Rede von
Dr.
Richard
Hammer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! In diesem Hause und in der deutschen Öffentlichkeit wird wohl kaum der Verdacht aufkommen, daß die Freie Demokratische Partei die Absicht hat, den Personenkreis, der der deutschen Pflichtversicherung unterliegt, zu erweitern.
Wir haben andernorts darauf hingewiesen und Ihnen die Gründe des öftern dargestellt.
Der Versuch, durch die staatliche Krankenversicherung in Deutschland den Minderbemittelten zu helfen, ist eben nur zum Teil gelungen. Es hat sich herausgestellt, daß den gewährten Leistungen der Gegenseitigkeitshilfe eine Reihe von unangenehmen Folgen gegenüberstehen. Unter anderem hat sich herausgestellt, daß ein Resultat dieser Entwicklung die sogenannte Versicherungskrankheit gewesen ist. Es wird der Sorge aller Sozialpolitiker bedürfen, sich zu überlegen, wie in der künftigen Sozialversicherung derartige Schäden verhindert werden können.
Im Augenblick stehen wir auf dem Standpunkt, daß man demjenigen, der dieser Versicherung nicht bedarf, nicht zumuten soll, an ihr lediglich aus finanziellen Überlegungen, in deren Konsequenz die Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger erhöht werden soll, teilzunehmen. Es ist auch zu überprüfen, ob rein finanztechnisch die Behauptungen über die günstige Auswirkung anders zusammengesetzter Mitgliederbestände der Krankenkassen stimmen. Wenn sie aber stichhaltig wären, meine Damen und Herren, und wenn der deutschen Krankenversicherung ein Fürsorgefaktor hinzugefügt werden sollte, dann kann nicht der Versicherungsträger den Finanzminister ersetzen, sondern dann können derartige Dinge nur durch den vollzogen werden, der das Recht zur Besteuerung hat, und das ist eben dieses Haus mit seiner Gesetzgebung.
Bezüglich der Grenze der neuen Versicherungspflicht selbst stehen wir auf dem Standpunkt, daß die Relationen wiederhergestellt werden müssen, die durch das Auseinanderklaffen von Reallohn und Nominallohn entstanden sind, nicht mehr!
Bei dem Versuch, die richtige Relation zu finden, ist meine Fraktion nicht völlig einer Meinung geworden. Der größere Teil meiner Freunde hat sich ausgerechnet, daß 450 DM die richtige Grenze ist. Ein anderer, kleinerer Teil, zu dem ich gehöre, steht auf dem Standpunkt, daß 500 DM das Richtige sei. Die Erhöhung auf eine dieser beiden Summen erscheint uns unbedingt notwendig, um die deutsche Krankenversicherung wieder fähig zu machen, ihren Aufgaben nachzukommen. Sie kennen das Problem der Verpflegungssätze der Krankenhäuser, und Sie kennen auch das Problem einer unzureichenden ärztlichen Versorgung, das schon deshalb entstanden ist, weil eine Anpassung der Arzthonorare an die tatsächliche Leistungsvermehrung überhaupt nicht erfolgte.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie nur einmal an folgendes erinnern. Als die Ausgangshonorare des Jahres 1932 errechnet wurden, hat in Deutschland noch kein Mensch daran gedacht, daß man den Frauen zwischen dem 45. und dem 55. Lebensjahre durch eine jahrelange Behandlung mit Sexualhormonen das Leben erträglich und angenehmer gestalten könne. Damals hat man die
sogenannte Klimax als Schicksal hingenommen, und heute ist es eine selbstverständliche Aufgabe der Ärzteschaft und der Krankenkassen geworden, mit Medikamenten und mit ärztlichen Leistungen die Frauen zehn Jahre hindurch in einem Zustand der Gesundheit zu erhalten. Diese Leistungen sind bis zum heutigen Tage in keiner Form honoriert worden.
Es mag sein, daß unter meinen Kollegen die wirtschaftliche Auswirkung der derzeitigen Regelung des § 178 der RVO überschätzt wird. Immerhin ist seit dem Jahre 1941 ein ganz großer Personenkreis ihrem Einkommen nach vorzüglich gestellter Menschen, die die entsprechenden Ansprüche an das Leben stellen, wahllos in der deutschen Pflichtversicherung versichert. Ob das nun Selbständige sind, die früher in einem Angestelltenverhältnis waren, ob es. Angestellte sind, die in hohe Einkommenstufen hineingekommen sind, bleibt sich ganz gleich.
Die Leistungen, die ein Versicherter nach der Reichsversicherungsordnung zu beanspruchen hat, sind aber bekanntlich beschränkte Leistungen. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß im § 368 d der Reichsversicherungsordnung steht:
Er
— der Arzt —
darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, hat eine Behandlung, die nicht oder nicht mehr notwendig ist, abzulehnen, die Heilmaßnahmen, insbesondere die Arznei, die Heil- und Stärkungsmittel nach Art und Umfang wirtschaftlich zu verordnen usw.
Meine Damen und Herren, es ist ein unglückseliges Gesetz, das immer da wirkt, wo soziale Tätigkeit unternommen wird: die Versicherten kennen alle den berühmten Stempel „Genehmigt in einfachster Ausführung". Es ist bis jetzt trotz aller Überlegungen nicht gelungen, die merkwürdige Kuppelung zu beseitigen, die darin besteht, daß eine soziale Leistung in der Regel auch qualitativ nicht die beste Leistung ist. Der Personenkreis der wohlhabenden freiwillig Versicherten, der die Sprechzimmer der Ärzte mit einem Krankenschein auf Grund des § 178 betritt, ignoriert die Bestimmungen des § 368 d RVO. Er ignoriert diesen Wappenspruch der deutschen Krankenversicherung: „Nur in einfachster Ausfertigung." Er verlangt den Arzt besuch, obwohl er den Arzt in der Sprechstunde aufzusuchen hat, und er verlangt 24 Massagen aus kosmetischen Rücksichten. Diese Ansprüche führen zum täglichen Ärgernis zwischen dem Arzt und dem Patienten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die derzeitige Spannung innerhalb der Ärzteschaft unbedingt beseitigt werden muß; denn ohne eine echte Arbeitsgemeinschaft zwischen Krankenkassen und Ärzten kann ich mir nicht vorstellen, daß die deutsche Volksgesundheit zufriedenstellend sein kann. Die im Augenblick bestehende Spannung beruht auch auf täglichen Provokationen infolge der Auswirkung des § 178.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie den Groll der deutschen Ärzteschaft nicht zu leicht. Geschichte wird oft durch Skandale und durch nichts anderes gemacht. Unsere geliebten bayerischen Bundesbrüder haben von 1813 bis 1848 keine Revolution gemacht, obwohl sie nicht gerade unter modernen staatsrechtlichen Verhältnissen lebten; aber weil eine gewisse Lola Montez ein klein wenig zuviel mit den Hüften geschaukelt hatte, haben sie ihre einzige Revolution veranstaltet.
Wir bitten Sie, Ziffer 2 anzunehmen und Ziffer 1 nach Ihrem Gewissen mit „450" oder „500" zu beschließen.