erklärung des französichen Außenministers die Rede ist? Ist die Bindung an einen für 50 Jahre gültigen Vertrag, mit kaum wirksam werden könnenden Revisionsmöglichkeiten, noch mit der Ordnung des staatlichen Lebens für eine Übergangszeit zu vereinbaren?
Diese Frage drängt sich besonders auf, wenn wir prüfen, ob die Ausnahmestellung minderen Rechts, die uns schließlich im Gesamtvertragssystem zugedarnt ist — ich meine, auf Grund der durchaus ungleichen Startbedingungen und der verbleibenden Vorrechte der Besatzungsmächte —, in Einklang zu bringen ist mit uns in der Präambel des Grundgesetzes auf den Weg gegebenen Worten:
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
In der, Nr. 3 des vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegebenen „Bulletin" vom 8. Januar wird die Lösung des Problems „Schumanplan und deutsche Einheit" gewissermaßen im Handumdrehen zur allseitigen Zufriedenheit versprochen. Es heißt dort, die Bundesregierung werde beide Ziele, also die Einheit Deutschlands und die Einheit Europas, mit der gleichen Vehemenz anstreben. Es gebe, so heißt es weiter in dem „Bulletin", in dieser Hinsicht keine Vorrangfrage. Ist es so, meine Damen und Herren? Und darf man, wie es in dieser offiziösen Verlautbarung geschieht, behaupten, daß diejenigen, die Befürchtungen hinsichtlich der Folgen des Schuman-plans in bezug auf die Bemühungen um die deutsche Einheit aussprechen, der bolschewistischen Propaganda dienen, wie es im „Bulletin" behauptet wird? 'So billig geht es nicht! Sie und alle sollten zur Kenntnis nehmen, daß die sozialdemokratische Kritik am konkreten Schumanplan von der Sorge um das rechte, das fruchtbare Verhältnis Deutschlands zu Europa getragen ist und dem Ziele dient, einen Beitrag zu echter Gemeinschaft der freien Völker Europas und der Welt auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu leisten.
Schließlich war es nicht die SPD, die eine Reihenfolge in diese Diskussion gebracht hat,
sondern es waren Blätter wie der „Rheinische Merkur" oder „Mann in der Zeit", die der Partei des Herrn Bundeskanzlers nicht ganz fernstehen. Der Herr Bundeskanzler selbst hat leider in seinem in der amerikanischen Wochenschrift „Newsweek" vom 26. November erschienenen Interview der Stufentheorie — d. h. erst Integration, dann Einheit — seinen Tribut gezollt.
Die Auffassung der SPD deckt sich mit den Sätzen, die in der Erklärung der Hamburger Tagung der Europäischen Bewegung enthalten sind. Ich gestatte mir, sie hier zu zitieren. Es heißt dort:
Die Europäische Gemeinschaft muß bestrebt
sein, das ganze Europa zu umgreifen, einschließlich der Länder, die heute ihrer demokratischen
Freiheiten beraubt sind.
Die Konferenz stellt die Legitimität des Willens aller Deutschen, sich niemals mit einer Teilung ihres Landes abzufinden, fest. Sie erklärt sich mit ihrem Wollen solidarisch. (Abg. Euler: Wie wollen Sie die Teilung
aufheben?)
— Sie polemisieren doch, Herr Euler, hoffentlich nicht gegen die Entschließung der Hamburger Konferenz der Europäischen Bewegung, die ich hier noch zitiere?
Der Zusammenbau Europas und die Einheit Deutschlands dürfen nur in Freiheit und mit friedlichen Mitteln verwirklicht werden. Innerhalb einer europäischen Gemeinschaft
— so heißt es weiter in dieser Erklärung —muß Deutschland ein Partner sein, der die gleichen Rechte genießt wie die anderen Partner. Seine Souveränität wird in dem Maße wiederaufleben müssen, in dem seine Partner die ihre bewahren wollen.
Ich habe dieses etwas ausführliche Zitat gebracht, um hier noch einmal klarzustellen: die Sozialdemokratische Partei steht durchaus im Einklang mit den Sätzen, mit der Willenserklärung dieser erst kürzlich durchgeführten Hamburger Tagung.
Bei den Schumanplan-Verhandlungen hat das Problem der Einheit Deutschlands als solches offenbar keine Rolle gespielt.
— Herr Tillmanns, Sie sprechen j a nach mir; Sie können sich noch ausführlich zu diesen Dingen äußern.
