Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht die Absicht, meine Ausführungen mit einer polemischen Note zu beginnen; aber die beiden Herren Vorredner machen es mir schwer, auf eine solche Note zu verzichten.
Der Herr Kollege von Merkatz hat hier der sozialdemokratischen Fraktion mit hartem Bemühen auseinandergesetzt, welchen Charakter ihre Opposition gegen den Schumanplan habe. Er hat es geradezu als eine Art von, wie soll ich sagen, Untugend dargestellt, daß wir Sozialdemokraten dem vorliegenden Vertragswerk mit einem hohen Maß von Skepsis begegnen. Nun, diese Skepsis hat ihre Ursache in den Realitäten, von denen auch der Herr Kollege von Merkatz hier gesagt hat, daß sie sozusagen der Ausgangspunkt für die juristische Konstruktion sein müßten, die man post festuni entwickelt. Herr Kollege von Merkatz, das war doch für Sie der konservative Gedankengang, der konservative Ausgangspunkt, den Sie bejahen, daß man sozusagen erst die: Realitäten ermittelt und dann eine juristische Konstruktion bildet? Ich muß sagen, daß Ihnen da die französischen Partner im Schumanplan ein gutes Stück vorausgegangen sind:
sie haben die Realitäten im Saargebiet geschaffen und dann die juristische Konstruktion von sogenannten Staatsverträgen mit einer Regierung in die Welt gesetzt, die auch von ihren Gnaden ist. Das ist der Konservatismus nach Ihrem Stil! Wir sind durchaus der Meinung, daß man die Realitäten ins Auge fassen muß, daß man von ihnen ausgehen muß, wenn man bestimmte Schritte tun und die Wirkung bestimmter Schritte beurteilen will.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier nicht weiter mit Herrn Kollegen von Merkatz polemisieren. Ich bin Gott sei Dank kein Jurist und schon gar kein Staatsrechtler, und es liegt mir in dieser späten Stunde nicht, einen 'Versuch zu machen, hier ein staatsrechtliches Kolleg zu geben; aber Herr von Merkatz hat uns ja immerhin eine ganze Menge von Dingen gesagt, an denen wir schließlich noch etwas lernen können. Ich lerne gern.
Und nun eine Bemerkung gegenüber dem Herrn Kollegen Euler. Herr Euler, wir kennen uns ja lange genug, nicht wahr? Wir kennen auch unsere beiderseitigen Eigenarten. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, daß ich auch einige von Ihren politischen Schwächen kenne. Nicht wahr, es wirkt einigermaßen erstaunlich auf unsereinen, der nun Ihren politischen Weg seit dem Sommer 1947 verfolgt,
wenn Sie hier als der Vorkämpfer eines neuen
Europa auftreten, Sie, der Sie bereit sind, mit
jedem nationalistischen Klüngel in Hessen eine
Koalition gegen die Sozialdemokratie zu machen,
und Sie, die Sie mit Ihren schwarz-weiß-roten Flugblättern mehr politisches Porzellan zerschlagen haben, als es jemals gegeben hat.
Ich glaube, Sie sollten sich da etwas vorsehen.
' Also, von Ihnen, Herr Euler, nehme ich nicht gern Belehrungen darüber an, was im Sinne europäischer Zukunft zweckmäßig und notwendig ist; dazu sind Sie nicht der Mann!
Ich bedaure, Herr Kollege Euler, daß Sie mich in diesem Augenblick zu solchen Bemerkungen provoziert haben. Wir haben wahrhaftig alles darauf angelegt, diese Debatte sachlich zu führen.
— Meine auch, verlassen Sie sich darauf!
Im übrigen, Herr Euler, ich habe hier einen Zeitungsbericht über eine Ihrer Versammlungen in Bad Hersfeld. Wenn man sie so äußerlich zur Kenntnis nimmt, erscheinen Ihre Ausführungen als ungefähr in der Linie, die Sie auch hier vertreten haben.
Sie sagen nach diesem Bericht, daß der Schuman-plan zwar für die Zeit von 50 Jahren unterzeichnet worden sei, aber positiv gesehen sei er kein Instrument für die Dauer von 50 Jahren
— einen Moment, Herr Euler, ich bin noch nicht ganz fertig, ich habe noch etwas hinzuzufügen —, er werde nur drei oder vier Jahre bestehen bleiben, weil er bis dahin durch die weitere politische Entwicklung überholt sei.
Nun, Herr Kollege Euler, ich habe schon gleich zur Einleitung gesagt, das klinge ungefähr gerade so, wie Sie's heute hier gesagt haben.
