— Ist gestern noch verteilt worden? So? Dann muß sie also unmittelbar vor der Sitzung noch verteilt worden sein, reichlich spät! Ich habe jedenfalls ein Rundschreiben des Herrn Direktors Troßmann in meinem Besitz, in dem er ausdrücklich sagt, die Abgeordneten möchten die Exemplare vom vorigen Jahre mitbringen; es sei für die zweite Lesung nicht mehr möglich, diese Drucksache zu verteilen. Herr Präsident, von diesem Rundschreiben wissen Sie wahrscheinlich nichts, ich stelle es Ihnen sehr gern zur Verfügung.
— Nein, i c h habe den Schumanplan, Herr Horlacher! Ich zitiere Ihnen schon die ganze Zeit daraus! Ich lese Ihnen nicht aus einem Manuskript vor, wie Ihre Patentredner es immer tun, obwohl es in der Geschäftsordnung heißt, die Abgeordneten sollen frei sprechen! In Wirklichkeit kommen sie mit dicken Manuskripten 'rauf und lesen daraus so schön vor.
— Nein, ich lese nichts vor. Ich habe lediglich die Gesetzestexte.
— Ja, für Ihren Geschmack vielleicht nicht! Aber was der Geschmack der deutschen Wähler ist, das warten wir bis zur nächsten Wahl ab!
Darf ich zu den Übergangsbestimmungen eines sagen: sie sind von größter Wichtigkeit, fast von noch größerer Wichtigkeit als das Hauptgesetz, weil gerade richtige Übergangsbestimmungen für die nächsten Jahre entscheiden!
— Sie machen sich den Humor sehr leicht!
Ich glaube, viele Journalisten des In- und Auslandes hören uns zu. Vielleicht ist auch mancher dabei, der sagt, daß ,das, was Sie tun, nicht gerade sehr demokratisch ist. Ich mache es bei Ihren Rednern nicht, daß ich nur mit Lächerlichkeiten. daherkomme. Mit all dem bringen Sie mich auch von meinem Wege nicht ab. Ich bin keiner, der sich als Opposition gegen die Regierung wählen läßt und dann zu den Regierungsparteien überspringt, davon seien Sie überzeugt! Allerdings, es gehört etwas dazu, das durchzuhalten. Ein Magen und Nerven gehören dazu, um das auf die Dauer auszuhalten, wie Sie sich hier in einem deutschen demokratischen Parlament benehmen!
— Nein, ich mache so etwas wie Sie nicht!
Meine Damen und Herren, ich, möchte zu den Übergangsbestimmungen noch sagen: Man hat es, nachdem man allgemeine Bestimmungen in den Entwurf hineingebracht hat, für nötig gehalten, für die Übergangszeit noch besondere Schutzbestimmungen für einzelne Staaten zu schaffen; das sind die §§ 23 ff. Das sind also die besonderen Vorschriften für Kohle von § 24 ab und für Stahl von § 29 ab. Ich lese da von besonderen Bestimmungen für Frankreich, Belgien, für Italien, ja sogar für Luxemburg. Ich blättere aber vergeblich nach Schutzbestimmungen für Deutschland, für die deutsche Stahlindustrie usf. Ich finde nichts, aber auch nichts davon! Kein eigenes Kapitel wie für Belgien, für Frankreich, für Italien — wie in § 27 — oder für Luxemburg — wie in § 31, nichts davon! Es ist schon so mit der Societas leonina, das zieht sich durch wie ein roter Faden, nicht bloß durch das Gesetz selbst, sondern genau so durch die Übergangsbestimmungen!
