Rede von
Christian
Kuhlemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich zu Ihnen nach den vielen Reden hier im Auftrag der Deutschen Partei spreche,
dann möchte ich Ihnen zunächst mitteilen, daß die Deutsche Partei gewillt ist, dem Schumanplan zuzustimmen
und mit ihm jene neue Episode anzufangen, die
für Europa, für uns alle wichtig zu sein scheint.
Was ist nun Sinn und Ziel unseres Planes? Meine Herren, wir haben über die einzelnen Ziele heute schon so viel gehört, daß ich nicht noch einmal jeden einzelnen Paragraphen durchzugehen brauche. Ich möchte aber doch eines betonen: Dieser Schritt, den wir heute zu tun gedenken, ist der erste, dem bestimmt andere Schritte nachfolgen müssen.
Auf dem Teilgebiet Eisen, Kohle und Stahl haben wir dann zum erstenmal einen einheitlichen Markt in Europa hergestellt. Dadurch, daß wir die Zollgrenzen zwischen den einzelnen Ländern abbauen, werden wir alte nationale Grenzen überwinden und zu einer volkswirtschaftlichen Arbeitsentwicklung kommen, die für alle, die daran teilnehmen, eine neue Wohlfahrt und einen neuen Lebensstandard bringen wird.
Wenn wir diesen ersten Schritt getan haben, werden sich aus ihm folgerichtig die weiteren
Schritte entwickeln. Die Worte, die Herr Professor Hallstein und der Herr Bundeskanzler zu uns gesprochen haben, wonach die Entwicklungen, die hier angedeutet sind, erst der Anfang einer weit größeren Entwicklung sein werden, wurden bei uns dahin gedeutet, daß dieser erste Schritt uns zu weiteren guten Erfolgen führen wird.
Wir haben zu den Möglichkeiten, die der Schumanplan uns bietet, bis jetzt eins festzustellen: die „Schrebergärtenzäune", wie Herr Professor Hallstein sagte, werden fallen. Die kleinstaatlichen Gedanken, die wir in Europa bis jetzt gehabt haben und deren Auswirkung gerade in den wirtschaftspolitischen Maßnahmen immer zu erkennen war, werden uns in bezug auf Eisen, Stahl und Kohle sehr schnell zu einem ganz neuen Weg führen. Ich glaube, daß wir in dieser Beziehung — auch bei unseren Handelsverträgen im Außenhandelsausschuß, wo es immer sehr ,schwer war, die bestehenden Verhältnisse zu verteidigen — zu großen Erleichterungen kommen werden, und ich glaube auch, daß wir gerade dadurch auch im Außenhandel sehr schnell andere Ideen entwickeln wer den.
Wenn wir bedenken, daß wir bei 155 Millionen Einwohnern in dem Gebiet des jetzigen Schuman-plans eine Stahlerzeugung von zirka 32 Millionen t haben — während die Vereinigten Staaten beinahe die dreifache Menge Stahl herstellen, dabei aber nicht so viel Einwohner in ihrem Lande vereinigen —, so werden wir erkennen, daß wir auf Grund der Entwicklung der gemeinschaftlichen Arbeit in diesem Gebiet unsere Erzeugung an Eisen, Stahl und Kohle sehr schnell werden erhöhen müssen, so daß auf all diesen Gebieten in der nächsten Zeit eine Wandlung zu erwarten ist. Sie haben von den Experten gehört, daß der Bau von Breitbandstraßen, die wir dringend nötig haben, nicht mehr verhindert werden kann, daß ferner unter den Verhältnissen, die wir jetzt durch den Schumanplan bekommen, der Ausbau von Watenstedt-Salzgitter und der Thyssen-Hütte ungehindert durchgeführt werden kann. Das gibt zusammen mit der Investitionshilfe, die wir vor einiger Zeit beschlossen haben, derartige Entwicklungsmöglichkeiten, daß wir in der Durchführung des Schumanplans vertrauensvoll weiterarbeiten können.
Ich will 'nur eins hoffen: daß sich der Schumanplan nicht allein zugunsten von Rheinland und Westfalen auswirkt; denn wir in Niedersachsen haben an dem Schumanplan genau so Interesse. Unser armes Land Niedersachsen hat eine große Eisen- und Stahlproduktion in dem Gebiet von Watenstedt-Salzgitter. Wir alle wissen ganz genau, wie dies Gebiet gelitten hat. Ich hoffe, das Hohe Haus wird uns hier in der richtigen Weise unterstützen, damit wir Watenstedt-Salzgitter wieder zu einer Produktion verhelfen können und Watenstedt-Salzgitter nachher auch ein entsprechender Teil der Eisenproduktion überwiesen werden' kann.