Auf die in diesen Zusammenhang gehörenden Fragen zum Status des Saargebiets ist schon eingegangen worden. Berlin ist — das hat sich bei den Ausschußberatungen wohl herausgestellt — weder erwähnt worden, noch wurde seiner besonderen Lage Rechnung getragen. Die sowjetische Besatzungszone wird im Vertragswerk lediglich, wie schon gesagt worden ist, in § 22 der Übergangsbestimmungen erwähnt. Dort heißt es in dem Teil, der die Beziehungen der Gemeinschaft zu dritten Ländern regelt: •
Der Warenaustausch auf dem Gebiet von Kohle und Stahl zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der sowjetischen Besatzungszone wird, soweit es sich um die Bundesrepu-
blik Deutschland handelt, unbeschadet des Ablaufs der Übergangszeit durch die deutsche Bundesregierung im Einverständnis mit der Hohen Behörde geregelt.
Der Herr Berichterstatter Dr. Preusker hat die Auffassung vertreten, durch § 22 der Übergangsbestimmungen erkenne der Vertrag eindeutig an, daß die sowjetische Besatzungszone im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht als Ausland anzusehen sei. Für Berlin gelte — so ist gesagt worden — nach Auffassung der Bundesregierung mindestens das gleiche, wenn hier nicht sogar noch die Bestimmungen des Art. 79 verstärkend im Sinne einer noch engeren Bindung wirken.
Bezüglich Berlins möchte ich darauf aufmerksam machen, daß sich im Laufe der Ausschußberatungen drei verschiedene Erklärungen ergeben haben, die man uns dargeboten hat. Einmal hieß es, Berlin sei nicht erwähnt worden, weil dort weder Kohle gefördert noch Eisen und Stahl erzeugt werde. Zum anderen hieß es, Berlin werde j a durch den § 22 der Übergangsbestimmungen mit gedeckt. Und zum dritten hieß es, die Bundesregierung vertrete nach Art. '79 des Vertrages Berlin außenpolitisch, deshalb erübrige sich eine besondere Erwähnung Berlins. — Es wäre besser, wir hätten eine statt drei Erklärungen bekommen!
Zur ersten Erklärung möchte ich sagen, daß sie weder die tatsächliche Stahlproduktion Berlins noch die Rolle Berlins als Verbraucher und Verarbeiter berücksichtigt, woraus sich bei Mangellage im Sinne des Vertrages schwerwiegende nachteilige Folgen ergeben könnten.
Zur zweiten Erklärung darf ich wohl die Frage stellen, ob eine solche Auslegung von den Vertragspartnern geteilt wird und welche schlüssige Auskunft uns in dieser Beziehung gegeben werden kann.
Zur dritten Erklärung schließlich möchte ich darauf aufmerksam machen, daß der Art. 79 das Verhältnis der in Frage kommenden Regierungen vertragschließender Länder zu Ländern wie San Marino und Monako meint. Auch das Verhältnis, das die französische Regierung einseitig zum Saargebiet geschaffen hat, wird durch diesen Artikel, wie schon gesagt wurde, gedeckt. Wir aber möchten nicht das Verhältnis der Bundesrepublik zu Berlin in Parallele zum Verhältnis der entsprechenden Regierungen zu San Marino und Monako und auch nicht zum Saargebiet setzen.
Die Erklärungen, die uns der Herr Bundeskanzler gestern hinsichtlich Berlins gegeben hat, sind noch unbefriedigend. Sie sind zwar ein Versuch, ein Versäumnis während der Vertragsverhandlungen durch neue Interpretation zu korrigieren. Aber das Versäumnis wird damit nicht aus der Welt geschafft, und es bleibt die Frage, wie die anderen Vertragschließenden zu dieser Interpretation stehen. Wenn der Herr Berichterstatter Dr. Preusker gemeint hat:
Die Eingliederung der sowjetischen Besatzungszone nach einer Wiedervereinigung Deutschlands wird Gegenstand besonderer Anpassungsmaßnahmen sein müssen, die durch Zusatzverträge zu regeln sein. werden,
so erhebt sich die Frage, ob die Vertragspartner denn durch den Vertrag oder durch besondere Vereinbarungen, die mit dem Vertrage in Verbindung stehen, gebunden sind und sich gebunden halten, solchen Anpassungsmaßnahmen ihre Zustimmung
zu geben oder überhaupt in solche Verhandlungen einzutreten. Der Vertrag gibt dafür keine Anhaltspunkte. Von einer Sonderregelung hat die Regierung während der Ausschußberatungen und auch jetzt im Plenum nichts verlauten lassen. Bei den Ausschußberatungen aber wurde durch einen juristischen Sachverständigen der Regierung gesagt, wenn die Vertragspartner sich nicht einigten, entstehe eine Situation, über die der Jurist schweige.
