Rede von
Artur
Stegner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie zunächst um Nachsicht bitten, da ich weder eine druckfertig vorbereitete Unterlage noch ein Zitatenbüchlein mitgebracht habe.
Ich befinde mich da zwar in voller Übereinstimmung mit dem § 37 der neuen Geschäftsordnung,
ich bitte Sie aber, wie gesagt, deswegen trotzdem um Nachsicht.
(Präsident Dr. Ehlers übernimmt wieder
den Vorsitz.)
Meine Damen und Herren, die Debatte, die wir gerade durchlebt haben, erinnert mich an die Eingangsworte unseres Herrn Kollegen Mellies, der gesagt hat, wir müßten diese zweite Lesung jetzt durchführen, um damit die deutsche Bevölkerung. zu informieren. Ich selber habe die Verhandlungen zum Schumanplan im Wirtschaftspolitischen Ausschuß mitgemacht
und glaube, eine ganz gute Übersicht über diese Dinge gehabt zu haben. Nachdem ich aber der Debatte aufmerksam gefolgt bin, bin ich etwas verwirrt geworden.
Der Wert dieser Debatte für die Information der deutschen Bevölkerung ist ebenso fragwürdig wie ihr Wert für die Information des Auslandes.
— Ja, Sie — Sie nicht persönlich, Herr Renner, aber Ihre Kollegen — haben alles dazu getan, um die Dinge zu verdunkeln.
Ich darf hier einmal etwas einschalten, was ich eigentlich nicht sagen wollte.
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Die Debatte war außerordentlich reich an Zitaten, an Zitaten von Professoren — damit werde ich nicht dienen — und an Zitaten aus ausländischen Parlamentsdebatten, sowohl ,der französischen Kammer wie der Volkskammer. Die hiesige Debatte hat uns, wenn wir es noch nicht gewußt haben, gezeigt, daß sowohl in der französischen Kammer wie auch in der Volkskammer wie auch bei uns ein Teil der Äußerungen doch sicher aus innerpolitischem Interesse getan wurde, sagen wir einmal, als für den innerpolitischen Gebrauch bestimmt. Diese Äußerungen zu zitieren, hat einen sehr fragwürdigen Wert. Ich stelle mir nämlich vor, daß ein nach uns ratifizierendes Land, etwa Italien, bei 'seiner Debatte auf die Idee käme, aus der Debatte des 'Deutschen Bundestages zu zitieren, und sich z. B. den Kollegen Paul herannehmen und zitieren würde,
der, als er sich als Friedensfreund deklarierte, den schönen Ausspruch fand und von dem „blauesten Wunder" sprach. Es ist immerhin erstaunlich, aus 4' dem Adjektivum blau' einen Superlativ zu machen. Das ist neu und eigenartig. Sie sehen, solche Zitate haben praktisch keinen Wert. Infolgedessen sollte man auf sie verzichten.
Damit aber meine Ausführungen nicht ohne Zitat vor sich gehen
— ich würde mich schämen, wenn ich der einzige wäre, der keins bringt —, werde auch ich ein Zitat bringen, und zwar über den Wert von Parlamentsdebatten. Dieses Zitat ist, wie gesagt, von keinem Professor und von keinem ausländischen Parlamentsmitglied, sondern von einem alten deutschen Parlamentarier. Ich habe es dem geheimen Tagebuch des alten Reichstagsabgeordneten Dr. Ludwig Bamberger entnommen. Dieser schreibt in seinem Tagebuch unter dem Datum des 7. August 1883 — ich bitte, bemerken zu dürfen, daß diese Eintragung nicht gestern gemacht wurde, sondern im nächsten Jahr 70 Jahre alt wird —:
Der letzte „Economist" hat einen merkwürdigen Artikel über Parlamentarismus mit ganz denselben Symptomen wie bei uns. Die Extrakte der Zeitungen werden immer kürzer, weil das Publikum weniger davon lesen will. Man nimmt Anstoß an der Länge und Unfruchtbarkeit der Parlamentsdebatten.