Daß darüber von den Herren der Regierungsparteien sa wenig gesprochen wurde, bzw. daß sie all das, wenn sie es überhaupt schüchtern versuchten, zu bagatellisieren und zu minimisieren bestrebt waren, kann niemand begreifen, der juristische Texte zu lesen gewohnt ist. Sehen Sie sich bitte mal die Fassung des § 23 an, der den Fall behandelt, daß ganze Industrien kaputtgehen, weil sie in einer Randlage liegen. Das gilt z. B. für die Randzechen im Ruhrgebiet, die jetzt nur deswegen eine Konjunktur haben, weil die Kohle so rar ist, daß alle Leute Überpreise zahlen, die ganz unwirtschaftlich sind. Es geht aber noch viel weiter, und da, meine Herren von der CSU und der Bayernpartei, müßten S i e besonders hellhörig sein. Unsere gesamte bayerische Produktion an Kohle und Eisen ist mit diesen Bestimmungen des Schumanplans erledigt, wenn die Konjunktur urn-schlägt, weil sie viel zu ungünstig liegt, nicht bloß der Fracht nach, Herr Professor Nölting, sondern genau so auch den Produktionsbedingungen nach. Sie wissen ja, aus welchen Flözen bei uns in Oberbayern Kohle produziert wird. Die würde man im Ruhrgebiet gar nicht abbauen, sondern überhaupt links liegen lassen, so dünn sind diese Flöze. Und denken Sie an die ganzen Vorkehrungsmaßnahmen in den bayerischen Kohlenbergwerken, die erforderlich sind, weil ein ganz enormer Gebirgsdruck besteht, der sich im Laufe der Jahrzehnte noch weiter steigern kann. Denken Sie an Preißenberg, an Peiting, an Hausham und an Penzberg! Dadurch werden die Produktionskosten selbstverständlich höher als in anderen Gegenden.
Beim Stahl ist es genau so. Unsere alte bayerische Maximilianshütte droben in der Oberpfalz ist erledigt, wenn die Konjunktur umschlägt, weil sie keineswegs mehr so billig produzieren kann, um etwa mit den Eisenwerken der Franzosen in Konkurrenz treten zu können, die auf dem Minette-Erz aufgebaut sind.
Was sagt nun dieser § 23, von dem ich gerade sprach? Was für ein Trostpülverchen, was für ein Zückerlein hat er für die deutsche Arbeiterschaft?! Hören wir doch einmal, was er sagt:
Falls infolge der Errichtung des gemeinsamen Marktes einzelne Unternehmen oder Teile von Unternehmen vor der Notwendigkeit stehen sollten, ihre Tätigkeit ... einzustellen ...,
dann hat die Hohe Behörde nur „mitzuwirken". Was heißt „mitwirken"? Das ist schon gar nichts Gutes!
Ja, wenn man z. B. einen Akt in Empfang nimmt, einen Stempel draufgibt, den Akt dann an die deutsche Regierung weiterleitet und ihr sagt
„Zahlt Ihr!", dann ist das auch schon ein „Mitwirken"! Auch wenn man dazu eine schöne Resolution faßt: „Getreu den europäischen Grundsätzen bedauert es die Haute Autorité außerordentlich, daß ein paar hunderttausend Arbeiter ums Brot gekommen sind!"
Ja, die Haute Autorité bietet Ihnen sogar eine „récompense" an, sehr verehrter Herr Zwischenrufer! Auch das ist in diesem § 23 vorgesehen. Aber was? Das werde ich Ihnen gleich vorlesen. Ich hätte es Ihnen schon vorgelesen, wenn Sie mich nicht immer unterbrächen.
— Vielleicht verstehen Sie es!
— Ja, Herr Horlacher, das glaube ich! Sie sind Ihrer Meinung nach eben ein Alleskönner! S i e verstehen von der Industrie genau so viel wie von der Landwirtschaft, von der Sie ja stammen.