Die entscheidende Frage aber ist, ob die Vertragspartner oder einige unter ihnen die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands oder die Überwindung der Spaltung Deutschlands als in ihrem Interesse liegend betrachten. In dem Augenblick, in dem man sich anschickt, einen Teil Deutschlands für 50 Jahre in den Raum einer Gemeinschaft einzugliedern, deren Partner sich weder im Vertrag noch in einer Erklärung zum Vertrag zu dieser Frage eindeutig im Sinne unserer, sich für uns aus dem Grundgesetz ergebenden Zielsetzung erklärt haben, ist es notwendig, klaren Bescheid zu geben, um so mehr als bezüglich des Saargebiets schon festgestellt wurde, daß die Bundesregierung einerseits und die französische Regierung andererseits an ihren entgegengesetzten Rechtsauffassungen festhalten.
Wenn wir uns, wie es im Laufe dieser Debatte geschehen ist, mit der in vieler Hinsicht aufschlußreichen Debatte in der französischen Nationalversammlung befassen, so können wir auch in der von mir behandelten. Beziehung einige Tendenzen finden, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Aufmerksamkeit; meine ich, verdient z. B., in welcher Weise diejenigen Sprecher, die. sich in der französischen Nationalversammlung für die Ratifikation des Vertrages eingesetzt haben, die Bindung der deutschen Kohle an die stahlerzeugende Industrie des Westens auslegen. Der Berichterstatter CosteFloret, der schon einige Male zitiert wurde, hat die hervorragende Bedeutung der Tatsache betont, daß die — wie er es nannte — Bevorrechtigung der deutschen Verarbeiter bei der Belieferung mit deutscher Kohle unterdrückt werde. Der andere Berichterstatter, der hier schon zitiert wurde, hat auf den interessanten Ausspruch des Generaldirektors der Renaultwerke hingewiesen, der die Freude zum Gegenstand hat, die dieser Herr darüber empfindet, daß man, wenn es einen Schumanplan gibt, in Deutschland nicht mehr die Stahlerzeugnisse, so wie sie dort gebraucht werden, ins Volkswagenwerk liefern kann, sondern daß sie von anderer Seite verlangt werden können. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, welche Bedeutung das Volkswagenwerk für ein großes Gebiet im Bereich des Grenzgürtels der sowjetischen Besatzungszone hat.
Gestatten Sie mir, im Zusammenhang damit auch auf die Sätze des Finanzministers René Mayer hinzuweisen, die der Stahlindustrie in diesem Zonengrenzgebiet gelten. Der Finanzminister sieht als Tendenz des Vertrages den — wie er es nennt — Kampf gegen die deutsche Autarkie an, und als wesentlich und neu bezeichnet er die mit dem Schumanplan gegebene Möglichkeit, gewisse deutsche Produktionsmöglichkeiten zu unterbinden. Er ließ keinen Zweifel darüber, meine Damen und Herren, daß nach französischer Auffassung z. B. die Demontage von Watenstedt-Salzgitter endgültige Tatsachen geschaffen habe.
Im Lichte solcher Auffassungen bekommen die Begriffe „antiökonomisch" und „autarkisch", auf die bei den Ausschußberatungen hingewiesen wor-
den ist, im Zusammenhang mit der Investitionsfrage, eine Bedeutung, die für uns jedenfalls keineswegs beruhigend ist. Als „antiökonomisch" und „autarkisch" könnten ja z. B. Vorhaben und Werke gekennzeichnet werden, die für uns volkswirtschaftlich und nationalpolitisch erstrangige Bedeutung haben.
Herr Dr. Preusker meinte in seinem mündlichen Bericht, der Vertrag gehe ja davon aus, als ob Deutschland schon eine Einheit wäre. Aber selbst wenn wir die Gewißheit haben dürften, daß es so sei, so könnten wir damit nicht beruhigt sein. Denn worauf es ankäme, wäre, daß in einem solchen Vertrag und in der Art, in der er gehandhabt wird, unserer besonderen Lage Rechnung getragen wird, die es erfordert, daß wir nicht zur Verlagerung industrieller und wirtschaftlicher Schwergewichte nach Lothringen und weiter nach dem Westen beitragen und dadurch den Gürtel an der sowjetischen Besatzungszonengrenze veröden helfen.