Die Gefahr, daß einmal bei einer kritischen Situation nach innen oder außen eine starke Hand dem Parlament vorgezogen werde, wächst.
Es schien mir immerhin bemerkenswert, diese im
nächsten Jahr 70 Jahre alt werdende Eintragung
hier einmal dem Hohen Hause im Anschluß an
den Schumanplan oder mitten in der Schumanplan-Debatte vorzutragen.
— Nein, es ist keine Empfehlung, sondern es soll ein Signal an Sie sein, Herr Renner. Ich weiß, Sie sind nicht zu überzeugen; ich möchte Sie aber doch gern überzeugen.
Es ist ein Merkmal für Sie, daß 70 Jahre deutscher parlamentarischer Entwicklung nicht ausgereicht haben, an offensichtlich monierten Zuständen auch nur das Geringste zu ändern. Ich habe langsam die Hoffnung aufgegeben, daß es bei Ihnen überhaupt möglich ist.
Nun, meine Damen und Herren, der Schuman-plan ist zweifellos ein Diskussionsthema, das zur Weitschweifigkeit anreizt. Es werden sehr viele Argumente gebracht, die gegen den Plan sprechen; es werden ebensoviele Gegenargumente gebracht, die für den Plan sprechen, und beide Argumentierungen sind berechtigt. Es wäre mehr als töricht, wenn wir versuchen wollten, Argument und Gegenargument hier in Rede und Gegenrede gegeneinander abzuwägen. Das geht nicht. Es spielen dabei immanente Überlegungen eine Rolle, die subjektiv sind, so subjektiv, daß man sie eben schwer gegeneinander abwägen kann. Ich werde deswegen versuchen, mich mit der Opposition in der Weise auseinanderzusetzen, daß ich nicht ihre Argumente im einzelnen behandle, sondern die Art der Betrachtungsweise des Schumanplans in den Vordergrund stelle. Denn die Diskussion scheint mir gezeigt zu haben, daß die verschiedene Art der Betrachtung das Entscheidende dieser Debatte gewesen ist.
Ich persönlich meine, daß wir uns hier in diesem Parlament alle davor hüten sollen, einer Hypertrophie des kurzfristigen Denkens zum Opfer zu fallen.
— Haben Sie es verstanden? — Das glaube ich! Herr Renner, ich sage es Ihnen nachher persönlich, ich erkläre es Ihnen nach Schluß. Die andern Damen und Herren wissen es ja.
Also die Betrachtungsweise des Schumanplans ist das Entscheidende. Nun ist mir besonders aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Henßler klargeworden, daß die Sozialdemokratie bei der Betrachtung der Dinge von einer mehr statischen Überlegung ausgeht, ich möchte sagen, von gesicherten Erkenntnissen der Gegenwart und Vergangenheit. Das ist eine mehr statische Beleuchtung der Dinge, während wir von einer mehr dynamischen Betrachtung der Dinge ausgehen. Wir sehen mehr in die Zukunft; wir sehen die Dinge langfristiger an, ohne dabei das Risiko zu übersehen, das in dieser Betrachtungsweise liegt. Wir sind aber bereit, dieses Risiko in Kauf zu nehmen.
Nun habe ich aber den Ausführungen der Freunde aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der SPD, entnommen, daß ich offenbar noch nicht ganz verstanden worden bin. Herr Kollege Schöne, die Ausführungen, die Sie gestern gemacht haben, mache ich absolut zu den meinen. Was Sie vorgetragen haben, sind Tatsachen, und
die werden vor mir anerkannt. Aber, Herr Schöne, diese Tatsachen veranlassen mich nicht, gegen den Schumanplan zu stimmen. Ich werde Ihnen auch erklären, warum: Weil das Leben nämlich immer weitergeht! Herr Schöne, wir wohnen glücklicherweise nicht so weit auseinander, daß wir uns nicht schon einmal im Jahre 1945 hätten treffen können. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten uns. etwa im Juli 1945 getroffen und hätten uns darüber unterhalten, was etwa um die Jahreswende 1951/52, los sein würde, und ich hätte Ihnen oder Sie hätten mir gesagt, daß um diese Jahreswende herum die Zeitungen von der Möglichkeit zwölf deutscher Divisionen voll sein würden. Ich will dazu keine Stellung nehmen, aber es steht in allen Zeitungen. Nehmen Sie an, wir hätten solche Überlegungen angestellt angesichts der zurückflutenden zerschlagenen deutschen Armee und angesichts der damals gerade verkündeten bedingungslosen Kapitulation. Ich bin überzeugt: wenn ein Dritter unser Gespräch gehört hätte, er hätte uns für nicht normal gehalten.