— Bitte schön, haben Sie nichts gesagt? Hier im Stenogramm ist es verewigt! — Die Haute Autorité wird also dabei „mitwirken", daß die Arbeiterschaft vor den Lasten der Anpassung geschützt wird, und zwar w i e „geschützt" wird, und ihr eine produktive Beschäftigung gesichert wird, und zwar woanders, also vielleicht Schneeschaufeln bei den ertragreicheren Zechen Lothringens oder im Ruhrgebiet. Oder sie werden Straßen bauen oder so kleine Feldeisenbahnen bei einigen großen Werken, die noch am Leben bleiben, weil sie günstiger produzieren. „Umschulung" ist ja auch bereits vorgesehen — siehe § 23 Buchstabe d! Vielleicht werden die Stahlarbeiter dann Bäckermeister bei irgendeinem großindustriellen Werk, oder sie werden in die Kantine eines großen Stahlwerkes in Lothringen oder sonstwo eingestellt! — Wie gesagt, hier sind sogar Gelder für Umschulungen vorgesehen, und zwar in Abs. 4 Buchstaben c und d dieses § 23, allerdings nur Beihilfen; den Löwenanteil wird auch hier das deutsche Volk, der deutsche Steuerzahler zu tragen haben. Mir tut nur heute schon der arme Dr. Schäffer leid, wenn er dafür mit ein paar hundert Millionen Mark herausrücken soll. Bekanntlich muß nach Ziffer 6 des § 23, den ich auch vorlese, die Haute Autorité die Zahlung einer Beihilfe davon abhängig machen, daß der beteiligte Staat — in dem Falle also Deutschland — einen mindestens gleichwertigen besonderen Beitrag leistet. Sehen Sie, so ist die Geschichte! Also die Hauptsache bleibt dabei doch an uns hängen. Ich weiß nicht, ob Herr Schäffer die Millionen hat — er hat jetzt schon zu wenig, um den Kriegsversehrten mehr zu geben —, um hier weitere Hunderttausende auf die Straße geschmissener braver 'deutscher Arbeiter auf unabsehbare Zeit hinaus noch mit der nötigen Unterstützung zu versehen.
— Nein, das ist keine Demagogie, Herr 'Zwischenrufer. Das ist der Gesetzestext!
— Sie sind immer außerordentlich leicht dabei, anderen Leuten Demagogie vorzuwerfen! Ich habe das Gesetz vorgelesen und nichts anderes. Es hat einmal ein bekannter Mann gesagt: „L'on est
toujours le réactionnaire de quelqu'un". Sie variieren das heute: „L'on est toujours le démagogue de quelqu'un", nämlich von denen, die drinhocken in der Regierung und dem Volke nicht Rechenschaft ablegen wollen. Machen Sie doch eine Vo1ksabstimmung über den Schumanplan! Heute sehen die Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei wohl ein, wie recht wir von der WAV damals hatten,
als wir zu der Zeit, da zunächst in den deutschen Ländern die Verfassung geschaffen wurde, in Bayern sagten: Laßt wenigstens über die wichtigsten Gesetze, von denen Wohl und Wehe und Schicksal des ganzen Volkes auf Jahrzehnte abhängt, eine Volksbefragung zu! Fragt das Volk einmal in geheimer Abstimmung, was es dazu sagt! Da habt ihr euch leider damals dagegen gestellt, auch die Kommunisten im bayerischen Landtag.
So kam dann eine Entwicklung, die Sie alle kennen. Heute würden Sie es willkommen heißen, wenn das deutsche Volk in geheimer Abstimmung über den Schumanplan zu befinden hätte. Das wäre der richtige Weg. Da würden Sie etwas sehen, meine Herren Zwischenrufer, wer als Demagoge bezeichnet werden muß.
— Nein, wir sind in keiner Versammlung, aber Sie machen ständig Zwischenrufe und sind daher ein Zwischenrufer. Ich kann doch wohl noch Deutsch.
— Ich kann mit Ihnen auch lateinisch sprechen, wenn Sie mögen. Vielleicht verstehen Sie dann besser — oder Griechisch?
—, Ja freilich, auch bayrisch kann ich mit Ihnen reden, wenn Sie mögen; aber dann schon a bisserl anders. Nur weiß ich dann nicht mehr, was der Herr Präsident dazu sagen würde, und ich möchte doch vermeiden, Ordnungsrufe einzuheimsen.