Die wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Tendenzen des Vertragswerks geben Deutschland Grund zur Beunruhigung, weil sie — um auf das Wort des französischen Außenministers von den Zwangsläufigkeiten zurückzukommen — uns in unserem Bemühen stören und schwächen, wirtschaftlich und sozial magnetisch auf die sowjetische Besatzungszone wirken zu können.
Der Herr Bundeskanzler hat gestern auf den sogenannten Generalvertrag hingewiesen, um unsere Befürchtungen hinsichtlich des Verhältnisses zur sowjetischen Besatzungszone zu zerstreuen. Dieser Hinweis des Herrn Bundeskanzlers gibt mir Anlaß, meinerseits auf eine Kritik hinzuweisen, die der Vizepräsident des amerikanischen Gewerkschaftsbundes, der American Federation of Labor, in einem Briefwechsel mit dem amerikanischen Außenministerium an der Deutschlandpolitik der Alliierten und an deren neuesten Plänen geübt hat und damit an den Plänen seiner eigenen Regierung im Hinblick auf die Behandlung Deutschlands. Aus dem Briefe des Vizepräsidenten Matthew Woll zitiere ich:
Die Westmächte sollten tatkräftig und ständig eine Politik zugunsten der Wiedervereinigung Deutschlands auf einer wirklich demokratischen Grundlage verfolgen. In der oben erwähnten Septembererklärung
— gemeint ist das Kommuniqué der Washingtoner Außenministerkonferenz —
wird jedoch
— so sagt die American Federation of Labor — eine Regelung vorgeschlagen, die den Alliierten das Recht vorbehält, alle Entscheidungen hinsichtlich der Wiedervereinigung Deutschlands zu bestimmen. Eine solche Regelung zeugt eher von einem ehrfürchtigen Respekt vor dem Geiste der Potsdamer Beschlüsse von 1945 als von einer festen Entschlossenheit, den Notwendigkeiten der im Jahre 1951 vorhandenen kritischen Situation Rechnung zu tragen. Warum müssen
— so fragt der amerikanische Gewerkschaftsbund — die westlichen Alliierten, die sich auf eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands auf einer wirklich demokratischen Grundlage verpflichtet haben, auf der Forderung beharren, daß ihnen in dieser Frage ein Vetorecht eingeräumt werde? Diese Beharrlichkeit
— so tadelt die American Federation of Labor die Regierungen der Westmächte —
ruft nur Zweifel an der Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit dieser alliierten Verpflichtung hervor. Es ist an der Zeit,
— so betont der Vizepräsident des amerikanischen Gewerkschaftsbundes abschließend —
daß die Demokratien erkennen, daß es ein unveräußerliches Recht des deutschen Volkes ist, selbst darüber zu entscheiden, was es als das überragende Problem seiner Organisation und seines Lebens als Nation betrachtet.
Diesen Sätzen ist nichts hinzuzufügen. Wir in Deutschland können uns darüber freuen, daß der Sprecher einer so großen und einflußreichen Organisation so warm und überzeugend als Anwalt unseres Rechts auftritt. Der Herr Bundeskanzler und Außenminister sollte Wert darauf legen, von seinen Beamten auch solche Stellungnahmen ausländischer Persönlichkeiten zu unseren Lebensfragen vorgelegt zu bekommen.
Abschließend darf ich also sagen: Den im Schumanplan und in den dazugehörigen Verträgen und Auflagen der Besatzungsmächte liegenden Zwangsläufigkeiten können wir uns nicht anpassen. Der Wandel, den sie im Geschick unseres Landes herbeiführen würden, käme auf eine Erschwerung unserer Hauptaufgabe hinaus, auf eine Erschwerung der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden. Das hieße eine Erschwerung der Befreiung der 18 Millionen in der sowjetischen Besatzungszone. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Bundesregierung, in neuen Verhandlungen mit den Signatarmächten des Schumanplans und in den Verhandlungen mit den Siegermächten diese Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Es wäre nicht zuletzt eine für die demokratische Welt folgenschwere Fehlleistung, den Versuch zu europäischer Zusammenarbeit von vornherein mit dem Konstruktionsfehler zu belasten, die Bundesrepublik Deutschland an der Erfüllung ihrer wichtigsten und wahrhaft europäischen Aufgabe zu hindern.
Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, am 27. September 1951 hat der Bundestag die Herstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln als die vordringlichste politische Forderung des ganzen deutschen Volkes bezeichnet. Tragen Sie dieser „vordringlichsten politischen Forderung" bei der Entscheidung über ein Gesetz, dessen Zwangsläufigkeiten uns für Jahrzehnte binden sollen, Rechnung! Damit würden Sie zugleich einen Beitrag zur europäischen Verständigung leisten.