Meine Damen und Herren, die Dinge bleiben ja nicht stehen. Deswegen können wir uns mit der Überlegung, die angestellt wurde, daß der Schumanplan eine Fortsetzung der nunmehr seit sieben Jahren durchexerzierten Besatzungspolitik ist, nicht einverstanden erklären. Die Dinge sehen von uns aus gesehen ganz anders aus. Herr Kollege Henßler hat vollkommen recht, wenn er hier die Besatzungspolitik der letzten sieben Jahre geißelt, in Richtung auf die Demontagen an der Ruhr, mit Rücksicht auf all die Dinge, die wir durchlebt haben. Das ist auch unsere Anschauung. Wir wissen natürlich, daß nicht immer die Politik nur vor dem Kriege eine Politik der Vernunft sein muß; auch die Politik nach den Kriegen könnte theoretisch eine Politik der Vernunft sein. Aber nach den Kriegen ist die Politik eben meist eine Politik des Siegers, der versucht, den Besiegten zu entmachten. Daraus resultieren all die besatzungsrechtlichen Maßnahmen, die uns hier gerade von der Opposition in einer ganz klaren Weise dargelegt worden sind.
— Nein, eben nicht, Herr Henßler! Wenn Sie mich noch einen kleinen Augenblick anhören, will ich Ihnen gleich sagen, warum nicht. Es ist so, daß wir diese falsche Besatzungspolitik durch eine andere Politik ablösen müssen. Wir wissen ganz genau, daß uns eine volle, hundertprozentige Gleichberechtigung niemals in den Schoß fallen wird.
Wir sind aber müde, um diese Gleichberechtigung weiterhin mit Worten und Papieren zu kämpfen, und wo wir einen Schritt zur effektiven Gleichberechtigung sehen, da müssen wir ihn tun. Ein solcher Schritt ist der Schumanplan.
— Wollen Sie auch Feldwebel werden, Herr Renner, daß Sie so eilig sind?
— Er war schon Oberfeldwebel? Das konnte ich nicht wissen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um hier Besatzungsrecht und, ich möchte sagen, ein gleichberechtigtes Recht nebeneinanderzusetzen, müssen wir einmal die Frage, die heute schon öfter angeschnitten worden ist, die Frage Ruhrbehörde und Hohe Behörde behandeln. Fast von allen Rednern der Opposition wurde herausgestellt: Ruhrbehörde gleich Hohe Behörde. Sie sehen gerade an diesen beiden Behörden den sehr starken Unterschied. Der Ruhrbehörde liegt das Ruhrstatut zugrunde. Sie können ruhig sagen: das Ruhrdiktat; das wird klarer.
— Einen Augenblick, Herr Kalbitzer; Sie wissen ganz genau, daß wir kein Ruhrstatut angenommen haben. Herr Kalbitzer, Sie wissen doch ganz genau, daß wir hier über die deutsche Beteiligung an der Ruhrbehörde Beschluß gefaßt haben, um wiederum ein Stück deutschen Einflusses zu gewinnen; aus keinem andern Motiv!
Dieser Ruhrbehörde liegt aber das Ruhrdiktat zugrunde, das wir nicht angenommen haben. Der Unterschied zwischen Ruhrbehörde und Hoher Behörde ist der, daß die Ruhrbehörde ein. Diktat zur Grundlage hat, während die Hohe Behörde den Schumanplan zur Grundlage hat, in dem wir Signatarmacht sind, Herr Kalbitzer. Ich glaube, das ist unbestritten.