Aber ich muß hinzufügen: die Erfahrungen in der parlamentarischen Beschäftigung mit dem Schumanplan haben uns auch einen anderen Aspekt dieser scheinbar europäischen Haltung gezeigt. Man muß es aussprechen, daß es bei den Befürwortern - des Schumanplans auch Leute gibt, die dieses Ja mit einem Dolus aussprechen, nämlich mit dem Dolus: Ja Gott, jetzt unterschreiben wir für fünfzig Jahre; in drei, vier Jahren haben wir durch die deutsche Tüchtigkeit, durch unsere berühmte Sparsamkeit und unseren Fleiß und ich weiß nicht was die anderen an\\ die Wand gespielt.
— Nein, nein, meine Herren, ich habe großen Respekt und auch eine gewisse Furcht vor Nachtsitzungen des Bundestags, und ich weiß, daß in einer solchen Abendstunde Ihre Erregung gelegentlich auf einen Grad ansteigt, wo es nicht — —
— Nein, nein, ich habe keine Rücksicht auf Ihren physischen Zustand zu nehmen; meiner ist nämlich auch an gewisse Grenzen gebunden. Aber ich möchte Ihnen eines sagen: wenn ich von diesem Dolus spreche, dann tue ich das ganz bewußt, weil ich glaube, daß Sie sich, wenn Sie schon die
Motive der sozialdemokratischen Opposition untersuchen, auch gefallen lassen müssen, daß wir die Motive eines Teils der Jasager untersuchen.
Ich habe weiß Gott einiges dazu beigetragen, meine Damen und Herren, daß überhaupt diese sachliche Auseinandersetzung um die Grundlagen des Schumanplans zustande kam. Ich glaube mir doch immerhin in diesem Rahmen erlauben zu dürfen, auch einige unangenehme Wahrheiten zu sagen.
— Ach, meine Damen und Herren, Sie sagen, es seien keine Wahrheiten! Unterhalten Sie sich einmal im stillen Kämmerlein mit einigen Ihrer Herren hier in dieser Angelegenheit. Dann werden Sie mehr Wahrheiten dieser Art erfahren, als Ihnen lieb ist.
Wir laufen ja auch nicht blind und taub in der Welt herum!
— Man soll uns nicht provozieren, Herr Hilbert!
— Ich will nicht darüber streiten, Herr Kollege Euler, in welchem Sinne Sie solche Argumente verwandt haben. Ich weiß nur, daß sie in einem Sinne verwandt worden sind — auch mir und meinen Freunden gegenüber —, der uns einigermaßen bedenklich stimmt. Jedenfalls ist in diesem Hause so viel vom Geist des Schumanplans und von dem Glauben an seinen nicht nur materiellen, sondern auch seinen ideellen Gehalt gesprochen worden, daß Sie uns gestatten müssen, etwas von diesem Geist zu untersuchen,
ganz gleich, ob er sich nun auf deutsch oder auf französisch oder in sonst irgendeiner nationalen Sprache manifestiert. Die Motive sind eben schließlich ein Teil der politischen Aktionen, die man unternimmt. Wenn Sie uns schon das Motiv unterstellen — Herr von Merkatz, das gilt Ihnen —, daß wir bei unserer Politik etwa in die Nähe eines bestimmten, von Ihnen abgelehnten Neutralismus geraten könnten, dann möchte ich Ihnen sagen: es gibt auch ein Motiv der Europa-Bejahung und Europa-Begeisterung, das man als eine Flucht in ein konservatives Europa vor bestimmten klassenpolitischen und wirtschaftspolitischen Entwicklungen im eigenen Lande betrachten kann.
— Ja, aha! Warum soll man nicht ganz offen darüber reden? Es ist doch nicht von ungefähr, Herr Kollege Preusker, daß in einem der Ausschüsse des Bundestags Herren aus der Regierungskoalition sich ausdrücklich gegen eine Interpretation des Art. 83 durch einen Regierungsvertreter verwahrt und das zu Protokoll gegeben haben, eine Interpretation, die immerhin offengelassen hatte, daß unter dem Art. 83 bestimmte Sozialisierungsmöglichkeiten bestünden.
— Nein, Sie müssen gar nichts anerkennen, mein lieber Herr Etzel. Ich stelle nur fest, daß hier
bestimmte Motive am Werke waren, als es sich darum handelte, die Interpretation Ihres eigenen Regierungsvertreters zu akzeptieren oder abzulehnen.
— Ich habe ja nicht gesagt, daß Sie damit gegen den Sozialismus Stellung genommen hätten. Ich bin weit davon entfernt, Ihnen das zu unterstellen, Herr Kollege.