Es ist unser Ziel, durch die Arbeit im Rahmen des Schumanplans und durch die weitere Entwicklung, die wir dem Schumanplan hier angedeihen lassen, nach dem Osten ein Bild zu geben, damit wenigstens unsere ostdeutschen Nachbarn sehen, daß wir sie mit dem Schumanplan nicht irgendwie abschreiben wollen, sondern im Gegenteil mit dem Schumanplan erreichen wollen, daß der Osten, dessen Bevölkerung diese Vorteile leider noch nicht mitgenießen kann, in der nächsten Zeit wenig-
stens in den Schumanplan mit hineinwachsen kann und ihm dadurch die Vorteile des Schumanplans auch zugutekommen.
Es wird immer gesagt, daß der Schumanplan der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland hinderlich im Wege steht. Ich glaube kaum, daß das der Fall ist. Es ist ja gerade eben von den Vorrednern, von Herrn Paul und Herrn Müller, immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die deutsche Einheit das Wichtigste sei. Meine Herren, die deutsche Einigkeit und die deutsche Einigung wären auch für uns das Wichtigste. Wenn es möglich wäre, dann würden wir bestimmt alle liebend gern über den Schumanplan etwas länger sprechen und die Einigung Deutschlands vollziehen; aber wir sehen ein, daß eine Einigung Deutschlands mit oder ohne Schumanplan vorläufig nicht möglich ist, es sei denn, andere Bedingungen werden von der Ostzone her uns. gegenüber klar gestellt und dadurch die Möglichkeit geschaffen, daß wir uns mit dem Osten darüber unterhalten können.
Mit dem Schumanplan müssen und wollen wir die Bedingungen und die Möglichkeiten schaffen, die weitere Entwicklung Deutschlands vorwärtszutreiben!
Wir haben von vornherein gesagt: wir sind bereit, allen anderen Gelegenheit zu geben, dem Schumanplan beizutreten. Tritt der Fall ein, daß Ostdeutschland, vielleicht auch andere Staaten im Osten, dem Schumanplan beitreten wollen, so würde das nach meiner Meinung nur ein Vorteil sein. Dadurch würde der Raum für Europa nur größer werden, und wenn das geschieht, würde das für Europa in der Zukunft nur eine Entwicklung zum Besseren bringen können.
Wir haben in den letzten Jahren die Feststellung gemacht, daß die Wirtschaftspolitik, die von uns aus betrieben worden ist, die Entwicklung in Deutschland sehr schnell gefördert hat, so schnell, daß wir alle überrascht und zum Teil auch stolz waren. Die Entwicklung, die Westdeutschland genommen hat, wird von den Oststaaten, von der Ostzone her mit Neid angesehen. Wenn die Zahlen, die von Herrn Paul und von Herrn Müller vorhin hier genannt worden sind, wirklich zutreffend wären, dann würden solche Fragen, wie man sie des öftern hörte, bestimmt nicht an uns gestellt werden, und die Bitten, die vom Osten an uns herangetragen werden, würden bestimmt nicht so ausfallen, wie sie uns augenblicklich immer wieder vorgetragen werden.
Meine Herren, wir wollen hoffen, daß die Entwicklung, die wir bei uns haben, auch auf die Ostzone abfärbt und daß die wirtschaftspolitische Entwicklung, die wir jetzt erlebt haben, denjenigen Leuten, die von der Ostzone nach hier herübersehen, als Beispiel für eine Entwicklung hervortreten wird, an der teilzunehmen für sie wünschenswert erscheint. Wir wollen hoffen, daß auch sie möglichst bald in den Genuß der Früchte dieses Plans kommen, und wir wollen hoffen, daß über die Entwicklung hinaus, die der Schuman-plan uns in den nächsten Jahren bringen wird, auch für die Leute, die da drüben sind, eine weitere Entwicklung möglich ist. Es ist anzunehmen, daß wir durch diese Entwicklung des Schumanplan zu einem neuen Lebensstandard und einer Erhöhung unseres Lebensstandards im Bundesgebiet kommen, die alle, die daran teilnehmen, zufriedenstellen wird. Aus diesem Grunde bejahen wir den Schumanplan. Wir werden bei der Abstimmung für diesen Plan stimmen.