Wir haben darüber hinaus bei den Institutionen des Schumanplans ja nicht nur die Hohe Behörde
— das wollen wir doch nicht übersehen —, sondern wir haben eine Reihe anderer Institutionen, die ich hier dem Hohen Hause nicht aufzuzählen brauche, weil sie schon im Bericht und oft genug aufgezählt worden sind. Die Konstruktion ist also hier eine gänzlich andere.
— Ja doch, sie ist eine erheblich bessere. Das hier ist ein Akt, der aus freiem Willen geschieht, Herr Kalbitzer.
Es kann keinesfalls so sein, wie bisher die Dinge dargetan worden sind. Herr Henßler hat einmal den Ausdruck gebraucht, der Schumanplan sei nur erträglich, wenn man ihn mit ausländischen Augen oder mit der ausländischen Brille sehe; wenn man ihn durch die deutsche Brille sehe, dann sei er weiter nichts als ein wirtschaftlicher Annexionsmus. Ich glaube, so ungefähr haben Sie gesagt, Herr Kollege Henßler.
— Einen Augenblick, bitte! Ich bin nicht dazu da, die Politik der Regierung zu vertreten.
Das macht die Regierung selbst.
— Meine Damen und Herren, Sie sollten mit Ihrem Lachen etwas vorsichtiger sein! Wir sind dazu da, Ihnen zu sagen, warum wir in der Abstimmung so und so stimmen und nicht anders. Wir sind sogar dazu da, Sie, meine Herren, die Sie sich so freundlich verhalten, vor Irrwegen zu behüten, indem wir versuchen, Sie zu überzeugen.
— Nein! Das. stammt weder von mir noch von Ihnen, Herr Mellies. Wir wollen uns. doch beide
nicht mit fremden Federn schmücken. Ich glaube, das haben wir beide nicht nötig.
— Nein, keineswegs! Sie sind hier in einem Irrtum befangen. Davon kann gar keine Rede sein. Die Einzelheiten werden Ihnen die Herren, die die Vertragsverhandlungen geführt haben, viel besser sagen können als ich. Ich habe Ihnen ja gesagt, wir wollen uns im Grundsatz auseinandersetzen.
Dann darf ich fortfahren. Die Entwicklung, wie sie von Herrn Henßler dargetan worden ist, hat sich gewissermaßen in den beiden Polen: formelle Gleichberechtigung und tatsächliche Gleichberechtigung, gefunden. Herr Henßler, der Kampf um die formelle Gleichberechtigung ist ein Kampf, der sich noch sehr lange hinziehen wird. Es ist nun einmal so, daß sich die Form, verlorene Kriege zu liquidieren, im Laufe der Zeit etwas geändert hat. Wir haben heute keine Friedensverträge unmittelbar nach Abschluß der Kriege mehr, wie es früher üblich war, sondern wir haben lange Entwicklungen, wie wir sie durchleben. Wir haben die Aufgabe, in diesen langen Entwicklungen so viel für die deutsche Gleichberechtigung zu tun, wie wir können.
Deswegen müssen wir alle diese Möglichkeiten ergreifen, Und deswegen sind wir für den Schuman-plan. Wir sind es satt, bloß immer auf ein Wunder zu warten; das werden wir nicht erreichen.
— Nun, Sie meinen, wir werden es erleben, das „blaue Wunder" des Herrn Paul!
Ich darf den Vergleich der deutschen. Augen und der ausländischen Brille aufnehmen. Herr Henßler, wir haben nach Ihren Ausführungen noch von einer anderen „ausländischen Brille" gehört, nämlich von Ihren Kollegen, die noch weiter links sitzen. Wir sollten aber die Dinge einmal nicht unter deutschen Augen und unter ausländischer Brille sehen, sondern unter der europäischen Anschauung.
Ich glaube, dann werden wir den Dingen näherkommen. Wenn Sie dem französischen Parlament einen gewissen nationalen Egoismus zuschreiben, — ja, den haben wir auch! Das ist doch ganz natürlich. Wir werden diesen nationalen Egoismus auch nicht .vom ersten Tage der Vertragsingangsetzung beseitigen können. Wir werden aber eines tun müssen: wir werden das bestehende Mißtrauen in Europa langsam durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ersetzen müssen.
Wir werden die nationalen Egoismen der westlichen Welt langsam durch den Gedanken eines einheitlichen Marktes, vielleicht sogar eines konföderierten Europa ersetzen müssen. Es hat keinen Sinn, daß die Franzosen und die Deutschen sich gegenseitig immer wieder ihren nationalen Egoismus vorhalten. Er ist da, und er wird durch die Zusammenarbeit überwunden werden müssen. Wenn wir diesen nationalen Egoismus beider Staaten nicht überwinden, werden wir uns nicht nur über den Schumanplan, sondern über andere Dinge auf die Dauer keine Gedanken mehr zu machen brauchen.
Meine Damen und Herren, mich überrascht eines: Ein französischer Sozialist, Lacoste, hat — nicht in der Kammerdebatte, sondern irgendwann einmal
gesagt, daß der Schumanplan mit seinem gemeinsamen Markt weit dem französischen sozialistischen Denken entgegenkomme, das nicht nationalstaatlich gebunden sei. Lacoste ist nicht verdächtig, der französischen Industrie nahezustehen. Er ist sicher ein Mann, der es ehrlich gemeint hat.
Meine Damen und Herren! Warum sind wir denn
— sieben Jahre nach dem Verlust eines Krieges, sieben Jahre nach dem Verlust eines Reiches — auf einmal so erpicht, rein nationalstaatlich zu denken? Seien wir uns doch einmal über die Entwicklung klar, die wir in Europa durchlaufen haben! Die Entwicklung zum Nationalstaat war sicher eine historisch logische, aber sie war doch keine glückliche; darüber sind wir uns doch alle einig. Denken Sie doch einmal an die Anfänge der deutschen Geschichte hier in Mitteleuropa, an das Reich Karls des Großen. Da gab es keinen deutsch-französischen Gegensatz. Denken Sie doch einmal an die spätere Zeit, an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unter Otto dem Großen. Das war doch alles andere als ein Nationalstaat. Denken Sie auch einmal an die Entstehung der Kriege in Europa. Sie wurden in den wenigsten Fällen um nationalstaatliche Grenzen geführt, sondern um Ideen. Es war erst dem letzten Jahrhundert vorbehalten, Kriege um nationalstaatliche Grenzen zu führen. Sie können mir nicht sagen, daß das ein Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit ist.
Meine Damen und Herren! Ohne auf die Einzelheiten des Schumanplans einzugehen, ohne die Gegengründe, die erwähnt worden sind, im einzelnen zerstückeln zu wollen — das läßt sich machen, aber es ist nicht notwendig; denn prophezeien können wir alle nicht —, müssen wir uns heute zu einem Bekenntnis klar durchringen. Entweder wir bekennen uns zu einem zertrümmerten Europa und glauben, daß wir aus einem zertrümmerten Europa nationalstaatlich etwas gewinnen — warum wir hierbei als Deutschland mit allen seinen Startschwierigkeiten besser fahren sollen als die anderen Nationen, weiß ich von vornherein nicht —, oder wir bekennen uns zu einem vereinten Europa, das, beginnend mit einem gemeinschaftlichen Markt der Grundstoffe, in der Lage ist, die Wirtschaft zu fördern und den Lebensstandard des einzelnen zu verbessern.
Eine ähnliche Frage wie der Schumanplan mit dem gemeinschaftlichen Markt hat in der deutschen Geschichte schon einmal eine Rolle gespielt, nämlich die Frage des Deutschen Zollvereins. Wenn Sie einmal die Debatten um den Deutschen Zollverein studieren, finden Sie ganz ähnliche Argumentierungen, besonders handelspolitischer, aber auch produktionspolitischer Art, wie sie heute hier vorgebracht worden sind. Ich hatte neulich Gelegenheit, in die Bücher einer alten Hannoverschen Firma Einblick : zu nehmen. Diese Firma hatte zur Zeit der Zollvereinsverhandlungen eine große Blütezeit. Der jetzige Inhaber zeigte mir Eintragungen des damaligen Geschäftsinhabers, in denen dieser Jahre vor Abschluß des 'Zollvereins klipp und klar sagte: Wir müssen unsere Regierung darum bitten, den Zollverein nicht abzuschließen; denn wir in Hannover werden bei einem gemeinschaftlichen Markt mit dem Osten wegen des Übergewichts der dortigen Industrien, wegen der besseren Geldverhältnisse im Osten und wegen der billigen Arbeitskräfte zugrunde gehen. Er hat auch entsprechende Interpellationen an die Regierung gemacht, die ich in der Abschrift gelesen habe. Dann zeigte mir der-
selbe Geschäftsinhaber die Bilanzen dieser Firma 10 Jahre nach Abschluß des Zollvereins. Sie hatten sich im Durchschnitt vervier- und verfünffacht. Das war ein Segen des gemeinschaftlichen Marktes.
Wie die wirtschaftspolitische Entwicklung im einzelnen laufen wird, ist noch nicht zu übersehen. Sicher aber ist, daß der gemeinschaftliche Markt wirtschafts-, handels- und sozialpolitisch seine erhebliche Auswirkung im Positiven wird bewähren können. Davon bin ich persönlich und davon sind meine Freunde überzeugt.
Nun noch ein Wort zu den Startbedingungen. Diese Startbedingungen scheinen mir in der Diskussion wesentlich zu sein, weil tatsächlich sehr viele der von der Opposition angeführten Hinderungsgründe vorliegen, besonders die von Herrn Dr. Schöne sehr klar herausgearbeiteten. Ich gebe ihm vollkommen recht, daß diese Startbedingungen uns sehr stark benachteiligen würden und den Vertrag sogar schwierig machen würden, wenn eben der Schumanplan nur für drei oder fünf Jahre abgeschlossen worden wäre. Dann wären die Startbedingungen hinderlich, vielleicht sogar tödlich. Da der Vertrag aber für 50 Jahre abgeschlossen worden ist, wäre es ein Beweis mangelnden Selbstvertrauens, wenn wir diese Benachteiligung nicht glaubten aufholen zu können.
Ich habe sehr aufmerksam die Ausführungen des Herrn Kollegen Imig über den Kohlenverkauf verfolgt, über all die Dinge, die zweifellos die Situation schwierig machen. Ich habe aber gerade aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Imig eines klar durchklingen hören, was mich wieder sehr positiv einstellt, nämlich die Tatsache, daß wir j a ein sehr großes Aktivum haben, das bei den Besprechungen über den Schumanplan vielleicht nicht so stark hervorgetreten ist. Dieses Aktivum ist der deutsche Mensch, der deutsche arbeitende Mensch und der deutsche wirtschaftende Mensch. Er gibt uns die Gewähr, daß die Institutionen des Schumanplans mit einem Leben erfüllt werden können, das für die europäische und damit für die deutsche Entwicklung positiv sein wird.
Meine Damen und Herren, ich darf noch etwas zu einem Einwurf sagen, der vorhin hinsichtlich der Hohen Behörde gemacht worden ist. Der Redner hat, glaube ich, gesagt, die Hohe Behörde bestehe im wesentlichen aus machthungrigen Managern, und diese machthungrigen Manager hätten nun das Schicksal der deutschen Grundstoffindustrie in der Hand. Sie müssen hier die Kirche im Dorf lassen. Die Hohe Behörde hat nach dem Schumanplan zweifellos sehr erhebliche Befugnisse. Aber sie kann diese Befugnisse nicht volkswirtschaftlich unvernünftig gegen die einzelnen Nationalwirtschaften anwenden. Denn diese Hohe Behörde, die uns zwar vorhin als Exekutivorgan erster Ordnung geschildert wurde, ist im Grunde kein echtes Exekutivorgan. Wer ist denn der Exekutivbeamte dieser Hohen Behörde? Sie hat ja keinen Gerichtsvollzieher, der ihre Beschlüsse zur Wirklichkeit macht. Diese Hohe Behörde hat nur die wirtschaftliche Vernunft und die Abstimmung der Nationalwirtschaften als Machtposition hinter sich, um sich durchzusetzen. Sie wird gar nicht in der Lage sein, im luftleeren Raum zu arbeiten. Das ergibt sich klar aus dem Schumanplan, da, wie gesagt, Vollziehungsinstrumente für die Hohe Behörde im Vertrag nicht vorgesehen sind.
Sie sehen, meine Damen und Herren: das Leben wird vermutlich auf Grund des Schumanplans einen vernünftigeren Weg gehen, als wir ihn hier theoretisch aus kurzfristigen Überlegungen konstruiert haben. Deswegen erlaubte ich mir vorhin, von der Hypertrophie des kurzfristigen Denkens zu reden. Wir sollten dieses Denken langsam in langfristige Überlegungen überführen.
Ich verkneife es mir auch, Vergleiche, wie sie gemacht wurden, indem der Handelsverkehr innerhalb des gemeinschaftlichen Marktes mit der Liberalisierung verglichen wurde, zu widerlegen; denn sie treffen in der Tat nicht zu. Alle diese Dinge sind im Wirtschaftsausschuß sehr lange besprochen worden, und fast alle Redner, die hier aufgetreten sind, sind Mitglieder des Wirtschaftsausschusses. Diese Dinge sind im Vertrag festgelegt. Wir werden versuchen, durch diese Debatte den vertragschließenden Teilen des Schumanplan-Werkes zu beweisen, daß wir als Deutsche gewillt sind, in dem Schumanplan nicht die Herausreißung von Grundstoffindustrien aus der Nationalwirtschaft zu dokumentieren, sondern die Einbringung der Grundstoffindustrien in eine europäische Gemeinschaft, in einen europäischen Markt, dem zwangsläufig die Konföderation Europas folgen muß.
Deswegen können Sie diese Dinge nicht aus dem politischen Zusammenhang herausgelöst nur von der wirtschaftspolitischen Seite her sehen, Die Entscheidung über den Schumanplan ist im Grunde nichts anderes, als daß wir die bisherige Art der deutschen politischen Betrachtung etwas umkehren. Es ist deutsche Eigenart, politische Überlegungen in die Vergangenheit hinein anzustellen.
Wir wollen uns daran gewöhnen, aus der Vergangenheit heraus die Politik in die Zukunft hinein zu gestalten.
— Meine Damen und Herren, was heißt denn „Vorleistung ohne Gegenleistung" ! Das sind doch ganz billige Argumente. Herr Loritz, Eierpreise sind Ihre Spezialität. Kaprizieren Sie sich darauf, es ist zweifellos besser.
Meine Damen und Herren, ich möchte dem bekannten Wort, daß Politik die Kunst des Möglichen ißt, hier eine andere Deutung entgegensetzen. Ich möchte sagen: Richtige Politik ist auch das Denken an morgen, und in diesem Denken an morgen bekennen wir uns zum Schumanplan und werden ihm unsere Zustimmung geben. Wir wollen damit ein Bekenntnis ablegen, auch wirtschaftspolitisch, aber in erster Linie ein politisches Bekenntnis. Wir wollen an Stelle von Mißtrauen in der Vergangenheit Vertrauen in der Zukunft.
Wir wollen an Stelle eines zerrissenen Europas ein vereinigtes Europa, und wir wollen — —
— Natürlich ist das billig, große Zusammenhänge sind immer billig; sie sind aber offenbar für manche am schwersten zu begreifen.
Meine Damen und Herren, uns soll der Schumanplan dazu dienen, den Frieden in Westeuropa zwischen Deutschland und Frankreich zu sichern.
Uns soll der Schumanplan dazu dienen, ein starkes deutsches Vaterland zu schaffen in einem geeinten, friedlichen Europa. Deswegen werden meine Freunde und ich dem Schumanplan trotz aller schon argumentierten Bedenken unsere Zustimmung geben.